BGE 133 V 201
 
27. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
H 73/06 vom 26. Januar 2007
 
Regeste
Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG: Beitragspflicht nichterwerbstätiger Personen.
 


BGE 133 V 201 (202):

Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
In Anwendung dieser Rechtsprechung hat die Ausgleichskasse Nichterwerbstätigenbeiträge für 2003 erhoben, was das kantonale Gericht bestätigt hat.
3. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird eine Präzisierung der Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 49 beantragt. Danach soll Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG seinem Wortlaut entsprechend ebenfalls zur Anwendung gelangen, wenn dem nichterwerbstätigen Ehegatten nach der Einkommensteilung - bei Eintritt des zweiten Versicherungsfalles Alter (vgl. Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a AHVG)

BGE 133 V 201 (203):

- auch unter Berücksichtigung der nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles erworbenen Beitragsjahre ohne Gutschrift des hälftigen, nicht rentenbildenden Einkommens des andern erwerbstätigen Ehegatten, eine (maximale) Vollrente zustehe. In solchen Fällen werde der Sinn und Zweck des Splitting nicht verletzt und eine Abweichung vom klaren Gesetzeswortlaut lasse sich deshalb auch nicht begründen. Die Beschwerdeführerin habe aufgrund ihrer Beiträge und Beitragsjahre in jedem Fall Anspruch auf eine (maximale) Vollrente. Sie habe daher für 2003 keine Nichterwerbstätigenbeiträge zu bezahlen.
Das kantonale Gericht hat die beantragte Präzisierung der Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, BGE 130 V 49 lasse für eine Differenzierung im dargelegten Sinne keinen Raum.
 
Erwägung 4
4.1 Es steht ausser Frage, dass nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 erster Satz AHVG) die eigenen Beiträge einer nichterwerbstätigen Person auch als bezahlt zu gelten haben, wenn deren erwerbstätiger Ehegatte Anspruch auf eine Altersrente hat und Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages entrichtet. Das Gesetz differenziert nicht danach, ob der erwerbstätige Ehegatte eine Altersrente (vor-)bezieht oder nicht. Das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht sah jedoch einen triftigen Grund, vom klaren Gesetzeswortlaut abzuweichen und Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG bei nichterwerbstätigen Ehegatten von erwerbstätigen Bezügern einer Altersrente nicht anzuwenden, im Umstand, dass gemäss Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a AHVG e contrario die nach Eintritt des Versicherungsfalles Alter beim zuerst rentenberechtigten Ehegatten erzielten beitragspflichtigen Einkommen nicht der Teilung und gegenseitigen je hälftigen Anrechnung ("Splitting") unterliegen (vgl. BGE 127 V 361, insbesondere S. 366 E. 5; ferner BGE 129 V 124). Gälten auch für diese Zeiten die Beiträge der nichterwerbstätigen Person als durch den erwerbstätigen Ehegatten bezahlt, würden ihr zwar nach Art. 29ter Abs. 2 lit. b AHVG die entsprechenden Jahre als Beitragsjahre angerechnet. Es könnten ihr indessen keine rentenbildenden Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 29quater lit. a AHVG (durch Splitten des vom anderen Ehegatten erzielten Einkommens) gutgeschrieben werden. Das entspräche indessen nicht der mit der Einführung des Splitting im Rahmen der 10. AHV-Revision verfolgten Zielsetzung, dass im

BGE 133 V 201 (204):

Unterschied zu früher alle Nichterwerbstätigen grundsätzlich beitragspflichtig sein sollen (BGE 130 V 49 E. 3.2.2 S. 50).
4.2 Hauptgrund für das Eidgenössische Versicherungsgericht, Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG entgegen seinem klaren Wortlaut bei nichterwerbstätigen Ehegatten erwerbstätiger Rentenbezüger nicht anzuwenden, war somit die Erhöhung des für die Berechnung der Altersrente massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens nach Art. 30 AHVG. Dieses Ziel ist indessen nicht mehr erreichbar, sobald die nichterwerbstätige Person nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles Alter bei ihrem (weiterhin) erwerbstätigen Ehegatten genügend Einkommen für den Anspruch auf die entsprechend den erworbenen Beitragsjahren bei Vollendung des 64. (bis 31. Dezember 2004: 63.) oder 65. Altersjahres nach Art. 21 Abs. 1 AHVG maximale Altersrente ausweist. Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG entgegen seinem klaren Wortlaut auch in solchen Fällen nicht anzuwenden, erforderte einen ebenso klar erkennbaren abweichenden Willen (qualifiziertes Schweigen) des Gesetzgebers, was jedoch nicht zutrifft (vgl. zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift BBl 1990 II 150 sowie AB 1991 S 254 f., 1993 N 212 f. und 248, 1994 S 546 und 593).
4.4 Das Bundesamt für Sozialversicherungen beantragt in seiner Vernehmlassung sogar eine Praxisänderung in dem Sinne, dass Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ausnahmslos bei allen nichterwerbstätigen Versicherten anzuwenden ist, deren erwerbstätiger Ehegatte eine Altersrente bezieht. Zur Begründung weist die Aufsichtsbehörde u.a. auf die erste Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur 11. AHV-Revision (Neufassung; BBl 2006 S. 1957 ff.) hin. In dieser Revisionsvorlage schlägt der Bundesrat einen neuen Art. 3 Abs. 4 lit. b AHVG vor, wonach Absatz 3 auch Anwendung findet für die Kalenderjahre, in denen der erwerbstätige Ehegatte eine Altersrente bezieht oder aufschiebt (BBl 2006 S. 2003 und 2045). Es besteht indessen kein Anlass, in diesem Sinne zu entscheiden, umso

BGE 133 V 201 (205):

weniger, als National- und Ständerat die Beratung der Vorlage noch nicht in Angriff genommen haben. Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der anrechenbaren Einkommen bis zum Eintritt des Versicherungsfalles Alter bei ihrem Ehegatten im Juli 2002 sowie der Anzahl Beitragsjahre bei Vollendung des 63. Altersjahres im Januar 2004 ebenso wie ihr Ehemann Anspruch auf die maximale Vollrente hätte, als Folge der Plafonierung jedoch lediglich 75 % der einfachen Höchstrente von Fr. 2'110.- ausbezahlt erhält. Damit sind aber nach dem Gesagten die Voraussetzungen für eine Beitragsbefreiung gegeben.