BVerfGE 3, 12 - Bundesbankgesetz
Der Äußerung des Bundesrates beim ersten Durchgang gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG, daß ein ihm von der Bundesregierung zugeleiteter Gesetzentwurf seiner Zustimmung bedürfe, kommt -- jedenfalls dem Bundestag gegenüber -- keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Sie ist keine Maßnahme im Sinne von § 64 BVerfGG, die Rechte des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren verletzen oder unmittelbar gefährden könnte.
 
Urteil
des Zweiten Senats vom 29. Juli 1953
-- 2 BvE 1/53 --
in dem Verfassungsrechtsstreit wegen des Umfanges der Rechte des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Währungs- und Notenbank des Bundes (Bundesbankgesetz); - Antragstellerin: die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei; - Antragsgegner: der Bundesrat.
Entscheidungsformel:
Die Anträge werden als unzulässig abgewiesen.
 
Gründe:
 
A.
Die Bundesregierung hat am 22. Januar 1953 beim Bundestag den Entwurf eines Gesetzes über die Währungs- und Notenbank des Bundes (Bundesbankgesetz) eingebracht (BT-Drucks. Nr. 4020). Der Entwurf ist nach der ersten Beratung in der 249. Sitzung des Bundestages vom 4. Februar 1953 zusammen mit einem Antrag der Fraktion der FDP betreffend Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (BT- Drucks. Nr. 3929) dem Ausschuß für Geld und Kredit überwiesen worden (Sten.Ber. der 249. Sitzung S. 11884 C).
Eine weitere Beratung oder eine Abstimmung im Plenum hat bis jetzt nicht stattgefunden.
Der Regierungsentwurf sieht ein zweistufiges Bundesbanksystem vor. Er bestimmt die bisherige Bank deutscher Länder zur Währungs- und Notenbank des Bundes (§ 1), läßt aber die Landeszentralbanken bestehen, deren sich die Bundesbank bei Erfüllung ihrer Aufgaben bedient (§ 5) und denen sie zu diesem Zweck bindende Richtlinien erteilen kann (§ 9). Die Landeszentralbanken sind in dem die Währungs- und Kreditpolitik der Bundesbank bestimmenden Bundesbankrat durch ihre Präsidenten vertreten (§§ 23, 24).
Im Gegensatz hierzu schlägt der Entwurf der Fraktion der FDP (Drucks. Nr. 3929) ein einstufiges Bundesbanksystem unter Abschaffung der Landeszentralbanken vor.
Der Bundesrat hat in seiner 97. Sitzung am 5. Dezember 1952 zu der Regierungsvorlage im ersten Durchgang gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG Stellung genommen (Sitzungsbericht S. 568, 579 A). Er macht eine Reihe von Änderungsvorschlägen und vertritt die Ansicht, daß das Gesetz gemäß Art. 84 Abs. 1 i.V.m. Art. 78 GG seiner Zustimmung bedürfen würde. Dies soll sich einmal daraus ergeben, daß der Entwurf nach Auffassung des Bundesrates z. B. in § 15 (Aufstellung verbindlicher Grundsätze zur Sicherung der Einheitlichkeit des Rechnungswesens bei den Landeszentralbanken durch die Bundesbank im Benehmen mit den Bankaufsichtsbehörden der Länder) und in § 24 Abs. 2 (Ernennung des Präsidenten einer Landeszentralbank im Benehmen mit der Bundesregierung) Bestimmungen enthält, die das Verwaltungsverfahren der landeseigenen Verwaltung im Sinne von Art. 84 Abs. I GG regeln. Weiterhin hebt der Entwurf nach Meinung des Bundesrates das Gesetz über die Bank deutscher Länder auf und gestaltet die durch dieses Gesetz geschaffenen Einrichtungen der Länder zu einer Bundeseinrichtung um, was nach Art. 84 Abs. 1 GG nur durch ein mit Zustimmung des Bundesrates erlassenes Bundesgesetz möglich wäre.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß ein Gesetz nach ihrem Entwurf nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Die Bundestagsfraktion der FDP vertritt die Meinung, daß Art. 88 GG Landeszentralbanken als Teile eines Bundesnotenbanksystems nicht zuläßt, daß also der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Widerspruch mit dem Grundgesetz steht. Deshalb ist nach ihrer Ansicht auch für eine Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 GG kein Raum; ihrer Meinung nach verstößt der Beschluß des Bundesrates vom 5. Dezember 1952 gegen Art. 88 GG und verletzt oder gefährdet die Rechte des Bundestages.
