BGE 86 III 64
 
18. Entscheid vom 13. April 1960 i.S. Hufschmid.
 
Regeste
Widerspruchsverfahren (Art. 106 ff. SchKG).
 
Sachverhalt


BGE 86 III 64 (64):

A.- Das Betreibungsamt Zürich 11 pfändete am 20. August 1959 in der Betreibung Nr. 64177 gegen Frau Marta Hufschmid unter Nr. 1 einen Schiessautomaten. Auf diesen Gegenstand hatten laut einer Vereinbarung vom 23. Dezember 1957 mit der (hiebei durch den Ehemann Alfred Hufschmid vertretenen) Schuldnerin deren Gläubiger Heinrich Joss und Heinz Müller für eine Restforderung von Fr. 3660.-- "Eigentumsvorbehalt erhoben".
Die Schuldnerin bezeichnete ihn demgemäss bei der Pfändung als im Eigentum dieser Dritten stehend. Da der betreibende Gläubiger den Drittanspruch bestritt, setzte das Betreibungsamt ihnen Frist zur Widerspruchsklage an, die sie jedoch unbenutzt verstreichen liessen.
B.- Dem Ehemann Alfred Hufschmid teilte das Betreibungsamt

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den Pfändungsvollzug am 24. August 1959 mittels des fakultativen Formulars Nr. 2 mit, das den vorgedruckten Hinweis enthält: "Sollten Sie Eigentum oder beschränkte dingliche Rechte an gepfändeten Sachen geltend machen wollen, so ist dies dem Betreibungsamt binnen 10 Tagen zu melden, ansonst Sie Gefahr laufen, dass die Ansprache nicht mehr berücksichtigt werden könnte." Alfred Hufschmid meldete vorerst keine eigenen Rechte an dem gepfändeten Schiessautomaten an, da er wie die Schuldnerin die von ihr bezeichneten Dritten als die wahren Eigentümer betrachtete.
C.- Als er dann aber von dem infolge Unterbleibens einer Widerspruchsklage gestellten Verwertungsbegehren am 11. November 1959 erfuhr, reichte er am 16. November 1959 beim Betreibungsamt eine Eigentumsansprache ein, mit folgender Begründung: "Dadurch, dass die Herren Müller & Joss ihren Eigentumsvorbehalt laut Beilagen Vertrag vom 5. Mai 1957 und Vereinbarung vom 23. Dezember 1957 fallen gelassen haben, so scheidet dieser Schiessautomat aus dem Vertrage und Vereinbarung aus, und dieser Schiessautomat mein Eigentum ist und nicht von Frau M. Hufschmid...".
D.- Das Betreibungsamt lehnte es am 20. November 1959 ab, dieser nachträglichen Eigentumsansprache Folge zu geben. Es erklärte, Hufschmid hätte die Ansprache vorsorglich spätestens am 3. September 1959 geltend machen müssen. Würde sie noch entgegengenommen, so ergäbe sich daraus eine Verzögerung des Betreibungsverfahrens. "Da Sie diese Verzögerung durch geeignete Abwehrmassnahmen hätten verhindern können, muss sie als arglistig gelten...".
E.- Beschwerde und Rekurs des Alfred Hufschmid an die kantonalen Aufsichtsbehörden blieben erfolglos.
F.- Mit vorliegendem Rekurs gegen den oberinstanzlichen Entscheid vom 29. März 1960 hält Hufschmid an der Beschwerde fest.
 


BGE 86 III 64 (66):

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Die Pfändung erfolgt unter Vorbehalt der an den gepfändeten Sachen bestehenden Drittmannsrechte, die die Verwertung ausschliessen (so das Eigentum) oder nur nach dem Deckungsprinzip zulassen (so das Pfandrecht). Um den Eingriff in solche Rechte Dritter nach Möglichkeit zu vermeiden, gestattet das Gesetz deren Geltendmachung grundsätzlich jederzeit, solange nicht durch betreibungsamtliche Fristansetzung eine bestimmte Rechtslage geschaffen ist, ja selbst noch an dem die Sache ersetzenden ErIÖs, solange er nicht verteilt ist (Art. 107 Abs. 4 SchKG). Freilich handelt widerrechtlich, wer sein (wirkliches oder vermeintliches) Recht an gepfändeter Sache ohne triftigen Grund absichtlich verschweigt, um es erst im spätern Verlauf des Betreibungsverfahrens geltend zu machen und dadurch dieses Verfahren aufzuhalten oder sonstwie zu stören. Solches Verhalten ist auch nach der neuern Rechtsprechung verpönt, die nicht mehr den durch BGE 37 I 463 = Sep.-Ausg. 14 S. 242 aufgestellten Grundsatz gelten lässt, wonach die nicht binnen zehn Tagen seit Kenntnisnahme von der Pfändung der Sache erhobene Eigentums- oder Pfandansprache verwirkt war, sofern sich der Dritte nicht auf Verhinderung oder einen andern zureichenden Rechtfertigungsgrund zu berufen vermochte. Eine derartige - vom Gesetz nicht vorgesehene, ja der eingangs erwähnten Vorschrift von Art. 107 Abs. 4 SchKG widersprechende - Verwirkungsfrist ist durch die wegleitend gebliebene Entscheidung vom 28. März 1941 (BGE 67 III 65) mit Recht nicht mehr anerkannt worden. Demgemäss ist auch die im fakultativen Formular Nr. 2 "Anzeige vom Vollzug einer Pfändung" enthaltene Bemerkung "ist dies dem Betreibungsamt binnen 10 Tagen zu melden" nicht als Ansetzung einer Verwirkungsfrist, sondern bloss als warnender, vom Adressaten im eigenen

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Interesse zu beachtender Hinweis zu verstehen (BGE 83 24/25). Nur dann verdient eine nach Kenntnisnahme von der Pfändung der Sache nicht tunlich bald erhobene Drittansprache nicht mehr berücksichtigt zu werden, wenn das Zuwarten nicht auf blosser Sorglosigkeit, sondern auf Arglist beruht. Je länger der Dritte mit der Anmeldung zuwartet, desto mehr setzt er sich, sofern keine bestimmten Gründe des Zuwartens ersichtlich sind, dem Verdacht solcher Arglist aus. Um diesen Verdacht nicht zur Gewissheit werden zu lassen, ist er gehalten, die Gründe der grossen Verzögerung anzugeben. Unterlässt er es, oder beruft er sich auf blosse Vorwände, so drängt sich unter Umständen die Annahme auf, er habe so lange geschwiegen, um den Gang der Betreibung böswillig aufzuhalten; jedenfalls sei er sich der Wirkung seines Abwartens bewusst gewesen und müsse beim Fehlen ernsthafter Gründe hiefür des rechtsmissbräuchlichen, arglistigen Verhaltens bezichtigt werden (BGE 78 III 73/74, BGE 83 III 25 /26, BGE 84 III 87 /88).
2. Was im vorliegenden Falle festgestellt ist, rechtfertigt den Vorwurf solchen Verhaltens nicht. Die Schuldnerin hatte den Schiessautomaten bei der Pfändung nicht etwa als ihr gehörend, sondern als Eigentum Dritter bezeichnet, allerdings nicht ihres Ehemannes (des Rekurrenten), sondern zweier Vertragspartner laut einer Vereinbarung vom 23. Dezember 1957. Im Hinblick auf die Vertragsklausel, wonach diese Kontrahenten "auf den noch verbleibenden Automaten Eigentumsvorbehalt erheben", betrachtete auch der Rekurrent sie im Zeitpunkt der Pfändung als Eigentümer, wie die Vorinstanz selbst ausführt (Seite 3, Zeilen 6/7). Laut der Vernehmlassung des Betreibungsamtes war er sogar noch nach dem 10. November 1959, d.h. nach der Mitteilung des Verwertungsbegehrens, dieser Ansicht, als er zu näherer Erkundigung auf dem Amte vorsprach. "Erst als ihm der Unterzeichnete eröffnete, er halte die Vereinbarungen und insbesondere die Übertragung des Eigentums an die

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Herren Joss und Müller als materiellrechtlich fragwürdig, erklärte Hufschmid, dann sei damit er Eigentümer des gepfändeten Gerätes." Mit dieser Darlegung ist der Vorwurf des arglistigen Zuwartens eindeutig widerlegt; denn bis zu der erwähnten Unterredung hatte der Rekurrent nicht sich selbst als Eigentümer betrachtet, und als er nun der Schwäche seines bisherigen Standpunktes inne wurde, säumte er nicht mit der Anmeldung seines Eigentums. Er hatte übrigens erst durch die Mitteilung des Verwertungsbegehrens, am 10. November 1959, von der Unterlassung einer Widerspruchsklage seitens Joss und Müller Kenntnis erhalten. Bis dahin hatte er in guten Treuen annehmen können, diese Dritten würden ihre allfälligen Rechte, an deren Bestand er glaubte, in gehöriger Weise geltend machen, wie er sie denn am 21. Oktober 1959 zur Durchführung der "Anspruchsklage" ermuntert hatte mit dem Bemerken, sie seien im vollen Recht.
3. Die Vorinstanz hält indessen die Änderung des Standpunktes auch beim Fehlen einer Verschleppungsabsicht für missbräuchlich: "Die Tatsache, dass die mit Wissen des Beschwerdeführers zuvor als Eigentümer bezeichneten Joss und Müller auf den Widerspruchsprozess verzichteten, gab dem Beschwerdeführer Anlass, drei Monate nach der Pfändung einen mit seiner frühern Ansicht in Widerspruch stehenden Standpunkt einzunehmen und nun für sich das Eigentum geltend zu machen. Dieses Verhalten ist arglistig. Der Schiessapparat konnte im Zeitpunkt der Pfändung nicht sowohl dem Beschwerdeführer als auch Müller und Joss zu Eigentum zustehen. Die eine oder andere dieser Eigentumsansprachen erfolgte deshalb mit Wissen des Beschwerdeführers zu Unrecht." Dem ist nicht beizustimmen. Die oben dargelegten Umstände sprechen nicht für, sondern vielmehr gegen die Annahme, der Rekurrent habe sich von Anfang an als Eigentümer betrachtet und den Ausgang des gegenüber Joss und Müller eingeleiteten Widerspruchsverfahrens vorausgesehen. Auch die Änderung seines Standpunktes,

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nachdem er vom Klageverzicht jener Dritten erfahren hatte und vom Betreibungsamt über die Fragwürdigkeit der Eigentumsübertragung auf sie belehrt worden war, hat nichts Arglistiges an sich. Wenn diese Übertragung nicht zustande gekommen war, blieb er eben, wie er annahm, entsprechend der frühern Sachlage der Eigentümer.
Die Vorinstanz spricht anscheinend nur deshalb von Arglist, weil seit der dem Rekurrenten alsbald bekannt gewordenen Pfändung mehrere Monate verstrichen, bis er seine Ansprache erhob. Dadurch ist jedoch Arglist im wahren Sinne des Wortes nicht dargetan. Es geht nicht an, ein Verhalten wegen des Zeitablaufes unbegründeterweise trotz den von der Vorinstanz denn auch an sich erkannten Gegentatsachen als arglistig zu fingieren und so die von der Rechtsprechung aufgegebene Befristung der Anmeldung von Drittansprüchen wieder einzuführen.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Zürich 11 angewiesen wird, die Eigentumsansprache des Rekurrenten entgegenzunehmen und das den Gewahrsamsverhältnissen entsprechende Widerspruchsverfahren einzuleiten.