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Urteilskopf

103 IV 208


60. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juni 1977 i.S. Starthalteramt Zürich gegen M.

Regeste

Art. 9 Abs. 1 der Verordnung I zum A VG. Gewerbsmässige Arbeitsvermittlung.
Die gewerbsmässige Arbeitsvermittlung setzt voraus, dass der Vermittler den Abschluss eines Dienstvertrages fördert und im Falle eines Erfolges Anspruch auf Mäklerlohn hat (E. 1a). Nach den gleichen Merkmalen beurteilt sich, ob die Vermittlung von Temporärarbeit im eigentlichen Sinn oder nach dem "Try and hire"-System gewerbsmässig betrieben wird (E. 1b und e, E. 2).

Sachverhalt ab Seite 208

BGE 103 IV 208 S. 208

A.- Die Firma X. befasst sich gewerbsmässig mit der temporären Überlassung von Arbeitskräften an ihre Kunden. In neuerer Zeit wendet sie auch das sogenannte "Try and hire"-System an. Dieses besteht darin, dass die Firma X. von
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ihr angestellte und entlöhnte Arbeitskräfte fest für drei Monate zur Verfügung stellt, den Kunden und Arbeitnehmer aber nicht hindert, für die Zeit nach Ablauf der Vertragsdauer direkt miteinander einen Arbeitsvertrag abzuschliessen.
Am 12. Juni 1975 erschienen im "Tages-Anzeiger" verschiedene Inserate mit dem Text "Firma X., überall wo es um Arbeit geht, auch Dauerstellen". Nach Intervention des Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit des Kantons Zürich wurde das Erscheinen dieser Inserate vorläufig eingestellt. Am 3. und 8. Juli 1975 erschienen jedoch auf Anordnung von Frau M., Direktorin der Firma X., erneut Inserate in der gleichen Aufmachung mit dem Zusatz "Try and hire".

B.- Das Statthalteramt des Bezirkes Zürich büsste Frau M. am 12. Dezember 1975 wegen Verletzung von Art. 7 des Bundesgesetzes über die Arbeitsvermittlung vom 22. Juni 1951 mit Fr. 300.--, weil sie ohne Bewilligung gewerbsmässig Arbeitsvermittlung betrieben habe.
Nachdem Frau M. gerichtliche Beurteilung verlangt hatte, verurteilte sie der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich am 25. August 1975 ebenfalls zu Fr. 300.-- Busse.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach sie dagegen am 24. Februar 1977 frei.

C.- Das Statthalteramt des Bezirks Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die gewerbsmässige Arbeitsvermittlung ist nach Art. 7 Abs. 1 AVG (SR 823.111) nur mit Bewilligung der zuständigen kantonalen Behörde gestattet. Als gewerbsmässige Arbeitsvermittlung gilt gemäss Art. 9 Abs. 1 der Verordnung I zum AVG vom 21. Dezember 1951 jede auf Gewinn gerichtete regelmässige Tätigkeit, mit der einem Auftraggeber Gelegenheit zum Abschluss eines Dienstvertrages oder einer dienstvertragsähnlichen Vereinbarung nachgewiesen oder der Abschluss eines solchen Vertrages vermittelt werden soll. Eine solche Tätigkeit fällt auch dann unter das Gesetz, wenn sie mittels der Herausgabe von besonderen Publikationsorganen,
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wie Stellenanzeigern, der Vermittlung von Adressen oder ähnlicher Vorkehren ausgeübt wird.
a) Im Schrifttum besteht insoweit Übereinstimmung, dass Die Arbeitsvermittlung, wie sie in Art. 9 Abs. 1 der genannten Verordnung umschrieben ist, rechtlich die Merkmale des Mäklervertrages gemäss Art. 412 ff. OR aufweist (U. C. NEF, Temporäre Arbeit, Diss. Zürich 1971 S. 26/27; TH. WAEBER, Beitrag zur Geschichte und zum heutigen Begriff der Arbeitsvermittlung, Diss. Zürich 1976 S. 55). Wesentlich ist deshalb, dass der Arbeitsvermittler einerseits durch seine Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit den Abschluss eines Dienstvertrages oder einer dienstvertragsähnlichen Vereinbarung (z.B. einen Werkvertrag, Auftrag; vgl. WAEBER, a.a.O. S. 97) fördert und dass er anderseits, wenn zwischen dem Kunden und dem Arbeitnehmer ein Vertrag auf Arbeitsleistung abgeschlossen wird, für diesen Erfolg Anspruch auf Mäklerlohn hat (BRUNO v. BÜREN, Schweiz. Obligationenrecht, BT S. 204, BECKER, N. 1 zu Art. 413 OR).
b) Bei der Vermittlung von Arbeitskräften nach dem System der temporären Arbeit, bei welchem die vermittelnde Organisation die von ihr verpflichtete Arbeitskraft ihren Kunden für eine zeitlich begrenzte Dauer überlässt, fehlt es am Merkmal der Förderung des Hauptvertragsabschlusses zwischen Arbeitnehmer und Kunde (s. auch TH. BRENDER, Rechtsprobleme des befristeten Arbeitsvertrages Diss. Zürich 1976 S. 38). Die Organisation ist vielmehr daran interessiert, dass ihr die temporäre Arbeitskraft als solche erhalten bleibe, weshalb sie in der Regel Massnahmen vorkehrt, um einem solchen Vertragsabschluss zwischen Kunde und der ihm überlassenen Arbeitskraft entgegenzuwirken (R. VON BÜREN, Teilzeitarbeit und temporäre Arbeit als neue Formen von Dienstleistung im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1971 S. 192 f.; NEF, a.a.O. S. 28 sowie S. 105 ff.). Aus diesem Grund wird die Vermittlung temporärer Arbeit nicht als Arbeitsvermittlung gemäss Art. 9 der Verordnung I zum AVG angesehen (R. VON BÜREN, a.a.O. S. 190; NEF, a.a.O. S. 29/30; WAEBER, a.a.O. S. 97, 101).
c) Das "Try and hire"-System besteht ebenfalls in einer zeitlich beschränkten Überlassung von Arbeitskräften der vermittelnden Organisation an ihre Kunden. Im Unterschied zum System der temporären Arbeit im eigentlichen Sinne lässt es
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die Organisation jedoch zu, dass zwischen dem Kunden und dem Arbeitnehmer für die Zeit nach Ablauf der Temporärarbeit ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Dass eine solche Geschäftstätigkeit, je nach ihrer konkreten Ausgestaltung, Arbeitsvermittlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 VO I zum AVG sein kann, ist deshalb nicht ausgeschlossen. Es muss demzufolge im Einzelfall näher geprüft werden, ob die Merkmale des Mäklervertrages wirklich gegeben seien oder nicht.

2. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz betreibt die Firma X. keine Dauerstellenvermittlung im üblichen Sinn. Sie wendet das erwähnte "Try and hire"-System so an, dass es Kunden und Arbeitnehmer nach Ablauf einer dreimonatigen Vertragsdauer anheimgestellt wird, miteinander direkt einen auf Dauer ausgerichteten Arbeitsvertrag abzuschliessen, ohne dass die Firma X. hiefür eine Konventionalstrafe, Entschädigung oder Vergütung verlangen könnte.
Zwar ergibt sich daraus, dass die Firma X. über den Weg der temporären Arbeitsvermittlung oft Arbeitnehmern, die eine Dauerstelle suchen, und Arbeitgebern, die eine solche Stelle zu besetzen haben, die Möglichkeit zum Abschluss eines Arbeitsvertrages verschafft und insoweit Arbeit vermittelt. Diese Vermittlung von Dauerstellen fiele aber nur dann unter den Begriff der gewerbsmässigen Arbeitsvermittlung im Sinne des AVG, wenn sie entgeltlich wäre. Der Nachweis einer Entlöhnung ist indessen im vorliegenden Fall nicht erbracht. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Kunde, der den Arbeitnehmer nach Ablauf der drei Monate fest übernimmt, der Firma X. dafür keine besondere Entschädigung zu bezahlen; er muss ihr nur das für die dreimonatige Überlassung vereinbarte Entgelt entrichten, gleichgültig, ob ein Arbeitsvertrag zwischen ihm und dem Arbeitnehmer zustandekommt oder nicht. Auch steht fest, dass die Firma X. sowohl die Entlöhnung des Arbeitnehmers während der dreimonatigen Vertragsdauer als auch das vom Kunden für die Überlassung geschuldete Entgelt nach den gleichen Grundsätzen bemisst, die sie bei den Arbeitseinsätzen nach dem System der temporären Arbeit im eigentlichen Sinn anwendet. Es kann somit nicht gesagt werden, sie verlange eine Sonderentschädigung für die Vermittlung einer Dauerstelle, auch nicht in versteckter Form. Der Auffassung der Vorinstanz, dass die "Try and hire"-Anstellung keine gewerbsmässige Arbeitsvermittlung
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ist, wenn die Minimaldauer des temporären Einsatzes zum voraus festgelegt ist und für den allfälligen Übergang von der Temporär- zur Dauerarbeit keine zusätzliche Entschädigung bezahlt wird, ist daher beizupflichten.
Der vorliegende Fall bietet keinen zwingenden Anlass, den Begriff der Arbeitsvermittlung anders als nach den Kriterien des Mäklervertrages auszulegen, um das "Try and hire"-System der Bewilligungspflicht zu unterstellen. Die im AVG geschaffene Ordnung soll vor allem dem Schutz des Arbeitnehmers gegen Ausbeutung dienen (Botschaft des Bundesrates, BBl 1950 II 341, 345, 360). Diese Gefahr besteht hier nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht. Auch gegen die Festlegung einer zeitlichen Mindestdauer von drei Monaten bestehen unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes keine Bedenken.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Dispositiv

Referenzen

Artikel: Art. 7 Abs. 1 AVG, Art. 412 ff. OR, Art. 413 OR