Urteilskopf

146 III 194


22. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. C. AG gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_180/2020 vom 6. Juli 2020

Regeste

Art. 228 ff. ZPO; Hauptverhandlung; Videokonferenz.
Die Parteien haben Anspruch auf rechtskonforme Abhaltung der Hauptverhandlung, soweit sie nicht gemeinsam auf eine solche verzichten. Es fehlt im Anwendungsbereich der ZPO an einer rechtlichen Grundlage, die Hauptverhandlung ohne Einverständnis aller Parteien im Rahmen einer Videokonferenz durchzuführen (E. 3). Hinweis auf die in casu nicht anwendbare Verordnung vom 16. April 2020 über Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht) (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 195

BGE 146 III 194 S. 195
Mit Klage vom 28. Mai 2018 leitete A. (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ein Verfahren gegen die C. AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) beim Handelsgericht des Kantons Zürich ein. Sie beantragte die Aushändigung von Namenaktien beziehungsweise eines Zertifikats über das Eigentum an Namenaktien der C. AG.
Nach Durchführung einer Vergleichsverhandlung, anlässlich welcher keine Einigung erzielt wurde, reichten die Parteien Replik und Duplik sowie (die Klägerin) eine weitere Stellungnahme ein. Mit Eingabe vom 31. Januar 2020 teilte die C. AG mit, dass sie die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verlange. Am 20. Februar 2020 wurden die Parteien zur Hauptverhandlung vom 7. April 2020 vorgeladen.
Mit Schreiben vom 24. März 2020 gab die Vizepräsidentin des Handelsgerichts bekannt, dass die Hauptverhandlung im Rahmen einer Videokonferenz stattfinden werde. Sie hielt die "Vertreter und Parteien, die an der Hauptverhandlung von ihrem jeweiligen Standort aus teilnehmen", an, auf deren Mobiltelefonen die "Gratisapp 'ZOOM Cloud Meetings'" zu installieren, sich zu registrieren und dem Handelsgericht bis am 31. März 2020 schriftlich die Mobiltelefonnummern mitzuteilen. Sollte - so die Vizepräsidentin weiter - diese Mitteilung unterbleiben, werde "bezüglich der Hauptverhandlung" von Säumnis ausgegangen. Einige Tage vor der Verhandlung werde das Handelsgericht mit den beteiligten Anwälten einen kurzen Test beziehungsweise eine Instruktion durchführen. Allfällige Plädoyernotizen
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seien zu Beginn der Verhandlung per E-Mail an den zuständigen Gerichtsschreiber, an den Instruktionsrichter sowie an die Gegenpartei zu senden. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, nachträglich noch auf die Durchführung der Hauptverhandlung zu verzichten.
Am 30. März 2020 ersuchte die C. AG um Absage und Verschiebung der Hauptverhandlung vom 7. April 2020. Sie erklärte, mit der Durchführung der mündlichen Hauptverhandlung via Videokonferenz nicht einverstanden zu sein. Dieses Gesuch wurde mit Verfügung vom 1. April 2020 abgewiesen. Mit Eingabe vom 6. April 2020 legte die C. AG ihren Standpunkt nochmals dar und ersuchte um "Vorladung zu einer gesetzeskonformen Durchführung der mündlichen Hauptverhandlung".
Am 7. April 2020 fand die Hauptverhandlung im Rahmen einer Videokonferenz statt. Die C. AG (beziehungsweise deren Vertretung) blieb unentschuldigt fern beziehungsweise nahm an der Videokonferenz nicht teil.
Mit Urteil vom 7. April 2020 hiess das Handelsgericht die Klage vollumfänglich gut.
Dagegen erhob die C. AG Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Die Prozessleitung obliegt dem Gericht (vgl. Art. 124 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Wohl ist die Art der Verfahrensleitung in vielen Punkten richterliche Ermessenssache (siehe BGE 140 III 159 E. 4.2 S. 162). Dabei steht aber ausser Frage, dass die rechtlichen Vorgaben und insbesondere die prozessualen Formen einzuhalten sind. Letztere sind unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten (vgl. BGE 142 I 10 E. 2.4.2 S. 11; BGE 134 II 244 E. 2.4.2 S. 248; siehe auch Urteil 5A_253/2013 vom 12. August 2013 E. 3.2).
Das hier streitige Verfahren vor dem Handelsgericht richtet sich nach den Vorgaben der Zivilprozessordnung, an die sich die Verfahrensleitung halten musste. Danach besteht ein Anspruch auf rechtskonforme Abhaltung der Hauptverhandlung, soweit die Parteien nicht
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gemeinsam auf eine solche verzichten (Art. 233 ZPO; BGE 140 III 450 E. 3.2 f.; Urteil 4A_479/2015 vom 2. Februar 2016 E. 5.2 mit Hinweis). Vorliegend hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verlangt.
Folglich ist zu prüfen, ob die Vizepräsidentin des Handelsgerichts aufgrund der Zivilprozessordnung befugt war, verbindlich und auch ohne das Einverständnis beider Parteien anzuordnen, dass die Hauptverhandlung im Rahmen einer Videokonferenz mittels "ZOOM Cloud Meetings" durchgeführt werde.

