BGHSt 44, 175 - Zur "großen Zahl von Menschen" i.S.d. § 306b StGB
Zum Tatbestandsmerkmal einer "großen Zahl von Menschen" im Falle der besonders schweren Brandstiftung.
StGB § 306 b Abs. 1 F: 26.1.1998
1. Strafsenat
 
Urteil
vom 11. August 1998 g.S.
- 1 StR 326/98 -
Landgericht Memmingen
 
Aus den Gründen:
Der Angeklagte zog in eine Wohnung in einem Haus, in dem insgesamt acht Mietparteien wohnten. Dort setzte er unter Alkoholeinfluß - die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug höchstens 2,9 Promille - am 31. Juli 1997 gegen 2.30 Uhr im Keller einen Lattenrost in Brand. Er erkannte, daß sich ein Feuer über weitere Lattenroste, im Keller vorhandenes Holz und dort gelagerten Unrat, die hölzerne Kellertür, eine Wandverkleidung aus Holz sowie eine Holztreppe im ganzen Hause ausbreiten konnte, was er billigend in Kauf nahm. "Er erkannte auch, daß es als Folge des auf das Treppenhaus übergreifenden Feuers eventuell zu Gesundheitsschädigungen der Mitbewohner, auch zu panikartigen Reaktionen kommen könnte. Diese möglichen Folgen seines Tuns nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf."
Das Landgericht wertet die Tat als versuchte schwere Brandstiftung nach den §§ 306 Nr. 2, 22 StGB a.F.
1. Auf der Grundlage des zur Tatzeit und im Urteilszeitpunkt geltenden Rechts ist der Strafausspruch nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die Versagung einer weiteren Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB mit Blick auf die einschlägige Vorstrafe rechtlich unbedenklich (BGHSt 43, 66, 77 f.).
2. Das nach Urteilserlaß am 1. April 1998 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) ist hier auch nicht im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB das mildere Recht, welches der Senat nach § 354 a StPO zu beachten hätte (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 353, 354).
a) Allerdings ist durch das 6. StrRG der Tatbestand der schweren Brandstiftung und mit ihm das gesamte Recht der Brandstiftungsdelikte neu gefaßt worden (vgl. Wolters JR 1998, 271 ff.). Der Tatbestand der schweren Brandstiftung im Sinne des § 306 Nr. 2 StGB a.F. ist für die hier in Frage stehende Begehungsweise nunmehr in § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB n.F. im wesentlichen inhaltsgleich und mit unverändertem Strafrahmen - Mindeststrafe ein Jahr Freiheitsstrafe - enthalten. Neu eingefügt wurde indes in § 306 a Abs. 3 StGB n.F. ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren umfaßt, so daß der nunmehr nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB n.F. zur Verfügung stehende Strafrahmen für den Angeklagten gegenüber dem Strafrahmen aus § 306 StGB a.F. günstiger wäre.
b) Indes sind bei konkreter Betrachtungsweise (vgl. BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 11) das alte und das neue Recht jeweils in ihrem Gesamtgefüge gegenüberzustellen, soweit alte und neue Vorschriften in ihrem Unrechtskern (dazu Gribbohm in LK 11. Aufl. § 2 Rdn. 18) vergleichbar sind. Erst dann kann beurteilt werden, ob das neue Recht das mildere im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist. Diese Gegenüberstellung ergibt, daß das neue Recht hier nicht das mildere Gesetz ist.
aa) Nach den Feststellungen liegt aufgrund des neuen Rechts eine (jedenfalls im Fall der Vollendung der Tat) mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedrohte - hier freilich nur versuchte - besonders schwere Brandstiftung gemäß § 306 b Abs. 1 StGB n.F. vor. Der Angeklagte hat durch die Tat "eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen" herbeizuführen versucht (vgl. zum Versuch dieser Erfolgsqualifikation Rengier JuS 1998, 397, 400). Eine schwangere Frau mußte von der Feuerwehr mit Hilfe einer Drehleiter, eine ältere Dame und ein Kleinkind mußten mit Atemschutzgeräten gerettet werden; durch Raucheinwirkung wurden elf Personen so beeinträchtigt, daß sie zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht wurden.
