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Urteilskopf

131 III 49


7. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. und B. gegen Konkursmasse der Erbschaft von E. (Berufung)
5C.67/2004 vom 19. November 2004

Regeste

Art. 579 ZGB; Haftung im Falle der Ausschlagung; Legitimation, Verjährung, Ausgleichung.
Die Konkursmasse ist legitimiert, die Ansprüche gegen die ausschlagenden Erben einzuklagen (E. 2). Die Ansprüche können solange geltend gemacht werden, als die Forderungen der Erbschaftsgläubiger nicht verjährt sind (E. 3). Berechnung des Haftungsbetrags, wenn der Nachlass auch nach Hinzurechnung der lebzeitigen Zuwendungen überschuldet bleibt und der Erblasser von der Ausgleichung befreit hat, soweit die lebzeitigen Zuwendungen den Betrag eines Erbanteils übersteigen (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 50

BGE 131 III 49 S. 50
Mit öffentlich beurkundeten Verträgen vom 14. März 1996 schenkte E. seinen Töchtern A. und B. je ein Grundstück. Die Töchter erklärten dankend Annahme der Schenkung und wurden von ihrem Vater "von der erbrechtlichen Ausgleichung eines allfälligen Mehrwertes für die hievor erworbenen Grundstücke gemäss Art. 629 ZGB ausdrücklich entbunden".
E. starb zwei Jahre später. Die Erben - seine Ehefrau und die beiden Töchter - verlangten die Aufnahme eines öffentlichen Inventars. Das Inventar zeigte einen Überschuss der Passiven über die Aktiven. Alle Erben schlugen die Erbschaft aus. Über die Erbschaft von E. wurde der Konkurs eröffnet. Das Betreibungs- und Konkursamt beziffert den voraussichtlichen Verlust nach Abschluss des Liquidationsverfahrens auf rund 1.5 Millionen Franken.
Handelnd für die Konkursmasse der Erbschaft von E. erhob das Betreibungs- und Konkursamt Klage gegen A. und B. Die Klägerin bezifferte ihre Forderung auf Fr. 96'250.- und Fr. 99'300.- aus ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagten. In zweiter kantonaler Instanz wurde die Klage im Betrag von Fr. 96'250.- und von Fr. 97'790.- gutgeheissen. Das Bundesgericht heisst die von den Beklagten dagegen eingelegte Berufung gut und weist die Klage ab, soweit sie sich auf die Ausgleichungspflicht der schenkungshalber zugewendeten Grundstücke stützt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beklagten bestreiten die Aktivlegitimation der Klägerin vorab unter Hinweis auf den klaren Wortlaut von Art. 579 ZGB sowie auf die einschlägigen Gesetzesbestimmungen über das Konkursverfahren. Die Klägerin verweist auf die Begründung des Appellationshofs.