Sie hat durch Schriftsatz vom 4. Februar 1953 unter Bezugnahme auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. § 13 Ziff. 5 BVerfGG beantragt, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen:
    1. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Währungs- und Notenbank (BT-Drucks. Nr. 4020) ist entgegen dem Beschluß des Bundesrates vom 5. Dezember 1952 (BRDrucks. Nr. 450/4/52, Beschluß) nicht erforderlich.
    Der Bundesratsbeschluß verstößt gegen Art. 88 GG.
    2. Art. 88 GG läßt Landeszentralbanken als Teile eines Notenbanksystems nicht zu.
Der Bundesrat hat beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, die anläßlich seiner Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG beim ersten Durchgang geäußerte Ansicht, ein Gesetz bedürfe seiner Zustimmung, sei kein rechtserhebliches Verhalten und könne nicht im Sinne von § 64 BVerfGG verfassungsmäßige Rechte und Pflichten des Bundestages verletzen. Erst beim zweiten Durchgang komme der Auffassung des Bundesrates über die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes rechtserhebliche Bedeutung zu, aber nur gegenüber dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung, nicht gegenüber dem Bundestag. Nach Meinung des Bundesrates ist der Antrag auch deshalb unzulässig, weil er in Wahrheit eine im Grundgesetz nicht vorgesehene antizipierte Normenkontrolle erstrebe.
Der Senat hat am 23. April 1953 beschlossen, die Verhandlung zunächst auf die Frage der Zulässigkeit des Antrags zu beschränken.
 
B. -- I.
Die Antragstellerin behauptet, daß der Antragsgegner durch grundgesetzwidrige Inanspruchnahme des Zustimmungsrechts Rechte des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren verletzt oder unmittelbar gefährdet habe.
Daß die antragstellende Fraktion und der Bundesrat in einem Organstreit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG Partei sein können, ergibt sich aus § 63 BVerfGG.
Es besteht jedoch zwischen den Parteien in Wahrheit kein Organstreit im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG.
Denn der eigene Vortrag der Antragstellerin läßt erkennen, daß die Frage, ob ein Bundesbankgesetz nach dem von der Bundesregierung im Bundestag eingebrachten Entwurf gemäß Art. 84 Abs. 1 GG der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zwischen den Parteien nicht streitig ist.
Die Antragstellerin stützt ihre Behauptung, daß die Zustimmung des Antragsgegners zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf nicht erforderlich sei, ausschließlich auf ihre Rechtsmeinung, der Regierungsentwurf stehe sachlich mit Art. 88 GG in Widerspruch, weil diese Bestimmung nur ein einstufiges Bundesbanksystem zulasse.
Der Antragsgegner gründet sein Zustimmungsrecht auf diejenigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die die Landeszentralbanken betreffen, vornehmlich auf § 15 und § 24 Abs. 2. Diese die Landeszentralbanken betreffenden Vorschriften des Gesetzentwurfs sind nach Auffassung der Antragstellerin nichtig, weil schon die Beibehaltung der Landeszentralbanken als Teil des Bundesbanksystems mit Art. 88 GG unvereinbar sei; infolgedessen sei für ein so begründetes Zustimmungsrecht kein Raum.
Die Antragstellerin bestreitet also nicht, daß das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedürfte, wenn es nach dem Entwurf der Bundesregierung vom Bundestag verabschiedet würde. Sie ist nur der Meinung, daß der Gesetzentwurf in der von der Regierung vorgeschlagenen Form vom Bundestag gar nicht verabschiedet werden darf, weil er inhaltlich gegen das Grundgesetz verstößt.
Hieraus ergibt sich, daß ein Organstreit zwischen Bundestag und Bundesrat über ihre beiderseitigen Rechte im Gesetzgebungsverfahren nicht besteht. Die Antragstellerin unterbreitet dem Gericht vielmehr nur die Frage, ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung sachlich mit Art. 88 GG vereinbar ist oder nicht. Diese Frage kann aber für sich allein nicht Gegenstand eines Organstreits zwischen Antragstellerin und Antragsgegner sein. Schon aus diesem Grunde wären die Anträge als unzulässig abzuweisen.
