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Urteilskopf

96 II 69


16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. September 1970 i.S. S. gegen H.

Regeste

Rechtsmittelbelehrung; Frist für die Berufung an das Bundesgericht. Der in Art. 107 Abs. 3 OG für das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege aufgestellte Grundsatz, dass den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen dürfen, gilt allgemein. Der Berufungskläger darf sich auf eine ihm vom obern kantonalen Gericht erteilte Belehrung über die Dauer der Berufungsfrist (Art. 54 OG) verlassen, es sei denn, dass ihre Unrichtigkeit ihm bekannt oder für ihn ohne weiteres klar erkennbar war. Fall, dass das obere kantonale Gericht die Frist für die Berufung gegen ein vor dem 1. Oktober 1969 gefälltes Urteil mit 30 Tagen statt gemäss Ziff. III Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des OG mit 20 Tagen angegeben hat (Erw. 1).
Ehescheidung; Gestaltung der Elternrechte (Art. 156 ZGB).
1. Im Scheidungsverfahren gilt für die Kinderzuteilung die Offizialmaxime (Erw. 2).
2. Voraussetzungen, unter denen bei der Ehescheidung die elterliche Gewalt beiden Ehegatten entzogen werden darf (Zusammenfassung der Rechtsprechung; Erw. 3).
3. Wann ist ein Ehegatte im Sinne von Art. 285 ZGB nicht imstande, die elterliche Gewalt auszuüben? Die elterliche Gewalt darf nicht entzogen werden, wenn Massnahmen nach Art. 283/284 ZGB ausreichen (Erw. 4).

Sachverhalt ab Seite 70

BGE 96 II 69 S. 70

A.- Am 30. September 1969 schied das Kantonsgericht die Ehe zwischen der 1936 geborenen Klägerin und dem 1933 geborenen Beklagten (von Beruf Uhrenmacher) auf beidseitiges Begehren gemäss Art. 142 ZGB. Beiden Parteien wurde die elterliche Gewalt über ihre vier Kinder (drei Knaben und ein Mädchen, geb. 1959-1964) entzogen. Diese Massnahme wird im Urteil des Kantonsgerichts im wesentlichen wie folgt begründet:
BGE 96 II 69 S. 71
a) Im Verlaufe des Scheidungsverfahrens habe sich gezeigt, dass die Klägerin (der die vier Kinder während des Verfahrens zugeteilt worden waren) ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei. Sie verfüge weder über die geistigen Fähigkeiten noch insbesondere über die notwendige Energie, um, auf sich selbst gestellt, die in der Kinderziehung erforderlichen Entschlüsse zu fassen und konsequent zu verfolgen. Sie sei daher im Sinne von Art. 285 ZGB nicht imstande, die elterliche Gewalt auszuüben.
b) Dem Beklagten sei zwar vom Informationsdienst der Vormundschaftsbehörde eine gewisse erzieherische Begabung nicht abgesprochen worden. Abgesehen von seiner schweren körperlichen Behinderung (der Beklagte ist seit seiner Geburt an beiden Beinen gelähmt und kann nur mit zwei Oberschenkelstützen und zwei Stöcken gehen) erwähne der Informationsdienst aber als wesentliches Hindernis für eine Zuteilung der Kinder an ihn vor allem seine labile, unbeherrschte und oft uneinsichtige Art. Seine ausgeprägte Ichbezogenheit und Unbeherrschtheit, wie das psychiatrische Gutachten sie darlege, sprächen entscheidend gegen eine solche Zuteilung. Diese Charaktermängel hätten das Familienleben während Jahren überschattet. Solche Eigenschaften seien eine schlechte Grundlage für die Pflege und Erziehung von Kindern, die in seelischer und geistiger Beziehung einer besonders geduldigen und einfühlenden Betreuung bedürften. Auch der Beklagte sei deshalb im Sinne von Art. 285 ZGB nicht imstande, die elterliche Gewalt auszuüben.

