BGE 80 IV 171
 
35. Urteil des Kassationsbofes vom 8. Juli 1954 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.
 
Regeste
Art. 191 Ziff. 1 StGB.
 
Sachverhalt


BGE 80 IV 171 (171):

A.- B. forderte am 14. September 1953 R. B., geb. 1941, auf, sich mit ihm in das Pissoir eines Schulhauses zu begeben. Dort zog er dem Knaben die Hose aus, kniete nieder und nahm den Geschlechtsteil R. B. s in den Mund.
Wegen dieser als beischlafsähnlich im Sinne des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB gewürdigten und wegen anderer Handlungen erklärte das Obergericht des Kantons Solothurn B. am 10. Februar 1954 der Unzucht mit Kindern schuldig und verurteilte ihn zu zehn Monaten Gefängnis und zwei Jahren Wirtshausverbot.
B.- B. führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er macht geltend, die Doktrin nehme Beischlafsähnlichkeit nur an, wenn eine zum Zwecke der widernatürlichen Befriedigung

BGE 80 IV 171 (172):

des Geschlechtstriebes begangene, dem natürlichen Beischlaf ähnliche Handlung vorliege. Der Täter müsse also eine Handlung vorgenommen haben, die auf die Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebes hinzielte. Indem der Beschwerdeführer das Glied des Knaben in den Mund genommen habe, habe er keine Handlung begangen, die für ihn selber dem Beischlaf ähnlich gewesen sei. Es verhalte sich anders, als wenn der Täter das eigene Glied in eine Körperöffnung des Opfers einführe. Die Tat gegenüber R. B. sei eine "andere unzüchtige Handlung" im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 StGB, also milder zu bestrafen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ist strafbar, "wer ein Kind unter sechzehn Jahren zum Beischlaf oder zu einer ähnlichen Handlung missbraucht".
Diese Bestimmung setzt weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinne voraus, dass der Täter sich wie ein Beischläfer verhalte, d.h. die beim natürlichen Beischlaf dem Manne zukommende aktive Rolle spiele. Sie verlangt bloss den Missbrauch des Kindes zum Beischlaf oder einer dem Beischlaf ähnlichen Handlung, nämlich die vom Täter veranlasste Teilnahme eines Kindes an einem Beischlaf oder einer ihm nachgebildeten Handlung. Es wäre denn auch sonderbar, wenn die Frau, die sich einem Knaben zum Beischlaf oder einer ähnlichen Handlung hingibt, nicht nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1, sondern nur nach der milderen Bestimmung der Ziffer 2 dieses Artikels zu bestrafen wäre, bloss weil sie im biologischen Sinne die passive Rolle gespielt hat. Es fehlt jeder Anhaltspunkt, dass das Gesetz den vollen Schutz des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 nur den Mädchen, nicht auch den Knaben zukommen lassen wolle; die sittliche Entwicklung der letztern kann unter der vorzeitigen Ausübung des Geschlechtsaktes in gleicher Weise leiden wie der Missbrauch eines Mädchens zu solchem Verhalten. Es kann sodann auch keinen Unterschied ausmachen, wenn die Person, die

BGE 80 IV 171 (173):

einem Knaben zur Vornahme einer beischlafsähnlichen Handlung Gelegenheit gibt, ja ihn dazu veranlasst, statt eine Frau ein Mann ist; auch diese Tat ist Missbrauch eines Kindes zu einem Akt, vor dem das Gesetz die Kinder mit der vollen Strenge schützen will. Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB frägt auch nicht darnach, ob bloss der Täter oder auch das Opfer am Beischlaf oder einer ähnlichen Handlung geschlechtlichen Genuss finde; die Bestimmung will nicht bloss anwendbar sein, wenn das Kind, spiele es im biologischen Sinne die passive oder die aktive Rolle, bei der Handlung Lustgefühle empfindet. Wer ein Mädchen zum Beischlaf oder einer ähnlichen Handlung missbraucht, vergeht sich nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 auch dann, wenn es dabei kalt bleibt, ja Abneigung empfindet. Folglich kann auch nichts darauf ankommen, welche Gefühle ein Knabe in der Rolle des Opfers hat. Daher sieht die Rechtsprechung des Kassationshofes eine dem Beischlaf ähnliche Handlung nicht nur z.B. in der Einführung des Geschlechtsgliedes des Täters in den Mund eines Kindes (BGE 76 IV 108), sondern auch in der Einführung des Gliedes des Knaben in den Mund des Täters (nicht veröffentlichte Urteile vom 3. November 1950 i.S. H. und vom 18. September 1951 in Sachen Z.). Daran ist festzuhalten.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.