BGer U 261/2002
 
BGer U 261/2002 vom 02.05.2003
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 261/02
Urteil vom 2. Mai 2003
IV. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Flückiger
Parteien
R.________, 1971, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Andreas Gafner, Nidaugasse 24, 2502 Biel,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Bern
(Entscheid vom 15. Juni 2002)
Sachverhalt:
A.
Der 1971 geborene R.________ erlitt am 14. Mai 1999 in Italien einen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versicherten Verkehrsunfall. Dabei zog er sich gemäss Bericht des Spitals X.________ vom 15. Mai 1999 ein HWS-Distorsionstrauma, eine Quetschung des Brustkorbes und eine Schädelprellung zu.
Die SUVA liess den Versicherten am 12. Juli 1999 durch den Kreisarzt-Stellvertreter Dr. med. K.________ und am 16. November 1999 durch den Kreisarzt Dr. med. U.________ untersuchen. Ausserdem zog sie Auskünfte des Hausarztes Dr. med. B.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 21. Juni 1999, des Dr. med. O.________, Innere Medizin FMH, vom 16. Juli 1999 und der Privatklinik Y.________ vom 13. Juli 1999 bei, veranlasste eine spezialärztliche Untersuchung durch Dr. med. L.________, Neurologie FMH, welche am 15. September 1999 stattfand, und holte Auskünfte des Dr. med. V.________ ein (Bericht vom 6. Dezember 1999), an welchen der Hausarzt den Patienten zur psychiatrischen Abklärung und Behandlung überwiesen hatte. Vom 19. Januar bis 16. Februar 2000 folgte ein Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik R.________, in dessen Verlauf spezialärztliche Untersuchungen vorgenommen wurden (Neurologisches Konsilium vom 1. Februar 2000; Bericht über neuropsychologische Untersuchung vom 21. und 26. Januar 2000; psychiatrisches Konsilium vom 28. Januar 2000 Schlussbericht vom 20. März 2000). In der Folge zog die Anstalt weitere Berichte des Dr.med. V.________ vom 6. Juni 2000 sowie der Klinik Y.________ vom 7.September 2000 bei und liess den Versicherten am 28. Juli 2000 durch den Kreisarzt Dr. med. G.________ untersuchen. Anschliessend stellte sie mit Verfügung vom 16. November 2000 die laufenden Leistungen per 19. November 2000 ein und lehnte es ab, dem Versicherten eine Rente oder eine Integritätsentschädigung auszurichten. Auf Einsprache des Versicherten und der Assura Kranken- und Unfallversicherung hin hielt die SUVA - nach Beizug einer Stellungnahme des Dr. med. V.________ vom 22. Februar 2001 und eines Berichts der neurologisch-neurochirurgischen Poliklinik des Spitals E.________ vom 3. April 2001 sowie Einholung einer Beurteilung des SUVA-Ärzteteams Unfallmedizin vom 3. Juli 2001 - mit Entscheid vom 9. Juli 2001 an ihrem Standpunkt fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 15. Juni 2002).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt R.________ das Rechtsbegehren stellen, es sei die SUVA zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 20. November 2000 die gesetzlichen Leistungen zu erbringen, namentlich ein volles Taggeld und die Heil- und Pflegekosten, eventuell eine volle Invalidenrente sowie eine angemessene Integritätsentschädigung. Ausserdem sei die Honorarforderung des amtlichen Anwalts für das vorinstanzliche Verfahren zu erhöhen. Ferner wird um unentgeltliche Prozessführung und unentgeltliche Verbeiständung ersucht.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2003 lässt der Beschwerdeführer einen Bericht des Dr. med. V.________ vom 30. Januar 2003 nachreichen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Im Einspracheentscheid vom 9. Juli 2001 werden die Bestimmungen und Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG) vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen versichertem Unfallereignis und eingetretenem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 119 V 337 Erw. 1) und bei Schleudertraumen der HWS oder äquivalenten Verletzungen im Besonderen (BGE 119 V 338; RKUV 2000 Nr. U 359 S. 29) zutreffend dargelegt. Entsprechendes gilt für die Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 127 V 102, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen), insbesondere bei psychischen Fehlentwicklungen nach einem Unfallereignis (BGE 115 V 133). Darauf wird verwiesen. Anzufügen bleibt, dass die Adäquanz des Kausalzusammenhangs bei Unfällen mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) oder äquivalenten Verletzungen (RKUV 2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2) ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle, in deren Folge das so genannte typische Beschwerdebild (BGE 119 V 338 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4b) auftritt, nach analogen Kriterien, jedoch unter Mitberücksichtigung der psychisch bedingten gesundheitlichen Beeinträchtigung zu beurteilen ist (BGE 122 V 415, 117 V 359), die Adäquanzprüfung jedoch auch in diesem Fall nach den für psychische Unfallfolgen geltenden Regeln zu erfolgen hat, wenn das somatische Beschwerdebild gegenüber der psychischen Symptomatik während des Zeitraums zwischen Unfall und Beurteilungszeitpunkt ganz im Hintergrund stand (BGE 123 V 99 Erw. 2a; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 439 Erw. 3b). Zu ergänzen ist ausserdem, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 9. Juli 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
2.
