BGE 101 II 7
 
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1975 i.S. Burri.
 
Regeste
Adoption Mündiger; Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB.
 
Sachverhalt


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A.- Franziska Karli, geb. 1927, ist als Folge eines 1966 erlittenen Autounfalles teilinvalid. Sie führt indessen weiterhin einen eigenen Haushalt in Wohlen und arbeitet zeitweise bei der Firma Gertsch & Co. AG in Zürich. Während der Wochenenden hält sie sich bei der 1902 geborenen, kinderlosen Witwe Agatha Burri in Horw auf, mit der sie gelegentlich auch Erholungsurlaube verbringt.
B.- Mit Eingabe vom 1. August 1974 stellte Agatha Burri gestützt auf Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB beim Regierungsstatthalter des Amtes Luzern das Gesuch, es sei ihr zu bewilligen, Franziska Karli, die sie während fünf Jahren gepflegt habe, zu adoptieren. Der Regierungsstatthalter wies das Gesuch am 4. Oktober 1974 ab. Hiegegen führte die Gesuchstellerin Verwaltungsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons

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Luzern, welche indessen am 23. Dezember 1974 ebenfalls abgewiesen wurde. Zur Begründung seines Entscheides führte der Regierungsrat aus, das Erfordernis der fünfjährigen Pflege im Sinne von Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB sei nicht erfüllt, da keine Hausgemeinschaft zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind bestanden habe. Es brauche daher nicht geprüft zu werden, ob Franziska Karli infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd hilfsbedürftig sei.
C.- Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragt die Gesuchstellerin, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und das Adoptionsgesuch gutzuheissen. Sie macht geltend, bei der Gebrechlichenadoption im Sinne von Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB sei keine Hausgemeinschaft zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind erforderlich, und sie rügt als Verletzung von Art. 8 ZGB, dass sie zum Beweis der Hilfsbedürftigkeit der zu Adoptierenden und des Pflegeverhältnisses nicht zugelassen worden sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Wie in BGE 101 II 5 E. 3 ausgeführt wurde, war bei der Revision des Adoptionsrechts umstritten, ob die Adoption Mündiger, die in verschiedenen Rechtsordnungen grundsätzlich ausgeschlossen ist (Botschaft des Bundesrates vom 12. Mai 1971, BBl 1971 I 1223), überhaupt zugelassen werden sollte. Nach der heute herrschenden Auffassung besteht der Sinn der Adoption darin, einem elternlosen Kind die Erziehung in einer Familie zu ermöglichen und zugleich kinderlosen Eltern das Erlebnis der Elternschaft zugänglich zu machen (HEGNAUER, N. 9 der Einleitung zu Art. 264 ff. n. F. ZGB). Dieser Sinn entfällt bei der Erwachsenenadoption (HEGNAUER, N. 3 zu Art. 266 n. F. ZGB). Aus diesem Grund wurde die Adoption Mündiger nur ausnahmsweise zugelassen, nämlich dann, wenn eine der Unmündigenadoption vergleichbare Situation besteht und sich deshalb die Herstellung eines ehelichen Kindesverhältnisses rechtfertigt (Botschaft des Bundesrates, a.a.O.). Im Laufe der parlamentarischen Beratungen wurde der Ausnahmecharakter der Erwachsenenadoption mehrfach hervorgehoben, und es wurde betont, dass diese nur dann gestattet sein sollte, wenn besondere, mit der Adoption von Unmündigen vergleichbare Verhältnisse vorliegen (Amtl.

