BGE 108 II 527
 
98. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1982 i.S. S. gegen A. (Berufung)
 
Regeste
Ergänzung eines Vaterschaftsurteils.
 
Sachverhalt


BGE 108 II 527 (528):

A.- F. S., am 22. Mai 1975 als Tochter der V. S. geboren, erhob im Januar 1976 gegen O. A. gestützt auf Art. 307/319 aZGB Vaterschaftsklage. Ein biostatistisches Gutachten ergab eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,9%, worauf dieser anerkannte, der Vater des Kindes zu sein. Kurz vor Inkrafttreten der Änderung der Bestimmungen des ZGB betreffend das Kindesverhältnis am 1. Januar 1978 stritten die Parteien vor Obergericht des Kantons Zürich noch über die Unterhaltsleistungen des Beklagten. In ihrer Anschlussberufung vom 30. Januar 1978 verlangte die Klägerin eine Erhöhung der Unterhaltsbeiträge und stellte zusätzlich folgenden Antrag:
"Im Sinne von Art. 13 SchlT des neuen Kindesrechts sei die Klage von Amtes wegen nach neuem Recht zu beurteilen. Demzufolge sei
a) das Kindesverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten festzustellen;
b) der Beklagte in Änderung des Klagebegehrens zu verpflichten, die eingeklagten Unterhaltsbeiträge bis zur Mündigkeit des Kindes und weiterhin, bis seine Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann, zu erbringen."
Im Laufe der Berufungsverhandlung liess der Beklagte vorbringen, er sei gegen eine formelle Feststellung der Vaterschaft, überlasse die Prüfung dieser Frage aber dem Gericht. Daraufhin nahmen die Parteien Vergleichsverhandlungen auf, die zu einer Einigung über die strittigen Unterhaltsbeiträge und die aussergerichtlichen Prozessentschädigungen führten. Aus vollstreckungsrechtlichen Gründen ersuchten die Parteien das Obergericht um Erlass eines formellen Urteils. Dieses fällte daher am 12. September 1978 einen entsprechenden Entscheid. Damit unterblieb aber die von der Klägerin beantragte Feststellung des Kindesverhältnisses zum Beklagten.
Ein Erläuterungsgesuch der Klägerin, womit sie eine Ergänzung des Urteils vom 12. September 1978 mit der Feststellung, dass ab 1. Januar 1978 das Kindesverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten bestehe, anstrebte, wurde vom Obergericht am 11. Dezember 1978 abgewiesen. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies eine von der Klägerin dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde am 23. Februar 1979 ebenfalls ab. Schliesslich erhob die Klägerin gegen das Urteil des Obergerichts beim Bundesgericht Berufung, auf die wegen Verspätung mit Urteil vom 2. Mai 1979 nicht eingetreten werden konnte.
B.- Am 19. Juni 1979 reichte die Klägerin beim Bezirksgericht Zürich eine Feststellungsklage ein, die sie auf Art. 13a SchlT ZGB

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stützte. Mit Urteil vom 13. Mai 1981 hiess das Bezirksgericht die Klage gut und stellte fest, dass die Klägerin das Kind des Beklagten sei. Dieser zog das Urteil an das Obergericht des Kantons Zürich weiter, welches die Berufung am 8. Dezember 1981 guthiess und die Klage abwies. Es hielt fest, dass die Anwendung von Art. 13a SchlT ZGB ausser Betracht falle, dass aber auch Art. 13 SchlT ZGB nicht mehr angerufen werden könne, weil das Urteil vom 12. September 1978 durch rechtzeitige Berufung an das Bundesgericht hätte geändert werden können. Da diese verspätet erhoben worden sei, könne die Korrektur nun nicht mehr vorgenommen werden.
C.- Die Klägerin führt Berufung an das Bundesgericht und stellt den Antrag, in Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 8. Dezember 1981 sei festzustellen, dass mit Wirkung ab 1. Januar 1978 das Kindesverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestehe.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und hebt das angefochtene Urteil auf. Es stellt fest, dass zwischen der Klägerin und dem Beklagten das Kindesverhältnis besteht.
 
