BGE 106 Ia 310
 
54. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. März 1980 i.S. Ernst gegen Politische Gemeinde Klosters-Serneus, Regierung und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerden)
 
Regeste
Umzonung eines Grundstückes; Rechtsmittelverfahren.
Das Bundesgericht kann die Motive des angefochtenen Entscheides sowohl bei Willkür- als auch bei freier Kognition substitutieren (E. 1b).
Ist die Umzonung einer einzelnen Parzelle im Rahmen einer Gesamtrevision des Zonenplanes hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeiten einem Rechtssatz oder einer Verfügung gleichzustellen? Frage offengelassen (E. 3).
Anschliessend an ein kantonales Normenkontrollverfahren kann eine selbständige Nachprüfung der Norm durch das Bundesgericht nur noch stattfinden, wenn das kantonale Verfahren innert der in der kantonalen Gesetzgebung vorgesehenen Frist oder, wo keine solche vorgeschrieben ist, innert der üblichen Rechtsmittelfrist angehoben worden ist (E. 5).
 
Sachverhalt
Der in Schaffhausen wohnhafte Othmar Ernst ist Eigentümer der seinerzeit in der Wohnzone W 1 gelegenen Parzelle Nr. 610 in Klosters Platz, die im Rahmen einer Gesamtrevision des kommunalen Baugesetzes und des Zonenplanes als Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ausgeschieden wurde. Der Zonenplan-Entwurf lag vom 19. Februar bis 21. März 1973 in der Gemeinde Klosters-Serneus öffentlich auf. Ernst erhob keine Einsprache. Baugesetz und Zonenplan wurden am 29. Juli 1973 von den Stimmbürgern in einer Urnenabstimmung angenommen und am 27. Dezember 1973 von der Bündner Regierung genehmigt.
Othmar Ernst focht am 18. Dezember 1975 die Umzonung seines Grundstückes sowohl mit Verfassungsbeschwerde bei der Regierung als auch mit Rekurs beim kantonalen Verwaltungsgericht an. Die Regierung wies die Beschwerde als unbegründet ab; das Verwaltungsgericht trat dagegen auf den Rekurs nicht ein, da dieser nicht rechtzeitig erhoben worden sei. Beide kantonalen Entscheide sind von Othmar Ernst mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV angefochten worden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: I. Die Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes
Das Verwaltungsgericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat ausgeführt, dass eine persönliche Mitteilung, wie sie der Rekurrent verlange, weder vorgeschrieben noch für die Gemeinde zumutbar sei. Bei Gesamtrevision von Bauvorschriften und Zonenplan müsse es genügen, wenn der neue Erlass bzw. die für dessen Anfechtung vorgesehene Frist durch die allgemeinen Publikationsmittel bekanngemacht werde. Diese Auffassung ist jedenfalls nicht verfassungswidrig. Eine Pflicht zur persönlichen Benachrichtigung der einzelnen Grundeigentümer im Rahmen einer Gesamtüberprüfung der Ortsplanung lässt sich nicht aus Art. 4 BV herleiten und besteht nur, falls sie im kantonalen Recht ausdrücklich vorgesehen ist. Die direkte Avisierung eines zum Rekurs berechtigten Grundeigentümers kann, wie das Bundesgericht im (nicht publ.) Entscheid i.S. Messeeuw vom 24. Mai 1967 für ein Baubewilligungsverfahren festgestellt hat, auch dann nicht verlangt werden, wenn dieser nicht ortsansässig ist und sich beispielsweise im Ausland aufhält. Selbst wenn ein Grundeigentümer nicht in der Gemeinde wohnt, in der sein Grundbesitz liegt, hat er nicht nur die Pflicht, für einen jederzeit den bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften entsprechenden Zustand seiner Liegenschaften zu sorgen; es obliegt ihm ebenso, sich ständig über die rechtliche Situation seiner Grundstücke auf dem laufenden zu halten und bei einer Änderung der Verhältnisse entweder selbst oder durch einen Beauftragten an Ort die notwendigen Massnahmen zur Wahrung seiner Interessen zu ergreifen (vgl. zit. Entscheid E. 4).