B.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht eingereicht mit dem Antrag, es sei hinsichtlich der Kinderzuteilung aufzuheben und die vier Kinder seien ihm zur Pflege und Auferziehung zuzuweisen.
Die Klägerin beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Das Bundesgericht schützt die Berufung, spricht die vier Kinder dem Beklagten zu und ersucht die Vormundschaftsbehörde, die Aufsicht auszuüben und gegebenenfalls Massnahmen nach Art. 283 und 284 ZGB anzuordnen.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Das angefochtene Urteil wurde am 30. September 1969 gefällt und dem Anwalt des Beklagten am 24. Januar 1970 zugestellt. Am Schlusse der schriftlichen Ausfertigung steht folgende Rechtsmittelbelehrung:
BGE 96 II 69 S. 72
"Gegen dieses Urteil kann unter Vorlegung desselben, von der Zustellung an gerechnet, innert der Frist von 30 Tagen bei der Kantonsgerichtskanzlei die Berufung an das Bundesgericht ergriffen werden."
Innerhalb der in dieser Rechtsmittelbelehrung genannten Frist, am 23. Februar 1970, übergab der Anwalt des Beklagten die Berufungsschrift der Post.
Die Berufung gegen einen vor dem 1. Oktober 1969 gefällten Entscheid ist gemäss Ziff. III Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über die Änderung des OG binnen 20 Tagen vom Eingang der schriftlichen Mitteilung des Entscheides an einzulegen, auch wenn im Zeitpunkt dieser Mitteilung das gemäss dem erwähnten Bundesgesetz revidierte OG mit einer Berufungsfrist von 30 Tagen (Art. 54 rev. OG) bereits in Kraft stand (Entscheid des Bundesgerichtes vom 30. Dezember 1969 i.S. Putzi c. Wilhelm und Mathis, BGE 95 II 379). Die Berufung des Beklagten ist also an sich verspätet eingereicht worden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts darf jedoch einem Rechtsuchenden, der sich auf eine von der zuständigen Behörde erteilte, sachlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen hat und verlassen durfte, daraus kein Nachteil erwachsen (BGE 78 I 297mit Verweisungen). Dieser Grundsatz ist übrigens in Art. 107 Abs. 3 rev. OG im Hinblick auf die in Art. 35 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege gesetzlich verankert worden. Er hat darüber hinaus auf dem gesamten Gebiet der Rechtspflege zu gelten, auch in Fällen, in denen eine Rechtsmittelbelehrung vom Bundesrecht nicht vorgeschrieben ist, aber von der Behörde, die den Entscheid erlassen hat, sei es freiwillig, sei es kraft kantonalen Rechts, erteilt worden ist.
Aufeine von der zuständigen Behörde erteilte, sachlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung darf sich die Partei, an welche die Belehrung sich richtet, nur dann nicht verlassen, wenn sie die Voraussetzungen des in Frage stehenden Rechtsmittels tatsächlich kannte, so dass sie durch die falsche Belehrung nicht irregeführt werden konnte, oder wenn die Unrichtigkeit der Belehrung für sie ohne weiteres klar erkennbar war. Das trifft im vorliegenden Falle nicht zu. Zwar war das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 auf den 1. Oktober 1969 in Kraft gesetzt
BGE 96 II 69 S. 73
und in der amtlichen Gesetzessammlung veröffentlicht worden (AS 1969 S. 767). Die Übergangsbestimmungen dieses Gesetzes (Ziff. III Abs. 2 und 3) sprechen jedoch in ihrer deutschen Fassung nur von hängigen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten und von Beschwerden oder andern Rechtsmitteln gegen Verfügungen. Auf den ersten Blick konnten daher gewisse Zweifel darüber bestehen, ob diese Bestimmungen auch auf die Berufung gegen Urteile und Entscheide kantonaler Behörden anwendbar seien. Art. 171 des OG von 1943 hatte eine andere Lösung enthalten: Begann die Frist für die Weiterziehung nach dem 31. Dezember 1944, d.h. nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zu laufen, so galten die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften des neuen Gesetzes. Beim Meinungsaustausch zwischen den beiden Zivilabteilungen (Art. 16 OG), zu dem der Entscheid BGE 95 II 379 Anlass gab, vertrat eine Minderheit die Auffassung, die gleiche Regelung müsse auch für die Revision von 1968 gelten. Unter diesen Umständen lässt sich nicht sagen, für den Anwalt des Beklagten sei ohne weiteres klar erkennbar gewesen, dass die im kantonsgerichtlichen Urteil enthaltene Rechtsmittelbelehrung unrichtig war. Hieran ändert nichts, dass der eben erwähnte Entscheid gegen Ende Januar 1970 im 4. Heft des II. Teils der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1969 erschienen ist und dass schon vorher Tageszeitungen und Fachzeitschriften (z.B. SJZ 1970 S. 32) auf diesen Entscheid hingewiesen hatten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Anwalt des Beklagten diese Veröffentlichungen vor Ablauf der Berufungsfrist (13. Februar 1970) tatsächlich gelesen habe, und es ist ihm kein Vorwurf daraus zu machen, dass er die ihm vom Kantonsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht anhand der ihm zugänglichen Publikationen auf ihre Richtigkeit prüfte. Auf die vorliegende Berufung ist daher einzutreten.

