BGHSt 31, 296 - Telefonüberwachung und Beweisverwertung
Unverwertbarkeit einer "Raumgesprächs"-Aufzeichnung.
StPO § 100a
2. Strafsenat
 
Urteil
vom 16. März 1983 g.Sch.u.M.
- 2 StR 775/82 -
Landgericht Wiesbaden
 
Aus den Gründen:
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
Die Beschwerdeführer haben sich zu Recht gegen eine Verwertung des "Raumgesprächs" gewandt. Bei diesem handelte es sich um eine Unterhaltung zwischen den Eheleuten Sch. in ihrem Einfamilienhaus. Zur damaligen Zeit wurde gemäß § 100a StPO wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Rauschgifthandels der Fernmeldeanschluß des Ehemanns Sch. überwacht. Im Verlauf dieses Gesprächs zog er die Bilanz aus seinen bisherigen Heroingeschäften. Das Abhören und Aufzeichnen der Unterhaltung war technisch möglich, weil einer der Hausbewohner zuvor ein Telefongespräch geführt, nach dessen Abschluß den Hörer nicht ordnungsgemäß aufgelegt hatte und sich die Eheleute Sch. in dem Zimmer aufhielten, in dem der Telefonapparat stand. Dieses "Raumgespräch" vom 13. September 1981 war nicht das einzige, das im Wege der Telefonüberwachung aufgezeichnet wurde. Aus den Akten ergibt sich, daß dies öfters geschehen ist. So heißt es in dem Vermerk der Kriminalstation H. vom 7. Oktober 1981 zweimal, daß der Hörer nach Beendigung des Telefongesprächs "wie so oft nicht aufgelegt worden sei und deutlich die spätere Unterhaltung im Zimmer hätte mitangehört werden können.
Der Senat läßt offen, ob das Aufnehmen solcher "Raumgespräche" eine beim automatischen Aufzeichnen unvermeidbare Folge ist oder ob es Vorrichtungen gibt, die - wie z.B. beim Gebührenzähler - ein Abschalten spätestens wenige Sekunden nach dem Abschluß des Telefongesprächs bewirken und damit das Abhören derartiger ohne Benutzung des Telefonapparats geführter Gespräche verhindern. Selbst im ersteren Fall durfte das Landgericht die Tonbandaufnahme weder in die Hauptverhandlung einführen noch bei der Beweiswürdigung mitberücksichtigen.
a) Diese Vorschrift erlaubt eine Durchbrechung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs lediglich im Rahmen des "Fernmeldeverkehrs". Hierunter fallen nach dem allgemeinen Sprachgebrauch außer dem Telefongespräch nur die unmittelbar mit dem Telefonieren notwendigerweise verbundenen Vorgänge, z.B. das Anwählen des Gesprächspartners. Diese Auslegung entspricht dem Merkmal des Fernmeldegeheimnisses, wie es in § 10 Abs. 1 Satz 3 des Fernmeldeanlagengesetzes (i.d.F. vom 17. März 1977 - BGBl. I 459) definiert ist. Nicht umfaßt wird von dem Wort "Fernmeldeverkehr" oder "Fernsprechverkehr" (so in § 100b Abs. 3 StPO) eine Unterhaltung, die ohne Inanspruchnahme einer Fernsprecheinrichtung im häuslichen Bereich stattfindet.
Eine Ausdehnung der Anwendbarkeit des § 100a StPO auf einen solchen Fall ist also mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar. Hinzu kommt, daß diese Bestimmung einer erweiternden Auslegung unzugänglich wäre (BGHSt 26, 298 [303]). § 100a StPO schränkt nicht allein das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG), sondern zugleich das grundgesetzlich gewährleistete (Art. 2 GG) allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (BGHSt 19, 325 [327]; 27, 355 [357]). Grundrechtsbegrenzende Vorschriften sind aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und müssen deshalb in ihrer das Grundrecht einengenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (BGHSt 19, 325 [330]; 26, 298 [303 f.]; 28, 122 [125]; 29, 244 [249]). Der grundgesetzlich verbürgte Schutz darf nicht mehr eingeschränkt werden, als es zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks unbedingt notwendig ist (BVerfGE 30, 1 [20]; BGHSt 26, 298 [304]; 29, 244 [251]).