Aus den Erwägungen:
1. a) Die Klägerin wurde vor dem 1. Januar 1978 geboren. Vor diesem Zeitpunkt kannte das schweizerische ZGB zwei Arten von Rechtsverhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserhalb der Ehe geborenen Kind. Einerseits bestand ein dem ehelichen weitgehend gleichgestelltes Kindesverhältnis mit sogenannter Standesfolge, anderseits beschränkten sich die rechtlichen Beziehungen zwischen Vater und Kind auf die blosse Unterhaltspflicht, was als Zahlvaterschaft umschrieben wurde. Wenn der Vater das Kind nicht anerkannte, konnte der Richter das volle verwandtschaftliche Kindesverhältnis im Sinne von Art. 323 aZGB nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen begründen. Diese waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Klägerin blieb daher nur die Möglichkeit, eine Klage auf Vermögensleistungen im Sinne von Art. 319 aZGB zu erheben.
b) Mit dem Inkrafttreten des neuen Kindesrechts am 1. Januar 1978 hat der Gesetzgeber den Dualismus von Zahlvaterschaft und Zusprechung mit Standesfolge aufgehoben (Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1974, BBl 1974 II 1 ff., 15 ff. und insbesondere 18). An dessen Stelle ist im neuen Recht unter weitmöglichster

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Angleichung an die Stellung des in der Ehe geborenen Kindes das volle Kindesverhältnis zwischen dem Vater und seinem nicht in der Ehe geborenen Kind getreten. Eine blosse Zahlvaterschaft gibt es nicht mehr (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, S. 22; HAUSHEER, Die Begründung des Eltern-Kind-Verhältnisses, in: Das neue Kindesrecht, Berner Tage für die juristische Praxis 1977, S. 26; TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, Supplement zur 9. Aufl., S. 20). Damit ist aber auch die Pflicht zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen, die ihren Grund in der Vaterschaft des Leistungspflichtigen hat, notwendigerweise mit einem verwandtschaftlichen Verhältnis zwischen Vater und Kind verknüpft.
Zwar erwähnt die Botschaft des Bundesrates zum Gesetzesentwurf für das neue Kindesrecht die auch unter dem neuen Recht bestehende Möglichkeit, rein obligationenrechtliche Unterhaltsverträge abzuschliessen (BBl 1974 II 64). Indessen haben solche Verträge mit der Vaterschaftsklage auf Leistung von Unterhaltsbeiträgen, wie sie von der Klägerin vor dem 1. Januar 1978 geltend gemacht, aber in diesem Zeitpunkt noch nicht abschliessend beurteilt worden ist, nichts gemeinsam (HEGNAUER, a.a.O., S. 123; HAUSHEER, a.a.O., S. 31). Solche schuldrechtliche Unterhaltsverträge bleiben auch unter dem neuen Recht der richterlichen Genehmigung durch Urteil in einem Vaterschaftsprozess grundsätzlich entzogen. Sie können u.a. dann vorkommen, wenn die unverheiratete Mutter den Namen des Vaters dem Beistand des Kindes verschweigt oder der verheiratete durch das Zivilstandsregister ausgewiesene Vater die Ehelichkeit des Kindes nicht anficht, aber unter der Hand mit dem Erzeuger des Kindes Abmachungen über Unterhaltsbeiträge getroffen werden (BBl 1974 II 64; REUSSER, Unterhaltspflicht, Unterstützungspflicht, Kindesvermögen, in: Das neue Kindesrecht, Berner Tage für juristische Praxis 1977, S. 70). Auch das neue Recht spricht zwar in Art. 287 ZGB von Unterhaltsverträgen; das Marginale lässt aber keinen Zweifel daran, dass hier "Verträge über die Unterhaltspflicht" im Sinne der Art. 276 ff. ZGB gemeint sind, die ihrerseits ihren Rechtsgrund nur in einem rechtlich anerkannten Kindesverhältnis haben. Demnach haben Vereinbarungen über den Unterhalt für ein Kind unter neuem Recht ihre Grundlage entweder im schon bestehenden familienrechtlichen Kindesverhältnis oder in einer rein schuldrechtlichen Willensübereinstimmung. Im zweiten Fall bleiben die Ansprüche des nicht in der Ehe geborenen Kindes auf Begründung

