BGE 89 II 239
 
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juni 1963 i.S. Michelis Bank AG gegen Inro Corsetry Ltd.
 
Regeste
Auftrag an eine Bank zur Führung eines Kontokorrents.
Haftung aus unerlaubter Handlung (Art. 41 ff. OR). Schadenersatzforderung der Erwerber aller Aktien einer Aktiengesellschaft gegen eine Bank, die der Aktiengesellschaft bewusst eine ungerechtfertigte Gutschrift erteilt und so zur Täuschung der Erwerber der Aktien über deren Wert beigetragen hat (Erw. 5-11).
- Haftung für absichtliche und fahrlässigeädigung. Gemeinsame Haftung der Bank und der Verkäufer der Aktien (Art. 50 , 51 OR). Anspruch auf Schadenersatz wegen Täuschung trotz Genehmigung des Vertrags (Art. 31 Abs. 3 OR). (Erw. 6).
- Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang (Erw. 7).
- Haftung der Bank, einer Aktiengesellschaft, für den Schaden aus unerlaubten Handlungen ihrer Organe (Art. 718 Abs. 3 OR);Zurechnung des Wissens und Willens des Vizedirektors mit Kollektivunterschrift, der die Erteilung der ungerechtfertigten Gutschrift veranlasst hat (Erw. 8).
- Absicht oder Fahrlässigkeit? (Erw. 9, 10).
- Festsetzung des Schadens (Art. 42 OR); Anwendung der relativen Berechnungsmethode (Erw. 11).
 
Sachverhalt


BGE 89 II 239 (241):

Aus dem Tatbestand:
A.- Die am 18. Februar 1958 gegründete Inro Corsetry Ltd. (AG) in Zürich, welche den Geschäftsbetrieb der Inro GmbH (Handel mit Miederwaren usw.) fortsetzte, hatte bei der Michelis Bank AG u.a. ein Frankenkonto inne. Auf diesem wurde ihr am 27. Juni 1960 ein Betrag von Fr. 51 675.-- gutgeschrieben. Gemäss Gutschriftsanzeige handelte es sich dabei um den "Gegenwert von DM 50 000.-- à 103.35, Vergütung von Deutsche Effecten- und Wechselbank, Frankfurt, wegen T.E.E. Lau." Theodor E.E. Lau war damals Aktionär und Prokurist der Inro Corsetry Ltd. Nach Vollzug dieser Gutschrift wies das Konto einen Saldo zugunsten der Bank von Fr. 46 939.60 auf.
Neben dem Frankenkonto unterhielt die Inro Corsetry Ltd. bei der Michelis Bank AG ein DM-Konto. Nachdem ihr die Bank am 30. Januar 1960 auf diesem Konto den Betrag von DM 77 851.-- gutgeschrieben hatte, war dieses Konto ausgeglichen.
B.- Am 8. Juli 1960 vergütete die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München der Michelis Bank AG im Auftrag von E. Mengin in Bozen zugunsten der "Firma Inro, Zürich 1" DM 888.10 zwecks Zahlung von Rechnungen vom 9. und 31. Mai 1960. Die Michelis Bank AG schrieb den Gegenwert von Fr. 918.30 der Inro GmbH gut. Die an diese gerichtete Gutschriftsanzeige gelangte in den Besitz der Inro Corsetry Ltd., die den Geschäftssitz in den gleichen Räumen hatte wie die Inro GmbH. Da die Inro Corsetry Ltd. die erwähnten Rechnungen ausgestellt hatte, verbuchte sie den eingegangenen Betrag zu ihren Gunsten.
C.- Im August 1960 erwarb Rechtsanwalt Dr. D. in

BGE 89 II 239 (242):