Der Beschwerdeführer glaubt, dass jedenfalls dort eine persönliche Mitteilung an den Grundeigentümer unerlässlich sei, wo der durch die Planänderung verursachte Eingriff besonders schwer wiege. Eine solche Ausnahmeregelung rechtfertigt sich jedoch nicht und müsste zu Schwierigkeiten führen: Die Schwere eines Eingriffs lässt sich nicht in jedem Fall ohne weiteres beurteilen, sie könnte daher kaum als Abgrenzungskriterium dienen, ohne dass Rechtsungleichheiten entstünden. Im übrigen mag zwar erstaunen, dass die Gemeinde Kloster-Serneus nicht in ihrer Eigenschaft als Mieterin der Parzelle Nr. 610 mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getreten ist, doch bleibt dieser Umstand ohne Einfluss auf die im zwingenden öffentlichen Recht vorgesehenen Bestimmungen über Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.
b) Die Beschwerde Ernsts müsste aber auch dann abgewiesen werden, wenn der Begründung des Verwaltungsgerichtsentscheides nicht zugestimmt werden könnte, da nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf den dem Verwaltungsgericht unterbreiteten Rekurs ohnehin nicht einzutreten war.
Das Verwaltungsgericht hat zur Frage der eigenen Zuständigkeit nicht ausdrücklich Stellung genommen, doch ist es bei seinem Entscheid offenbar von der damals noch geübten Praxis der Kompetenzaufteilung zwischen Regierung und Verwaltungsgericht ausgegangen. Nach dieser standen dem Grundeigentümer zur Anfechtung eines neu geschaffenen oder abgeänderten Zonenplanes zwei Wege offen: Der Eigentümer konnte im Genehmigungsverfahren Einsprache erheben, welche von der Regierung als Genehmigungsbehörde in Sachen Ortsplanung (Art. 37 Abs. 2 des kantonalen Raumplanungsgesetzes) als verfassungsrechtliche Beschwerde entgegengenommen wurde (vgl. Art. 3 der Verordnung über das Verfahren in Verfassungs- und Verwaltungsstreitsachen vor der Regierung vom 30. November 1966, VVV). Allerdings prüfte die Regierung nur, ob die Konzeption des Planes allgemein dem öffentlichen Interesse entspreche. Rügen "individuell-konkreter Natur" (wie Verletzung von Treu und Glauben, Verstoss gegen die Rechtsgleichheit), die auf eine örtlich beschränkte Plankorrektur abzielten, waren innerhalb von zwanzig Tagen seit der Publikation des Genehmigungsbeschlusses der Regierung mit Rekurs beim Verwaltungsgericht anzubringen. Das Verwaltungsgericht leitete seine Zuständigkeit zur Beurteilung solcher Rekurse ausschliesslich aus Art. 13 lit. a des Verwaltungsgerichtsgesetzes (Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 9. April 1967, VGG) ab und schloss daher von der Regierung angeordnete Planänderungen von der Überprüfung aus (vgl. BGE 104 Ia 182 ff. E. 2b mit Hinweisen; KISTLER, Die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Graubünden, Diss. Zürich 1959, S. 45 f. N. 74).
Diese Aufspaltung des Anfechtungsverfahrens ist in BGE 104 Ia 181 ff. (Hitz gegen Gemeinde Parpan) aus Erwägungen, die hier nicht zu wiederholen sind, als verfassungswidrig erklärt worden. In jenem Entscheid wurde ausgeführt, dass es nach dem kantonalen Recht sowie aufgrund von Art. 4 und 22ter BV der Regierung obliege, die Rechtmässigkeit eines Zonenplanes vollumfänglich zu überprüfen, und dass eine nachträgliche Anfechtung des Regierungsentscheides vor Verwaltungsgericht gemäss Art. 13 lit. b VGG ausgeschlossen sei.
