BGE 91 IV 40
 
12. Urteil des Kassationshofes vom 19. März 1965 i.S. Limi gegen Statthalteramt Dielsdorf.
 
Regeste
Art. 1 Abs. 8 VRV, Strassenverzweigung.
Entscheidend ist die Bedeutung, die der Verkehrsweg für den allgemeinen Fahrverkehr hat, nicht, ob er in privatem oder öffentlichem Eigentum steht.
 
Sachverhalt


BGE 91 IV 40 (40):

A.- Die von Regensdorf nordwärts nach Adlikon führende Adlikerstrasse, die 6,5 m breit ist, kreuzt in Regensdorf die Riedthofstrasse. Der von der Kreuzung nach Nordwesten verlaufende Teil der Riedthofstrasse steht im Eigentum der Zivilgemeinde Regensdorf und dient fast ausschliesslich als Zufahrtsstrasse zu dem rund 150 m entfernten Kieswerk Bader; das Strässchen ist auf dieser Strecke noch 4,5 m breit und geteert und geht nach dem Kieswerk als blosser Feldweg weiter.
Limi führte am 3. Juli 1964 einen Lastwagen vom Kieswerk Bader zur Kreuzung Riedthof-/Adlikerstrasse, wo er nach einem kurzen Sicherheitshalt nach links in die Adlikerstrasse einzubiegen begann. Während des Einbiegens hielt er sein Fahrzeug wegen eines aus Richtung Adlikon sich nähernden Personenautos wieder an, das nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte und mit dem Lastwagen zusammenstiess.
B.- Der Einzelrichter des Bezirks Dielsdorf verurteilte Limi am 23. Oktober 1964 wegen Widerhandlung gegen die Art. 36 Abs. 4 SVG, 14 Abs. 1 und 15 Abs. 3 VRV zu einer Busse von Fr. 50.-.


BGE 91 IV 40 (41):

C.- Der Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Einzelrichters aufzuzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Auf Strassenverzweigungen hat, wenn nicht durch Signale etwas anderes angeordnet ist, das von rechts kommende Fahrzeug den Vortritt (Art. 36 Abs. 2 SVG). Als Strassenverzweigung gelten nach Art. 1 Abs. 8 VRV Kreuzungen, Gabelungen oder Einmündungen von Fahrbahnen. Keine Verzweigung liegt dagegen vor beim Zusammentreffen einer Fahrbahn mit Rad- oder Feldwegen, Garage-, Parkplatz-, Fabrik- oder Hofausfahrten usw. (Art. 1 Abs. 8 Satz 2 VRV). Der Benützer eines Feldweges oder einer solchen Ausfahrt ist daher nicht vortrittsberechtigt; er ist vielmehr gleich dem Führer, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen will, verpflichtet, den auf der Strasse verkehrenden Fahrzeugen, gleichgültig, ob sie von rechts oder links kommen, den Vortritt zu gewähren (Art. 36 Abs. 4 SVG, Art. 15 Abs. 3 VRV).
Nach den in Art. 1 Abs. 8 Satz 2 VRV aufgeführten Beispielen stellt das Gesetz nicht auf die Eigentumsverhältnisse an einem Verkehrsweg ab, sondern auf die Bedeutung, die dieser für den allgemeinen Fahrverkehr, insbesondere im Vergleich mit der Strasse, mit der er zusammentrifft, hat. Feldwege haben im Verhältnis zu Strassen keine derartige Verkehrsbedeutung, und ebenso sind Verkehrswege, die nicht für den Durchgangsverkehr, sondern nur dazu bestimmt sind, den Benützern eines Parkplatzes, einer Liegenschaft, einer Fabrik und dergleichen als Zufahrtsweg zu dienen, für den allgemeinen Verkehr von untergeordneter Bedeutung. Es kann denn auch den Benützern von Durchgangsstrassen, wo diese mit Feldwegen und solchen Ausfahrten zusammentreffen, nicht die gleiche Vorsicht zugemutet werden, wie sie bei Verzweigungen von Strassen mit durchgehendem Verkehr geboten ist (BGE 84 IV 35).
2. Im vorliegenden Falle ist nicht entscheidend, dass der von der Adlikerstrasse nach Nordwesten abzweigende Teil der Riedthofstrasse in privatem Eigentum steht. Auch eine dem allgemeinen Verkehr offen stehende Privatstrasse kann von erheblicher Bedeutung sein und daher beim Zusammentreffen

BGE 91 IV 40 (42):

mit einer andern Strasse eine Verzweigung im Sinne des Art. 1 Abs. 8 VRV bilden (BGE 86 IV 189). Umgekehrt schliesst das Merkmal des öffentlichen Eigentums nicht aus, dass ein Verkehrsweg für den allgemeinen Verkehr bedeutungslos ist (BGE 84 IV 34).
Ausschlaggebend ist hier, dass der nordwestliche Abschnitt der Riedthofstrasse nicht für den Durchgangsverkehr bestimmt ist, sondern praktisch ausschliesslich Fahrzeugen dient, die zu dem von der Hauptstrasse 150 m entfernten Kieswerk fahren und von dort zurückkehren. Es handelt sich also um eine Werkausfahrt, deren Verkehrsbedeutung nicht grösser ist als die einer Fabrikausfahrt (Art. 1 Abs. 8 Satz 2 VRV). Dass der Zufahrtsweg zum Kieswerk 4, 5 m breit und geteert ist, ändert an seinem Charakter als Werkzufahrt ohne Durchgangsverkehr nichts. Der Fall Buess (BGE 86 IV 187 ff.), auf dessen Erwägungen sich der Beschwerdeführer beruft, wurde noch unter der Herrschaft des MFG entschieden; es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die dort angestellten Überlegungen noch aufrechterhalten werden könnten, wenn der heute geltende Art. 1 Abs. 8 VRV auf jene Fabrikausfahrt anzuwenden wäre.
Gilt demnach das Zusammentreffen des nordwestlichen Teils der Riedthofstrasse mit der Adlikerstrasse nicht als Verzweigung, so stand dem Beschwerdeführer gegenüber einem auf der Hauptstrasse Verkehrenden kein Vortrittsrecht zu, auch nicht, wenn er im Verhältnis zu diesem von rechts kam. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz war sich der Beschwerdeführer der geringen Verkehrsbedeutung der Zufahrt zum Kieswerk bewusst. Er ist daher zu Recht wegen Widerhandlung gegen Art. 36 Abs. 4 SVG (in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und 15 Abs. 3 VRV) verurteilt worden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.