BGer 5P.361/2003
 
BGer 5P.361/2003 vom 17.11.2003
Tribunale federale
{T 0/2}
5P.361/2003 /rov
Urteil vom 17. November 2003
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Parteien
Z.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Stefan Gerber, Thunstrasse 12, Postfach 134, 3612 Steffisburg,
gegen
2. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern.
Gegenstand
Art. 9 BV etc. (Kosten; unentgeltliche Rechtspflege im Eheschutz-, Ehescheidungsprozess),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der 2. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern vom 18. August 2003.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügungen vom 3. Juli 2003 erteilte die Gerichtspräsidentin 3 des Gerichtskreises X Thun Z.________ für das Eheschutz- und das Scheidungsverfahren das Recht zur unentgeltlichen Prozessführung unter Beiordnung eines amtlichen Anwalts für das Scheidungsverfahren.
B.
Nachdem Z.________ sämtliche Honorarforderungen seines Anwalts bar abgefunden hatte, entzog ihm die Gerichtspräsidentin mit Verfügung vom 9. Juli 2003 das für das Eheschutz- und das Scheidungsverfahren gewährte Recht zur unentgeltlichen Prozessführung. In Gutheissung eines Rekurses von Z.________ erkannte die 2. Zivilkammer des Appellationshofs des Kantons Bern (nachfolgend: der Appellationshof) am 18. August 2003, dem Rekurrenten werde das Recht zur unentgeltlichen Prozessführung für das Eheschutz- sowie das Scheidungsverfahren unter Beiordnung eines amtlichen Anwalts belassen. Die Gerichtskosten beider Instanzen schlug der Appellationshof zur Hauptsache (Ziff. 3), während er keine Parteikosten zusprach (Ziff. 4).
C.
Z.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit den Begehren, Ziffer 3, soweit die oberinstanzlichen Gerichtskosten betreffend, und Ziffer 4 des Entscheides des Appellationshofs aufzuheben und ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
In seiner dem Beschwerdeführer nachträglich zugestellten Vernehmlassung schliesst der Appellationshof auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist von vornherein nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Verfahrensgarantien von Art. 6 EMRK rügt. In diesem Zusammenhang setzt er nicht rechtsgenügend auseinander, inwiefern der Appellationshof die besagten Rechte verletzt haben könnte (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; zu den Begründungsanforderungen an die staatsrechtliche Beschwerde: BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312).
2.
Soweit der Beschwerdeführer eine Rechtsungleichheit vor dem Gesetz kritisiert, fallen seine Ausführungen mit der Willkürrüge zusammen, weshalb die Beschwerde nur unter diesem Gesichtswinkel zu behandeln ist.
3.
Als Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör beanstandet der Beschwerdeführer, der Appellationshof habe den Entscheid, ihm keine Parteientschädigung zuzusprechen, einzig mit seiner Praxis und damit ungenügend begründet.
Mit dem Hinweis auf die Praxis hat der Appellationshof kurz die Überlegungen genannt, weshalb seiner Ansicht nach keine Parteientschädigung gesprochen werden kann. Wie die Beschwerdeschrift überdies zeigt, war der Beschwerdeführer aufgrund dieser Begründung in der Lage, den Entscheid des Appellationshofs sachgerecht anzufechten. Damit aber genügt die Begründung des angefochtenen Entscheides den Anforderungen, welche die Rechtsprechung zu Art. 4 aBV bzw. 29 Abs. 2 BV aufgestellt hat (BGE 112 Ia 109 E. 2b; 124 IV 8 E. 2c; 126 I 97 E. 2b). Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann demnach keine Rede sein.
Im Übrigen wurde die Vernehmlassung des Appellationshofs zur staatsrechtlichen Beschwerde, in der unter anderem auch Ausführungen zur Parteientschädigung enthalten sind, dem Beschwerdeführer zugestellt. Dieser hat nicht um einen ergänzenden Schriftenwechsel (Art. 93 OG) ersucht und kann sich daher vor Bundesgericht nicht mehr über eine Gehörsverletzung beklagen.