b) Aus den dargelegten Gründen läßt sich die Ausdehnbarkeit des Anwendungsbereichs von § 100a StPO auf "Raumgespräche" auch nicht aus der Tatsache herleiten, daß die Kontrolle des Fernsprechverkehrs nur durch eine Überwachung des Telefonanschlusses (des Betroffenen) möglich ist. Insoweit handelt es sich lediglich um die Frage der praktischen Durchführung der Überwachungsanordnung, rechtfertigt aber nicht eine Erweiterung der Geltung der Vorschrift über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus.
c) Die Richtigkeit dieser Auslegung findet ihre Bestätigung in den Gesetzesmaterialien. Sie bieten keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Gesetzgebungsorgane durch das Gesetz zu Artikel 10 GG eine Regelung beabsichtigt haben, die das Abhören und Aufnehmen von "Raumgesprächen " außerhalb des Fernsprechverkehrs gestattet. Vielmehr wollten sie lediglich die Überwachung des Fernmeldeverkehrs zulassen (vgl. u.a. RegEntw. eines Gesetzes zu Art. 10 GG nebst Begründung - BTDrucks. V/1880 S. 7, 9 und 11).
d) Danach kann aus § 100a StPO aber erst recht nicht die Zulässigkeit der Verwertbarkeit der "Raumgesprächs"-Aufzeichnung geschlossen werden.
2. Sie läßt sich auch nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten herleiten.
Das heimliche Aufnehmen des gesprochenen Wortes und dessen Wiedergabe stellen Eingriffe in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre des Betroffenen dar (BGHSt 27, 355 [357]). Denn das Grundrecht aus Artikel 1 Abs. 1 GG umfaßt die Rechtspositionen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind. Dazu gehört in bestimmten Grenzen das Recht am gesprochenen Wort (BVerfGE 34, 238 [246]). Grundsätzlich darf jedermann selbst bestimmen, wer seine Worte aufnehmen soll sowie ob und vor wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme abgespielt werden darf.
Das Grundgesetz weist dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einen hohen Rang zu. Andererseits mißt es auch den Erfordernissen einer wirksamen Rechtspflege besondere Bedeutung bei. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Aufklärung gerade schwerer Straftaten betont (BVerfG a.a.O. S. 248 f.). Diese beiden Prinzipien geraten im vorliegenden Fall miteinander in Widerspruch. Dennoch kommt es hier nicht auf eine Abwägung an, welchem von ihnen das größere Gewicht beizumessen ist. Nach der Ansicht des Senats berührte die Aufzeichnung des "Raumgesprächs" den unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung, der unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG steht und auf den daher die öffentliche Gewalt nicht einwirken darf. In der Wertordnung des Grundgesetzes ist die Menschenwürde der oberste Wert. Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht dieses Bekenntnis zur Würde des Menschen auch Artikel 2 Abs. 1 GG (BVerfGE 27, 1 [6]). Sie verdient gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz. Ferner darf nach Artikel 19 Abs. 2 GG das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 1 GG nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in den geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen; deshalb scheidet bei ihm eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus (BVerfGE 34, 238 [245]).