2.1 Über den Ablauf des Unfalls vom 14. Mai 1999 ist den Akten, insbesondere dem Polizeirapport sowie den Angaben des Beschwerdeführers vom 13. Juli 1999, zu entnehmen, dass letzterer in einer scharfen Linkskurve die Herrschaft über das von ihm gelenkte Auto verlor, wobei dieses zunächst seitlich gegen eine Steinwand am rechten Strassenrand und danach frontal in die auf der linken Strassenseite befindliche Steinmauer prallte. Der Beschwerdeführer wurde nach eigenen Angaben mit Kopf und Nacken an die Nackenstütze sowie mit der Brust auf das Lenkrad geschleudert. Er zog sich gemäss Bericht des Spitals X.________ vom 15. Mai 1999 ein HWS- Distorsionstrauma, eine Quetschung des Brustkorbes und eine Schädelprellung zu. Im Übrigen wird im polizeilichen Rapport die Frage nach Verletzten verneint. Von diesen in zeitlicher Nähe zum Unfallgeschehen getroffenen Feststellungen ist auszugehen.
2.2 Der medizinische Sachverhalt ist in physischer und psychischer Hinsicht ausreichend dokumentiert. Gestützt auf die durchgeführten Untersuchungen und die Stellungnahmen insbesondere des Dr. med. L.________, der Klinik R.________, des Kreisarztes Dr. med. G.________ sowie des Neurologen Dr. med. H.________, SUVA-Ärzteteam Unfallmedizin, gelangten Vorinstanz und SUVA mit Recht zum Ergebnis, es lägen keine somatischen Unfallfolgen mehr vor. Auf Grund der medizinischen Aktenlage ist davon auszugehen, dass sich bereits relativ kurze Zeit nach dem Unfall ein psychisches Beschwerdebild entwickelt hat (Berichte des Dr. med. L.________ vom 15. September 1999, des Dr. med. V.________ vom 6. Dezember 1999 und des Dr. med. M.________, Klinik R.________, vom 28. Januar 2000), welches in der Folge den wesentlichen limitierenden Faktor darstellte (Schlussbericht der Klinik R.________ vom 20. März 2000; Stellungnahme des SUVA-Kreisarztes Dr. med. G.________ vom 28. Juli 2000). Angesichts der unauffälligen organischen Befunde ist davon auszugehen, dass die psychisch begründete Symptomatik im Verlauf der gesamten Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt dominierte, während die physischen Beschwerden im Vergleich dazu ganz in den Hintergrund getreten sind. Selbst wenn als hinreichend erstellt anzusehen wäre, dass das nach Schleudertraumen der HWS oder äquivalenten Verletzungen nicht selten beobachtete und deshalb von der Rechtsprechung als typisch bezeichnete "bunte" Beschwerdebild (BGE (BGE 119 V 338 Erw. 1, 117 V 360 Erw. 4b) jedenfalls teilweise vorlag, wäre deshalb die Adäquanz des Kausalzusammenhangs nach der Rechtsprechung zu einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE 115 V 133) zu beurteilen (BGE 123 V 99 Erw. 2a; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 439 Erw. 3b). Auf die abweichenden Aussagen des Psychiaters Dr. med. V.________ und der Neurologisch-neurochirurgischen Poliklinik des Spitals E.________ kann, wie die SUVA - insbesondere in der vorinstanzlichen Beschwerdeantwort vom 31. Oktober 2001 - und ihr folgend das kantonale Gericht mit zutreffender Begründung festgehalten haben, nicht abgestellt werden. Angesichts der in der Klinik R.________ durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung ist eine erneute diesbezügliche Abklärung nicht erforderlich, da davon keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d; SVR 2003 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 4.2.1 mit Hinweisen).