Dagegen ist die Frage ausdrücklich offengelassen worden, ob das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung von Rekursen gegen individuell-konkrete Anwendungsakte der Gemeinde - insbesondere im Baubewilligungsverfahren - vorfrageweise die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit eines Zonenplanes noch überprüfen könne (a.a.O., E. 2d am Ende).
Nach dieser Rechtsprechung war das Bündner Verwaltungsgericht zur Behandlung der von Ernst erhobenen Rügen, die sich gegen den Zonenplan der Gemeinde selbst und nicht gegen einen Anwendungsakt richteten, unzuständig. Die staatsrechtliche Beschwerde könnte auch aus diesem Grunde abgewiesen werden, obschon das Verwaltungsgericht seinen Nichteintretensentscheid anders motiviert hat und selbst wenn diesen Motiven nicht zuzustimmen wäre: Die Aufhebung eines mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochtenen Entscheides rechtfertigt sich bloss, wenn dieser im Ergebnis verfassungswidrig ist, nicht schon, wenn sich die Begründung als unhaltbar erweist. Das Bundesgericht hat deshalb die Möglichkeit, die Motive des umstrittenen Entscheides zu ersetzen, und zwar nicht nur auf Willkürrüge hin (vgl. BGE 103 Ia 581 f. E. 5, BGE 94 I 311 f. E. 4 mit Hinweisen, BGE 86 I 269, BGE 77 I 46 E. 3), sondern auch dort, wo ihm freie Kognition zusteht (Entscheid vom 16. Februar 1972 i.S. Patriziato di Dalpe, E. 3, publ. in Borghi; Giurisprudenza amministrativa ticinese, S. 105 f.; vgl. BGE 96 I 549 E. 3). Allerdings muss in diesen Fällen die substituierte Begründung freier Überprüfung standhalten und ist von der Möglichkeit des Austauschs der Motive, da die freie Auslegung des kantonalen Rechts in erster Linie den kantonalen Behörden zusteht, zurückhaltend und einzig dann Gebrauch zu machen, wenn die rechtliche Situation als klar erscheint.
Im vorliegenden Fall könnte sich lediglich fragen, ob den Parteien vor der Urteilsfällung hätte Gelegenheit eingeräumt werden müssen, zur vorgesehenen Abänderung der Motive Stellung zu nehmen. Dies war jedoch nicht erforderlich. Es konnte den Parteien nicht entgehen, dass der Entscheid Hitz gegen Gemeinde Parpan, der in der Amtlichen Sammlung publiziert worden ist, für den Ausgang ihres Rechtsstreites von Bedeutung sein konnte. Hätten sie sich zu den darin aufgeworfenen Fragen äussern wollen, so hätte es an ihnen gelegen, einen entsprechenden Vorstoss zu unternehmen. II. Die Beschwerde gegen den Entscheid der Regierung
Nach Art. 3 VVV hat die verfassungsrechtliche Beschwerde den Zweck, "die Beseitigung eines verfassungs- oder gesetzwidrigen Zustandes durch Entscheid der Regierung herbeizuführen". Daraus ergibt sich, dass die Bezeichnung "verfassungsrechtliche Beschwerde" zu eng ist, da nicht nur Verfassungs-, sondern auch einfache Rechtswidrigkeit gerügt werden darf (vgl. HATZ, Der Rechtsschutz in Baurechtssachen im Kt. Graubünden, Diss. Zürich 1972, S. 120 N. 40a; KISTLER, a.a.O., S. 65, 85). Gemäss Art. 4 VVV kann mit der verfassungsrechtlichen Beschwerde heute, nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, einerseits noch die Aufhebung rechtswidriger rechtssetzender Erlasse von Gemeinden, von anderen Körperschaften und selbständigen Anstalten des kantonalen öffentlichen Rechts beantragt (lit. a) und andererseits die Intervention in Fällen verlangt werden, in denen die Regierung durch Verfassung oder Gesetz zum Einschreiten von Amtes wegen ermächtigt ist (lit. b).