II.
Nach § 64 BVerfGG ist der Antrag überdies nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Das zur Nachprüfung stehende Verhalten des Antragsgegners muß rechtserheblich sein; es muß Kompetenzen des Antragstellers beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. März 1953, BVerfGE 2, 143 f Ä157, 168Ü).
Das Verhalten des Antragsgegners, das von der Antragstellerin beanstandet wird, besteht darin, daß der Antragsgegner in seiner 97. Sitzung am 5. Dezember 1952 (Sitz.Ber. S. 568, 579 A) bei seiner Stellungnahme zu der Regierungsvorlage im ersten Durchgang gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG die Auffassung vertreten hat, das ihr entsprechende Gesetz bedürfe nach Art. 84 Abs. 1 i.V.m. Art. 78 GG seiner Zustimmung.
Der Zustimmung des Bundesrates unterliegt nach Art. 78 GG "ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz". Der Bundestag hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung bis jetzt nur in erster Lesung behandelt und ihn dem zuständigen Ausschuß überwiesen. Ein Gesetzesbeschluß des Bundestages liegt noch nicht vor. Es steht noch gar nicht fest, ob der Regierungsentwurf vom Bundestag weiter behandelt und ob er in der gegenwärtigen Fassung verabschiedet wird. Auch wenn dies geschieht, ist es denkbar, daß der Bundesrat beim zweiten Durchgang seine bisherige Meinung ändert. Schließlich ist es auch möglich, daß der Bundestag diejenigen Bestimmungen des Gesetzes streicht, aus denen der Bundesrat bisher sein Zustimmungsrecht hergeleitet hat.
Der Äußerung des Bundesrates beim ersten Durchgang gem. Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG, daß der ihm von der Bundesregierung zugeleitete Entwurf eines Bundesbankgesetzes seiner Zustimmung bedürfe, kann daher jedenfalls dem Bundestag gegenüber keine rechtserhebliche Bedeutung zukommen. Mit dieser rechtlichen Würdigung der Stellungnahme des Bundesrates steht auch die Praxis des Bundesrates in Einklang, nach der es zu einer Beschlußfassung gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG nicht der in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG vorgeschriebenen Mehrheit der Stimmen bedarf (vgl. Kratzer, Zustimmungsgesetze, AöR 77 S. 266 ff. Ä273Ü).
Die vom Bundesrat in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens geäußerte vorläufige, ihn selbst nicht bindende Ansicht, ein dem Regierungsentwurf entsprechendes Gesetz sei ein Zustimmungsgesetz, kann, am Verfassungsrecht gemessen, "falsch" sein; man kann ihr aber nicht den Charakter einer gegen das Grundgesetz verstoßenden Maßnahme im Sinne von § 64 BVerfGG beilegen, die Rechte des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren verletzt oder gefährdet (vgl. dazu auch v. Mangoldt, Kommentar, Anm. 2 zu Art. 76 GG, S. 416).
III.
An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man die Behauptung der Antragstellerin als richtig unterstellt, daß der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf sachlich mit Art. 88 GG unvereinbar sei.
Würde nämlich der Bundestag den inhaltlich "verfassungswidrigen" Gesetzentwurf verabschieden und würde der Bundesrat dann zustimmen, so hätte der Bundestag kein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, daß der Bundesrat durch seine -- nach Meinung des Bundestages nicht erforderliche -- Zustimmung zu einem mit der Verfassung inhaltlich in Widerspruch stehenden Gesetz die Rechte des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren verletzt oder gefährdet habe.
Daß die Verweigerung der Zustimmung zu einem inhaltlich mit der Verfassung in Widerspruch stehenden Gesetz nicht Rechte des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren verletzen kann, folgt schon daraus, daß die Verweigerung der Zustimmung in diesem Falle nicht selbst verfassungswidrig sein kann.
Würde das Gesetz vom Bundestag überhaupt nicht beschlossen, so könnte der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter tätig werden.
IV.
Da hiernach die Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und des § 64 BVerfGG nicht vorliegen, müssen die Anträge als unzulässig abgewiesen werden.