BGE 132 III 497
 
58. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A.X. gegen B.X. (Berufung)
 
5C.7/2006 vom 22. Mai 2006
 
Regeste
Art. 30 Abs. 1 ZGB; wichtige Gründe zur Namensänderung.
 
Sachverhalt


BGE 132 III 497 (497):

A. Die im Jahre 1997 geborene A.X. ist die Tochter von B.X. und C.Y., welche ab Juli 1997 bis Oktober 1999 im Konkubinat lebten. Nach der Trennung sah sich B.X. nicht in der Lage, das Kind zu betreuen. Die Eltern ersuchten daher die Vormundschaftsbehörde darum, die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen. Mit Beschluss vom 15. November 1999 entzog der Gemeinderat G. als Vormundschaftsbehörde B.X. (gestützt auf Art. 312 Ziff. 1 ZGB) die elterliche Gewalt über A.X. und stellte das Kind (gestützt auf Art. 298 Abs. 2 ZGB) unter die elterliche Gewalt von C.Y.
B. Am 4. Februar 2003 stellte A.X. durch ihren gesetzlichen Vertreter bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons

BGE 132 III 497 (498):

Zürich das Begehren, es sei ihr gestützt auf Art. 30 Abs. 1 ZGB die Änderung des bisherigen Familiennamens "X." in "Y." zu bewilligen. Mit unbegründeter Verfügung vom 30. Mai 2005 wurde dem Gesuch um Namensänderung nicht entsprochen. Auf Einsprache hin wies die kantonale Direktion der Justiz und des Innern mit begründeter Verfügung vom 15. August 2005 das Gesuch von A.X. ab. Hiergegen erhob A.X. Rekurs, welchen das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mit Beschluss vom 12. Dezember 2005 abwies.
C. A.X. führt mit Eingabe vom 16. Januar 2006 eidgenössische Berufung und beantragt dem Bundesgericht, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und es sei ihr die Änderung des Familiennamens von "X." in "Y." zu bewilligen.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. B.X. beantragt die Abweisung der Berufung und ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
 
Aus den Erwägungen:
2. Die Regierung des Wohnsitzkantons kann einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn wichtige Gründe vorliegen (Art. 30 Abs. 1 ZGB). Ob im einzelnen Fall ein Grund für eine Namensänderung vorliegt, ist eine Ermessensfrage, die von der zuständigen Behörde nach Recht und Billigkeit zu beantworten ist (vgl. Art. 4 ZGB). Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Umstände berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat (vgl. BGE 124 III 401 E. 2a S. 402).
 
Erwägung 3
3.1 Das Obergericht hat im Wesentlichen festgehalten, der Umstand, dass die Berufungsklägerin unter die elterliche Sorge des mit der Mutter nicht verheirateten Vaters gestellt worden sei, gebe keinen Anspruch auf Namensänderung und stelle keinen wichtigen Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB dar, um die Änderung des

BGE 132 III 497 (499):

von ihrer Mutter erworbenen Namens in jenen des leiblichen Vaters zu bewilligen. Die gegenteilige Auffassung der Berufungsklägerin werde durch den Wortlaut von Art. 271 Abs. 3 ZGB nicht gestützt. Im Übrigen hat das Obergericht erwogen, dass weiter kein wichtiger Grund vorliege, um die anbegehrte Namensänderung zu bewilligen, denn es würden keine ernsthaften sozialen Nachteile für die 8-jährige Berufungsklägerin dargetan, welche durch die Führung des Namens der Mutter bedingt wären. Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, die Verweigerung der Namensänderung sei nicht zu beanstanden.
3.2 Die Berufungsklägerin macht eine Verletzung von Art. 271 Abs. 3 ZGB geltend, weil das Obergericht die Tatsache, dass sie als aussereheliches Kind unter der elterlichen Sorge des Vaters aufwachse, in Widerspruch zu Wortlaut und Zweck der betreffenden Norm nicht als wichtigen Grund zur Namensänderung erachtet habe. Sodann sei unter Hinweis auf Art. 8 BV mit einer verfassungskonformen Auslegung nicht vereinbar, wenn ein Kind einer unverheirateten Mutter von Gesetzes wegen in deren elterlichen Sorge stehe und deren Namen erhalte, hingegen ein Kind unverheirateter Eltern, welches unter der elterlichen Sorge des Vaters aufwachse, dessen Namen nur bei Nachweis erheblicher und konkreter sozialer Nachteile annehmen dürfe. Die Berufungsklägerin sei wegen der frühen Trennung von der Mutter labil; mit der Namensänderung könne sie sich auch über den Namen in der Familie des Vaters geborgen fühlen. Daher lägen ernsthafte soziale Nachteile vor, um die Namensänderung zu bewilligen.
4. Nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen wurde die elterliche Sorge für die Berufungsklägerin im Jahre 1999 gestützt auf Art. 298 Abs. 2 ZGB dem Vater übertragen. Es steht fest, dass die Eltern der Berufungsklägerin nie verheiratet waren und heute nicht zusammenleben, sondern sich diese in der Zwischenzeit jeweils mit anderen Partnern verheiratet haben. Aus dem angefochtenen Beschluss geht hervor, dass die Berufungsklägerin seit dem Jahre 1999 bzw. dem zweiten Lebensjahr nicht mehr zusammen mit ihrer Mutter, sondern bei ihrem Vater aufwächst. Strittig ist, ob der Umstand, dass die Berufungsklägerin in die elterliche Sorge des mit der Mutter nicht verheirateten Vaters gegeben worden ist und bei diesem aufwächst, in Anwendung von Art. 271 Abs. 3 ZGB einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB darstellt,

