BGE 135 V 293
 
36. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. I. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
8C_511/2008 vom 6. Juli 2009
 
Regeste
Art. 32 des Abkommens zwischen der Schweiz und Deutschland über soziale Sicherheit; Art. 20 FZA; Zustellung gerichtlicher Entscheide nach Deutschland.
 


BGE 135 V 293 (294):

Aus den Erwägungen:
2.2.2 Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage von Art. 8 FZA ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II "Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" FZA in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der

BGE 135 V 293 (295):

Verordnung Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (SR 0.831.109.268.11; nachfolgend: Verordnung Nr. 574/72), oder gleichwertige Vorschriften an.
2.2.3 Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 574/72 können Bescheide oder sonstige Schriftstücke eines Trägers eines Mitgliedstaats, die für eine im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnende oder sich dort aufhaltende Person bestimmt sind, dieser unmittelbar mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Gerichte sind jedoch keine Träger im Sinne der Koordinierungsverordnungen (SVR 2006 KV Nr. 6 S. 14, K 44/03 E. 2.5 mit Hinweis). Ebenso wenig fallen Gerichte unter den Begriff der Behörde im Sinne von Art. 84 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 (Verfügung des Eidg. Versicherungsgerichts K 18/04 vom 18. Juli 2006 E. 2.1.2). Die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 enthalten demnach keine Vorschrift, die eine direkte postalische Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an in einem anderem Mitgliedstaat wohnende Personen vorsieht (anderer Meinung: LAURENT MERZ, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 45 zu Art. 40 BGG). Auch den übrigen Bestandteilen des FZA ist keine Bestimmung zu entnehmen, die der Schweiz eine direkte postalische Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an eine im Ausland wohnende Person gestatten würde (zitierte Verfügung K 18/04 E. 2.1.3).
2.2.4 Die Koordinationsverordnungen bezwecken, bestimmte Hindernisse sachlicher und verwaltungstechnischer Art zu beseitigen, welche die Arbeitnehmer davon abhalten könnten, zwischen den Mitgliedstaaten zu wechseln (Urteil des EuGH vom 18. Februar 1975 66/74 Farrauto gegen Bau-Berufsgenossenschaft, Slg. 1975 S. 157 Randnr. 4). Eine direkte Zustellung von Gerichtsentscheiden per Post stellt eine Vereinfachung und Beschleunigung des üblichen Verfahrensablaufes dar. Im Hinblick auf die europäische Integration ist eine solche Handhabung den Förmlichkeiten grundsätzlich vorzuziehen, auf die herkömmlicherweise für die Zustellung von Entscheidungen im Ausland zurückgegriffen wird (zit. Urteil 66/74, ebd.). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber durch das Nicht-Erwähnen einer direkten postalischen Zustellung durch Gerichte den Mitgliedstaaten verbieten wollte, eine solche zu dulden (vgl. auch LOTHAR FRANK, Die Zustellung im Ausland, in: Sozialgerichtsbarkeit 4/1988 S. 142 ff., 146). Die Frage, ob

BGE 135 V 293 (296):

Gerichte eine solche direkte postalische Zustellung vornehmen dürfen, ist vielmehr in den Koordinationsverordnungen weder positiv noch negativ geregelt.