2. Aus Art. 156 Abs. 1 ZGB ergibt sich, dass im Scheidungsverfahren für die Kinderzuteilung und die damit unmittelbar zusammenhängenden Fragen unbeschränkt die Offizialmaxime gilt (BGE 40 II 315, BGE 82 II 471, BGE 85 II 231; BÜHLER, Das Ehescheidungsverfahren, ZSR 1955 S. 405 a und 415 a; HINDERLING, Das Schweiz. Ehescheidungsrecht, 3. Aufl. 1967, S. 165). Solange daher die Kinderzuteilung nicht rechtskräftig beurteilt worden ist, haben auch die Rechtsmittelinstanzen von Amtes wegen die nötigen Anordnungen zu treffen, ohne an Anträge
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der Parteien gebunden zu sein. Da im vorliegenden Fall infolge der Berufung des Beklagten der Entscheid des Kantonsgerichts über die Kinderzuteilung nicht rechtskräftig geworden ist, bestünde theoretisch die Möglichkeit, die Kinder entgegen dem Antrag des Beklagten der Klägerin zuzusprechen, wenn sich erweisen sollte, dass ihr gegenüber kein Entzugsgrund im Sinne des Art. 285 ZGB bestünde und dass das Wohl der Kinder damit besser bewahrt wäre als bei einer allfälligen Zuweisung an den Beklagten. Art. 63 Abs. 1 OG, der dem Bundesgericht verbietet, über die Anträge der Parteien hinauszugehen, bildete infolge der erwähnten Offizialmaxime kein Hindernis.
Nun hat aber die Klägerin, der die Kinder im erstinstanzlichen Urteil zugeteilt worden waren und die die elterliche Gewalt aufgrund vorsorglicher Massregeln auch während des ganzen Scheidungsverfahrens ausgeübt hatte, keine Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts eingereicht. Sie hat in der Berufungsantwort wohl beantragt, die Berufung des Beklagten abzuweisen, aber in keiner Weise darzutun versucht, dass die ihr gegenüber bestehenden, von der Vorinstanz dargelegten Entzugsgründe nicht zutreffen und dass sie - falls eine Zuteilung der Kinder an den einen oder andern Elternteil in Frage käme - die Kinder besser betreuen würde als der Beklagte. Die Tatsachen, welche die Vorinstanz zulasten der Klägerin aufgeführt hat, rechtfertigen denn auch den ihr gegenüber ausgesprochenen Entzug der elterlichen Gewalt. Daher fragt sich nur noch, ob es dabei bleiben soll, dass die elterliche Gewalt auch dem Beklagten entzogen wird, oder ob die Kinder ihm zugeteilt werden können.