(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der Gesundheitsschädigung "einer großen Zahl von Menschen" wird im Gesetz an verschiedenen Stellen verwendet (vgl. §§ 263 Abs. 3 Nr. 2, 308 Abs. 2, 309 Abs. 3, 312 Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 2, 318 Abs. 3, 330 Abs. 2 Nr. 1, 330 a Abs. 1 StGB). Er tritt dort in verschiedenem Regelungszusammenhang auf. So wird er in § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB in ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betruges einbezogen; in § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird er als Merkmal einer Qualifikation in Form eines Gefährdungstatbestands verwendet; in § 306 b Abs. 1 StGB ist er Tatbestandsmerkmal einer rechtlich selbständigen Erfolgsqualifikation. Deshalb bedarf das Merkmal der "großen Zahl von Menschen" einer tatbestandsspezifischen Auslegung.
(2) In § 306 b Abs. 1 StGB wird der Begriff der "großen Zahl von Menschen" als (normatives) Tatbestandsmerkmal verwendet. Dessen Auslegung ist nicht bereits aufgrund des Wortlauts der Norm abschließend möglich, denn daraus ist nur zu entnehmen, daß eine "große Zahl von Menschen" jedenfalls mehr Personen umfassen muß als der Begriff "mehrere", der schon bei drei Personen erfüllt wäre.
Nach der Systematik des Gesetzes kann "eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen" bei Inbrandsetzen beliebiger Objekte im Sinne der §§ 306 Abs. 1, 306 a Abs. 1 StGB verursacht werden, also auch solcher Objekte, bei denen die Gefährdung unübersehbar großer Menschengruppen eher fernliegt. Ferner ist zu berücksichtigen, daß bei gleicher Strafandrohung der zu prüfenden Qualifikation die schwere Gesundheitsschädigung eines Menschen gleichgesetzt ist, und daß das Gesetz für diese beiden Alternativen nur die Anhebung der Mindeststrafe auf zwei Jahre gegenüber der Mindeststrafe von einem Jahr in §§ 306 und 306 a StGB vorsieht; die Höchststrafe ist in den §§ 306 a und 306 b gleich. Aus diesen Erwägungen, nämlich der Erstreckung der Qualifikation auf sämtliche Tatobjekte im Sinne der §§ 306 und 306 a StGB, der Gleichstellung der in Frage stehenden Qualifikation mit der schweren Gesundheitsschädigung eines Menschen und der nur geringfügigen Anhebung des Strafrahmens, folgt, daß die Zahl der Geschädigten jedenfalls dann "groß" ist, wenn - wie hier - 14 Personen als Bewohner eines mittelgroßen Hauses betroffen sind.
bb) Der durch das 6. StrRG neu geschaffene Qualifikationstatbestand der besonders schweren Brandstiftung nach § 306 b Abs. 1 StGB n.F. ist in die Prüfung, ob das neue Recht im konkreten Fall milder ist, einzubeziehen. § 306 b Abs. 1 StGB erweitert nicht die Strafbarkeit. Er sieht lediglich für bestimmte Tatmodalitäten, die von der allgemeiner gefaßten Vorschrift des § 306 StGB a.F. auch erfaßt waren, bei unveränderter Höchststrafe von fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe eine erhöhte Mindeststrafe vor.
Für den nach § 2 Abs. 3 StGB durch das Revisionsgericht (§ 354 a StPO) anzustellenden Vergleich können Feststellungen herangezogen werden, die das Tatgericht seiner Beurteilung vor dem Hintergrund der von ihm zu beachtenden Rechtslage rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt hat. Daß diese Feststellung nicht mit Blick auf die erst später erfolgten Rechtsänderungen getroffen werden konnten, schadet nicht.