Chur zuhanden einer neuen Aktionärgruppe sämtliche Aktien der Inro-Corsetry Ltd. (100 Inhaberaktien im Nennwert von je Fr. 1000.--). 60 Stück kaufte er von Theo Niederberger, damals Vizedirektor der Michelis Bank AG, 4 Stück von B. und 36 Stück von Lau. Der Kaufpreis betrug insgesamt Fr. 64 000.--. Dem Kauf lag eine Bilanz der Inro Corsetry Ltd. per 30. Juni 1960 zugrunde, worin die Verbindlichkeiten gegenüber der Michelis Bank AG mit dem Betrag aufgeführt waren, der sich bei Berücksichtigung der erwähnten Gutschriften von Fr. 51 675.-- und DM 77 851.-- ergab. Lau wurde vom neuen Verwaltungsrat als Geschäftsführer angestellt.
D.- Nachdem Niederberger im Herbst 1960 wegen Vermögensdelikten verhaftet worden war, stornierte die Michelis Bank AG am 31. Oktober 1960 die der Inro Corsetry Ltd. am 27. Juni 1960 erteilte Gutschrift von Fr. 51 675.--. An die Stelle eines Saldos zugunsten dieser Firma von Fr. 1342.55 (Kontostand am 28. Oktober 1960) trat deshalb ein Saldo zu ihren Lasten von Fr. 50 332.45, der sich bis zum 18. Januar 1961 auf Fr. 43 516.45, verminderte.
Am 21. Dezember 1960 richtete die Inro Corsetry Ltd., für welche Lau und ein Verwaltungsratsmitglied zeichneten, an die Michelis Bank AG ein Schreiben, worin sie erklärte, der Betrag von Fr. 51 675. - sei ihr "irrtümlicherweise gutgebracht" worden, und von der Rückbelastung dieses Betrages Kenntnis nahm.
Am 31. Januar 1961 wurde Lau von der Inro Corsetry Ltd. fristlos entlassen, was er als gerechtfertigt anerkannte. In der Folge wurde gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen Veruntreuung und Betrugs eröffnet.
Am 7. Februar 1961 ersuchte die Michelis Bank AG die Inro Corsetry Ltd. unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 21. Dezember 1960, den Soll-Saldo ihres Kontos, der sich am 17. März 1961 mit den Zinsen auf Fr. 44 092.-- belaufen werde, bis zu diesem Termin zu tilgen. Zudem stornierte sie am 15. Februar 1961 die der Inro Corsetry Ltd. am

BGE 89 II 239 (243):

30. Januar 1960 erteilte Gutschrift von DM 77 851.--, weil sie ohne Rechtsgrund und daher irrtümlich erfolgt sei. Mit dem Gegenwert von Fr. 80 692.55 belastete sie die Inro Corsetry Ltd. auf dem Frankenkonto.
E.- Mit Klage vom 8. Mai 1961 belangte die Michelis Bank AG die Inro Corsetry Ltd. unter Vorbehalt weiterer Ansprüche auf Zahlung von Fr. 44 092.-- nebst 5% Zins seit 17. März 1961. Sie machte geltend, die Gutschrift vom 27. Juni 1960 von Fr. 51 675.-- sei irrtümlich erfolgt, was die Beklagte im Schreiben vom 21. Dezember 1960 anerkannt habe; die Beklagte habe auf diese Gutschrift keinen Anspruch gehabt.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und erhob Widerklage (1.) auf Zahlung von Fr. 10 547.75 und (2.) auf Feststellung, dass die Parteien mit der Zahlung dieses Betrags per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt seien. Sie bezeichnete die Stornierung der Gutschriften von Fr. 51 675.-- und DM 77 851.-- als ungerechtfertigt, verlangte, dass ihr der von Mengin am 8. Juli 1960 vergütete Betrag von Fr. 918.30 gutgeschrieben werde, und gelangte so unter Einbezug einiger nicht streitiger Posten zu einem Saldo zu ihren Gunsten von Fr. 10 547.75. Für den Fall, dass es bei der Stornierung der erwähnten Gutschriften bleiben sollte, machte sie verrechnungsweise einen an sie abgetretenen Schadenersatzanspruch der Erwerber ihrer Aktien in Höhe der zurückbelasteten Beträge geltend.
F.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich nahm an, der Betrag von Fr. 51 675.-- sei der Beklagten mit Recht zurückbelastet worden (während über den Posten von DM 77 851.-- = Fr. 80 692.55 im vorliegenden Prozess nicht entschieden werden könne); der aus dieser Rückbelastung sich ergebende Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe der Hauptklageforderung von Fr. 44 092.-- vermindere sich um den Betrag von Fr. 918.30 (Vergütung Mengin), auf dessen Gutschrift die Beklagte Anspruch habe, und um den Betrag von Fr. 25 000.--, in welchem die von der