Die Einreichung einer verfassungsrechtlichen Beschwerde ist grundsätzlich an keine Frist gebunden. Eine Ausnahme gilt einzig für die Anfechtung kommunaler und anderer Erlasse gemäss Art. 4 lit. a VVV, die innert zwanzig Tagen zu erfolgen hat, soweit nicht die Verletzung zwingender Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen materiellen Rechts geltend gemacht wird (Art. 5 VVV). Diese Bestimmung wird offenbar so ausgelegt, dass die Beschwerdefrist von zwanzig Tagen nur dann einzuhalten ist, wenn eine Verletzung kommunaler Verfahrensvorschriften beanstandet wird (RASCHEIN, Bündnerisches Gemeindrecht, S. 143 f.).
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt der Plan, insbesondere der Zonenplan, eine Anordnung besonderer Natur dar, welche hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeiten weder dem Rechtssatz noch der Verfügung generell gleichgestellt werden kann. Dass für die Anfechtung von Rechtsnormen und Verfügungen nicht die gleichen Grundsätze Anwendung finden, die Verfassungsmässigkeit einer Verfügung nur unmittelbar nach deren Erlass, jene einer Rechtsnorm dagegen auch noch im Anschluss an einen konkreten Anwendungsakt vor Bundesgericht in Frage gestellt werden darf, ist - wie schon in BGE 90 I 353 (Binda gegen Comune di Sementina) dargelegt - nicht so sehr auf die Wesensunterschiede der beiden Rechtsinstitute zurückzuführen. Diese Ordnung beruht vielmehr auf der Überlegung, dass der Einzelne bei Erlass einer Rechtsnorm im allgemeinen noch nicht weiss, ob und wie sie ihn eines Tages treffen wird, und er sich erst auf einen konkreten Anwendungsakt hin veranlasst sieht, die diesem Akt zugrundeliegende Vorschrift anzufechten (vgl. auch BGE 104 Ia 175 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat hieraus geschlossen, dass auch für die Frage, ob ein Zonenplan nicht nur nach dessen Erlass, sondern bei späterer Anwendung noch anfechtbar sei, darauf abgestellt werden müsse, ob sich der Betroffene schon bei Planerlass über die ihm auferlegten Beschränkungen Rechenschaft geben konnte und ob er im damaligen Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, seine Interessen zu verteidigen. Allerdings muss, wie weiter festgestellt worden ist, die Gültigkeit des Zonenplanes stets dann noch in Zweifel gezogen werden können, wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Ortsplanung geändert werden oder wenn sich die tatsächliche Situation seit Erlass des Zonenplanes in solcher Weise entwickelt hat, dass das öffentliche Interesse an den auferlegten Eigentumsbeschränkungen dahingefallen sein könnte (BGE 90 I 354 ff.; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 395 f., 411 f.; IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I S. 65 ff.).
In anderen Entscheiden, in denen sich das Bundesgericht mit Gesamtrevisionen von Zonenplänen zu befassen hatte, ist ausgeführt worden, dass sich derart weiträumige Planungen dem verordnungsmässigen Rechtssatz näherten und daher bei Planänderungen nicht die Grundsätze über den Widerruf von Verwaltungsakten angewendet, sondern die Gesichtspunkte beachtet werden müssten, die für die Abänderung baurechtlicher Normen im allgemeinen massgebend seien (BGE 94 I 350 E. 5; Entscheid vom 11. Februar 1970, publ. in ZBl 72/1971 S. 305). Aus ähnlichen Überlegungen ist in BGE 98 Ia 31 E. 1 der Ausschluss der in einer engeren Grundwasserschutzzone gelegenen Grundstücke aus dem Baugebiet einem Erlass gleichgestellt und in BGE 99 Ia 714 E. 4 dem Grundeigentümer das Recht zugestanden worden, die Einzonung seiner Grundstücke im Anschluss an eine Zonenplan-Erneuerung anzufechten, auch wenn sich gegenüber der bisherigen Ordnung materiell keine Änderung ergeben und der Eigentümer den früheren Plan seinerzeit nicht beanstandet hat.
