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Urteilskopf

86 III 102


26. Entscheid vom 14. Dezember 1960 i.S. Häfeli und Konkursamt Wil.

Regeste

Verwertung im Konkurs.
Unter welchen Voraussetzungen können Beschlüsse der zweiten Gläubigerversammlung über Verwertungsmassnahmen (Art. 253 Abs. 2 SchKG) durch Beschwerde angefochten werden? Wegen Ermessensmissbrauchs gesetzwidriger Freihandverkauf?

Sachverhalt ab Seite 102

BGE 86 III 102 S. 102
Im Konkurs über den Nachlass des Landwirts und Händlers Josef Willi in Rossrüti fand am 20. September 1960 die II. Gläubigerversammlung statt. Von den 16 kollozierten Gläubigern waren 13 anwesend oder vertreten.
Auf Antrag des Konkursamtes Wil beschloss die Versammlung mit 8 gegen 4 Stimmen bei einer Stimmenthaltung, die Liegenschaft des Verstorbenen in Rossrüti, das landwirtschaftliche Heimwesen Talhof im Ausmass von ca. 10 ha, das gemäss Schätzung der gemeinderätlichen Schatzungskommission einen Ertragswert von Fr. 83'000.-- und einen Verkehrswert von Fr. 99'000.-- aufweist und für das die Belastungsgrenze im Sinne des LEG auf Fr. 90'000.-- festgesetzt worden war, zum konkursamtlichen Schätzungswerte von Fr. 137'000.-- zuzüglich Verwertungs- und Handänderungskosten an den frühern Knecht und nunmehrigen Pächter Eugen Häfeli, den Pflegesohn Willis, zu verkaufen, der im Konkurs mit einer Forderung von Fr. 13'500.-- zugelassen worden war.
Gegen diesen Beschluss führten die fünf Gläubiger (Basler Banken mit hohen Forderungen aus Wechselakzepten), die dagegen gestimmt bezw. sich der Stimme
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enthalten hatten, Beschwerde mit dem Antrag, er sei aufzuheben. Am 28. November 1960 hat die kantonale Aufsichtsbehörde diesem Begehren stattgegeben.
Diesen Entscheid haben Häfeli und das Konkursamt an das Bundesgericht weitergezogen.

Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Nach Art. 253 Abs. 2 SchKG beschliesst die II. Gläubigerversammlung über die Bestätigung der Konkursverwaltung und gegebenenfalls des Gläubigerausschusses und "ordnet unbeschränkt alles Weitere für die Durchführung des Konkurses an." Dass gegen ihre Beschlüsse Beschwerde geführt werden könne, ist im Gesetz (das in Art. 239 die Beschwerde gegen Beschlüsse der I. Gläubigerversammlung regelt) nicht vorgesehen. Dies bedeutet nun freilich nicht, dass die Beschlüsse der II. Gläubigerversammlung über die Verwertung schlechthin unanfechtbar seien. Vielmehr hat die Praxis mit Recht angenommen, die der II. Gläubigerversammlung nach Art. 253 Abs. 2 SchKG in dieser Hinsicht zustehende Entscheidungsbefugnis sei nur insofern unbeschränkt, als diese Versammlung über Fragen der Angemessenheit abschliessend zu befinden habe; wegen Gesetzwidrigkeit könne dagegen auch gegen Beschlüsse der II. Gläubigerversammlung Beschwerde geführt werden; gesetzwidrig sei ein Beschluss der II. Gläubigerversammlung insbesondere auch dann, wenn die Versammlung bezw. die Gläubigermehrheit unter Missbrauch der ihr eingeräumten Macht eine mit dem Zweck des Konkursverfahrens offenkundig unverträgliche Massnahme beschlossen habe (BGE 32 I 200ff., 211 ff., 428/29 = Sep. ausg. 9 S. 28 ff., 39 ff., 198/99; BGE 39 I 291= Sep. ausg. 16 S. 107; BGE 41 III 213, BGE 42 III 89, BGE 47 III 37, BGE 48 III 42, BGE 61 III 130).
Beim Entscheid darüber, ob eine Verwertungsmassnahme in diesem Sinne missbräuchlich sei, ist von den Tatsachen auszugehen, die den Gläubigern im Zeitpunkt
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der II. Gläubigerversammlung bekannt waren oder bekannt sein mussten; denn nur auf Grund dessen, was die Gläubiger wussten oder wissen mussten, kann ihnen gegebenenfalls ein Missbrauch ihrer Befugnisse vorgeworfen werden.
Im vorliegenden Falle war den Gläubigern nur bekannt, dass einerseits Häfeli, der die Liegenschaft genauestens kannte und sich über seine Zahlungsfähigkeit ausgewiesen hatte, den Betrag von Fr. 137'000.-- bot, auf den die von keiner Seite angefochtene Schätzung des Konkursamtes lautete, und dass anderseits ein gewisser Josef Hug, Liegenschaftenhändler in Tägerschen, der die Liegenschaft nach der Darstellung des Konkursamtes nicht besichtigt hatte und über dessen Vertrauenswürdigkeit nichts mitgeteilt wurde, dem Schweiz. Bankverein in Basel (nicht dem Konkursamt) erklärt hatte, er wäre bereit, die Liegenschaft zum Preise von Fr. 150'000.-- zu übernehmen. Nach den Angaben in der Beschwerdeschrift gab der als Vertreter der Schweiz. Kreditanstalt in Basel erschienene Dr. Hegetschweiler der Gläubigerversammlung ausserdem bekannt, Direktor Strässle von der Filiale Spalenberg in Basel habe "ihm gegenüber einen Interessenten erwähnt, der Fr. 180'000.-- genannt habe". Dem festen Angebot des erwiesenermassen zahlungsfähigen Gläubigers Häfeli standen also bloss ganz unverbindliche, allem Anschein nach ohne vorherige Prüfung des Kaufsobjektes erfolgte Äusserungen eines den meisten Gläubigern unbekannten und eines überhaupt nicht genannten Dritten gegenüber. Unter diesen Umständen war es keineswegs missbräuchlich, wenn die Mehrheit der Gläubiger sich für die Annahme des Angebots von Häfeli entschied, das dieser aus verständlichen Gründen (um im Falle einer Ablehnung genügend Zeit für die Suche nach einem andern Heimwesen auf den Frühling 1961 zu haben) bis zum Tage der II. Gläubigerversammlung befristet hatte. Für die Gläubiger bestand keinerlei Gewähr dafür, dass Hug oder der ungenannte weitere Interessent oder jemand anders bereit und in der Lage sein würde, für die (nach dem Berichte des Konkursamts
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an die II. Gläubigerversammlung mit gewissen Nachteilen behaftete) Liegenschaft einen höhern als den von Häfeli angebotenen Preis zu bezahlen, der vom Konkursamt und vom Gemeindeammann von Bronschhofen als angemessen beurteilt wurde. Sie konnten nicht einmal bestimmt damit rechnen, dass bei einer Versteigerung auch nur dieser Betrag gelöst würde. Die Gläubigermehrheit konnte also sehr wohl finden, es liege im wohlverstandenen Interesse aller Gläubiger, das Angebot Häfelis anzunehmen. Es kann ihr nicht vorgeworfen werden, sie sei unter Hintansetzung der Interessen der in der 5. Klasse kollozierten Banken darauf ausgegangen, Häfeli einen ihm nicht zukommenden Vorteil zu verschaffen. Die Beschwerde der Banken ist daher unbegründet.
Nicht entscheidend, aber immerhin erwähnenswert ist im übrigen, dass die weitere Entwicklung der Gläubigermehrheit recht gegeben zu haben scheint. Josef Hug zog seine "Offerte" am 14. Oktober 1960 zurück, nachdem er erfahren hatte, dass ein sofortiger Weiterverkauf der Liegenschaft unzulässig sei (!). Der von Dr. Hegetschweiler erwähnte weitere Interessent, bei dem es sich nach den Angaben in der Beschwerdeschrift um einen gewissen Walter Kämpfin Basel handelt, liess sich bei der Beantwortung von Anfragen des Konkursamts reichlich Zeit, und die (erstmals) in der Beschwerdeschrift ausserdem noch als Interessenten genannten Frid. Hinder und Hans Oberli bestritten in der Folge, je ein Angebot gemacht zu haben.

Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
In Gutheissung der Rekurse wird der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Beschwerde gegen den Beschluss der II. Gläubigerversammlung vom 20. September 1960 abgewiesen.

Inhalt

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Sachverhalt

Dispositiv

Referenzen

Artikel: Art. 253 Abs. 2 SchKG