BGE 132 III 497 (500):

um die Änderung des von ihrer Mutter erworbenen Namens in jenen des Vaters zu bewilligen.
4.2 Art. 271 Abs. 3 ZGB lautet wie folgt: "Erwirbt das Kind unverheirateter Eltern durch Namensänderung den Familiennamen des Vaters, weil es unter seiner elterlichen Sorge aufwächst, so erhält es das Kantons- und Gemeindebürgerrecht des Vaters." Diese Bestimmung bezieht sich nach dem Wortlaut auf den Bürgerrechtserwerb im Fall der bewilligten Namensänderung. Indirekt anerkennt der Gesetzgeber aber, dass ein nach Art. 30 Abs. 1 ZGB wichtiger Grund vorliegt, wenn das aussereheliche Kind in die elterliche Sorge des Vaters gegeben wird und bei ihm aufwächst. Ansonsten hätte das Gesetz es bei der Regelung bewenden lassen können, dass das Kind das Bürgerrecht des Vaters erwirbt, wenn es durch Namensänderung dessen Namen erwirbt. Läge nicht im Aufwachsen des ausserehelichen Kindes unter der elterlichen Sorge des Vaters von Gesetzes wegen ein wichtiger Grund für eine Namensänderung bzw. bedürfte es in einem solchen Fall eines zusätzlichen (anderen) wichtigen Grundes, hätte der Satzeinschub "weil es unter seiner elterlichen Sorge aufwächst" ("... élevé sous l'autorité du père et reçoit par conséquent ...", "... essendo allevato sotto l'autorità del padre ...") keinen Sinn.
4.3 Der Einwand der Beschwerdegegnerin, die Bestimmung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Namensrecht, geht fehl. Die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (vgl. ROLF HÄFLIGER, Die Namensänderung nach Art. 30 ZGB, Diss. Zürich 1996, S. 252 f.) zeigt vielmehr das Gegenteil. Der Entwurf des Bundesrates zum neuen Kindesrecht enthielt unter Art. 30 Abs. 2 einen nicht abschliessenden Katalog von wichtigen Gründen (BBl 1 BGE 974 II 92 ff., S. 133). Ein wichtiger Grund lag vor (Ziff. 3), "wenn der

BGE 132 III 497 (501):