Die Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung ist diesem unantastbaren Bereich zuzurechnen. Mit der Menschenwürde läßt es sich nicht vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, die im engsten Familienkreis geführten Gespräche zu kontrollieren. Wenn man die Zulässigkeit einer derart weitgehenden Überwachung anerkennen wollte, so wäre nicht einzusehen, warum sie auf die Fälle des Mithörens durch Telefoneinrichtungen beschränkt sein sollte, sondern müßte auch beim Einsatz von typischen Abhörgeräten statthaft sein. Damit würde aber kein Raum innerhalb des privatesten Lebensbereichs übrigbleiben, wo Ehepartner sicher sein könnten, daß ihre Gespräche nicht überwacht werden. Die Möglichkeit, Empfindungen, Gefühle, Ansichten oder Eindrücke von Erlebnissen zum Ausdruck zu bringen, ohne der Angst ausgesetzt zu sein, daß staatliche Behörden die Unterhaltung überwachen, wäre dann unerträglich behindert. Auch für den sonstigen vertrauensvollen Gedankenaustausch zwischen den Ehepartnern würde das zutreffen. Dies würde eine schwere Beeinträchtigung der menschlichen Würde bedeuten. Ferner würde den Betroffenen durch eine solche Maßnahme aber auch weitgehend der "Innenraum" verweigert, der ihnen um der freien und der selbstverantwortlichen Entfaltung ihrer Persönlichkeit willen verbleiben sollte.
Kein maßgebliches Gewicht mißt der Senat der Tatsache zu, daß das Abhören und Aufnehmen der Unterhaltung sowie deren Wiedergabe in der Hauptverhandlung nur möglich gewesen ist, weil nach einem Telefongespräch der Hörer nicht richtig aufgelegt worden war. Es fehlt jeglicher Anhalt dafür, daß dies willentlich geschehen ist. Vor allem steht nicht fest, daß einer der Ehepartner Sch. den Bedienungsfehler begangen hatte. Erst recht könnte die Zulässigkeit der Verwertung nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt werden, wenn sich herausstellen sollte, daß das Weiterlaufen der Abhör- und Aufzeichnungsvorrichtung nach Beendigung des Telefongesprächs keine technisch unvermeidbare Folge ist, insbesondere dann, wenn sich ergeben sollte, daß die zuständigen Behörden Kenntnis davon gehabt, den bestehenden Zustand also bewußt ausgenutzt haben.
3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus der in § 108 StPO getroffenen Regelung nichts zugunsten einer Verwertbarkeit der Aufzeichnung hergeleitet werden. Diese Bestimmung setzt voraus, daß der Zufallsfund "bei Gelegenheit" der Durchsuchung gemacht worden ist. Schon insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt hiervon. Selbst für den Bereich, der auf den eigentlichen Fernsprechverkehr begrenzt ist, trifft die Überlegung, die den Gesetzgeber zu jener Vorschrift veranlaßt hat, nicht ohne weiteres zu. Den Zugriff auf Zufallsfunde hat er erlaubt, weil die Durchsuchung sofort wiederholt werden könnte und zwar gezielt auf den Gegenstand des Zufallsfunds. Eine vergleichbare Möglichkeit besteht in den Abhörfällen aber nicht. Eine solche nachträgliche Maßnahme käme zu spät. Der Bundesgerichtshof hat die Zulässigkeit der Verwertung von Zufallserkenntnissen in den Abhörfällen denn auch nicht mit einer entsprechenden Anwendung des § 108 StPO begründet, eine solche hier vielmehr ausdrücklich für nicht möglich erklärt (BGHSt 26, 298 [303]).
Ebensowenig wäre die Meinung vertretbar, die Verwertbarkeit der Aufzeichnung des "Raumgesprächs" sei eine konsequente Folgerung aus der Rechtsprechung zu jenen Zufallserkenntnissen (BGHSt 26, 298ff.; 28, 122ff.; BGH NJW 1979, 1370f.). Diese betrifft ausschließlich Erkenntnisse, die während des Fernsprechverkehrs erlangt worden sind.
Entscheidend spricht gegen eine analoge Anwendung des § 108 StPO und eine Ausdehnung der erwähnten Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall, daß hier dem Schutz des privaten Lebensbereichs der Vorrang einzuräumen ist.
4. Diese Ausführungen stehen schließlich auch einer Rechtfertigung der Verwertbarkeit der Tonbandaufnahme auf Grund des § 34 StGB entgegen. Es erübrigt sich daher, im einzelnen darzulegen, daß diese Bestimmung noch aus weiteren Gesichtspunkten keine Anwendung finden könnte.