Im vorliegenden Fall ist die Umzonung der Parzelle Nr. 610 ebenfalls im Rahmen einer Revision des gesamten Zonenplanes vorgenommen worden. Es stellt sich daher die Frage, ob auch hier die für die Anfechtung von Rechtssätzen geltenden Prinzipien zu beachten seien oder ob in Anlehnung an den Entscheid Binda zunächst zu untersuchen sei, in welchem Zeitpunkt sich der Beschwerdeführer über die ihm auferlegte Eigentumsbeschränkung Rechenschaft geben konnte. Die Frage kann jedoch offenbleiben, da unabhängig davon, ob die Zonenplanänderung als Erlass oder als Verfügung behandelt wird, die dagegen eingereichte Beschwerde - wie im folgenden zu zeigen ist - nicht zum Erfolg führen kann.
Vorweg ist zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer gegen die Umzonung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde rechtzeitig erhoben worden sei:
Das Bundesgericht hat unlängst entschieden (BGE 103 Ia 360 ff.), dass das in Art. 86 Abs. 2 OG umschriebene Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges auch für die Anfechtung von Erlassen gelte. Steht dem Beschwerdeführer ein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung, das zur Aufhebung der angefochtenen Norm führen kann, so hat er dieses zu ergreifen, bevor er das Bundesgericht anruft. Staatsrechtliche Beschwerde kann erst im Anschluss an den kantonalen Normenkontrollentscheid erhoben und mit ihr nicht bloss die Aufhebung des kantonalen Urteils, sondern auch des angefochtenen Erlasses selbst verlangt werden (BGE 101 Ia 491 E. 9, BGE 98 Ia 405 Nr. 64). Wieweit allerdings eine kantonale Vorschrift auch dann noch unmittelbar mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann, wenn das vorgängig durchzuführende kantonale Normenkontrollverfahren nicht sofort nach Erlass der Norm, sondern - falls es an keine Frist gebunden ist - erst Monate oder Jahre später eingeleitet wird, ist bisher noch nicht entschieden worden (vgl. BGE 103 Ia 364 E. 1a). Die Frage ist hier zu beantworten, da der Beschwerdeführer gegen den Zonenplan der Gemeinde Klosters-Serneus erst rund zwei Jahre nach dessen Genehmigung und Publikation verfassungsrechtliche Beschwerde erhob.
a) Das Bundesgericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Aufhebung einer kantonalen Rechtsnorm auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur zulässig ist, wenn die Normenkontrolle direkt anschliessend an den Erlass des Rechtssatzes erfolgt: entweder sofort nach der Veröffentlichung der Norm, wenn das kantonale Recht ein Verfahren zur direkten Normenüberprüfung nicht kennt, oder im Anschluss an den Entscheid des kantonalen Verfassungsrichters, falls das kantonale Normenkontrollverfahren seinerseits unmittelbar auf den Erlass des Rechtssatzes hin eingeleitet wurde. Dagegen hat sich das Bundesgericht nie als befugt erachtet, einen ihm erst später, in einem Anwendungsfall zur Überprüfung vorgelegten Rechtssatz zu kassieren; es hat sich stets darauf beschränkt, die verfassungswidrige Vorschrift als unbeachtlich zu bezeichnen, sie aber fortbestehen zu lassen und nur den direkt angefochtenen Anwendungsakt aufzuheben. Von der Aufhebung einer kantonalen Rechtsnorm wird selbst dort abgesehen, wo diese nicht bloss im konkreten Einzelfall verfassungswidrig gehandhabt worden ist, sondern sich jeder verfassungskonformer Auslegung entzieht und daher eine weitere Anwendung durch die kantonalen Instanzen praktisch ausgeschlossen ist. Es stünde zu diesem System in Widerspruch, wenn nun das Bundesgericht in den Kantonen mit unbefristeter Normenkontrolle die generell-abstrakten Vorschriften noch Jahre nach deren Erlass direkt zu überprüfen und aufzuheben hätte. Der blosse Umstand, dass einzelne Kantone das Verfahren zur Überprüfung rechtssetzender Erlasse in besonderer Weise, anders als im üblichen Anfechtungsverfahren, regeln, rechtfertigt ein Abweichen des Bundesgerichtes von der bisherigen Ordnung nicht.