3.2 Die Zivilprozessordnung regelt die Hauptverhandlung in den Art. 228 ff. Bestandteil dieser Verfahrensphase sind - nach dem "Beginn der Hauptverhandlung" (vgl. Art. 229 Abs. 2 ZPO) - grundsätzlich die ersten Parteivorträge (Art. 228 ZPO), die Beweisabnahme (Art. 231 ZPO) und die Schlussvorträge (Art. 232 ZPO). Dabei setzt das Gesetz die physische Anwesenheit der vorgeladenen Personen und der Gerichtsmitglieder am gleichen Ort als selbstverständlich voraus (siehe auch BOHNET/MARIOT, La vidéoconférence et le projet de révision du CPC, SZZP 2020 S. 185; dieselben, COVID-19 et oralité en procédure civile, Justice - Justiz - Giustizia 2020/2 Rz. 20 f.; BEAT BRÄNDLI, Prozessökonomie im schweizerischen Recht, 2013, S. 199 Rz. 430; anders FRANÇOISE BASTONS BULLETTI, Crise du Covid-19 et évolution des audiences en procédure civile, Justice - Justiz - Giustizia 2020/2 Rz. 10; DANIEL KETTIGER, Gerichtsverhandlungen, Anhörungen und Einvernahmen mittels Videokonferenz, Jusletter 4. Mai 2020 Rz. 8). Dies ergibt sich etwa aus den Bestimmungen, welche das Erscheinen an der Hauptverhandlung und daran geknüpfte Säumnisfolgen regeln (siehe etwa Art. 133 lit. d, Art. 134 f., Art. 147 Abs. 1 ZPO; in den anderen Amtssprachen: la "comparution", la "comparizione"). Zuweilen wird ein persönliches Erscheinen gefordert und eine Dispensation namentlich wegen Alter sowie Krankheit erlaubt (siehe Art. 273 Abs. 2 und Art. 278 ZPO; vgl. ferner Art. 68 Abs. 4 ZPO). Gemäss Art. 231 ZPO nimmt das Gericht anlässlich der Hauptverhandlung die Beweise ab, so beispielsweise das Zeugnis. Dabei kann das Gericht den Parteien gestatten, Zeugen ohne Vorladung mitzubringen (Art. 170 Abs. 2 ZPO; "amener des témoins", "presentarsi con testimoni"). Art. 170 Abs. 3 ZPO ermöglicht die Befragung am Aufenthaltsort des Zeugen, womit gleichzeitig gesagt ist, dass die Befragung im Grundsatz und ohne eine solche Anordnung am Ort der Hauptverhandlung - prinzipiell im Gerichtsaal, jedenfalls in physischer Anwesenheit der
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Verfahrensbeteiligten - stattfindet (vgl. LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2016, S. 262 Rz. 9.87; SVEN RÜETSCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 11 zu Art. 170 ZPO; siehe sodann auch Art. 171 und Art. 174 ZPO). Der Gegenstand des Augenscheins ist einzureichen, wenn er ohne Nachteil vor Gericht gebracht werden kann (Art. 181 Abs. 3 ZPO). Nach Art. 239 Abs. 1 lit. a ZPO kann das Gericht seinen Entscheid ohne schriftliche Begründung in der Hauptverhandlung durch Übergabe des schriftlichen Dispositivs an die Parteien mit kurzer mündlicher Begründung eröffnen. Auch dies setzt voraus, dass die Parteien physisch anwesend sind (Urteil 5A_253/2013 vom 12. August 2013 E. 3.2).
Die Zivilprozessordnung konzipiert die Hauptverhandlung mithin als mündliche Verhandlung im Gerichtssaal bei physischer Anwesenheit der Parteien und der Gerichtsmitglieder.