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts darf bei der Gestaltung der Elternrechte im Sinne des Art. 156 ZGB nur dann beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entzogen werden, wenn gegenüber beiden die Voraussetzungen des Art. 285 ZGB gegeben sind (BGE 38 II 454E. 5,BGE 40 II 444E. 4,BGE 53 II 191/92,BGE 62 II 203, BGE 82 II 474 E. 3; nicht veröffentlichte Urteile vom 4. Oktober 1962 i.S. Wächter c. Senn, vom 19. Oktober 1962 i.S. Bonfils c. Pesse, vom 13. November 1964 i.S. Aebi c. Roulin, vom 16. März 1967 i.S. Eheleute Lambrigger; HINDERLING, a.a.O., S. 152). Eine gewisse Einschränkung hat dieser Grundsatz nur insofern erfahren, als bei geschiedener Ehe an die Fähigkeit zur Ausübung der elterlichen Gewalt höhere Anforderungen zu stellen sind, als wenn die Ehe noch
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besteht, und dass demzufolge im erstern Fall der Entzug der elterlichen Gewalt von weniger strengen Voraussetzungen abhängig zu machen ist als im zweiten (nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 3. Dezember 1959 i.S. Friedli c. Zingg und vom 12. Juli 1962 i.S. Arioli c. Schneuwly, beide teilweise wiedergegeben in SJZ 1963 S. 364/65; ferner Urteil vom 19. Oktober 1962 i.S. Bonfils c. Pesse). Das Bundesgericht liess sich dabei von der Erwägung leiten, bei der Scheidung seien die Elternrechte von Gesetzes wegen durch den Richter zu gestalten, wobei ein Elternteil unvermeidlicherweise die elterliche Gewalt verliere, während bei bestehender Ehe ein Entzug nur bei schwerem Versagen der Eltern ausgesprochen werden darf. Die Tatsache, dass nach der Scheidung ein Elternteil die Gewalt allein auszuüben habe, steigere die Anforderungen an seine Fähigkeiten und seine Eignung in dieser Hinsicht. Dazu müsse oft noch mit der Empfindlichkeit des andern Elternteils, dem die Gewalt nicht zusteht, gerechnet werden. Wie HINDERLING (a.a.O. S. 152 mit Fussnote 6) mit Recht bemerkt, muss die Frage der Fähigkeit zur Kindererziehung in solchen Fällen besonders sorgfältig geprüft werden. Diesem Autor ist auch darin beizustimmen, dass die Regel, wonach bei geschiedener Ehe an die Fähigkeit zur Ausübung der elterlichen Gewalt höhere Anforderungen zu stellen sind, auf jeden Fall nicht schematisch angewendet werden darf. Die Scheidung und die damit verbundene Beschränkung der elterlichen Gewalt auf einen Elternteil können diesem in einzelnen Fällen die erzieherische Aufgabe sogar erleichtern, weil die Kinder dadurch aus dem Bereich der ehelichen Spannungen entfernt werden und fortan nicht mehr sich widersprechenden Erziehungseinflüssen ausgesetzt sind, wie es vorher möglicherweise zutraf.