b) Auch das Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers verlangt nicht, dass die Verfassungs- oder Gesetzmässigkeit eines kantonalen Erlasses auch nach unbestimmt langer Geltungsdauer auf Antrag vom Bundesgericht noch selbständig überprüft werde. Das Institut der nicht fristgebundenen abstrakten Normenkontrolle dient weniger dem Schutze des einzelnen Rechtsunterworfenen als vielmehr dem Interesse an einer mängelfreien Rechtsordnung. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers ist vollauf Genüge getan, wenn anschliessend an die Anwendung eines Erlasses vorfrageweise auch noch die Verfassungsmässigkeit dieser Norm überprüft werden kann.
c) Ausschlaggebend ist schliesslich, dass sich die Zulassung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Normenkontrollentscheid, der erst Monate oder Jahre nach der Publikation des angefochtenen Erlasses provoziert worden ist, nicht mit der Bestimmung von Art. 89 OG vereinbaren lässt, welche die Anfechtung von Erlassen nur binnen einer bestimmten Frist zulässt, die mit Bekanntmachung der Norm zu laufen beginnt. Zwar verlängert sich die in Art. 89 OG vorgesehene Anfechtungsfrist in den Fällen, in denen ein kantonales Normenkontrollverfahren zur Verfügung steht und davon nach Art. 86 Abs. 2 OG vor Anrufung des Bundesgerichtes Gebrauch zu machen ist, schon um die Dauer dieses kantonalen Verfahrens. Würde aber auch dann noch auf ein mit staatsrechtlicher Beschwerde gestelltes Normenkontrollbegehren eingetreten, wenn das Prüfungsverfahren im Kanton an keine Frist gebunden und erst lange nach der Publikation des angefochtenen Erlasses angehoben worden ist, bedeutete dies, dass der Beschwerdeführer nicht nur den Zeitpunkt des kantonalen Verfahrens, sondern auch den Fristenlauf zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde nach eigenem Gutdünken bestimmen könnte. Eine solche Lösung verstiesse gegen Art. 89 OG und allgemein gegen die bundesrechtlichen Verfahrensbestimmungen, gemäss denen sich Beginn und Lauf einer Frist nach Kriterien richten, die vom Willen des Beschwerdeführers unabhängig sind; sie führte zum Ergebnis, dass bundesrechtliche Normen durch kantonale Prozessvorschriften ihres Sinnes praktisch entleert würden (vgl. auch KOTTUSCH, Zum Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Diss. Zürich 1973, S. 163 f.).
Daraus ergibt sich, das anschliessend an ein kantonales Normenkontrollverfahren eine selbständige Nachprüfung der Norm durch das Bundesgericht nur noch vorgenommen werden kann, wenn das kantonale Verfahren innert der in der kantonalen Gesetzgebung vorgesehenen Frist oder, wo keine solche vorgeschrieben ist, innert der üblichen Rechtsmittelfrist angehoben worden ist.
e) Baugesetz und Zonenplan der Gemeinde Klosters-Serneus sind in der Volksabstimmung vom 29. Juli 1973 angenommen und von der Bündner Regierung am 27. Dezember 1973 genehmigt worden. Im Regierungsbeschluss wurde die Gemeinde angewiesen, Datum und wesentlichen Inhalt der Genehmigung in geeigneter Form zu publizieren. Dass diese Veröffentlichung ordnungsgemäss stattfand, ist vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden.
Der Beschwerdeführer reichte am 18. Dezember 1975, also erst zwei Jahre nach Genehmigung des Zonenplanes verfassungsrechtliche Beschwerde ein und hat anschliessend an den Regierungsentscheid staatsrechtliche Beschwerde erhoben. In dieser bringt er einzig Rügen materiell-rechtlicher Art vor. Auf die Beschwerde kann daher, wie dargelegt, wegen Verspätung nicht eingetreten werden.