BGE 89 II 239 (244):

Beklagten zur Verrechnung gestellte Schadenersatzforderung begründet sei. Demgemäss hat das Handelsgericht mit Urteil vom 13. September 1962 die Hauptklage für den Betrag von Fr. 18 173.70 nebst Zins geschützt und die Widerklage abgewiesen.
G.- Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Die Klägerin verlangt die Zusprechung von Fr. 44 092. -; die Beklagte beantragt, die Hauptklage sei vollständig abzuweisen und das Widerklagebegehren auf Zahlung von Fr. 10 547.75 zu schützen.
Das Bundesgericht weist die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
 
Aus den Erwägungen:
1. Der Entscheid der Vorinstanz über die Hauptklage wird von beiden Parteien angefochten. Die Klägerin wendet sich gegen die Abzüge von Fr. 918.30 (Vergütung Mengin) und Fr. 25 000.-- (Schadenersatz), welche die Vorinstanz an der Klageforderung vorgenommen hat. Die Beklagte beanstandet ihre Belastung mit dem Betrage von Fr. 51 675.-- (Storno der Gutschrift vom 27. Juni 1960) und macht eventuell geltend, die an sie abgetretene und von ihr zur Verrechnung gestellte Schadenersatzforderung der Aktionäre belaufe sich nicht bloss auf Fr. 25 000.--, sondern mindestens auf Fr. 51 675.--. Das Bundesgericht hat daher in erster Linie zu prüfen, ob die Vorinstanz mit Recht angenommen habe, die Beklagte müsse die Rückbelastung des Betrags von Fr. 51 675.-- gegen sich gelten lassen. Ist diese Frage zu bejahen und demgemäss anzunehmen, die Klageforderung bestehe grundsätzlich zu Recht, so ist ausserdem zu prüfen, ob sich die Klägerin den Betrag von Fr. 918.30 abziehen lassen müsse und wie es sich mit der Schadenersatzforderung von Fr. 51 675.-- verhalte.
2./3. - ... (Ausführungen darüber, dass die Beklagte die Rückbelastung des am 27. Juni 1960 gutgeschriebenen Betrags

BGE 89 II 239 (245):

