BGE 146 III 1
 
1. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_984/2018 vom 7. Januar 2020
 
Regeste
Art. 519 ZGB; Ungültigkeitsklage; Anordnung der Willensvollstreckung; Sachlegitimation.
 
Sachverhalt


BGE 146 III 1 (1):

C. schloss 2011 mit ihren drei Kindern A., D. und E. einen Erbvertrag. Sie setzte darin und in ihrem Testament vom Mai 2014 B. als Willensvollstrecker ein. Im Juni 2014 starb C. (Erblasserin).
A. (Beschwerdeführer) stellte im Juli 2015 ein Schlichtungsgesuch gegen B. (Beschwerdegegner) und gegen seine beiden Geschwister betreffend Absetzung des Beschwerdegegners als Willensvollstrecker. Eine Einigung kam nicht zustande. Am 31. Dezember 2015 klagte der Beschwerdeführer einzig gegen den Beschwerdegegner. Er beantragte, den Beschwerdegegner als Willensvollstrecker abzusetzen und die letztwillig angeordnete Willensvollstreckung aufzuheben.


BGE 146 III 1 (2):

Die kantonalen Gerichte wiesen die Klage ab. Sie verneinten die Passivlegitimation des Beschwerdegegners mit der Begründung, die Klage richte sich einzig gegen den Beschwerdegegner als Willensvollstrecker, hätte sich aber nach dem Grundsatz der sog. unteilbaren Einheit der Willensvollstreckerklausel zusätzlich gegen alle aus der letztwilligen Verfügung Begünstigten richten müssen.
Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht, den kantonal letztinstanzlichen Entscheid aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Erstinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 4
4.1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt (Art. 519 Abs. 1 und Art. 520 Abs. 1 ZGB). Ausnahmsweise und hier nicht bestehende Nichtigkeit vorbehalten (BGE 129 III 580 E. 1 und 2 S. 581 f.; BGE 132 III 315 E. 2.2 S. 320), bleibt eine Verfügung von Todes wegen folglich wirksam, solange sie nicht angefochten und gerichtlich für ungültig erklärt wird (BGE 86 II 340 E. 5 S. 344; BGE 143 III 369 E. 2.1 S. 370). Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde (Art. 519 Abs. 2 und Art. 520 Abs. 3 ZGB). Sie ist gegen die Personen zu richten, die aus der ungültigen Verfügung zum Nachteil des Klägers Vorteile erbrechtlicher Art ziehen (BGE 96 II 79 E. 9b S. 99). Wird die letztwillige Anordnung der Willensvollstreckung angefochten, ist der Willensvollstrecker passivlegitimiert (BGE 44 II 107 E. 2 S. 114; 51 II 49 E. 3 S. 54; BGE 85 II 597 E. 3 S. 601; BGE 103 II 84 E. 1 S. 85).
 
Erwägung 4.2
4.2.2 Daraus folgt, dass der Ungültigkeitskläger nicht verpflichtet ist, alle Personen einzuklagen, die aus der angefochtenen Verfügung

BGE 146 III 1 (3):

von Todes wegen erbrechtliche Vorteile ziehen (BGE 57 II 150 E. 2 S. 152). Es besteht weder für Klagende noch für Beklagte eine notwendige Streitgenossenschaft (BGE 136 III 123 E. 4.4.1 S. 127; Urteil 5A_763/2018 vom 1. Juli 2019 E. 8.3.1.3). Von der Regel, dass der Einbezug aller an der Ungültigkeit einer Verfügung von Todes wegen oder an deren Aufrechterhaltung erbrechtlich Interessierten in das Klageverfahren nicht notwendig ist, macht die Rechtsprechung dann eine Ausnahme, wenn der Gegenstand der angefochtenen Verfügung von Todes wegen eine unteilbare Einheit bildet und deshalb die Ungültigerklärung der Verfügung von Todes wegen zwingend mit Wirkung für und gegen alle Interessierten erfolgen muss (BGE 97 II 201 E. 3 S. 205 mit Hinweis auf BGE 89 II 429).
4.2.3 Mit der auf die Prozessparteien beschränkten Urteilswirkung im Sinne der Rechtsprechung ist die Rechtskraft gemeint, wonach durch die Gutheissung der Ungültigkeitsklage die angefochtene Verfügung von Todes wegen nicht in ihrer Gesamtheit, sondern nur in Bezug auf die Zuwendungen an die Beklagten aufgehoben wird (BGE 44 II 107 E. 2 S. 116/117). Zur Begründung dieser Urteilswirkung hat die Rechtsprechung später zusätzlich angefügt, im Unterschied etwa zu Klagen, die den Familienstand betreffen, komme bei der Klage auf Ungültigerklärung eines Testaments kein öffentliches Interesse in Betracht, das verlangen würde, dass das die Klage gutheissende Urteil gegenüber jedermann wirke (BGE 81 II 33 E. 3 S. 36). Damit wird freilich nicht ausgeschlossen, dass die nur im Verhältnis der Prozessparteien wirkende Ungültigerklärung einer Verfügung von Todes wegen auch für Dritte von Bedeutung sein kann. Im erwähnten BGE 44 II 107 selber hat das Bundesgericht die Verbindlichkeit des Ungültigkeitsurteils für am Prozess nicht beteiligte Vermächtnisnehmer erwähnt. Gerade weil zu deren Gunsten lautende Vermächtnisse unangefochten blieben und damit gültig waren, wurde die selbstständige Klage gegen die beiden Willensvollstrecker auf Ungültigerklärung ihrer Ernennung zugelassen, damit sich die Willensvollstrecker nicht unter Berufung auf ihre Berechtigung und Verpflichtung zur Ausführung des noch verbleibenden Teils des letzten Willens in die Nachlassliquidation einmischen können (BGE 44 II 107 E. 2 S. 117). Das von einem Erben gegen die Willensvollstrecker erstrittene Gerichtsurteil, mit dem die letztwillige Anordnung der Willensvollstreckung für ungültig erklärt wird, schliesst folglich ein Handeln der Willensvollstrecker nicht bloss gegenüber dem Kläger, sondern auch im Verhältnis zu allen anderen am Prozess nicht als Parteien beteiligten Erben und Bedachten aus.


BGE 146 III 1 (4):

4.3 Die Lehre ist sich einig, dass die Ungültigkeitsklage den Einbezug aller erbrechtlich Interessierten als notwendige Streitgenossen in der Regel nicht voraussetzt (E. 4.2.2 oben). Schwierigkeiten bereitet einem Teil der Lehre hingegen die bundesgerichtliche Formulierung, wonach das Urteil nur zwischen den Prozessparteien wirkt (E. 4.2.3 oben). Anerkannt wird dabei, dass das Urteil nur die Verfügung von Todes wegen für ungültig erklären kann, die gerichtlich angefochten und zwischen den Prozessparteien streitig ist. Ergänzt und hervorgehoben wird hingegen, dass das Urteil auch für Dritte gilt, soweit die im Verhältnis zwischen den Parteien eingetretene Rechtsänderung für sie von Bedeutung ist (MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 382 f. Anm. 80b; PAUL PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, SPR Bd. IV/1, 1978, S. 274 f. mit Hinweisen; und ihm folgend insbesondere DENIS PIOTET, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. II, 2016, N. 42 zu Art. 519/520 ZGB mit Hinweisen).
Damit übereinstimmend wird im besonderen Fall der Klage, die letztwillige Anordnung der Willensvollstreckung für ungültig zu erklären, die Auffassung vertreten, dass die Gutheissung der Ungültigkeitsklage auch nur eines Miterben gegen den Willensvollstrecker dessen Einsetzung dahinfallen lässt und dass diese Rechtsgestaltung von jedermann, auch von den am Verfahren nicht beteiligten Erben zu beachten ist (BENEDIKT SEILER, Die erbrechtliche Ungültigkeit, 2017, S. 146 ff.). Zum gleichen Ergebnis dürften die Autoren gelangen, die eine Erga omnes-Wirkung des Urteils fordern, wenn sich die Ungültigkeitsklage eines einzigen Miterben ausschliesslich gegen die Einsetzung des Willensvollstreckers richtet (SUTTER-SOMM/CHEVALIER, Die prozessualen Befugnisse des Willensvollstreckers, successio 2007 S. 20 ff., S. 22 Ziff. III/1b; so wohl auch PETER TUOR, Berner Kommentar, 1952, N. 6b der Vorbemerkungen zu Art. 519-521 ZGB), und keine andere Lösung dürfte aus Lehrmeinungen folgen, wonach der Willensvollstrecker allein passivlegitimiert ist, wenn mit der Ungültigkeitsklage einzig die Anordnung der Willensvollstreckung angefochten wird (GIUSEPPE TORRICELLI, L'esecutore testamentario in diritto svizzero, 1953, S. 203; GRÉGOIRE PILLER, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. II, 2016, N. 144 zu Art. 518 ZGB mit Hinweisen).
In der Lehre, die das Kantonsgericht dagegen anruft, wird ein Gleichlauf bzw. eine gegenseitige Bedingtheit von Sachlegitimation und Urteilswirkung im Fall der Ungültigkeitsklage gegen die letztwillige Anordnung der Willensvollstreckung befürwortet. Weil eine bloss

BGE 146 III 1 (5):

"anteilsmässige" Absetzung des Willensvollstreckers mit Wirkung nur gegenüber dem Kläger nicht denkbar ist, muss die Ungültigkeitsklage eines einzelnen Miterben - in Anwendung der Rechtsprechung zur unteilbaren Einheit - sowohl gegen den Willensvollstrecker als auch gegen alle übrigen, nicht bereits als Kläger teilnehmenden Miterben sowie allfällige Vermächtnisnehmer gerichtet werden, andernfalls die Klage mangels Sachlegitimation abzuweisen ist (SUTTER-SOMM/SEILER, Die inter partes-Wirkung der erbrechtlichen Ungültigkeitsklage - Ausgewählte Probleme, successio 2014 S. 198 ff., S. 205, und gleicher Meinung in einer Vielzahl von Veröffentlichungen DANIEL ABT, zuletzt in: Praxiskommentar Erbrecht, Abt/Weibel [Hrsg.], 4. Aufl. 2019, N. 66d zu Art. 519 ZGB mit weiteren Hinweisen).
 
Erwägung 4.4
Diese Folgerung wird durch BGE 51 II 49 gestützt. Für unbegründet erklärt hat das Bundesgericht dort den Einwand der beklagten Willensvollstreckerin, "die Ungültigkeits- oder Herabsetzungsklage müsse gegen die Miterben, allfällig in Verbindung mit dem Willensvollstrecker, und könne nicht gegen letzteren allein geführt werden, ganz abgesehen davon, dass der einzige Miterbe erklärt hat, er setze dem Begehren der Klägerin keinen Widerstand entgegen" (BGE 51 II 49 E. 3 S. 54).


BGE 146 III 1 (6):

Bestätigt wurde das Ergebnis in BGE 90 II 376, wo einige der pflichtteilsberechtigten Erben des elterlichen Stammes und eine Bank als Zessionarin von Erbansprüchen die Entsetzung der Fides Treuhand-Vereinigung vom Amt eines Willensvollstreckers beantragten und das Kantonsgericht die Fides Treuhand-Vereinigung vom Amt eines Willensvollstreckers im Nachlass des Christian Schmid-Blaser enthob (Bst. A-D S. 377 f.). Auf Berufung der Willensvollstreckerin hat sich das Bundesgericht einlässlich mit allen sich stellenden Verfahrensfragen befasst (E. 1-4 S. 379 ff.) und die Passivlegitimation der Willensvollstreckerin bejaht (E. 2 S. 381), dabei aber nicht im Ansatz ein Problem in der Tatsache gesehen, dass lediglich einige und damit nicht alle Erben am Verfahren gegen die Willensvollstreckerin beteiligt waren. Vielmehr hat das Bundesgericht im Einzelnen geprüft, ob die Amtsenthebung wegen einer Interessenkollision oder wegen Pflichtverletzungen, die eine Interessenkollision belegen, begründet war (E. 5 und 6 S. 386 ff.).
4.4.4 Entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners gewährt das Gesetz den Erben oder Bedachten keinen Anspruch darauf, dass eine letztwillig angeordnete Willensvollstreckung zu ihrer Durchführung gelangt. Ohne Rücksicht auf ihr Interesse an der Willensvollstreckung kann der Willensvollstrecker sein Amt ablehnen, später niederlegen oder aufsichtsbehördlich abgesetzt werden. Es besteht deshalb auch keine Rechtsgrundlage dafür, Erben und Bedachte, die nicht selber geklagt haben, als Beklagte in einen Ungültigkeitsprozess gegen den Willensvollstrecker auf dessen Absetzung einzubeziehen. Sind sie an der Abweisung der Ungültigkeitsklage interessiert, steht es ihnen frei, unter den gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 74 ff. ZPO) den Willensvollstrecker im Prozess zu unterstützen. Streitige erbrechtliche Auseinandersetzungen sind nun nicht derart aussergewöhnlich, dass sie zur Schaffung notwendiger Streitgenossenschaften,

BGE 146 III 1 (7):

die das materielle Recht nicht vorsieht, zwingen. Den Miterben stehen zudem weitere gesetzliche Möglichkeiten zu ihrer Interessenwahrung offen (z.B. ein Begehren um Bestellung einer Erbenvertretung: Urteil 5D_133/2010 vom 12. Januar 2011 E. 5; vgl. CORDULA LÖTSCHER, Das schwarze Schaf in der Erbengemeinschaft - Auswege aus einer Blockade und planerische Möglichkeiten, successio 2019 S. 174 ff.).