Angenommen, die Umzonung der Parzelle Nr. 610 sei im Anfechtungsverfahren einer Verfügung gleichzustellen, hatte die Bündner Regierung die eingereichte verfassungsrechtliche Beschwerde nur im Hinblick auf Art. 4 lit. b VVV zu prüfen, da die Beschwerde im Sinne von Art. 4 lit. a VVV einzig zur Anfechtung rechtssetzender Erlasse dient. Mit der verfassungsrechtlichen Beschwerde gemäss Art. 4 lit. b kann die Regierung dort zur Intervention veranlasst werden, wo sie schon von Amtes wegen zum Einschreiten ermächtigt ist. Die Beschwerde wird auch dann als Anzeige entgegengenommen, wenn der Beschwerdeführer kein eigenes Rechtsschutzinteresse ausweist (KISTLER, a.a.O., S. 64 f. N. 95 mit Hinweisen; HATZ, a.a.O. S. 119 ff., RASCHEIN, a.a.O., S. 143). Inwieweit die Regierung zur Behandlung einer solchen Beschwerde verpflichtet ist und der Beschwerdeführer Anspruch auf einen Entscheid hat, ist unklar. Unklar ist daher auch, ob die verfassungsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 4 lit. b VVV ein eigentliches Rechtsmittel darstellt oder bloss die Wesenszüge einer Aufsichtsbeschwerde trägt. Wäre sie als Aufsichtsbeschwerde zu betrachten, so wäre der Entscheid der Bündner Regierung über die von Othmar Ernst eingereichte Beschwerde der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen, da der Beschluss einer Aufsichtsbehörde, auf eine Aufsichtsbeschwerde nicht einzutreten oder sie abzuweisen, nach ständiger Rechtsprechung nicht Anfechtungsobjekt einer staatsrechtlichen Beschwerde sein kann (BGE 90 I 230 f.; BGE 102 Ib 84 f. mit Hinweisen). Müsste der Regierungsbeschluss jedoch als Rechtsmittelentscheid gelten und auf die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden, so wäre diese aus folgenden Gründen abzuweisen:
Die Regierung hat in ihrer Beschwerdeantwort darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seine Interessen im Genehmigungsverfahren hätte wahrnehmen sollen und dass die nachträglich eingereichte Beschwerde, wie das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid ausgeführt habe, nicht mehr zuzulassen sei. Diese Begründung lässt sich, wie bereits festgestellt worden ist (E. 1a), nicht beanstanden und hätte es der Regierung erlaubt, einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Daran ändert nichts, dass die verfassungsrechtliche Beschwerde an sich jederzeit erhoben werden kann. Die verfassungsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 4 lit. b VVV ist nur in den Fällen gegeben, in denen die Regierung aufgrund der Verfassung oder eines Gesetzes von Amtes wegen einschreiten darf. Nun ist es jedenfalls nicht willkürlich anzunehmen, dass die Regierung - deren frühere Befugnis zur Überprüfung der kommunalen Entscheide bei Schaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ans Verwaltungsgericht überging (vgl. Art. 13 lit. a VGG; Art. 42 lit. b der Verordnung über das Verfahren in Verwaltungsstreitsachen vor dem Kleinen Rat vom 1. Dezember 1942) - nicht ermächtigt sei, eine von der Gemeinde erlassene Verfügung, die bereits in Rechtskraft erwachsen ist, von Amtes wegen aufzuheben. Es scheint im übrigen klar, dass der verfassungsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art. 4 lit. b VVV als besonderem Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf nicht missbräuchlich die Funktion eines ordentlichen Rechtsmittels übertragen werden kann, wenn dieses nicht rechtzeitig ergriffen worden ist, so wenig wie ein Revisionsverfahren zum Vorbringen von Gründen benutzt werden kann, die bereits im ordentlichen Rekursverfahren gegen den Entscheid hätten geltend gemacht werden können (vgl. BGE 98 Ia 573).
Durfte die Regierung demnach mit einer haltbaren Begründung das Eintreten auf die verfassungsrechtliche Beschwerde ablehnen, so hat das Bundesgericht keinen Anlass, sich mit den Einwendungen des Beschwerdeführers zu befassen. Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Bündner Regierung ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.