2.1 In BGE 67 III 177 Nr. 54 war über die Aktivlegitimation des Konkursamtes zu entscheiden, das gegen die Witwe des Erblassers
BGE 131 III 49 S. 51
auf Herausgabe der Erbvorbezüge klagte. Das Bundesgericht bejahte die Aktivlegitimation. Es stehe der Konkursmasse zu, die Haftung nach Art. 579 ZGB in Anspruch zu nehmen. Mit den Worten "dessen (d.h. des Erblassers) Gläubigern" gebe Art. 579 ZGB nicht etwa nur der Klage einzelner Gläubiger Raum; vielmehr sei im Erbschaftskonkurs ein Klagerecht der durch das Konkursamt (die Konkursverwaltung) vertretenen Konkursmasse anzuerkennen (E. 4 S. 185). Eine einlässliche Begründung fehlt, wie die Beklagten hervorheben. Die Aktivlegitimation der Konkursmasse, Ansprüche gemäss Art. 579 ZGB geltend zu machen, war in der damaligen Lehre aber offenbar derart selbstverständlich, dass sie regelmässig nicht einmal erwähnt wurde (vgl. immerhin das Beispiel bei RENNEFAHRT, Das Erbrecht des schweizerischen Zivilgesetzbuches, Zürich 1913, N. 1 zu Art. 579 ZGB; MERZ, Urteilsbesprechung, in: ZBJV 79/1943 S. 26 f.).
In BGE 116 II 253 Nr. 46 war über die Aktivlegitimation einer Gläubigerin zu entscheiden, die eine Forderung im Konkurs der ausgeschlagenen Erbschaft anmeldete, dann aber während des Konkursverfahrens gegen die Tochter der Erblasserin auf Zahlung des im Konkurs eingegebenen Betrags klagte. Das Bundesgericht bejahte die Aktivlegitimation der Gläubigerin des Erblassers unter Hinweis auf die Grundlagen der Haftungsklage nach Art. 579 ZGB. Ob der Anspruch auch von der Konkursverwaltung geltend gemacht werden könnte bzw. hätte geltend gemacht werden können, brauchte nicht erörtert zu werden (E. 4 und 5 S. 257 ff.). Dem Urteil ist Kritik erwachsen, und zwar aus der Sicht des Prozessrechts (vgl. POUDRET, Urteilsanmerkung, in: JdT 1993 I S. 332), des Konkursrechts (vgl. GILLIÉRON, Urteilsanmerkung, in: JdT 1995 II S. 27) und des materiellen Rechts (vgl. PIOTET, La responsabilité du répudiant ou renonçant envers les créanciers successoraux comparée aux solutions des art. 193 CC et 285 ss LP, ZBGR 74/1993 S. 73 ff., S. 79 ff.).
Die Lehre schliesst aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Erbschaftsgläubiger neben der Konkursmasse dazu legitimiert sind, Ansprüche gemäss Art. 579 ZGB geltend zu machen (vgl. etwa DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 5. Aufl., Bern 2002, § 13 N. 83 S. 191).

2.2 Die Erben erwerben die Erbschaft als Ganzes mit dem Tode des Erblassers kraft Gesetzes (Art. 560 Abs. 1 ZGB). Mit Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen gehen die Forderungen, das
BGE 131 III 49 S. 52
Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte und der Besitz des Erblassers ohne weiteres auf sie über, und die Schulden des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben (Art. 560 Abs. 2 ZGB). Die Erben haben die Befugnis, die Erbschaft, die ihnen zugefallen ist, auszuschlagen (Art. 566 Abs. 1 ZGB). Schlägt ein Erbe aus, so erhält er zwar keine Aktiven der Erbschaft, wird aber auch nicht für deren Passiven haftbar und darf behalten, was er als Vorempfang zu Lebzeiten des Erblassers aus dessen Vermögen erhalten hat. Derartige Zuwendungen will Art. 579 ZGB den Erbschaftsgläubigern sichern und damit vermeiden, dass deren Rechte in unbilliger Weise verkürzt werden. Erben, die eine insolvente Erbschaft ausschlagen, sollen wenigstens mit den Vermögenswerten haften, die sie innerhalb der letzten fünf Jahre vom Erblasser empfangen haben und die sie auch in der Erbteilung nicht behalten könnten, sondern zur Ausgleichung bringen müssten. Der ausschlagende Erbe wird dabei ipso iure haftbar, ohne dass es einer eigentlichen Anfechtungsklage bedürfte oder zuerst die Ausschlagung oder die Zuwendung des Erblassers für unwirksam erklärt werden müsste. Es handelt sich zudem um eine subsidiäre Haftung. Der ausschlagende Erbe muss mit dem Wert des Vorempfanges nur dafür einstehen, was von den andern Erben nicht erhältlich ist oder was bei der Verwertung des Nachlasses ungedeckt bleibt (TUOR/ Picenoni, Berner Kommentar, 1964, N. 2, 4, 7 und N. 20, und ESCHER/ ESCHER, Zürcher Kommentar, 1960, N. 1 und N. 10 f., je zu Art. 579 ZGB).

2.3 Von der soeben geschilderten Rechtsnatur her betrachtet, hat die Haftung der ausschlagenden Erben gemäss Art. 579 ZGB gewisse Ähnlichkeiten mit den paulianischen Anfechtungsklagen (Art. 285 ff. SchKG), unterscheidet sich davon aber insofern entscheidend, als nach dem Gesagten weder die Zuwendung durch den Erblasser oder die Ausschlagung durch den Erben in Frage gestellt werden soll, um entäusserte Vermögenswerte wiederzubeschaffen, noch auf Seiten der Beteiligten eine Absicht bestanden haben müsste, Gläubiger zu benachteiligen. Näher liegt deshalb der Vergleich mit der Haftung bei Erbverzicht (Art. 497 ZGB) und insbesondere mit dem - ebenfalls schon 1907/12 geschaffenen - eherechtlichen Haftungstatbestand gemäss Art. 188 aZGB (heute: Art. 193 ZGB).
Nach der eherechtlichen Gläubigerschutzvorschrift kann durch güterrechtliche Vermögensverschiebungen - d.h. durch Wechsel des Güterstandes bzw. Begründung oder Änderung des Güterstandes
BGE 131 III 49 S. 53
oder durch güterrechtliche Auseinandersetzungen - ein Vermögen, aus dem bis anhin die Gläubiger eines Ehegatten oder der Gemeinschaft Befriedigung verlangen konnten, dieser Haftung nicht entzogen werden (Art. 188 Abs. 1 aZGB bzw. Art. 193 Abs. 1 ZGB). Der Haftungstatbestand hat die gleiche Rechtsnatur wie der in Art. 579 ZGB vorgesehene: Er gestattet es dem Gläubiger, kraft Gesetzes das Vermögen eines Dritten zur Erfüllung seiner Forderung gegen den Schuldner heranzuziehen. Im Vollstreckungsverfahren gegen den schuldnerischen Ehegatten können die Gläubiger somit das weiterhaftende Vermögen des andern Ehegatten pfänden bzw. zur Konkursmasse ziehen lassen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1992, N. 38 f. zu Art. 193 ZGB, mit Hinweisen; vgl. zu Art. 188 aZGB: BGE 99 III 12 E. 2 S. 16; BGE 106 II 141 E. 2 S. 143; BGE 111 III 43 E. 1 S. 47).
Werden diese Grundsätze auf die Haftung gemäss Art. 579 ZGB übertragen, ist zu unterscheiden: Treten einzelne Erben die Erbschaft an, sind sie von Gesetzes wegen für die Schulden des Erblassers persönlich und solidarisch haftbar (Art. 560 Abs. 2 und Art. 603 Abs. 1 ZGB). Im Vollstreckungsverfahren gegen sie kann die Haftung der ausschlagenden Erben geltend gemacht werden. Schlagen hingegen alle Erben aus, gelangt die Erbschaft zur Liquidation durch das Konkursamt (Art. 573 Abs. 1 ZGB und Art. 193 SchKG). Auf Grund der Konkurseröffnung richten sich die Forderungen der Gläubiger gegen die Konkursmasse der Erbschaft (vgl. BRUNNER, Basler Kommentar, 1998, N. 10 zu Art. 193 SchKG, mit Hinweisen). Es gehört dann auch grundsätzlich zur Aufgabe des Konkursamtes bzw. der Konkursverwaltung, das den Gläubigern haftende Vermögen der ausschlagenden Erben zur Konkursmasse zu ziehen, wie das im Fall von Art. 193 ZGB geschieht (HANDSCHIN/HUNKELER, Basler Kommentar, 1998, N. 78 und N. 82 zu Art. 197 SchKG, mit weiteren Beispielen).
(...)

3. Zur Einrede der Verjährung haben die kantonalen Gerichte ausgeführt, eine Befristung des Anspruchs gemäss Art. 579 ZGB sei im Gesetz nicht vorgesehen. Er könne deshalb innert der obligationenrechtlichen Verjährungsfrist der Gläubigerforderung unbeschränkt geltend gemacht werden. Die Verjährungsfrist der im Konkurs eingegebenen Forderungen betrage fünf und mehr Jahre, so dass die Verjährungseinrede abzuweisen sei. Während die Klägerin diese Auffassung teilt, wird sie von den Beklagten bestritten.
BGE 131 III 49 S. 54
Deren Einrede könnte freilich nur Erfolg haben, falls eine einjährige Verjährungsfrist massgebend sein sollte. Denn nach den Feststellungen des Appellationshofs wäre selbst eine nur zwei Jahre dauernde Verjährungsfrist gewahrt.

3.1 Entgegen der Annahme der Beklagten ist die Haftung gemäss Art. 579 ZGB weniger mit den paulianischen Anfechtungsklagen verwandt. Sie muss auf Grund ihrer Rechtsnatur eher mit der Gläubigerschutzbestimmung in Art. 193 ZGB verglichen werden (E. 2.3 hiervor). Dieser Haftungsanspruch geht nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur mit der Verjährung der Hauptschuld als klagbarer Anspruch unter, sondern unterliegt auch einer selbstständigen Verjährung, deren Frist nach allgemeinen obligationenrechtlichen Grundsätzen zehn Jahre beträgt (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 29 und N. 56 zu Art. 193 ZGB; BGE 127 III 1 E. 3 S. 7 ff.). Damit stimmen die Kommentatoren der Haftung gemäss Art. 579 ZGB überein. Der ausschlagende Erbe kann solange in Anspruch genommen werden, als die Forderungen der Erbschaftsgläubiger nicht verjährt sind (ESCHER/ESCHER, a.a.O., N. 15, und SCHWANDER, Basler Kommentar, 2003, N. 4, je zu Art. 579 ZGB).
(...)

4. Die Haftung nach Art. 579 ZGB setzt voraus, dass die ausschlagenden Erben vom Erblasser Vermögenswerte erhalten haben, "die bei der Erbteilung der Ausgleichung unterworfen sein würden" (Abs. 1). Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Schenkung des Erblassers an seine beiden Töchter der Ausgleichungspflicht unterliegt. Sodann ist die Bedeutung der Klausel in den Schenkungsverträgen zu prüfen, wonach die Beklagten "von der erbrechtlichen Ausgleichung eines allfälligen Mehrwertes für die hievor erworbenen Grundstücke gemäss Art. 629 ZGB ausdrücklich entbunden" sein sollten.

4.1 Gemäss Art. 626 ZGB sind die gesetzlichen Erben gegenseitig verpflichtet, alles zur Ausgleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat (Abs. 1). Was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass u.dgl. zugewendet hat, steht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt, unter der Ausgleichungspflicht (Abs. 2). Die Beklagten bestreiten, dass eine ausgleichungspflichtige Zuwendung im Sinne von Art. 626 ZGB vorliege.
BGE 131 III 49 S. 55

4.1.1 In öffentlich beurkundeten Verträgen hat der Erblasser seinem Willen Ausdruck gegeben, den Beklagten je bestimmte Grundstücke zu schenken, die später überbaut werden sollten, und die Beklagten haben daraufhin erklärt, die Schenkung dankend anzunehmen. Durch Vorlage dieser Verträge hat die Klägerin eine Schenkung bewiesen, die aus rechtlicher Sicht als Zuwendung im Sinne von Art. 626 ZGB zu betrachten ist (vgl. etwa DRUEY, a.a.O., § 7 N. 29 ff. S. 86 f.; vgl. BGE 128 II 231 E. 2.3 S. 235 mit Hinweisen). Die Beklagten haben im kantonalen Verfahren dagegen eingewendet, es handle sich nicht um eine "Schenkung", sondern um die Abgeltung all der Leistungen, die sie stunden- und jahrelang im Familienbetrieb ihrer Eltern erbracht hätten. Der Appellationshof hat den Beweis dafür als nicht geleistet angesehen. Entgegen der heutigen Darstellung der Beklagten hat der Appellationshof ihnen damit nicht die Beweislast für die ausgleichungspflichtige Zuwendung auferlegt, sondern für die von ihnen erhobene Einrede, dass die Vertragsparteien mit der vereinbarten Schenkung die in Wirklichkeit beabsichtigte Entschädigung für Arbeitsleistungen hätten verdecken wollen. Eine derartige Simulation hat zu beweisen, wer sie behauptet, hier also die Beklagten (BGE 112 II 337 E. 4a S. 342 f.). Eine Verletzung der bundesrechtlichen Beweislastregel (Art. 8 ZGB) liegt nicht vor.

4.1.2 Die Schenkung der Grundstücke ist gemäss Art. 626 ZGB ausgleichungspflichtig, wenn sie vom Erblasser auf Anrechnung an den Erbanteil zugewendet worden ist (Abs. 1) oder wenn sie sog. "Ausstattungscharakter" hat (Abs. 2), d.h. zum "Zweck der Existenzbegründung, -sicherung, oder -verbesserung für den Empfänger" erfolgt (BGE 76 II 188 E. 6 S. 196 und die seitherige Rechtsprechung). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, stellt eine Rechtsfrage dar, die im Falle einer Zuwendung von Grundstücken mit - wie hier - erheblichem Wert grundsätzlich zu bejahen ist (vgl. BGE 116 II 667 E. 3b S. 674 ff. mit Hinweisen).

4.1.3 Die Ausgleichungspflicht ergibt sich schliesslich auch daraus, dass der Erblasser die Beklagten unter Hinweis auf Art. 629 ZGB ausdrücklich "nur" von der Ausgleichung eines Mehrwertes befreit hat. Gemeint ist damit die Befreiung davon, den Überschuss der Zuwendungen über den Betrag des Erbanteils ausgleichen zu müssen. Aus dieser klaren und unzweideutigen Klausel kann umgekehrt gefolgert werden, dass der Erblasser die Ausgleichung der geschenkten Grundstücke wenigstens bis zur Höhe des Erbanteils
BGE 131 III 49 S. 56
gewollt hat. Die Beklagten wenden gegen diese Auslegung des Appellationshofs nichts Stichhaltiges ein. Es ist deshalb von einer im Umfang der Erbanteile ausgleichungspflichtigen Zuwendung auszugehen.

4.2 Die Regeln über die Ausgleichung sind dispositiver Natur. Der Erblasser kann - unter Vorbehalt der gesetzlichen Pflichtteilsrechte - von der Ausgleichungspflicht ganz oder teilweise dispensieren (BGE 118 II 282 E. 3 S. 285 ff.; BGE 124 III 102 E. 5a S. 106; BGE 126 III 171 E. 2 S. 172). Die in den Schenkungsverträgen enthaltene Klausel ist insoweit zulässig, dass sich die Beklagten die erhaltene Zuwendung an den Erbanteil anrechnen lassen müssen, einen Überschuss über den Betrag des Erbanteils hingegen nicht auszugleichen haben (vgl. den Hinweis auf Art. 629 ZGB).
Ob ein Ausgleichungsdispens von Seiten des Erblassers bei der Haftung nach Art. 579 ZGB beachtlich ist, wird in der Lehre kontrovers diskutiert. Nach Auffassung der Kommentatoren soll es nur auf die Natur der Zuwendung ankommen und nicht auf den erblasserischen Willen. Die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen sind danach in einem rein objektiven Sinne aufzufassen, d.h. als solche, die an sich ein fähiges Objekt der Ausgleichung bilden (TUOR/Picenoni, a.a.O., N. 15, und ESCHER/ESCHER, a.a.O., N. 7, je zu Art. 579 ZGB; gl.M. WALDER, Gläubigerschutz im schweizerischen Erbrecht, Festschrift Soliva, Zürich 1994, S. 338 ff., S. 341; GÜBELI, Gläubigerschutz im Erbrecht, Diss. Zürich 1998, S. 83). Gegen diese Auslegung spricht - wie auch eingeräumt wird - der Gesetzeswortlaut, wonach die Haftung gemäss Art. 579 ZGB nur Vorempfänge erfasst, "die bei der Erbteilung der Ausgleichung unterworfen sein würden". Was auch in der Erbteilung nicht ausgeglichen werden müsste, sei es kraft Gesetzes oder sei es auf Grund erblasserischer Vorschrift, haftet den Gläubigern nicht. Durch entsprechenden Dispens hätte es der Erblasser somit in der Hand, die Zuwendung von der Ausgleichung und von der Haftung gemäss Art. 579 ZGB auszunehmen. Die Vertreter dieser Lehrmeinung nehmen das in Kauf unter Hinweis darauf, dass den Gläubigern in einem solchen Fall immer noch die paulianischen Anfechtungsklagen gemäss Art. 285 ff. SchKG zur Verfügung stünden. Für die Haftung nach Art. 579 ZGB sei die Ausschlagung ursächlich und nicht das Verhalten des Erblassers (PIOTET, Erbrecht, Schweizerisches Privatrecht IV/2, Basel 1981, § 83/I/B S. 638 f., und in: ZBGR 74/1993 S. 74-76; vgl. WEGMANN, Die Beschränkungen der
BGE 131 III 49 S. 57
subjektiven Rechte des Erben durch Gläubiger, Miterben und Ehegatten nach dem Rechte des schweizerischen Zivilgesetzbuches, Diss. Zürich 1937, S. 79/80).
In seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 18. Mai 1981 (C.43/ 1981) hat sich das Bundesgericht der zweiten Lehrmeinung angeschlossen mit der Begründung, allein schon mit dem Wortlaut von Art. 579 ZGB sei es unvereinbar, die Haftung der Erben derart auszuweiten, dass unabhängig vom Willen des Erblassers jede Zuwendung als ausgleichungspflichtig aufzufassen wäre, die ihrer Natur nach als Objekt der Ausgleichung in Frage käme (E. 2d, zit. bei SCHÜPBACH, Droit et action révocatoires, Basel 1997, N. 165 zu Art. 285 SchKG). Daran ist nicht nur mit Blick auf den Gesetzestext, sondern auch unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik festzuhalten. Art. 579 ZGB betrifft einzig die Ausschlagung der Erben und nicht die lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers. Dessen Gläubiger sollen wirtschaftlich so gestellt werden, als ob die Ausschlagung nie stattgefunden hätte (E. 2.2 hiervor). Gegen die Zuwendungen des Erblassers stehen dessen Gläubigern die paulianischen Anfechtungsklagen gemäss Art. 285 ff. SchKG zur Verfügung. Die Anfechtungsobjekte sind insoweit verschieden. Die paulianischen Anfechtungsklagen und der Anspruch aus Art. 579 ZGB bestehen deshalb auch nebeneinander und schliessen sich nicht aus (vgl. PIOTET, in: ZBGR 74/1993 S. 77 f.; SCHÜPBACH, a.a.O.; A. STAEHELIN, Basler Kommentar, 1998, N. 23 zu Art. 285 SchKG).

4.3 Aus den dargelegten Gründen ist der erblasserische Ausgleichungsdispens bei der Bestimmung der Haftung gemäss Art. 579 ZGB zu beachten. In den Schenkungsverträgen hat der Erblasser die Beklagten von der Ausgleichungspflicht im Umfang des ihren Erbanteil überschiessenden Betrags befreit. Zu ermitteln ist, ob im konkreten Fall überhaupt ein ausgleichungsbefreiter Mehrwert bzw. Überschuss vorliegt.

4.3.1 Der Appellationshof hat festgehalten, der Nachlass sei überschuldet, weshalb es ohne die im Umfang der Erbanteile ausgleichungspflichtigen Vorempfänge kein teilbares Vermögen gäbe. Er ist davon ausgegangen, der Wert der Vorempfänge betrage Fr. 96'250.- für die Beklagte 1 sowie Fr. 99'330.- für die Beklagte 2. Gestützt auf diese unbestrittenen Ausgangszahlen hat der Appellationshof die ausgleichungspflichtigen Erbanteile - im Grundsatz - nach der Methode der Kommentatoren berechnet (TUOR/PICENONI, a.a.O., N. 17, und ESCHER/ESCHER, a.a.O., N. 12, je zu Art. 629 ZGB).
BGE 131 III 49 S. 58
In einem ersten Schritt hat der Appellationshof die überschuldete "Erbschaft" (Fr. 0.-), den Vorempfang der Beklagten 1 (Fr. 96'250.-) und den Vorempfang der Beklagten 2 (Fr. 99'330.-) zusammengerechnet (= Fr. 195'580.-), durch die Anzahl Erben (: 2) geteilt und so den Erbanteil eines Erben erhalten (= Fr. 97'790.-).
In einem zweiten Schritt hat der Appellationshof die Ausgleichung festgelegt: Da der Vorempfang der Beklagten 1 (Fr. 96'250.-) kleiner als ihr Erbanteil (Fr. 97'790.-) ist, gibt es keinen Überschuss und greift der erblasserische Ausgleichungsdispens für den Mehrwert bei ihr nicht. Sie hat den ganzen Vorempfang von Fr. 96'250.- zur Ausgleichung zu bringen. Demgegenüber übersteigt der Vorempfang der Beklagten 2 (Fr. 99'330.-) ihren Erbanteil (Fr. 97'790.-) und muss deshalb im Mehrwert (= Fr. 1'540.-) nicht ausgeglichen werden. Die Beklagte 2 hat ihren Vorempfang nur im Umfang des Erbanteils von Fr. 97'790. - zur Ausgleichung zu bringen.

4.3.2 Die Beklagten wenden gegen die Berechnungsmethode ein, Ausgangspunkt der Ausgleichung bilde der Netto-Nachlass, der hier - angesichts der hohen Überschuldung von rund 1.5 Millionen Franken - negativ sei und negativ bleibe, selbst wenn die Vorempfänge von rund Fr. 200'000.- angerechnet würden. Es gebe keinen zu teilenden Sondernachlass aus den erhaltenen Vorempfängen.
Viele Fragen der Ausgleichung sind streitig und wenig geklärt. Ausgangspunkt der Ausgleichung bildet der (reine) Nachlass, d.h. das beim Tod des Erblassers noch vorhandene Vermögen abzüglich der Passiven. Durch Hinzurechnung der ausgleichungspflichtigen Zuwendungen entsteht die Teilungsmasse, aus der die Erbanteile errechnet werden können. Übersteigen die lebzeitigen Zuwendungen den Erbanteil, wird der Erbe - falls er nicht ausschlägt (E. 2.2 hiervor) - gegenüber den Miterben leistungspflichtig (vgl. zum Begrifflichen: EITEL, Berner Kommentar, 2004, N. 15 der Vorbem. vor Art. 626 ff. und N. 8 ff. zu Art. 628 ZGB; PIOTET, Erbrecht, Schweizerisches Privatrecht IV/1, Basel 1978, § 53/III S. 380 f. und § 62 S. 439 ff.; aus der Rechtsprechung zuletzt: BGE 127 III 396 E. 1b/cc und E. 2a S. 398 f.).
In Anbetracht der Überschuldung des Nachlasses hafteten die Beklagten bei voller Ausgleichungspflicht mit dem ganzen Wert der erhaltenen lebzeitigen Zuwendungen. Zu berücksichtigen ist hier indessen der erblasserische Ausgleichungsdispens, wonach die
BGE 131 III 49 S. 59
Zuwendungen in ihrem den Erbanteil überschiessenden Betrag nicht auszugleichen sind (E. 4.2 soeben). Dieser teilweise Ausgleichungsdispens im Umfang des Mehrwertes bzw. Überschusses nähert sich den Wirkungen eines vollen Ausgleichungsdispenses an, je geringfügiger der Erbanteil ausfällt. Fehlt es - wie hier - an einem Erbanteil überhaupt, weil auch nach Hinzurechnung der lebzeitigen Zuwendungen teilbare Aktiven nicht vorhanden sind, entspricht der ausgleichungsbefreite Mehrwert bzw. Überschuss der lebzeitigen Zuwendung in ihrem vollen Betrag. Dieses Ergebnis ist - ungeachtet der Berechnungsart - durch den Zweck des Ausgleichungsdispenses gerechtfertigt: Der Erlass der Ausgleichungspflicht für den Überschuss verhindert, dass der Erbe, der die Erbschaft annimmt und deshalb den Vorempfang ausgleichen muss, schlechter gestellt wird als der Erbe, der die Erbschaft ausschlägt und sich dadurch der Pflicht zur Ausgleichung des Vorempfangs entziehen kann (vgl. PIOTET, a.a.O., IV/1, § 47/VII/B S. 334; FORNI/ PIATTI, Basler Kommentar, 2003, N. 3 zu Art. 629 ZGB, mit weiteren Hinweisen).

4.3.3 Der Appellationshof ist zu einem abweichenden Ergebnis gelangt auf Grund seiner Annahme, der überschuldete Nachlass müsse mit "null" Franken bei der Berechnung der Erbanteile eingesetzt werden. Diese Auffassung wurde von den Kommentatoren zwar in ihren Erstauflagen noch geteilt, wird heute aber ebenso einhellig abgelehnt. Erbvorbezüge werden auch dann zum Nachlass hinzugerechnet, wenn dieser überschuldet ist. Der negative Saldo wird also durch den Wert der Erbvorbezüge verringert, eventuell sogar in einen positiven Saldo verwandelt (ESCHER/ESCHER, Zürcher Kommentar, 1959, N. 9 zu Art. 475 ZGB, und die Berner Kommentatoren: TUOR, 1952, N. 30 ff., und WEIMAR, 2000, N. 37, je zu Art. 474 ZGB).

4.3.4 Der Appellationshof hat sein Ergebnis zusätzlich auf den Gedanken gestützt, es müssten Manipulationen des Erblassers, die Haftung nach Art. 579 ZGB zu umgehen, vermieden werden. Soll indessen ein erblasserischer Ausgleichungsdispens im Rahmen von Art. 579 ZGB beachtlich sein, wie das der Appellationshof zu Recht anerkannt hat (E. 4.2 soeben), kann die Haftung des ausschlagenden Erben ausgeschlossen werden, indem der Erblasser ihn vollständig von der Ausgleichungspflicht befreit. Die erblasserische Befreiung von der Ausgleichungspflicht wird dadurch nicht per se rechtsmissbräuchlich. Es muss vielmehr ein Verhalten des
BGE 131 III 49 S. 60
Erblassers hinzutreten, das als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, weil es auf eine bewusste Benachteiligung der Gläubiger abzielt. Ist dies aber der Fall, liegt nicht mehr der Tatbestand von Art. 579 ZGB vor, der an die Ausschlagung der Erben anknüpft, sondern allenfalls ein Tatbestand der paulianischen Anfechtungsklagen, die an ein bestimmtes Verhalten des Schuldners anknüpfen (E. 4.2 soeben).

4.3.5 Aus den dargelegten Gründen muss die Berufung gutgeheissen und die Klage abgewiesen werden, soweit sie sich auf die Haftung der Erben gemäss Art. 579 ZGB stützt. Eine Überprüfung der eingeklagten Ansprüche unter dem Blickwinkel der paulianischen Anfechtungsklagen fällt ausser Betracht. Die Klägerin hat deren Voraussetzungen im kantonalen Verfahren weder behauptet noch bewiesen und ihre Ansprüche stets - so auch heute - aus der Haftung gemäss Art. 579 ZGB abgeleitet. Es fehlt damit an Tatsachenfeststellungen, die es gestatteten, die eingeklagte Forderung unter dem anderen Rechtstitel zu beurteilen (BGE 116 II 695 E. 4 S. 699; BGE 130 III 28 E. 4.4 S. 34).

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