4. Gemäss Art. 285 Abs. 1 ZGB ist den Eltern die elterliche Gewalt zu entziehen, wenn sie nicht imstande sind, sie auszuüben, wenn sie selbst unter Vormundschaft fallen, oder wenn sie sich eines schweren Missbrauchs der Gewalt oder einer groben Vernachlässigung ihrer Pflichten schuldig gemacht haben. Beim Beklagten ist lediglich zu prüfen, ob er im Sinne dieser Bestimmung nicht imstande sei, die elterliche Gewalt auszuüben. Die andern Entzugsgründe fallen zum vornherein nicht in Betracht.
Abgesehen von objektiven Hinderungsgründen (wie schwerer Krankheit oder längerer Abwesenheit) ist ein Elternteil im Sinne
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von Art. 285 ZGB dann nicht imstande, die elterliche Gewalt auszuüben, wenn er aus irgendwelchen Gründen, die in seiner oder in der Person des Kindes liegen können, nicht in der Lage ist, den Anforderungen, welche die Kindererziehung stellt, gerecht zu werden, sodass das Wohl des Kindes deutlich leidet oder ernstlich gefährdet ist (vgl. EGGER, N. 3 und HEGNAUER, N. 9, 10, 11 und 18 bis 23 zu Art. 285 ZGB).
a) Die schwere Invalidität des Beklagten bildet an sich keinen Grund, ihm die elterliche Gewalt zu entziehen. Gewiss kann sie bewirken, dass er nicht imstande ist, die Kinder in Obhut zu nehmen und mit ihnen einen gemeinsamen Haushalt zu führen, solange wenigstens, als er nicht eine geeignete Haushälterin findet oder mit einer für diese Aufgabe geeigneten Frau eine zweite Ehe schliesst. Die Ausübung der elterlichen Gewalt umfasst jedoch nicht nur gerade die unmittelbare Sorge für das leibliche Wohl der Kinder, sondern beschlägt auch ihre Erziehung, Bildung, Entwicklung und allfällige Unterbringung in geeignete Pflegeplätze. Der Umstand, dass ein Ehegatte nicht imstande ist, die Kinder persönlich zu betreuen, fällt deshalb beim Entscheid über die Elternrechte in der Regel nur dann ins Gewicht, wenn der andere, gegen den keine Entziehungsgründe bestehen, dazu in der Lage ist (BGE 65 II 129ff.; nicht veröffentlichter Entscheid vom 3. Februar 1966 i.S. Eheleute Hirrlinger). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte nach den Feststellungen der Vorinstanz übrigens... eine Hilfe gefunden, die ihm seit 15. Februar 1969 den Haushalt führt und ihn auch persönlich betreut.
b) Die Vorinstanz glaubt jedoch, dem Beklagten die Fähigkeiten zur Kindererziehung wegen seines Charakters absprechen zu müssen. Sie stützt sich dabei im wesentlichen auf das psychiatrische Gutachten vom 6. Dezember 1967, das die erste Instanz eingeholt hat. Dieses Gutachten hatte sich indessen gemäss der richterlichen Fragestellung nur zur ehelichen Situation und dazu zu äussern, ob vom ärztlich-psychologischen Standpunkt aus die Scheidung zu empfehlen sei. Der Sachverständige befasste sich überhaupt nicht mit den erzieherischen Fähigkeiten der Parteien. Hinsichtlich des Beklagten geht aus dem Gutachten nur hervor, dass er sich im Verhältnis zur Klägerin ausgesprochen ichbezogen und unbeherrscht zeigte. Es gelang ihm im Umgang mit ihr nicht, "distanziert und gelassen, schonungsvoll und tolerant zu sein, wo seine persönlichen
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Gefühle getroffen werden". Das Gutachten billigt ihm sodann eine berufliche Begabung zu, obwohl er keine spektakulären Erfolge erzielt habe. Im Anschluss daran sagt der Begutachter: "Dank normaler Intelligenz kann er etliche Mängel kompensieren, die aus seinem labilen Gemüt erwachsen, und gewisse Zusammenhänge unter vier Augen ziemlich objektiv ergründen. Sobald es aber in der Praxis um die Frau geht, ist er ausserstande, ruhig zu handeln und besonnen zu bleiben" (hervorgehobene Stelle im Original nicht unterstrichen). Das Gutachten tut also nicht dar, dass ihm die Fähigkeit zur Erziehung der Kinder abgehe.
Auch im angefochtenen Urteil finden sich keine tatbeständlichen Feststellungen über das Verhalten des Beklagten als Vater, aus denen geschlossen werden könnte, er sei nicht imstande, die Kinder zu erziehen.
In der Berufungsantwort wird freilich auf einen Bericht der Vormundschaftsbehörde vom 6. Mai 1968 verwiesen, nach welchem eine Zuteilung der Kinder an den Beklagten nicht in Frage komme. Die betreffende Stelle lautet indessen folgendermassen:
"Der Beklagte kämpft auch um seine Kinder und möchte, dass diese ihm zugesprochen werden. Trotzdem wir überzeugt sind, dass er über die bessern Erzieherqualitäten verfügt, kommt im jetzigen Moment eine Zusprechung der Kinder an ihn nicht in Frage. Der Beklagte kann uns im gegenwärtigen Zeitpunkt keine annehmbare Lösung vorschlagen, es sei denn, dass er die Kinder im Kinderheim R. unterbringen würde. Die Aussichten, im jetzigen Moment Kinder dort zu plazieren, sind nicht schlecht. Der Beklagte scheint berechtigte Hoffnungen zu haben, für einen spätern Zeitpunkt eine tüchtige Haushälterin zu bekommen, z. Zt. ist diese aber nicht abkömmlich."
Nicht nur spricht dieser Bericht dem Beklagten keineswegs die Fähigkeiten zur Kindererziehung ab, sondern er lässt sogar durchblicken, dass ihm die Kinder zugewiesen werden könnten, wenn er eine tüchtige Haushälterin hätte. Deren Fehlen und damit die Unmöglichkeit, die Kinder im Haushalt des Vaters unterzubringen, bildet jedoch keinen Grund zum Entzug der elterlichen Gewalt.
c) Es mag sein, dass der Beklagte - zum Teil infolge seiner schweren Behinderung - Charaktereigenschaften aufweist, die ihn nicht zum idealen Erzieher machen. Er hat sich aber immerhin trotz seiner Invalidität eine selbständige Stellung in seinem
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Beruf geschaffen. Abgesehen von seiner gescheiterten Ehe liegt offenbar nichts gegen ihn vor, was ihn bei der Mitwelt herabsetzen könnte. Man muss sich zudem damit abfinden, dass die leiblichen Eltern in erster Linie zur Erziehung ihrer Kinder berufen sind, auch wenn sie charakterhalber nicht allen Anforderungen, welche diese Aufgabe stellt, gewachsen sind.
d) Verhalten sich die Eltern pflichtwidrig oder ist ein Kind in seinem leiblichen oder geistigen Wohl dauernd gefährdet oder sogar verwahrlost, dann haben die Vormundschaftsbehörden vorerst die in den Art. 283 und 284 ZGB vorgesehenen Massnahmen zu treffen, sofern sie voraussichtlich genügenden Schutz bieten. Erst wenn zum vornherein feststeht, dass solche mildere Massnahmen nicht ausreichen, ist sogleich der Gewaltentzug auszusprechen (vgl. BGE 90 II 474 mit Hinweisen; ferner nicht veröffentlichte Entscheide vom 1. Oktober 1964 i.S. Hügli c. Vormundschaftsbehörde Laufen, vom 13. November 1964 i.S. Aebi c. Roulin, vom 16. März 1967 i.S. Eheleute Lambrigger und vom 21. November 1969 i.S. Ducry c. Justice de Paix du Cercle de Dompierre). Ein vorsorglicher Gewaltentzug ohne konkrete Anhaltspunkte für ein mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit zu erwartendes Versagen ist nicht zulässig (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 21. Februar 1963 i.S. Müller c. Roos).
Nach alledem lässt sich nicht sagen, der Beklagte sei ausserstande, die elterliche Gewalt auszuüben. Die Kinder sind deshalb ihm zuzuteilen. Da er ihnen möglicherweise gegenwärtig oder in Zukunft kein Heim bieten kann, sondern gezwungen sein wird, sie in Pflegeplätzen oder Heimen unterzubringen, ist die Mitwirkung der Vormundschaftsbehörde angezeigt. Dieser ist in Anbetracht der Invalidität des Beklagten und der Tatsache, dass seine Lage hinsichtlich der Haushaltführung und einer allfälligen Wiederverheiratung ungeklärt ist, eine allgemeine Aufsichtspflicht zu überbinden.

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