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Bull. N 1972 I S. 588/589, 608, S 1971 S. 724/725). Diese Erwägungen gebieten eine einschränkende Auslegung von Art. 266 ZGB.
2. Gemäss Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB darf eine gebrechliche mündige Person adoptiert werden, wenn ihr die künftigen Adoptiveltern während wenigstens fünf Jahren Pflege erwiesen haben. Demgegenüber wird bei der Adoption Unmündiger verlangt, dass die Adoptiveltem dem Kind während wenigstens zwei Jahren Pflege und Erziehung gewährt haben (Art. 264 ZGB). Sieht man vom Erfordernis der Erziehung ab, das bei der Erwachsenenadoption der Natur der Sache nach nicht in Frage kommt, so decken sich die Voraussetzungen der beiden Adoptionsarten insoweit, als bei beiden der Adoption ein mehrjähriges Pflegeverhältnis vorauszugehen hat. Nun versteht sich aber von selbst, dass die Adoptiveltern bei der Adoption Unmündiger dem Kind die Pflege im eigenen Haushalt erwiesen haben müssen (HEGNAUER, N. 29 zu Art. 264 n. F. ZGB; EICHENBERGER, Die materiellen Voraussetzungen der Adoption Unmündiger nach neuem schweizerischem Adoptionsrecht, Diss. Freiburg 1974 S. 133 ff.). Das Pflegeverhältnis hat den Sinn einer Probezeit (Botschaft des Bundesrates, a.a.O. S. 1217); es soll zeigen, ob es zu einer dauerhaften seelisch-geistigen Beziehung zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind gekommen ist, wie sie in der Regel dem ehelichen Kindesverhältnis eigen ist, so dass die Adoption als gerechtfertigt erscheint (HEGNAUER, N. 28 zu Art. 264 n. F. ZGB; EICHENBERGER, a.a.O. S. 127 ff.). Diese Funktion kann das Pflegeverhältnis nur erfüllen, wenn die Adoptiveltern das Kind im eigenen Heim aufnehmen und es persönlich betreuen. Die Adoption eines unmündigen Kindes ist deshalb offensichtlich unstatthaft, wenn die Adoptiveltern das Kind lediglich finanziell unterstützt und es nur gelegentlich, etwa während der Ferien, zu sich genommen haben.
Bei der Adoption Mündiger kann der Begriff des Pflegeverhältnisses nicht anders verstanden werden. Auch hier heisst "Pflege erweisen" nicht bloss, der zu adoptierenden Person finanziell beizustehen, ihr gewisse Geschäfte zu besorgen oder sie an den Wochenenden aufzunehmen. Soll das Pflegeverhältnis gewährleisten, dass zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind eine dermassen enge und dauernde Beziehung besteht, wie sie die Eltern mit ihren natürlichen Kindern verbindet, so

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muss bei der Erwachsenenadoption erst recht verlangt werden, dass die Parteien in Hausgemeinschaft zusammengelebt haben. Darauf deutet übrigens auch das Erfordernis der dauernden Hilfsbedürftigkeit in Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB hin. Die Pflege, die der zu adoptierenden Person erwiesen werden muss, besteht gerade darin, ihr jene Hilfe zu leisten, derer sie bedarf. Ist aber eine dauernde Hilfe nötig, so kann eine bloss "ambulante" Betreuung nicht genügen. Wer in der Lage ist, einen eigenen Haushalt zu führen und - wenn auch nur zeitweise - zu arbeiten, kann denn auch wohl kaum als dauernd hilfsbedürftig bezeichnet werden.
Daraus, dass in Art. 266 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB das Erfordernis der Hausgemeinschaft ausdrücklich genannt ist, lässt sich nicht etwa e contrario ableiten, bei der Adoption wegen Gebrechlichkeit seien die Anforderungen weniger streng. Nach der bundesrätlichen Formulierung von Art. 266 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB sollte die Erwachsenenadoption unter anderem dann zulässig sein, "wenn andere schwerwiegende Gründe die Herstellung eines ehelichen Kindesverhältnisses rechtfertigen". Den heutigen Wortlaut erhielt diese Bestimmung erst im Laufe der parlamentarischen Beratungen (vgl. Amtl. Bull. S 1971 S. 724/725; BGE 101 II 5 E. 3). Wenn der Gesetzgeber neben einem wichtigen Grund als weitere Voraussetzung für die Adoption das Vorliegen einer fünfjährigen Hausgemeinschaft verlangte, so wollte er damit zweifellos nicht die Erfordernisse für die Gebrechlichenadoption gemäss Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB abschwächen.
Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei der Adoption im Sinne von Art. 266 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB das Pflegeverhältnis eine Hausgemeinschaft zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind voraussetzt (HEGNAUER, N. 18 zu Art. 266 in Verbindung mit N. 29 zu Art. 264 n. F. ZGB; HEGNAUER ZVW 1973 S. 44). Wie es sich verhielte, Wenn eine Person dermassen gebrechlich ist, dass sie nur in einer Anstalt betreut werden kann und eine Hausgemeinschaft mit den Adoptiveltern deshalb gar nicht möglich ist, ist damit nicht entschieden und kann einstweilen offen bleiben.
3. Franziska Karli wohnt nicht bei der Gesuchstellerin, sondern besucht sie bloss gelegentlich und verbringt mit ihr Erholungsurlaube. Die Vorinstanz hat daher das Adoptionsgesuch zu Recht abgelehnt. Da es bereits am Erfordernis der

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Hausgemeinschaft fehlte, brauchte sie nicht abzuklären, ob Franziska Karli wegen eines Gebrechens dauernd hilfsbedürftig sei und ob die Gesuchstellerin ihr während fünf Jahren auf irgendeine Art Pflege erwiesen habe. Eine Verletzung von Art. 8 ZGB liegt somit nicht vor, so dass die Berufung abzuweisen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Luzern vom 23. Dezember 1974 bestätigt.