BGE 87 IV 155
 
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1961 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
Regeste
Art. 21, 118 StGB.
 


BGE 87 IV 155 (155):

Aus den Erwägungen:


BGE 87 IV 155 (156):

Nachdem sie von Dr. M. wusste, dass sie schwanger war, händigte sie B. den Rest ihres Geldes aus, damit dieser von einem Dritten die Adresse eines Arztes, der Abtreibungen vornehme, in Erfahrung bringen konnte. Als es soweit war, liess sie sich zum gesuchten Arzt nach Zürich führen und stellte sich diesem zur Vornahme des Eingriffes. Es ging ihr weder um blosses Ratsuchen noch allein darum, sich von einem zweiten Arzt auf eine allfällige Schwangerschaft untersuchen zu lassen; was sie dem Arzt zu sagen hatte, war nach ihren eigenen Aussagen vielmehr dahin zu verstehen, "das Kind müsse weg". Daraus geht aber hervor, dass sie entschlossen war, sich ihre Frucht abtreiben zu lassen. Wenn ihr Vorhaben scheiterte, so lag dies nicht in ihrem Willen, sondern war ausschliesslich einem äussern Umstande, nämlich der Weigerung des Arztes, den Eingriff vorzunehmen, zuzuschreiben.
In BGE 74 IV 134 ist zwar ausgeführt worden, auch wenn die Schwangere fest entschlossen gewesen sein möge, die Leibesfrucht abtreiben zu lassen, so könne doch nicht gesagt werden, dass es für eine Frau, die sich mit einem solchen Entschluss erstmals in der Wohnung eines Arztes oder bei einer andern ihr nicht bekannten Person meldet, normalerweise kein Zurück mehr gebe; selbst für den Fall, dass die angegangene Person grundsätzlich gegenüber jedermann zur Begehung des Verbrechens bereit sei, werde der ersten Fühlungnahme die Abtreibung in der Regel nicht auf dem Fusse folgen, sondern zuerst Zeit und Ort der Tat vereinbart werden, sodass der Schwangeren genügend Musse bleibe, auf ihren Entschluss zurückzukommen. Den letzten entscheidenden Schritt tue sie somit erst, wenn sie unter Umständen, die eine ungehinderte und ununterbrochene Verwirklichung ihrer Absicht voraussehen liessen, sich dem Abtreiber zur Vornahme des verbrecherischen Eingriffes stelle.
An dieser Auffassung kann nach den hiervor angeführten Kriterien des strafbaren Versuchs nicht ohne Einschränkung

BGE 87 IV 155 (157):

festgehalten werden. Denn wenn sich die Schwangere zur Abtreibung entschlossen hat und mit diesem Entschlusse zwecks Vornahme des Eingriffes den Arzt oder eine andere ihr hiefür genannte Person aufsucht, so steht sie normalerweise nicht mehr aus eigenem Antrieb von ihrem Vorhaben ab; vielmehr kann dieses nur noch durch äussere Hindernisse oder Schwierigkeiten in Frage gestellt werden. Ein bloss äusserer Umstand ist es aber, wenn sich die angegangene Person zum Eingriff nicht bereit findet, sei es, dass sie ihn überhaupt ablehnt, sei es, dass sie ihn nicht ohne weiteres und unverzüglich vornehmen will. Indem sich die Schwangere zum Abtreiber begibt, um sich der Leibesfrucht zu entledigen, tut sie, besondere Verhältnisse vorbehalten, den nach ihrer Vorstellung letzten entscheidenden Schritt zum Erfolg; die Schwelle der Wohnung oder des Besuchsraumes des Abtreibers ist in diesem Fall für sie zugleich die Schwelle von der Vorbereitung zur Ausführung der Straftat. So war es auch hier, als sich Pia X. zu Dr. F. in Zürich führen liess, damit er ihr die Frucht abtreibe; die Verwirklichung ihrer Absicht ist nur daran gescheitert, dass Dr. F. den Eingriff verweigerte.