BGE 104 V 198
 
49. Urteil vom 15. Dezember 1978 i.S. Staatliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt gegen Etter und Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt
 
Regeste
Zumutbare Arbeit (Art. 23 Abs. 2 AlVG und Art. 9 AlVV).
 
Sachverhalt


BGE 104 V 198 (198):

A.- Die Versicherte (geb. 1954) erwarb im Frühjahr 1977 das Diplom als Primarlehrerin. Weil sie nach dem Diplomabschluss nicht sofort eine feste Stelle als Lehrerin fand, versah sie Vikariate und bezog in der Zwischenzeit Arbeitslosentaggelder. Am 25. August 1977 teilte das Schulinspektorat des Kantons Basel-Landschaft dem kantonalen Arbeitsamt Basel-Stadt mit, die Migros habe arbeitslose Junglehrerinnen als Würstchen-Degustantinnen gesucht. Der Versicherten sei diese Arbeit angeboten worden, sie habe sich aber geweigert, so etwas zu machen. Die Staatliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt verfügte hierauf am 19. Oktober 1977 die Einstellung in der Anspruchsberechtigung für sechs Tage wegen Ablehnung zumutbarer Arbeit.


BGE 104 V 198 (199):

B.- Die Versicherte liess bei der Schiedskommission des Kantons Basel-Stadt für die Arbeitslosenversicherung beschwerdeweise die Aufhebung der Einstellungsverfügung beantragen. - Die Schiedskommission hiess die Beschwerde am 16. Dezember 1977 gut. Es habe im Herbst tatsächlich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit bestanden, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen von Stellvertretungen den eigenen Beruf ausüben konnte.
C.- Die Staatliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt verlangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung des Entscheides der kantonalen Schiedskommission und die Bestätigung ihrer Kassenverfügung. Die Argumentation der Vorinstanz öffne dem Missbrauch Tür und Tor; trotz Wahrscheinlichkeit kurzfristiger Vikariate als Lehrerin wäre es der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen, bei der Migros zuzusagen. Im übrigen sei nicht bewiesen, dass ihr das Schulinspektorat bei Annahme der Degustantinnenstelle keine Lehrstelle mehr vermittelt hätte.
Während die Versicherte sinngemäss die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, schliesst das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit auf deren Gutheissung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 23 Abs. 2 AlVG haben sich die Versicherten den Weisungen der Arbeitsämter zur Übernahme zumutbarer Arbeit zu unterziehen und sich auch persönlich um Arbeit zu bemühen. Laut Art. 9 AlVV gilt als zumutbar eine Arbeit, die den berufs- und ortsüblichen Bedingungen entspricht, den Fähigkeiten und dem Gesundheitszustand des Versicherten angemessen ist und ihn sittlich nicht gefährdet. Überdies darf die Arbeit die künftige berufliche Tätigkeit des Versicherten nicht wesentlich erschweren, es sei denn, dass in absehbarer Zeit keine Aussicht auf Wiederbeschäftigung in seinem Beruf besteht. Zumutbar ist somit grundsätzlich auch eine ausserberufliche Tätigkeit; an die Absolventen beruflicher Lehranstalten können dabei besondere Anforderungen gestellt werden: bei ihnen ist der Begriff der Zumutbarkeit weit zu fassen, sie müssen gegebenenfalls auch Arbeiten annehmen, die nicht ihrer Ausbildung entsprechen, und von ihnen darf eine grosse geographische Mobilität gefordert werden.


BGE 104 V 198 (200):

Laut Art. 29 Abs. 1 AlVG hat die Kasse einen Versicherten in der Anspruchsberechtigung auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung einzustellen, wenn sie unter anderem feststellt, dass er durch eigenes Verschulden arbeitslos ist (lit. a), dass er die Weisungen der Arbeitsämter zur Übernahme zumutbarer Arbeit nicht befolgt (lit. e) oder dass er sich persönlich nicht genügend um zumutbare Arbeit bemüht (lit. f). Die Dauer der Einstellung richtet sich nach der Schwere des Verschuldens (Art. 29 Abs. 2 AlVG) und beträgt 1 bis 48 Tage (Art. 45 Abs. 1 AlVV).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sowie der Vorinstanz darf nun aber ein Arbeitsloser eine ausserberufliche Tätigkeit nicht schon dann ablehnen, wenn eine mehr oder weniger erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, in absehbarer Zeit eine Berufsarbeit zu finden. Die Ablehnung der ausserberuflichen Arbeit wäre nur dann begründet, wenn der Versicherte praktisch auf den gleichen Zeitpunkt im erlernten Beruf eine Beschäftigung für eine im Verhältnis zum Angebot angemessene Zeitdauer antreten kann. Besteht jedoch wie im vorliegenden Fall nur die Möglichkeit für auseinanderliegende, kurzfristige Stellvertretungen von jeweils höchstens einigen Tagen, muss eine zumutbare ausserberufliche Arbeitsgelegenheit, die mehr als zwei Monate andauert und pro Woche regelmässig drei volle Tagesverdienste von 100 Franken nebst Spesenersatz abwirft, ergriffen werden.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der Schiedskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt vom 16. Dezember 1977 aufgehoben.