unmündige Gesuchsteller einen andern Familiennamen trägt als der Elternteil, unter dessen elterlicher Gewalt oder Obhut er aufwächst." Art. 271 Abs. 3 ZGB nimmt auf diesen Wortlaut Bezug (BBl 1 BGE 974 II 50 f.), wobei die im Entwurf vorgesehene blosse "Obhut" als alternative Voraussetzung neben der elterlichen Gewalt gestrichen wurde (AB 1976 S S. 85). Am Zusammenhang mit dem Namensrecht ändert nichts, dass sich das Parlament schliesslich dagegen aussprach, die "wichtigen Gründe" in Art. 30 ZGB zu kodifizieren (dazu BGE 109 II 177 E. 2 S. 178).
4.4.1 Der Schluss, dass der in Art. 271 Abs. 3 ZGB genannte Umstand als wichtiger Grund anerkannt wird, ergibt sich aus dem vom Gesetz hergestellten Zusammenhang zwischen elterlicher Sorge und Namensgebung. Die Regel des Art. 270 Abs. 2 ZGB, wonach das Kind unverheirateter Eltern von Gesetzes wegen den Namen der Mutter erhält, beruht auf dem Gedanken, dass ein solches Kind normalerweise bei der Mutter aufwächst, zu der es engere Beziehungen als zum Vater hat (BGE 105 II 247 E. 6 S. 252). Wohl ist nicht Voraussetzung, dass der Mutter die elterliche Sorge zusteht, damit das Kind unverheirateter Eltern den Familiennamen der Mutter gemäss Art. 270 Abs. 2 ZGB erwirbt (HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 30 zu Art. 270 ZGB). Im Allgemeinen steht aber die elterliche Sorge der Mutter zu (Art. 298 Abs. 1 ZGB), sofern nicht eine gemeinsame elterliche Sorge vereinbart wird (Art. 298a ZGB). Nur wenn die Mutter unmündig, entmündigt oder gestorben oder ihr die elterliche Sorge entzogen ist, kann die elterliche Sorge bei gegebenen Voraussetzungen (Kindeswohl) dem Vater übertragen werden (Art. 298 Abs. 2 ZGB). Nach der Meinung von HEGNAUER (a.a.O., N. 82 zu Art. 270 ZGB) setzt diese Übertragung der elterlichen Sorge an den Vater gemäss Art. 298 Abs. 2 ZGB praktisch voraus, dass das aussereheliche Kind dauernd nicht bei der Mutter aufwachsen wird. Der gesetzlichen Wertung, wonach das Kind unverheirateter Eltern den Namen der Mutter trägt und im Allgemeinen unter der elterlichen Sorge der Mutter steht, entspricht es, dass es sich ebenso verhält, wenn der Vater das Sorgerecht für das bei ihm aufwachsende Kind trägt. In Anbetracht dieser besonderen

BGE 132 III 497 (502):

Beziehung zum leiblichen Vater hat der Gesetzgeber erhebliche Nachteile für das aussereheliche Kind gesehen, wenn es gemäss Art. 270 Abs. 2 ZGB den Namen der Mutter tragen muss. Deshalb soll dem Kind - zur Erleichterung der Integration in die Familie - offen stehen, durch Namensänderung (Art. 30 Abs. 1 ZGB) den Namen des leiblichen Vaters zu erwerben, bei dem es aufwächst.
4.5 Schliesslich wird in der Lehre einhellig die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe in Art. 271 Abs. 3 ZGB anerkannt, dass ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB zur Namensänderung vorliegt, wenn das aussereheliche Kind beim Vater aufwächst und diesem nach Art. 298 Abs. 2 ZGB die elterliche Sorge übertragen ist (HEGNAUER, a.a.O., N. 81 zu Art. 270 ZGB, N. 80 zu Art. 271 ZGB; GUINAND, ZZW 1980 S. 358; STETTLER, Schweizerisches Privatrecht, Bd. III/2, S. 460; BÜHLER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 2. Aufl. 2002, N. 27 zu Art. 270 ZGB; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 4. Aufl. 2001, S. 134 Rz. 430; TUOR/SCHNYDER/RUMO-JUNGO, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. Aufl. 2002, S. 399; MEIER/STETTLER, Droit de la filiation, 3. Aufl. 2006, S. 105 Rz. 192; BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. Aufl. 1999, S. 212 Rz. 815; HÄFLIGER, a.a.O, S. 252 f.).
4.6 Nach dem Dargelegten handelt es sich beim Umstand, dass ein aussereheliches Kind beim Vater als Träger der elterlichen Sorge aufwächst, um einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB. Im konkreten Fall wächst die (im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses) 8-jährige Berufungsklägerin als Kind unverheirateter Eltern bei ihrem Vater auf, dem nach Art. 298 Abs. 2 ZGB die elterliche Sorge seit Jahren übertragen ist. Vor diesem Hintergrund hat das Obergericht rechtserhebliche Umstände verkannt und gegen Bundesrecht verstossen, wenn es das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Namensänderung verneint hat, zumal keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, welche die Erheblichkeit

BGE 132 III 497 (503):

dieser Umstände in Frage stellen würden. Die Berufung ist begründet und der Berufungsklägerin ist die Änderung ihres Familiennamens von "X." in "Y." zu bewilligen.