BGE 140 V 82
 
12. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft gegen Z. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
8C_751/2013 vom 20. März 2014
 
Regeste
Art. 52 ATSG; Art. 9 OR; Widerruf eines Einspracheverzichts.
 
Sachverhalt


BGE 140 V 82 (82):

A. Für die verbleibenden Folgen des Unfallereignisses vom 3. Februar 2004 sprach die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft (nachstehend: die Mobiliar) mit Verfügung vom 17. November 2010 der 1958 geborenen Z. rückwirkend ab 1. Oktober 2007 eine Rente bei einem Invaliditätsgrad von 54 % und eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 40 % zu. Mit einem auf den 19. November 2010 datierten Schreiben an die Mobiliar verzichtete die Versicherte ausdrücklich auf eine Einsprache gegen diese Verfügung. Am 21. November 2010 informierte der

BGE 140 V 82 (83):

Rechtsvertreter der Versicherten die Mobiliar per E-Mail, dass sie nicht auf eine Einsprache verzichte. Auf die daraufhin am 24. Dezember 2010 erhobene Einsprache trat die Mobiliar mit Entscheid vom 10. Februar 2012 nicht ein, da die Versicherte auf eine Einsprache gültig verzichtet habe.
B. Die von Z. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 11. September 2013 gut und wies die Sache an die Mobiliar zurück, damit diese die Einsprache materiell behandle.
C. Mit Beschwerde beantragt die Mobiliar, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr auf Nichteintreten lautender Einspracheentscheid zu bestätigen.
Während Z. auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
In ihrem Schreiben vom 6. Januar 2014 hält die Mobiliar an ihrem Rechtsbegehren fest.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 4
4.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, ist der Verzicht auf eine Einsprache - im Gegensatz zu einem eigentlichen Leistungsverzicht (vgl. Art. 23 ATSG [SR 830.1]) - weder im ATSG noch im UVG ausdrücklich geregelt. Die Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass ein Einspracheverzicht, welcher in Kenntnis der durch Einsprache anfechtbaren Verfügung abgegeben wird, zulässig ist. Im Gegensatz zum Leistungsverzicht nach Art. 23 ATSG ist ein Einspracheverzicht grundsätzlich - unter Vorbehalt von Willensmängeln - unwiderruflich (vgl. Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts U 139/02 vom 20. November 2002 E. 2.3 sowie U 403/04 vom 23. Mai 2006 E. 2.2; und, in Bezug auf das AHVG, Urteil 9C_864/2007 vom 30. April 2008 E. 4.3; ebenso die Praxis zum allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht [vgl. Urteil 2C_277/2013 vom 7. Mai 2013 E. 1.4 mit weiteren Hinweisen] und zum

BGE 140 V 82 (84):

Strafprozessrecht [vgl. Urteil 1P.409/2006 vom 14. August 2006 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen]).
4.3 Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf Art. 23 Abs. 3 ATSG geltend, die E-Mail vom 21. November 2010, mit welcher die Beschwerdegegnerin ihre Verzichtserklärung widerrufen hat, erfülle die Schriftform nicht, weshalb diese unbeachtlich sei. Entgegen ihrer Ansicht kann jedoch der Widerruf eines Leistungsverzichts nicht mit dem Widerruf einer (Einsprache-)Verzichtserklärung gleichgesetzt werden: Während ersterer für die Zukunft grundsätzlich jederzeit erfolgen kann, ist letzterer nur innert der äusserst kurzen Frist vor Eintreffen der Erklärung beim Empfänger möglich. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, rechtfertigt es sich daher, den Widerruf einer Verzichtserklärung auch formfrei zuzulassen (vgl. auch SCHÖNBERGER/JAGGI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1973, N. 18 zu Art. 9 OR; KRAMER/SCHMIDLIN, Berner Kommentar, 1986, N. 23 zu Art. 9 OR; MATTHIAS MINDER, Die Übertragung des Mietvertrages bei Geschäftsräumen [Art. 263 OR], 2010, N. 543 und AHMET KUT, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 4 zu Art. 9 OR). Dabei trägt allerdings die widerrufende Person die Beweislast für den Zugang der Verzichtserklärung (vgl. Art. 8 ZGB), so dass diese gut beraten ist, sich einer im Nachhinein nachweisbaren Form zu bedienen. Kann somit grundsätzlich eine (Einsprache-)Verzichtserklärung auch per E-Mail widerrufen werden, so muss nicht geprüft werden, ob bei einem Formmangel die Beschwerdeführerin nicht gehalten gewesen wäre, eine kurze Nachfrist zu dessen Verbesserung anzusetzen (vgl. Art. 10 Abs. 5 ATSV [SR 830.11]; SVR 2009 IV Nr. 19 S. 49, I 898/06 E. 3).
4.4 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, die E-Mail der Beschwerdegegnerin am 21. November 2010 erhalten zu haben. Somit braucht nicht näher geprüft zu werden, ob und allenfalls wie sich ein bestrittener Empfang einer E-Mail nachweisen liesse. Das kantonale Gericht hat im Weiteren erwogen, die (Einsprache-)Verzichtserklärung

BGE 140 V 82 (85):

vom 19. November 2010 trage den Eingangsstempel der Beschwerdeführerin vom 22. November 2010, weshalb davon auszugehen sei, das Schreiben sei an diesem Tag bei ihr eingetroffen. Da die Mobiliar den Versandumschlag dieses Schreibens pflichtwidrig (vgl. Art. 46 ATSG) nicht zu den Akten genommen hat, kann nicht mehr festgestellt werden, wann und unter Inanspruchnahme welches Versandweges dieses Schreiben der Post übergeben wurde. Somit kann die Hypothese der Versicherung, das Schreiben sei am Abend des Freitags, den 19. November 2010 noch rechtzeitig als A-Prioritaire-Sendung verschickt worden, weder bestätigt noch widerlegt werden. Wie die Vorinstanz weiter zutreffend ausführte, wäre selbst bei einem rechtzeitigen Versand alleine aufgrund der Erfahrung, wonach die Post in aller Regel zuverlässig arbeitet, nicht erstellt, dass die Sendung bereits am Samstag, den 20. November 2010 im Postfach der Versicherung gelegen hat und der Eingangsstempel der Beschwerdeführerin das falsche Datum anzeigt (vgl. auch SCHÖNBERGER/JAGGI, a.a.O., N. 229 zu Art. 1 OR und KUT, a.a.O., N. 20 zu Art. 1 OR).