3.3 Der Gesetzgeber hat beim Erlass der Zivilprozessordnung den elektronischen Kommunikationsformen Rechnung getragen:

3.3.1 In seiner Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (nachfolgend: Botschaft ZPO), BBl 2006 7252 Ziff. 4.2, stellte der Bundesrat ausgeprägte internationale "Bemühungen um Rechtsverkehr auf elektronischem Weg" fest. Der Entwurf der Zivilprozessordnung nehme - so heisst es in der Botschaft - diese "Tendenz" auf und setze "die erforderlichen Leitplanken für die weitere Entwicklung". Der Bundesrat bezog sich auch ausführlich auf den (damaligen) Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen. Er wies darauf hin, dass dieser Vorschlag die Zustellung von Schriftstücken per E-Mail und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mittels "Audio-, Video- oder E-Mail-Konferenz" erlaube (Botschaft ZPO, BBl 2006 7251 Ziff. 4.2). Diese Möglichkeiten hat der Gesetzgeber also bedacht, dann aber nicht in die Zivilprozessordnung aufgenommen; sie sind in der Schweiz nicht Gesetz geworden.

3.3.2 Die Zivilprozessordnung sieht im Kapitel betreffend die Formen prozessualen Handelns (Art. 129 ff. ZPO) vor, dass Eingaben der Parteien dem Gericht in Papierform oder elektronisch einzureichen sind (Art. 130 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei elektronischer Einreichung muss die Eingabe mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 2016 über die elektronische
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Signatur (ZertES; SR 943.03) versehen werden (Art. 130 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sodann kann das Gericht mit dem Einverständnis der betroffenen Person Vorladungen, Verfügungen und Entscheide elektronisch zustellen. Auch diese sind mit einer elektronischen Signatur zu versehen (Art. 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Gesetz setzt damit ausdrücklich das Einverständnis voraus und verlangt nicht, dass eine Partei auf elektronischem Weg erreichbar sein muss (siehe auch NINA J. FREI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 8 zu Art. 139 ZPO; JULIA GSCHWEND, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 1 zu Art. 139 ZPO).
In beiden Fällen - Eingaben der Parteien und gerichtliche Zustellungen - ist es dem Bundesrat gesetzlich aufgegeben, die Modalitäten des elektronischen Verkehrs zu regeln (Art. 130 Abs. 2 Satz 2 und Art. 139 Abs. 2 ZPO). Entsprechend hat der Bundesrat die Verordnung vom 18. Juni 2010 über die elektronische Übermittlung im Rahmen von Zivil- und Strafprozessen sowie von Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren (VeÜ-ZSSV; SR 272.1) erlassen. Diese Verordnung regelt in Art. 2 beispielsweise die Voraussetzungen, unter denen eine Plattform für die sichere Zustellung anerkannt wird.
Ferner ist auf Art. 235 ZPO hinzuweisen: Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung führt das Gericht über jede Verhandlung Protokoll. Abs. 2 ermöglicht die (zusätzliche) Aufzeichnung auf Video (oder andere geeignete technische Hilfsmittel; vgl. auch Art. 176 Abs. 2 ZPO).

3.3.3 Gemäss Art. 401 Abs. 1 ZPO können die Kantone Pilotprojekte durchführen. Dabei hatte der Bundesrat in erster Linie die "elektronischen Kommunikationsformen" und die "Möglichkeiten des Internets" vor Augen. Die Kantone sollten "alternative oder noch einfachere Verfahrensformen" austesten können (Botschaft ZPO, BBl 2006 7240 Ziff. 3.1). Solche Pilotversuche bedürfen der Genehmigung des Bundesrats (Art. 401 Abs. 1 ZPO), der die Zuständigkeit für die Genehmigung dem Bundesamt für Justiz übertragen kann (Art. 401 Abs. 2 ZPO).