4.
Der Beschwerdeführer beanstandet den angefochtenen Entscheid in verschiedener Hinsicht als willkürlich. Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt sodann nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 119 Ia 113 E. 3a S. 117; 127 I 60 E. 5a S. 70; 128 I 177 E. 2.1).
5.
5.1 Zur Begründung der Willkür von Ziff. 3 des angefochtenen Entscheids lässt der Beschwerdeführer erklären, die Kosten des Rekursverfahrens seien durch die fehlerhafte Verfügung der Einzelrichterin verursacht und daher in willkürlicher Anwendung von Art. 79 Abs. 4 ZPO/BE (BSG 271.1) zur Hauptsache geschlagen worden. Angesichts des Verfahrensausgangs habe es sich aufgedrängt, sie nach den Art. 58 ff. ZPO und insbesondere in analoger Anwendung von Art. 63 ZPO/BE dem Staat aufzuerlegen.
5.2 Ob es sich beim angefochtenen Entscheid in diesem Punkt um einen letztinstanzlichen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG) oder aber um einen letztinstanzlichen Zwischenentscheid (Art. 87 Abs. 1 OG) mit nicht wieder gutzumachendem Nachteil handelt, kann offen bleiben, da in beiden Fällen auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten wäre. Diese erweist sich als unbegründet. Wie der Appellationshof in seiner Vernehmlassung zu Recht ausführt, war die Einzelrichterin bzw. der Staat nicht Partei im Rekursverfahren, so dass die Kostenverlegung auch nicht nach den für die Parteien zugeschnittenen Regeln der Art. 58 ff. ZPO/BE bzw. in analoger Anwendung des Art. 63 ZPO/BE vorzunehmen war. Als spezielle Vorschrift sieht Art. 79 Abs. 4 ZPO/BE mit Bezug auf die Gerichtskosten des Verfahrens betreffend unentgeltliche Prozessführung aber vor, dass diese Kosten namentlich im Falle der Gutheissung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung zur Hauptsache zu schlagen sind. Da dem Beschwerdeführer durch den Rekursentscheid das Recht der unentgeltlichen Prozessführung wieder eingeräumt worden ist, erscheint es nicht willkürlich, auch die Gerichtskosten des Rekursverfahrens in analoger Anwendung von Art. 79 Abs. 4 ZPO/BE zur Hauptsache zu schlagen.
6.
6.1 Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Begründung des Appellationshofs betreffend Verweigerung der Parteientschädigung für das Rekursverfahren (Ziff. 4) erschöpfe sich im Wort "praxisgemäss" und sei daher ebenfalls willkürlich. Aufgrund des Entscheides des Appellationshofs, von einer Parteientschädigung für das Rekursverfahren abzusehen, müsse er damit rechnen, dass er die staatlich gewährte Prozesskostenhilfe gestützt auf Art. 82 Abs. 3 ZPO/BE zurückzuerstatten habe. Es widerspreche dem Gerechtigkeitsgedanken, wenn er letztlich seinen Anwalt für das Rekursverfahren selber bezahlen müsse, obwohl ihm in Gutheissung des Rekurses das verfassungsmässige Recht der unentgeltlichen Prozessführung gewährt worden sei, das ihm die erstinstanzliche Richterin entzogen habe. Wie bei einem Freispruch im Strafverfahren müsse der im Rekursverfahren obsiegende Beschwerdeführer vom Kanton voll entschädigt werden. Eine Reduktion der Entschädigung auf 2/3 der Gebühr nach dem einschlägigen Dekret sei nicht statthaft.
