BGE 103 Ib 65
 
13. Auszug aus dem Urteil vom 6. Mai 1977 i.S. X. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft
 
Regeste
Verantwortlichkeitsgesetz, Haftung des Bundes für Schaden.
2. Die Art. 3 ff. VG sind auch in Fällen anwendbar, wo der Kläger selber Beamter ist oder war und geltend macht, er habe infolge widerrechtlicher Behandlung durch andere Beamte einen Schaden erlitten. Begriff der Widerrechtlichkeit. Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs (Erw. 3).
 
Sachverhalt
X., ehemaliger Bundesbeamter, ist wegen Invalidität vorzeitig pensioniert worden. Er erhebt Verantwortlichkeitsklage gegen die Eidgenossenschaft mit der Begründung, seine Gesundheit sei durch widerrechtliches Verhalten der Vorgesetzten ihm gegenüber ruiniert worden.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Art. 10 Abs. 2 VG bestimmt, dass die Klage gegen den Bund beim Bundesgericht erhoben werden kann, wenn die zuständige Amtsstelle zum Anspruch innert drei Monaten seit seiner Geltendmachung nicht oder ablehnend Stellung genommen hat. Nach Art. 20 Abs. 1 VG erlischt die Haftung des Bundes, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz oder Genugtuung nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens einreicht, auf alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tage der schädigenden Handlung des Beamten. Art. 20 Abs. 2 VG sieht vor, dass das Begehren dem Finanz- und Zolldepartement einzureichen ist. Bestreitet der Bund den Anspruch oder erhält der Geschädigte innert drei Monaten keine Stellungnahme, so hat dieser nach Art. 20 Abs. 3 VG innert weiteren sechs Monaten bei Folge der Verwirkung Klage einzureichen.
Indes ist bei der Anwendung dieser Ordnung heute der neue Art. 119 Abs. 3 OG zu berücksichtigen. Seit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung kann der Geschädigte unmittelbar, ohne den Anspruch zuvor der Verwaltung zur Stellungnahme unterbreitet zu haben, Klage beim Bundesgericht einreichen. Es genügt, dass er dies binnen der ein- oder zehnjährigen Frist des Art. 20 Abs. 1 VG tut. Hat er sich nicht vorerst an die Verwaltung gewandt, so muss er nach Art. 119 Abs. 3 OG bloss gewärtigen, mit den Gerichtskosten belastet zu werden, falls die zuständige Behörde in der Folge den eingeklagten Anspruch anerkennt (BBl 1965 II 1327; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 434 und 517).
b) Die Beklagte hält dafür, dass nach Art. 20 VG die Ansprüche des Klägers verwirkt seien. Sie führt aus, der verwaltungsärztliche Dienst habe seinen Entscheid, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine vorzeitige Pensionierung des Klägers erfüllt seien, am 29. August 1973 auch dem Anwalt des Klägers mitgeteilt. Schon an diesem Tage habe der Kläger alle für die Begründung seiner Ansprüche in Betracht fallenden tatsächlichen Umstände gekannt. Er hätte demnach sein Begehren innert eines Jahres seit dem 29. August 1973 beim Finanz- und Zolldepartement einreichen müssen. Das sei nicht geschehen. In weiteren drei Monaten, d.h. bis zum 29. November 1974, habe der Bund weder den Anspruch bestritten noch dazu Stellung genommen. X. habe aber nicht binnen weiterer sechs Monate seit diesem Tage Klage beim Bundesgericht eingereicht.
Dieser Argumentation kann nicht zugestimmt werden. Der Anwalt des Klägers hat im August 1973 vom verwaltungsärztlichen Dienst bloss erfahren, dass eine von verschiedenen Voraussetzungen für die vorzeitige Pensionierung, nämlich die Invalidität, gegeben sei. Konkreter stand die Frage einer vorzeitigen Pensionierung erst im Herbst 1974 zur Diskussion, und die (vom Bundesgericht später aufgehobene) Verfügung, mit welcher das EVD das Dienstverhältnis wegen Invalidität aufgelöst hat, ist erst im Dezember 1974 ergangen, die rechtsgültige Verfügung des Bundesrates gar erst am 9. Juli 1975. Der Kläger kann somit keinesfalls vor dem Herbst 1974 Kenntnis vom behaupteten Schaden, insbesondere von dessen Umfang, gehabt haben. Die am 18. Juli 1975 der Post übergebene Klageschrift ist demnach vor Ablauf der einjährigen Frist des Art. 20 Abs. 1 VG eingereicht worden. Übrigens hatte der Kläger sein Begehren zunächst, am 22. November 1974, dem EVD unterbreitet. Das Eidg. Personalamt, an welches das Begehren zuständigkeitshalber weitergeleitet worden war, hatte dazu am 20. Januar 1975 Stellung genommen. Die Klage ist binnen sechs Monaten seit dieser Stellungnahme erhoben worden. Der Kläger hat also auch die in Art. 20 Abs. 3 VG vorgesehene Frist eingehalten. Seine Ansprüche sind auf keinen Fall verwirkt.
3. Nach Art. 3 Abs. 1 VG haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten. Anspruch auf Schadenersatz hat gemäss Art. 6 Abs. 2 VG auch, wer durch die schädigende Handlungsweise eines Beamten in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt wird; dagegen besteht nach der gleichen Bestimmung ein Anspruch auf Genugtuung nur, wo die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens des Beamten es rechtfertigt. Diese Vorschriften, auf die X. sich beruft, finden auch in Fällen Anwendung, wo der Kläger selber Beamter ist oder war und zur Begründung seines Anspruches geltend macht, er sei im Dienste von anderen Beamten in widerrechtlicher Weise behandelt worden (vgl. BGE 93 I 73 E. 4; BGE 88 II 443).
Widerrechtlich im Sinne des VG ist das Verhalten eines Beamten dann, wenn es gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen (BGE 94 I 642 E. 5). Ein solcher Verstoss kann unter Umständen in der Überschreitung oder im Missbrauch des dem Beamten durch Gesetz eingeräumten Ermessens liegen (BGE 91 I 452 ff.). In Betracht kommen auch Verletzungen von Vorschriften des Beamtengesetzes über die Pflichten des Beamten, z.B. der Bestimmung in Art. 24 Abs. 2 BtG, welche ihn zu höflichem und taktvollen Benehmen gegenüber Mitarbeitern verpflichtet. Der Bund haftet indes nicht, wenn kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der widerrechtlichen Handlung und dem Schaden besteht.