3.4 Der Bundesrat regt im Rahmen seines Entwurfs vom 26. Februar 2020 betreffend die Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung) an, die Einvernahmen von Zeugen, die Erstattung von Gutachten sowie die Parteibefragungen und Beweisaussagen "neu"
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mittels Videokonferenz möglich zu machen (vgl. Art. 170a, Art. 187 Abs. 1 Satz 3, Art. 187 Abs. 2 und Art. 193 E-ZPO [BBl 2020 2789 f.]). Er sieht angesichts der "stetig zunehmenden technischen Möglichkeiten und ihrer Verbreitung sowie der parallel zunehmenden Internationalität fast sämtlicher Lebensbereiche und damit auch der an einem Zivilverfahren beteiligten Personen" Bedarf für eine solche Regelung. Ein spezifisches Bedürfnis dafür bestehe insbesondere im Zusammenhang mit den laufenden Bestrebungen zur Positionierung der Schweiz als internationaler Justizplatz (Botschaft vom 26. Februar 2020 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung [Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung], BBl 2020 2718 f. Ziff. 4.1.6 und 2750 zu Art. 170a).

3.5 Die Durchführung einer Hauptverhandlung in Form einer Videokonferenz wirft verschiedene rechtliche und praktische Fragen auf; dies jedenfalls dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten - wie vorliegend - "von ihrem jeweiligen Standort aus über ihre Mobiltelefone" teilnehmen sollen. So fragt sich, wie die Öffentlichkeit des Verfahrens (Art. 54 ZPO) sichergestellt wird und wie die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten gewahrt werden können. Es sind datenschutz- und datensicherheitsrechtliche Vorgaben zu beachten. Ferner werden sich säumnisrechtliche Fragen stellen, wenn die Videokonferenz nicht zustande kommt oder die technische Verbindung abbricht (oder - was davon nicht immer unterscheidbar sein dürfte - von einem Teilnehmer absichtlich abgebrochen wird; vgl. Art. 234 ZPO). Hält sich eine Partei im Ausland auf, sind rechtshilferechtliche Bestimmungen einzuhalten. Auch ist diskutiert worden, wie sich die Durchführung einer Verhandlung mittels Videokonferenz zum Anspruch der Parteien auf gleiche und gerechte Behandlung (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK [droit à un procès équitable]) und zum "Unmittelbarkeitsprinzip" verhält (siehe BOHNET/MARIOT, a.a.O., S. 183-185 und S. 192 f.; KETTIGER, a.a.O., Rz. 9 f.).

3.6 Es erübrigt sich, darauf im Einzelnen einzugehen. Entscheidend ist, dass die Zivilprozessordnung den Einsatz technischer Hilfsmittel - dort, wo dies der Gesetzgeber als sinnvoll erachtete - vorsieht und regelt. Sie bietet dagegen keine Handhabe, eine Partei zur Teilnahme an einer via Videokonferenz durchgeführten Hauptverhandlung zu verpflichten. Vielmehr setzt sie - wie erwähnt - für die elektronische Kommunikation mit den Parteien grundsätzlich deren Einverständnis voraus. Die zivilprozessrechtliche Grundlage für die
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Abnahme gewisser Beweise mittels Videokonferenz soll erst geschaffen werden. Es geht nicht an, dieser gesetzgeberischen Entwicklung unter Hinweis auf ein nicht näher bestimmtes "Richterrecht" vorzugreifen. Der Umstand, dass es offenbar schwierig war, einen Termin für die Hauptverhandlung zu finden, ändert daran nichts. Gleiches gilt in Bezug auf das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot (Art. 29 Abs. 1 BV). Dieses gibt zwar einen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist, schafft aber keine Verfahrensformen, die gesetzlich nicht vorgesehen sind (siehe auch vorstehende E. 3.1).

3.7 De lege lata ist das Mittel der Videokonferenz in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehen. Das Vorgehen der Vizepräsidentin des Handelsgerichts entbehrt mithin der gesetzlichen Grundlage.

4.

4.1 Weiter ist zu untersuchen, ob die "Pandemie-Notlage", auf welche die Vizepräsidentin des Handelsgerichts in ihrem Schreiben vom 24. März 2020 verwies, die Anordnung zu stützen vermag:

4.2 Mit Verordnung vom 20. März 2020 über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) (SR 173.110.4) hat der Bundesrat in Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 was folgt angeordnet:
1 Soweit nach dem anwendbaren Verfahrensrecht des Bundes oder des Kantons gesetzliche oder von den Behörden oder Gerichten angeordnete Fristen über die Ostertage stillstehen, beginnt dieser Stillstand mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung und dauert bis und mit dem 19. April 2020.
2 Die Wirkungen des Stillstands richten sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht.
Diese Verordnung trat am 21. März 2020 in Kraft und galt bis zum 19. April 2020. Im Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung finden während des Fristenstillstands keine Gerichtsverhandlungen statt, es sei denn, die Parteien seien einverstanden (Art. 146 Abs. 2 ZPO).
Die Hauptverhandlung fand am 7. April 2020 statt. Da sich die Parteien einverstanden erklärt hatten, an diesem Tag - der unabhängig von der bundesrätlichen Verordnung in den Gerichtsferien über die Ostertage lag - eine Hauptverhandlung durchzuführen, blieb die Verordnung im vorliegenden Verfahren ohne unmittelbare Auswirkung.
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4.3 Am 20. April 2020 - mithin nach der vorliegend strittigen Hauptverhandlung - trat die bundesrätliche Verordnung vom 16. April 2020 über Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht; SR 272.81) in Kraft. Diese hält in Art. 2 fest:
1 In Abweichung von Artikel 54 der Zivilprozessordnung (ZPO) können Verhandlungen mittels Videokonferenz durchgeführt werden, wenn die Parteien damit einverstanden sind oder wichtige Gründe vorliegen, insbesondere Dringlichkeit.
2 In Abweichung von den Artikeln 171, 174, 176 und 187 ZPO können Einvernahmen von Zeuginnen und Zeugen und die Erstattung von Gutachten durch sachverständige Personen mittels Videokonferenz durchgeführt werden.
3 In Abweichung von Artikel 54 ZPO kann bei Videokonferenzen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, mit Ausnahme der akkreditierten Medienschaffenden. Berechtigten Personen wird der Zugang auf Gesuch hin gewährt.
In Art. 4 verordnete der Bundesrat unter der Marginalie "Grundsätze für den Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen":
Beim Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen ist sicherzustellen, dass:
a. die Übertragung von Ton und gegebenenfalls Bild zwischen sämtlichen beteiligten Personen zeitgleich erfolgt;
b. bei Einvernahmen gemäss Artikel 2 Absatz 2 und Anhörungen gemäss Artikel 3 eine Aufzeichnung von Ton und gegebenenfalls Bild erfolgt und diese zu den Akten genommen wird; und
c. der Datenschutz und die Datensicherheit gewährleistet sind.
Den zu dieser Verordnung publizierten Erläuterungen vom 16. April 2020 des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements lässt sich entnehmen, dass der Bundesrat die "Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz" anstrebte. Er führte aus, dass laufende Verfahren "nach Massgabe des anwendbaren Verfahrensrechts" weitergeführt und daher "insbesondere auch Verhandlungen und Einvernahmen durchgeführt" werden sollten (S. 2). Seit dem 16. März 2020 "teilweise beschlossene generelle oder weitgehende Verhandlungsstopps" könnten nur eine "vorübergehende Ausnahme" sein, was "jedenfalls nach Ende der Gerichtsferien ab dem 20. April 2020" gelte (S. 4).
Zu den in Art. 2 vorgesehenen Videokonferenzen erwog der Bundesrat, dieses technische Hilfsmittel könne eingesetzt werden, wenn die Durchführung einer Verhandlung mit gleichzeitiger physischer
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Anwesenheit des Gerichts und der Parteien unter Einhaltung der Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit "im Einzelfall nicht möglich" sei (S. 4). Jedenfalls sei der Einsatz von Videokonferenz-Lösungen für Verhandlungen auch "notrechtlich" die Ausnahme (S. 5).

4.4 Die vom Bundesrat am 16. März 2020 erklärte ausserordentliche Lage hat hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Justiz mit den Verordnungen vom 20. März 2020 und vom 16. April 2020 eine rechtliche Regelung erfahren. Zur Verfassungs- und Gesetzeskonformität dieser Verordnungen - die sich ausweislich ihrer Ingresse auf Art. 185 Abs. 3 BV, den bundesrätlichen Erläuterungen (S. 3) zufolge "evtl. auch auf Art. 184 Abs. 3 BV" stützen - braucht sich das Bundesgericht in diesem Verfahren nicht zu äussern; die COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht ist erst nach der strittigen vorinstanzlichen Hauptverhandlung in Kraft getreten. Sie scheidet somit als rechtliche Grundlage für die auf den 7. April 2020 angeordnete Videokonferenz aus.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 140 III 159, 142 I 10, 134 II 244, 140 III 450

Artikel: Art. 228 ff. ZPO, Art. 231 ZPO, Art. 139 ZPO, Art. 401 Abs. 1 ZPO mehr...