6.2 Nach Art. 77 Abs. 6 ZPO/BE (BSG 271.1) werden die Bemühungen des Anwaltes für die Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung durch das Dekret über die Gebühren der Anwälte geregelt. Art. 17 Abs. 1 dieses Dekretes (BSG 168.81) bestimmt, dass der amtlich bestellte Anwalt in Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechtssachen aus der Staatskasse "zwei Drittel der tarifmässigen Gebühren einschliesslich allfälliger Zuschläge gemäss Dekret, mit eingeschlossen die Bemühungen zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung" bezieht. Diese Bestimmung kann ohne Willkür dahin verstanden werden, dass unter die Bemühungen für die Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung auch Anwaltskosten fallen, die im Zusammenhang mit einem Rekurs gegen einen erstinstanzlichen Entscheid betreffend Entzug der unentgeltlichen Prozessführung entstehen. Denn auch bei diesen Bemühungen des Anwalts handelt es sich im weitesten Sinne um solche zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung. Der Appellationshof hält in der Vernehmlassung denn auch grundsätzlich dafür, es sei dem Beschwerdeführer unbenommen, seine Aufwendungen für das gesamte Verfahren der unentgeltlichen Prozessführung (inkl. Rekursverfahren) in der Kostennote zum Ehescheidungs- bzw. Eheschutzverfahren geltend zu machen. Dass der Beschwerdeführer als im Genuss der unentgeltlichen Prozessführung stehende Partei unter gewissen Voraussetzungen zur Nachzahlung der Kosten an seinen Anwalt angehalten werden kann, soweit der Prozessgegner nicht seinerseits zu den Anwalts- und Gerichtskosten des Beschwerdeführers verurteilt wird (Art. 82 Abs. 3 ZPO/BE), ist zwar gesetzliche Folge. Ob freilich eine Rückzahlungspflicht an den Anwalt überhaupt je aktuell wird, ist aber ungewiss und im vorliegenden Fall auch nicht erstellt. Zudem ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht auch nicht zu beanstanden, dass die Bemühungen zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung nicht voll entschädigt werden, entspricht dies doch dem Grundgedanken von Art. 17 Abs. 1 des Dekretes. All diese Vorbringen sind demnach nicht geeignet, Willkür darzutun.
Entscheidend ist im vorliegenden Fall jedoch, dass der Appellationshof im Dispositiv jegliche Parteikosten für das Verfahren der unentgeltlichen Rechtspflege ausdrücklich ausschliesst und damit einen Entscheid im Widerspruch zu den Bestimmungen von Art. 17 Abs. 1 des Dekretes und insbesondere auch zu seinen Ausführungen in der Vernehmlassung erlassen hat. Aufgrund dessen ist nicht sichergestellt, dass der Anwalt letztlich für seine Bemühungen zur Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege überhaupt entschädigt wird. Unter diesem Gesichtswinkel ist der Willkürvorwurf begründet.
7.
Folglich ist die staatsrechtliche Beschwerde teilweise gutzuheissen und Ziff. 4 des angefochtenen Entscheides aufzuheben. Da der Beschwerdeführer nicht in allen Punkten obsiegt hat, ist ihm die Hälfte der sonst üblichen Gerichtsgebühr, d.h. eine reduzierte Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Dem Appellationshof dürfen keine Kosten überbunden werden (Art. 156 Abs. 2 OG).
Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, war der Beschwerde teilweise Erfolg beschieden. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann daher entsprochen werden (Art. 152 Abs. 1 OG). Die dem Beschwerdeführer auferlegte reduzierte Gerichtsgebühr wird folglich einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Ausserdem wird dem Beschwerdeführer ein amtlicher Anwalt beigeordnet, welcher aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen ist (Art. 151 Abs. 1 und 2 OG), wobei das Honorar angesichts der Aussichtslosigkeit gewisser Rügen zu reduzieren ist (vgl. E. 1, 2, 3, 5).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und Ziff. 4 des Entscheides der 2. Zivilkammer des Appellationshofs des Kantons Bern vom 18. August 2003 wird aufgehoben.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren Fürsprecher Stefan Gerber, Thunstrasse 12, Postfach 134, 3612 Steffisburg, als amtlicher Anwalt beigeordnet.
3.
Dem Beschwerdeführer wird eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- auferlegt; diese wird einstweilen auf die Bundesgerichtskasse genommen.
4.
Fürsprecher Stefan Gerber wird für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der 2. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. November 2003
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: