BGE 84 III 117
 
28. Auszug aus dem Entscheid vom 25. Oktober 1958 i.S. S. und R.
 
Regeste
Nachlassstundung (Art. 293 ff. SchKG).
 
Sachverhalt


BGE 84 III 117 (117):

Aus dem Tatbestand:
A.- Die Schuldnerfirma erhielt am 14. Juli 1956 eine Nachlassstundung, die, nach Verlängerung gemäss Art. 295 Abs. 4 SchKG, bis zum 14. Januar 1957 dauerte. Über den innert dieser Frist eingereichten Nachlassvertrag entschied die erstinstanzliche Nachlassbehörde zunächst nicht durch Bestätigung oder Verwerfung, sondern sie ordnete, auf ausdrückliches Begehren von Gläubigerseite, eine gutachtliche Überprüfung der schuldnerischen Angaben an. Nach Eingang der Expertise, die weit grössere Aktiven feststellte, als angegeben worden war, fällte das Nachlassgericht wiederum keinen Endentscheid, sondern gab mit Beschluss vom 9. Mai 1958 der Schuldnerin Gelegenheit, binnen zwei Monaten eine neue Nachlassofferte

BGE 84 III 117 (118):

einzureichen. Nachdem dies geschehen war, wurde durch "Urteilsrezess" vom 25. August/15. September 1958 der Nachlassvertrag bestätigt. Die opponierenden Gläubiger (u.a. die heutigen Rekurrenten) zogen diesen Entscheid an die obere Nachlassbehörde weiter, wo die Sache noch hängig ist.
B.- Sie leiteten ferner, ohne den Ausgang des Bestätigungsverfahrens abzuwarten, Betreibung ein, da die Nachlassstundung längst abgelaufen sei. Das Betreibungsamt gab ihrem Begehren Folge, doch wurde die Betreibung auf Begehren der Schuldnerin von der untern Aufsichtsbehörde aufgehoben, und die kantonale Oberbehörde bestätigte diesen Entscheid.
C.- Mit vorliegendem Rekurs halten die betreibenden Gläubiger am Antrag fest, die von ihnen eingeleitete Betreibung sei als gültig anzuerkennen.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Die Befristung der Nachlassstundung auf eine bestimmte Dauer mit allfälliger Verlängerung im gesetzlichen Rahmen (Art. 295 SchKG) hat nach ständiger, vom Bundesrat begründeter und vom Bundesgericht beibehaltener Praxis keine absolute Bedeutung in dem Sinne, dass das Betreibungsverbot in allen Fällen auf die Dauer jener Frist begrenzt wäre. Notwendig ist freilich, dass das in die Hand des Sachwalters gelegte Vorbereitungsverfahren binnen dieser Frist zum Abschluss komme, d.h. die Akten mit seinem Gutachten vor Ablauf der Stundungsfrist gemäss Art. 304 SchKG der Nachlassbehörde unterbreitet werden. Geschieht dies indessen, so gilt einerseits die Angelegenheit als fristgemäss bei der Nachlassbehörde zum Entscheid über Bestätigung oder Verwerfung des Nachlassvertrages angebracht, und anderseits werden die Wirkungen der Nachlassstundung als bis zur öffentlichen Bekanntmachung des Endentscheides der Nachlassbehörde

BGE 84 III 117 (119):

(allenfalls der obern Instanz im Rekursverfahren nach Art. 307 SchKG) fortdauernd erachtet (Entscheid des Bundesrates vom 24. Oktober 1893: Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs 3 N. 9;BGE 33 I 813= Sep.-Ausg. 10 S. 237). An dieser von der Rechtslehre gebilligten Praxis (JAEGER, N. 2 zu Art. 295 und N. 5 zu Art. 308 SchKG; BLUMENSTEIN, Handbuch S. 901 Fuss-N. 13; E. BRAND, Nachlassvertrag II, SJK 959, Fuss-N. 16) ist festzuhalten. Durch die zeitliche Begrenzung der Nachlassstundung sollen Schuldner und Sachwalter zu ungesäumter Beschaffung der Grundlagen für den behördlichen Entscheid veranlasst werden. Der Zweck der Befristung ist erfüllt, wenn die Nachlassbehörde innert der Frist mit der Vorlage befasst wird. Damit soll aber nicht nur der Anspruch auf einen Sachentscheid gewahrt sein, sondern der Schuldner bis zur rechtskräftigen Erledigung der Sache auch im Genuss der Stundungswirkungen bleiben, ansonst er Eingriffen ausgesetzt wäre, die den Vollzug des Nachlassvertrages erschweren könnten und jedenfalls, wenn dieser bestätigt wird, sich als überflüssig erweisen.
An dieser Rechtslage hat sich durch die Gesetzesrevision vom 28. September 1949 nichts geändert. Wenn danach die Nachlassstundung nunmehr erstmals bis zu vier Monaten (statt wie bisher nur bis zu zwei Monaten) bemessen werden darf (mit unveränderter Möglichkeit einer Verlängerung um höchstens zwei Monate), so ist dadurch lediglich dem Vorbereitungsverfahren mehr Raum gegeben, der Stundung als solcher aber keine andere Bedeutung beigelegt worden. Es bleibt daher bei der wirksamen Einhaltung der Stundungsfrist, wenn vor deren Ablauf das Bestätigungsverfahren bei der Nachlassbehörde gemäss Art. 304 SchKG eingeleitet wird. Und mit Rücksicht auf den ausstehenden Sachentscheid müssen die Wirkungen der Stundung nach wie vor bis zur Beendigung des gesamten Nachlassverfahrens fortdauern. Diesen letztern Grundsatz bringt übrigens die Vorschrift von Art. 308 Abs. 2 SchKG zum Ausdruck, wonach mit der

BGE 84 III 117 (120):

öffentlichen Bekanntmachung des Entscheides über Bestätigung oder Verwerfung des Nachlassvertrages (nach Eintritt der Rechtskraft gemäss Abs. 1 daselbst) "die Wirkungen der Stundung dahinfallen". Freilich wird dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass binnen der Stundungsfrist als solcher das Nötige vorgekehrt wurde, um einem Hinfall der Stundungswirkungen vorzubeugen. Dies ist aber im vorliegenden Falle nach dem Gesagten geschehen.
2. Die Rekurrenten nehmen ferner den Standpunkt ein, auch wenn man grundsätzlich die im soeben dargelegten Sinn benutzte Nachlassstundung fortdauern lasse, könne doch das Betreibungsverbot nicht beliebig lange aufrecht bleiben, sondern sei bei ungebührlicher Verzögerung des Entscheides der Nachlassbehörde als hinfällig zu betrachten. Dem ist nicht beizustimmen. Ist die Nachlassbehörde fristgemäss mit der Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Nachlassvertrages befasst worden, so muss vielmehr auch die Stundung bis zur Bekanntmachung des rechtskräftigen Endentscheides andauern. Fraglich kann nur sein, ob die Gläubiger jede Verzögerung dieses Entscheides hinzunehmen haben, oder ob ihnen Rechtsmittel zur Verfügung stehen, um eine Beschleunigung des Bestätigungsverfahrens zu erwirken oder aber dieses als erfolglos ohne Sachentscheid beendigen zu lassen. Darüber ist indessen hier nicht zu befinden, da es keinesfalls den betreibungsrechtlichen Aufsichtsbehörden zusteht, gegen die Nachlassbehörden einzuschreiten. Solange das Bestätigungsverfahren vor diesen Behörden hängig ist - und das trifft im vorliegenden Falle zur Zeit noch zu - haben die Betreibungsbehörden die fortdauernden Wirkungen der Nachlassstundung zu beachten. AusBGE 51 III 189, worauf die Rekurrenten mit dem von ihnen befragten Gutachter hinweisen, lässt sich nichts Abweichendes herleiten. Wenn die Nachlassbehörde das Bestätigungsverfahren über die bei ihr fristgemäss angebrachte Angelegenheit durchführt, so handelt sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit,

BGE 84 III 117 (121):

und es kann von einem unzuständigerweise erfolgenden Eingriff in ein Betreibungsverfahren nicht die Rede sein.
.....
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.