BGE 108 IV 104
 
26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. August 1982 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 308 Abs. 1 StGB.
 


BGE 108 IV 104 (104):

Aus den Erwägungen:
a) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf die Aussagen des G. als Angeschuldigter vom 20. Juni 1980 aus, es "bedurfte der eindringlichen Intervention der Ehefrau, des Schwagers und des T., verbunden mit der Drohung, dass sich bei Nichtbefolgen der Ratschläge ernsthafte Schwierigkeiten ergeben würden, bis sich G. überwinden konnte, auf seine unrichtigen Aussagen zurückzukommen". Der Beschwerdeführer habe also unter dem Druck ihm angedrohter Nachteile und daher nicht aus eigenem Antrieb im Sinne von Art. 308 Abs. 1 StGB gehandelt.
b) Eine Berichtigung aus eigenem Antrieb liegt nicht nur dann vor, wenn der Täter aus Einsicht in die Notwendigkeit einer wahrheitsgemässen Aussage bzw. aus Gewissensgründen oder Verantwortungsgefühl usw. seine falsche Aussage widerruft. Ob die Motive für den Widerruf mehr oder weniger edel sind, ist grundsätzlich

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unerheblich und betrifft allenfalls das Mass der Strafmilderung (STRATENWERTH, BT II, S. 324; BGE 69 IV 223 E. 3; s. auch zum Rücktritt beim unvollendeten Versuch, STRATENWERTH, AT, S. 300 mit Hinweisen; BGE 83 IV 1). Dass der Täter aus Furcht vor Aufdeckung oder aus Angst vor Repressalien des Betroffenen seine falsche Aussage widerruft, schliesst ein Handeln aus eigenem Antrieb demnach nicht aus. Voraussetzung ist allerdings, dass er freiwillig, aus eigenem Entschluss, aus einem "autonomen, d.h. selbstgesetzten Motiv" (so JESCHECK, Allgemeiner Teil des deutschen Strafrechts, 3. Aufl., S. 440 zum Rücktritt vom Versuch) handelt. Ob eigener Antrieb auch dann noch vorliegt, wenn der Täter seine falsche Aussage erst auf Anraten eines Dritten, etwa eines Freundes, berichtigt (bejahend STRATENWERTH, BT II, S. 324; LOGOZ, Commentaire, p. 735; THORMANN/V. OVERBECK, N. 3 zu Art. 308 StGB; verneinend SCHULTZ, ZStrR 1958/73 S. 262), braucht hier nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Fall ging die Initiative Dritter eindeutig über das Erteilen von Ratschlägen hinaus. T. stellte G. mehrmals ernsthafte Schwierigkeiten in Aussicht für den Fall, dass er die falschen Aussagen nicht widerrufe, und G. wurde auch von seinem Schwager und von seiner Ehefrau wiederholt zum Widerruf gedrängt. Bei dieser Sachlage kann von einem Handeln aus eigenem Antrieb im oben umschriebenen Sinne keine Rede sein. Entgegen den Andeutungen in der Nichtigkeitsbeschwerde fehlt es am eigenen Antrieb nicht nur dort, wo der Täter widerruft, weil angesichts der Beweislage weiteres Lügen unnütz wäre. Eine solche Auslegung der Wendung "aus eigenem Antrieb", die auch im Zusammenhang mit dem Rücktritt beim unvollendeten Versuch (Art. 21 Abs. 2 StGB) und der tätigen Reue beim vollendeten Versuch (Art. 22 Abs. 2 StGB) verwendet wird, widerspricht schon dem allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn in BGE 69 IV 223 E. 3 ausgeführt wurde, der Täter, der durch ein neues Verhör zum Widerruf geführt werde, handle nicht aus eigenem Antrieb, so bedeutet dies nicht, dass es nur in derartigen Fällen am eigenen Antrieb fehle, auch wenn der Gesetzgeber beim Erlass von Art. 308 Abs. 1 StGB gerade an diesen Fall gedacht haben mag. Wer widerruft, weil ein Dritter ihn dazu drängt und ihm ernstliche Schwierigkeiten - welcher Art auch immer - im Unterlassungsfall in Aussicht stellt, handelt nicht "aus eigenem Antrieb" ("de son propre mouvement", "spontaneamente"). Dabei schliesst wie erwähnt nicht die Furcht vor Schwierigkeiten als solche das Handeln aus eigenem Antrieb aus, sondern der

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Umstand, dass diese Angst für das Verhalten des Täters erst bestimmend wurde, als Dritte ihn bedrängten und ihm Schwierigkeiten in Aussicht stellten. Dass "der Täter aufgrund einer objektivierten Betrachtungsweise selbst noch entscheiden kann, ob er diesen Schritt tun will oder nicht", wie in der Beschwerde ausgeführt wird, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass G. auf Druck Dritter hin subjektiv praktisch keine Wahl hatte und er vernünftigerweise nicht anders handeln konnte. Dass er - wie übrigens auch der Zeuge, dessen Aussage sich angesichts der übrigen Beweise als falsch erweist - theoretisch noch zwischen Festhalten an der Falschaussage und deren Berichtigung wählen konnte, ist belanglos; theoretisch hat auch etwa der mit dem Tode Bedrohte eine Wahlmöglichkeit. Die Vorinstanz hat demnach ein Handeln "aus eigenem Antrieb" angesichts des von verschiedenen Seiten auf G. ausgeübten Drucks zu Recht verneint.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer seine Aussagen berichtigt habe, bevor durch sie ein Rechtsnachteil für einen andern entstanden ist, was die Vorinstanz in ihrem zweiten Urteil (vom 28. April 1982) unter Hinweis auf die Kosten und Umtriebe der fakultativen Teilnahme des T. und seines Anwalts an der zweiten Einvernahme des G. vom 22. April 1980, die durch die erste Einvernahme des G. vom 28. Februar 1980 notwendig wurde, verneinte.