3.
Zu prüfen bleibt die Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den fortbestehenden psychischen Beschwerden.
3.1 Im Rahmen der für die Belange der Adäquanzbeurteilung vorzunehmenden Katalogisierung (BGE 115 V 138 Erw. 6) ist das Ereignis vom 14. Mai 1999 auf Grund des augenfälligen Geschehensablaufs und der erlittenen Verletzungen den mittelschweren Unfällen zuzuordnen, wobei es nicht im Grenzbereich zu den schweren Unfällen liegt (vgl. zur diesbezüglichen Rechtsprechung die Übersicht in RKUV 1999 Nr. U 330 S. 122 ff. Erw. 4b/bb). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist demzufolge zu bejahen, falls ein einzelnes der in die Beurteilung einzubeziehenden unfallbezogenen Kriterien (besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit des Unfalls; Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzung; ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung; Dauerbeschwerden; ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert; schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen; Grad und Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit; BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist oder die zu berücksichtigenden Kriterien insgesamt in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sind (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb).
3.2 Der Unfall vom 14. Mai 1999 ereignete sich weder unter besonders dramatischen Begleitumständen noch war er von besonderer Eindrücklichkeit. Die vom Beschwerdeführer erlittenen, hinreichend ausgewiesenen (vgl. Erw. 2.1 hievor) Verletzungen sind weder auf Grund ihrer Schwere noch ihrer besonderen Art erfahrungsgemäss geeignet, psychische Fehlentwicklungen auszulösen (vgl. BGE 115 V 140 Erw.6c/aa). Das im Rahmen der Adäquanzprüfung bei psychischen Unfallfolgen einzig zu berücksichtigende somatische Beschwerdebild (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa) führte weder zu einer lange dauernden Arbeitsunfähigkeit (zur diesbezüglichen Praxis RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544 ff.), noch hatte es eine ärztliche Behandlung von ungewöhnlicher Dauer zur Folge. Bezogen auf den physischen Aspekt kann auch nicht von einem schwierigen Heilungsverlauf oder entsprechenden Komplikationen gesprochen werden. Eine ärztliche Fehlbehandlung liegt nicht vor. Ebenso wenig ist von physisch bedingten Dauerschmerzen auszugehen. Die massgebenden unfallbezogenen Kriterien sind somit nicht in gehäufter oder auffallender Weise erfüllt, was zur Verneinung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs führt. Die SUVA hat daher ihre Leistungspflicht für die Zeit ab 19. November 2000 mit Recht verneint.
4.
4.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter geltend gemacht, das dem Rechtsvertreter im vorinstanzlichen Verfahren zufolge unentgeltlicher Verbeiständung zugesprochene Honorar sei zu tief angesetzt.
4.2 Die Rüge, das fragliche Honorar sei zu niedrig, wird ausschliesslich im Namen des Beschwerdeführers geltend gemacht; sein Rechtsvertreter hat in eigenem Namen keine Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Im angefochtenen Entscheid wurde die Honorarforderung des Rechtsvertreters auf insgesamt Fr. 3639.10 festgesetzt, wobei Fr. 2502.10 durch die Gerichtskasse zu bezahlen sind. Der Beschwerdeführer selbst ist durch die entsprechende Ziffer des vorinstanzlichen Rechtsspruchs nicht berührt. Insbesondere hat er auch kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung dieser Ziffer. Er ist deshalb im vorliegenden Verfahren zur Anfechtung der gerichtlichen Festsetzung des Honorars des unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht legitimiert (Urteil S. vom 23. Juli 2002, I 122/02, Erw.5.2; nicht veröffentlichtes Urteil A. vom 27. November 1998, I266/98, Erw. 3). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist in diesem Punkt nicht einzutreten.
5.
Das Verfahren betreffend Versicherungsleistungen sowie unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG; SVR 1994 IV Nr. 29 S. 76 Erw. 4). Die unentgeltliche Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren kann gewährt werden (Art.152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Andreas Gafner, Biel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 2500.- ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 2. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: