BGE 105 III 38
 
9. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 27. Februar 1979 i.S. C. (Rekurs)
 
Regeste
Auskunft über Betreibungen (Art. 8 Abs. 2 SchKG).
 
Sachverhalt


BGE 105 III 38 (38):

Mit Schreiben vom 19. Oktober 1978 verlangte Rechtsanwalt C. vom Betreibungsamt Chur die Zustellung eines Auszugs aus dem Betreibungsregister über den in Chur wohnhaften H. Sein Begehren begründete er mit der Behauptung, er sei von einer Klientin in Sargans mit dem Inkasso einer Forderung gegen H. beauftragt worden. Das Betreibungsamt Chur lehnte dieses Begehren ab, weil ein Interesse an der gewünschten Auskunft nicht nachgewiesen sei. C. vertrat demgegenüber die Meinung, die Mitteilung eines Rechtsanwalts, dass er mit dem Inkasso einer Forderung gegenüber der Person, über welche ein Betreibungsauszug verlangt werde, betraut sei, müsse als Interessennachweis genügen. Das Betreibungsamt Chur lehnte hierauf das Begehren von Rechtsanwalt C. mit Verfügung vom 1. November 1978 ab.
Gegen diese Verfügung reichte Rechtsanwalt C. beim Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde ein. Diese wurde am 27. November 1978 abgewiesen.
C. führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit dem Antrag, der Entscheid der kantonalen

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Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und das Betreibungsamt Chur anzuweisen, den mit Schreiben vom 19. Oktober 1978 verlangten Betreibungsauszug betreffend H. sofort und unter Abzug der bereits per Nachnahme erhobenen Fr. 5.40 zuzustellen.
Die kantonale Aufsichtsbehörde beantragt Abweisung des Rekurses.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammerzieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 8 Abs. 2 SchKG kann jedermann, der ein Interesse nachweist, die von den Betreibungs- und Konkursämtern geführten Protokolle einsehen und sich Auszüge aus ihnen geben lassen. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung ein besonderes und gegenwärtiges Interesse. Dieses Interesse braucht nicht notwendigerweise finanzieller Art zu sein; vielmehr genügt ein rechtliches Interesse anderer Art. Ein strenger Nachweis des Interesses darf vom Gesuchsteller nicht verlangt werden, sondern die Einsicht ist ihm zu gewähren, wenn ernsthafte Indizien das Bestehen des Interesses wahrscheinlich machen (BGE 99 III 44, BGE 94 III 45 E. 1, BGE 93 III 6, BGE 52 III 75 und 79). Nach der Praxis genügt die Tatsache, dass zwischen dem Gesuchsteller und der Person, in deren Akten er Einsicht nehmen will, ein Prozess hängig ist, um das Interesse darzutun (BGE 91 III 96 und BGE 58 III 120, vgl. auch BGE 102 III 62). Hingegen wurde die Vorlage der Kopie eines Bestätigungsschreibens über den Eingang eines Kreditgesuchs als nicht genügend erachtet (BGE 94 III 45).
Der Rekurrent stellt sich auf den Standpunkt, dass die Mitteilung eines Anwalts als solche hiefür generell genüge. Er macht in der Rekursschrift geltend, dem Anwalt komme in der Öffentlichkeit und im besondern in der Rechtspflege eine Vertrauensstellung zu, was sich auch in der staatlichen Bewilligung für die Berufsausübung ausdrücke. Der Rechtsanwalt dürfe daher erwarten, dass ihm sowohl die Rechtsuchenden als

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auch die staatlichen Behörden Glauben und Vertrauen schenken, jedenfalls solange, als nicht konkrete Anhaltspunkte für seine Unglaubwürdigkeit vorlägen. Die Gerichte würden dementsprechend die Prozessvollmacht eines Anwalts vermuten und ihm die Akten regelmässig auf die blosse Mitteilung hin, er vertrete eine Partei, zur Einsichtnahme zustellen. Umso mehr sollte ein Betreibungsamt die Richtigkeit einer Mitteilung eines Anwalts annehmen, gehe es doch bloss um die Auskunft aus dem Betreibungsregister und müsse das Interesse nicht strikte nachgewiesen, sondern nur wahrscheinlich gemacht werden. Nach der Auffassung der Vorinstanz könnten jedoch die Äusserungen eines Anwalts nicht einmal mehr die Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen.
3. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat in ihrem Entscheid darauf hingewiesen, dass dem Gesuchsteller, der eine Auskunft aus dem Betreibungsregister verlangt, zuzumuten sei, schriftliche Dokumente oder Kopien davon vorzulegen, die zu beschaffen bei zweckmässiger Organisation nur wenig Zeit und Mühe erfordere. Die beigebrachten Unterlagen habe der Betreibungsbeamte grundsätzlich nach freiem Ermessen zu würdigen. Dem Gesuch eines Rechtsanwalts, dem keine weitern Unterlagen beigelegt würden, komme aber nicht von vorneherein erhöhte Glaubwürdigkeit oder höherer Beweiswert zu, auch wenn darin der Name des Auftraggebers und dessen rechtliche Beziehung zur Person, über die Auskunft verlangt werde, genannt seien. Je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles könne sich der Betreibungsbeamte zwar damit begnügen. Anderseits sei ihm nicht verwehrt, wenn er von den gemachten Angaben nicht genügend überzeugt sei, Beweisunterlagen, die ohne unzumutbaren Aufwand zu beschaffen seien, zu verlangen. Wenn der Betreibungsbeamte im vorliegenden Fall sich mit dem Gesuch eines Rechtsanwalts, der nicht im Kanton Graubünden tätig und dem Betreibungsbeamten nicht persönlich bekannt sei, nicht begnügt habe, so habe er von seinem Ermessen nicht in unzutreffender Weise Gebrauch gemacht, dies umso weniger, als auch die Person des Gläubigers dem Betreibungsbeamten nicht bekannt sei und über dessen angebliche Forderung keine Angaben im Register des Betreibungsamtes Chur enthalten seien.
4. ... Obwohl nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 SchKG für die Auskunftserteilung ein Interesse "nachgewiesen"

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werden muss (vgl. dazu JAEGER, N. 5 zu Art. 8 SchKG), verlangt die oben angeführte Praxis nur das Glaubhaftmachen eines Interesses (insbesondere BGE 52 III 76). Sie umschreibt die Glaubhaftmachung in dem Sinne, dass ernsthafte Indizien das Bestehen des behaupteten Interesses wahrscheinlich machen müssen (BGE 94 III 45 E. 2 und BGE 93 III 6). Dies kann aber nicht ohne die Vorlage oder wenigstens Bekanntgabe irgendwelcher Unterlagen geschehen. Eine blosse Behauptung vermittelt noch keine ernsthaften Indizien, auch wenn sie von einem patentierten Rechtsanwalt stammt. Einer solchen Behauptung zum vorneherein die Glaubhaftigkeit zuzuerkennen, ist trotz der besondern Vertrauensstellung eines Anwalts demnach nicht angängig. Es gibt zudem auch andere Berufe, die nur aufgrund eines Fähigkeitsausweises ausgeübt werden können und in gewissen Kantonen einer Bewilligungspflicht unterstehen, wie Treuhänder, Rechtsagenten, etc. Diese könnten dann von den Betreibungsämtern mit gutem Recht dieselbe Behandlung verlangen, wie sie den Rechtsanwälten zuteil würde. Auch stellte sich die Frage, ob auch in andern Verfahren, in denen das Glaubhaftmachen von Tatsachen verlangt wird, auf die blosse Behauptung eines Rechtsanwalts abzustellen wäre. Auf jeden Fall würde die Abgrenzung erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Der Argumentation des Rekurrenten, die Gerichte verlangten von patentierten Anwälten keine Vollmacht, ist entgegenzuhalten, dass dieser Grundsatz im bündnerischen Zivilprozess auf jeden Fall nicht gilt (Art. 41 ZPO des Kantons Graubünden). Einer Behörde ist es aber auch dann unbenommen, eine schriftliche Vollmacht zu verlangen, wenn in der Regel ein Anwalt auch ohne Vorlage einer Vollmacht als Vertreter anerkannt wird (z.B. Art. 120 des Gesetzes über die Zivilrechtspflege des Kantons St. Gallen). Im übrigen geht es im vorliegenden Fall gar nicht um die Frage der Bevollmächtigung, welche vom Betreibungsamt Chur nicht in Zweifel gezogen wurde. Vielmehr hat der Betreibungsbeamte vom Rekurrenten mit Recht einen Nachweis über den Bestand der Forderung seiner Klientin verlangt, nachdem er in seinen Registern vergeblich nach einer Forderung derselben gegen den Schuldner H. Nachschau gehalten hatte. Eine diese Forderung betreffende Betreibung hätte das Betreibungsamt als genügenden Interessennachweis gelten lassen, wie aus

BGE 105 III 38 (42):

der Verfügung vom 1. November 1978 hervorgeht. Es kann daher nicht gesagt werden, das Betreibungsamt Chur habe die Anforderungen an den Nachweis des Interesses im Sinne von Art. 8 Abs. 2 SchKG überspannt.
Wenn die Vorinstanz das Vorgehen des Betreibungsamts Chur geschützt hat, kann ihr nach dem Ausgeführten keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden.
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.