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des Kindesverhältnisses zu seinem Vater mit der gesetzlichen Rechtsfolge der Unterhaltspflicht gemäss Art. 276 ff. ZGB unberührt. Werden diese Ansprüche vor dem Richter durchgesetzt, so wird dabei die Begründung des Kindesverhältnisses zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gemacht. Die Regelung der Unterhaltspflicht dagegen kann nur dann selbständiger und ausschliesslicher Prozessgegenstand bilden, wenn schon ein Kindesverhältnis mit den vielfältigen Rechtsfolgen besteht, die damit von Gesetzes wegen verbunden sind.
Damit entfällt aber auch eine entsprechende Dispositionsfreiheit der Parteien. Sie beschränkt sich für das ausserhalb der Ehe geborene Kind und dessen Vertreter auf die Frage, ob die Vaterschaftsklage angehoben werde oder nicht. Da der Gesetzgeber im neuen Recht grundsätzlich ein familienrechtliches Verhältnis hergestellt wissen will, ist der Entscheidungsfreiraum des behördlich bestellten Beistandes des Kindes noch weiter eingeschränkt (HAUSHEER, a.a.O., S. 31 ff.). Auf jeden Fall ist nach neuem Recht ein nachträglicher Verzicht auf die Vaterschaftsklage bzw. deren Rückzug gemäss Art. 421 Ziff. 8 ZGB nur mit Genehmigung der Vormundschaftsbehörde zulässig (HEGNAUER, a.a.O., S. 57).
c) Auf diese Rechtslage hat auch der Richter zu achten. Urteilt er nur über die Leistung von Unterhaltsbeiträgen, ohne dass ein Kindesverhältnis zum Vater besteht, lässt er eine Frage ungeregelt, über die im Zusammenhang mit einer Klage auf Unterhaltsleistungen notwendigerweise entschieden werden muss. Dabei auferlegt der Gesetzgeber in Art. 254 Ziff. 1 ZGB dem Richter die Verpflichtung, sich nicht nur vom Wahrheitsgehalt von Sachverhaltsbehauptungen zu überzeugen, sondern auch auf eigene Initiative, d.h. von Amtes wegen die erforderlichen Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen (BBl 1974 II 26; TUOR/SCHNYDER, a.a.O., S. 9; HAUSHEER, a.a.O., S. 14; HEGNAUER, a.a.O., S. 89). Mit dieser Bestimmung ist die Rechtsprechung, die das Bundesgericht schon vor der Revision in Analogie zu Art. 158 ZGB entwickelt hatte (BGE 95 II 295 E. 3 und BGE 85 II 174 f.), Gesetz geworden.
Gestützt auf Art. 158 ZGB hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung auch angenommen, ein unvollständiges Scheidungsurteil sei vom urteilenden Richter selber in einem Nachverfahren zu ergänzen (BGE 104 II 291, BGE 81 II 315 und BGE 44 I 155; das Nachverfahren wurde auch zugelassen, wenn es sich um Ansprüche im Scheidungsverfahren handelte, die weitgehend der Parteidisposition unterstehen). Es ist nicht einzusehen, weshalb ein

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solches Nachverfahren nicht auch im Zusammenhang mit einem unvollständig gebliebenen Urteil betreffend Unterhaltsbeiträge für ein nicht in der Ehe geborenes Kind zulässig sein sollte. Die Durchführung eines Nachverfahrens lässt sich sachlich rechtfertigen, weil der Fortbestand eines unvollständigen Urteils im Anwendungsbereich des Familienrechts, wo der Gesetzgeber dem Richter eine besondere Verantwortung überbindet, von erheblicher Tragweite wäre. Das gilt um so mehr, als die im vorliegenden Fall nicht beurteilte Frage, nämlich die Feststellung des Kindesverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beklagten, vom Richter von Amtes wegen hätte geprüft werden müssen. Der Klägerin kann daher nicht einfach entgegengehalten werden, sie hätte das unvollständige Urteil seinerzeit mit einem Rechtsmittel weiterziehen können. Für die Durchführung des Nachverfahrens bleibt von Bundesrechts wegen der Richter zuständig, welcher das unvollständige Urteil gefällt hat (BGE 104 II 291).
a) Die Übergangsbestimmungen zum neuen Kindesrecht befassen sich vor allem in Art. 13 und 13a SchlT ZGB mit der Rechtsstellung des vor dem 1. Januar 1978 ausserhalb der Ehe geborenen Kindes. Art. 13a SchlT ZGB sieht die Unterstellung dieses Kindes unter das neue Recht vor und zwar mit der Wirkung, dass es wie das Adoptivkind für die Zukunft so behandelt wird, wie wenn es seit Geburt in einem vollen Eltern-Kindesverhältnis gestanden wäre (vgl. HAUSHEER, Das neue Adoptionsrecht - eine Bewährungsprobe für Gesetzgebung und Rechtspraxis, in: Beiträge zur Anwendung des neuen Adoptionsrechts, St. Gallen 1979, S. 31). Diese Unterstellung, die beim Richter bis zum 31. Dezember 1979 mit einer Klage beantragt werden konnte, setzt unter anderem eine vor dem 1. Januar 1978 richterlich oder vertraglich begründete Verpflichtung des Vaters zu Vermögensleistungen an das Kind

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voraus. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das Obergericht hat daher zu Recht beanstandet, dass das Bezirksgericht Zürich in seinem Urteil vom 13. Mai 1981 die Feststellung der Vaterschaft des Beklagten auf Art. 13a SchlT ZGB gestützt hat.
Art. 13 SchlT ZGB regelt jenen Fall, in dem eine Vaterschaftsklage nach bisherigem Recht auf Vermögensleistungen eingereicht, aber bis zum Inkrafttreten des neuen Kindesrechts am 1. Januar 1978 noch nicht mit rechtskräftigem Urteil erledigt worden ist. Für diesen Fall, der auf die Klägerin zutrifft, schreibt das Gesetz zwingend vor, dass die hängige Vaterschaftsklage nach neuem Recht zu beurteilen sei. Die nach neuem Recht nicht mehr zulässige Zahlvaterschaftsklage wird somit von Gesetzes wegen in eine neurechtliche Klage auf Feststellung des Kindesverhältnisses zwischen dem Kind und dem Vater gemäss Art. 261 ZGB, verbunden mit einer Unterhaltsklage im Sinne von Art. 279 ZGB, umgewandelt (HEGNAUER, a.a.O., S. 64, und TUOR/SCHNYDER, a.a.O., S. 23 f.). Es steht daher ausser Zweifel, dass im hier zu beurteilenden Fall das neue Recht anzuwenden ist.
b) Da das obergerichtliche Urteil vom 12. September 1978 sich auf die Regelung der Unterhaltsbeiträge, die der Beklagte für die Klägerin zu leisten hat, beschränkte, ist es nach neuem Recht als unvollständig zu betrachten. Dies könnte nur verneint werden, wenn in diesem Verfahren trotz des Wortlauts des Dispositivs ein Kindesverhältnis zum Beklagten begründet worden wäre. Es ist durchaus denkbar, dass eine Anerkennung der Vaterschaft vor dem Richter zustande kommt (Art. 260 Abs. 3 ZGB), wie dies nach der Rechtsprechung schon nach bisherigem Recht durch Anerkennung einer hängigen Vaterschaftsklage möglich war (BGE 65 II 120). Indessen setzt dies eine deutliche Willensäusserung des Beklagten voraus. Es genügt nicht, dass er eine richterliche Feststellung des Kindesverhältnisses dem urteilenden Gericht zwar anheimstellt, aber nicht aus eigenem Antrieb bejaht, wie dies im vorliegenden Fall in der ersten Berufungsverhandlung vor Obergericht geschehen ist. Eine Anerkennung der Klägerin durch den Beklagten liegt daher nicht vor.
c) Angesichts dieser Rechtslage hat das Obergericht in seinem Urteil vom 8. Dezember 1981 die durch das Bezirksgericht am 13. Mai 1981 ausgesprochene Unterstellung der Klägerin unter das neue Recht mit Recht aufgehoben. Hingegen hätte es nicht auch davon ausgehen dürfen, dass sein eigenes unvollständiges Urteil

BGE 108 II 527 (534):

vom 12. September 1978 keiner Ergänzung mehr zugänglich sei. Das vor Bundesgericht angefochtene Urteil vom 8. Dezember 1981 ist dementsprechend in Gutheissung der Berufung aufzuheben. Indessen erübrigt sich eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Durchführung eines Nachverfahrens im Sinne der Rechtsprechung. Da die Vaterschaft des Beklagten an sich nicht bestritten ist, sind keine tatbeständlichen Abklärungen mehr nötig. Auch die Anwendung kantonalen Rechts fällt ausser Betracht. Ob die gestützt auf Art. 13a SchlT ZGB eingeleitete Klage aufgrund von Art. 13 Abs. 1 SchlT ZGB zu schützen ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht selber beurteilt werden kann. Nachdem es nach neuem Recht nicht möglich ist, einem ausserhalb der Ehe geborenen Kind lediglich Unterhaltsbeiträge zuzusprechen, ist festzustellen, dass zwischen der Klägerin und dem Beklagten das Kindesverhältnis besteht.