von Fr. 51 675.-- am 21. Dezember 1960 als begründet anerkannt hat und dass sie diese Anerkennung schon deshalb nicht wegen Furchterregung durch Drohung mit einer Strafanzeige gegen Lau anfechten kann, weil die Gutschrift vom 27. Juni 1960, mit der eine in Wirklichkeit nicht erfolgte Herabsetzung der Verbindlichkeiten der Beklagten gegenüber der Klägerin vorgetäuscht werden sollte, ungerechtfertigt war, so dass die Beklagte der Klägerin damit, dass sie die Stornierung der Gutschrift anerkannte, keinen übermässigen Vorteil im Sinne von Art. 30 Abs. 2 OR einräumte. Am Schluss von Erwägung 3 wird festgestellt:)
Hat folglich die Beklagte die Stornierung der Gutschrift vom 27. Juni 1960 gegen sich gelten zu lassen, so bleibt auch der von der Klägerin errechnete und von der Vorinstanz dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegte Saldo zulasten der Beklagten per 17. März 1961 von Fr. 44 092.-- massgebend: denn mit Bezug auf die übrigen bis zu diesem Zeitpunkt in Rechnung gestellten Posten herrscht, von der Zins-, Kommissions- und Spesenbelastung seit Oktober 1960 abgesehen, kein Streit, und diese Belastung ist für den Fall der Rechtsbeständigkeit der erwähnten Stornierung ebenfalls nicht angefochten worden.
Das Widerklagebegehren 1 auf Zahlung von Fr. 10 547.75 erweist sich, da es bei der streitigen Stornierung sein Bewenden haben muss, ohne weiteres als unbegründet. Ein Saldo zugunsten der Beklagten könnte sich nur ergeben, wenn die widerrufene Gutschrift vom 27. Juni 1960 zu Recht erfolgt wäre.
4. Die Klägerin war unstreitig beauftragt, für die Beklagte einen Kontokorrent zu führen und Vergütungen, die für sie bestimmt waren, darauf gutzuschreiben. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, haftet die Klägerin der Beklagten für getreue und sorgfältige Ausführung dieses Auftrags. Der ihr hienach obliegenden Sorgfaltspflicht hat die Klägerin bei Eingang der Vergütung Mengins von DM 888.10 = Fr. 918.30 nicht genügt. Gemäss verbindlicher

BGE 89 II 239 (246):

Feststellung der Vorinstanz war diese Vergütung nicht für die Inro GmbH, sondern für die Beklagte bestimmt. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte die Klägerin dies erkennen können, obwohl Mengin bzw. die von ihm mit der Überweisung beauftragte Münchner Bank als Empfänger der Vergütung lediglich die "Firma Inro" genannt hatte. Die Beklagte hatte nämlich der Klägerin zugegebenermassen schon im Sommer 1959 mitgeteilt, dass sie den Geschäftsbetrieb der Inro GmbH fortsetze, m.a.W. dass diese den Geschäftsbetrieb eingestellt habe, und aus der Mitteilung der Münchner Bank war ersichtlich, dass die Vergütung zur Begleichung von Rechnungen vom Mai 1960 bestimmt war. Der eingegangene Betrag hätte also der Beklagten gutgeschrieben werden sollen. Wollte man aber der Klägerin noch zubilligen, dass sie im Zweifel darüber sein konnte, für welche der beiden "Inro"-Firmen die Vergütung bestimmt sei, so müsste ihr als Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht angerechnet werden, dass sie den Betrag kurzerhand der GmbH gutschrieb, statt durch eine Rückfrage abzuklären, an wen der überwiesene Betrag weiterzuleiten sei. Da sie somit den ihr erteilten Auftrag hinsichtlich der Vergütung von Fr. 918.30 nicht gehörig erfüllt hat, ist sie verpflichtet, die versäumte Gutschrift zugunsten der Beklagten nachzuholen. Dadurch, dass sie den erwähnten Betrag unrichtigerweise der Inro GmbH gutschrieb, ist die Erteilung einer Gutschrift an die Beklagte nicht etwa unmöglich geworden. Die Beklagte kann also nach wie vor die Erfüllung des Auftrags verlangen und ist nicht auf Schadenersatz angewiesen, wie die Vorinstanz dies angenommen zu haben scheint. Die Klägerin kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte für die Folgen der unrichtigen Buchung der Vergütung Mengins nach Art. 44 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 99 Abs. 3 OR selber einzustehen habe, weil sie die in ihre Hände gelangte Anzeige der Gutschrift an die Inro GmbH widerspruchslos entgegennahm. Bei den gegebenen Umständen kann hierin

BGE 89 II 239 (247):

auch eine Genehmigung dieser Buchung nicht erblickt werden. Vielmehr könnte sich höchstens fragen, ob der Klägerin durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden sei, für den sie Ersatz verlangen könnte. Einen solchen Anspruch hat sie jedoch nicht (auf jeden Fall nicht in hinlänglich klarer Form) erhoben, auch nicht etwa verrechnungsweise. Mit Recht hat also die Vorinstanz den Betrag von Fr. 918.30 zugunsten der Beklagten in die Abrechnung eingesetzt. Der in Erwägung 3 hievor festgestellte Saldo zulasten der Beklagten vermindert sich dadurch auf Fr. 43 173.70.
Die Vorinstanz hat angenommen, im vorliegenden Prozess könne "hinsichtlich der Fr. 80 692.55 eine Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Schuld der Beklagten ... nicht getroffen werden", was nach dem Zusammenhang bedeutet, dass sich dieser Punkt im vorliegenden Prozess nicht einmal als Vorfrage beurteilen lasse. Damit hat sich die Beklagte abgefunden. Sie erklärt in ihrer Berufungsschrift ausdrücklich, die Frage der Gutschrift von DM 77 851.-- oder Fr. 80 692.55 bilde nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Das Bundesgericht hat sich daher mit dem im kantonalen Verfahren geltend gemachten Schadenersatzanspruch nur insoweit zu befassen, als er mit der Gutschrift von Fr. 51 675. - zusammenhängt.
6. Zwischen der Klägerin und den Aktienkäufern (Dr. D. bzw. Triumph-Universa GmbH, für welche Dr. D. als Treuhänder den Kauf abschloss) bestand kein

BGE 89 II 239 (248):

Vertragsverhältnis. Der im Zusammenhang mit der Gutschrift von Fr. 51 675. - erhobene Schadenersatzanspruch lässt sich daher nicht auf eine Vertragsverletzung stützen, sondern es kann sich nur fragen, ob die Klägerin den Aktienkäufern gemäss Art. 41 OR aus unerlaubter Handlung hafte.
Die Erteilung einer ungerechtfertigten Gutschrift zum Zwecke der Täuschung Dritter bedeutet zweifellos eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41 OR. Dass die Gutschrift vom 27. Juni 1960 im Betrage von Fr. 51 675.-- ungerechtfertigt war, wurde bereits in Erwägung 3 hievor dargetan. Die Klägerin ist daher für einen Schaden, den die Aktienkäufer als adäquate Folge der Erteilung dieser Gutschrift erlitten haben, grundsätzlich haftbar, wenn ihr vorgeworfen werden kann, dass sie die Gutschrift mit der Absicht erteilte, solche Dritte zu täuschen.
Da nach Art. 41 OR auch ersatzpflichtig ist, wer einem andern aus Fahrlässigkeit widerrechtlich Schaden zufügt, kann eine Haftung der Klägerin auch in Betracht kommen, wenn sie eine Täuschung von Dritten über die finanzielle Lage der Beklagten nicht (auch nicht eventuell) beabsichtigte, aber doch bewusst eine ungerechtfertigte Gutschrift erteilte und bei gehöriger Aufmerksamkeit voraussehen konnte, dass die Gutschrift Dritte irreführen werde. Die Ausstellung einer wissentlich falschen Erklärung, die Dritte irreführen kann, ist widerrechtlich, auch wenn der Aussteller eine solche Täuschung nicht beabsichtigt, und bedeutet bei Voraussehbarkeit dieses Erfolgs ein Verschulden.
Der Umstand, dass für die Irreführung der Aktienkäufer in erster Linie die Verkäufer (vor allem Lau) verantwortlich sind, welche den Käufern die durch die unbegründete Gutschrift verbesserte Bilanz per 30. Juni 1960 vorlegten, schliesst eine Haftung der Klägerin nicht aus. Wenn die Klägerin ihrerseits eine unerlaubte Handlung begangen hat, die für die Schädigung der Aktienkäufer adäquat kausal war, so haftet sie neben den Verkäufern. Haben diese und die Klägerin den Schaden im Sinne von Art. 50 OR gemeinsam

BGE 89 II 239 (249):

verschuldet, d.h. in bewusstem Zusammenwirken herbeigeführt, so haften sie nach der eben genannten Bestimmung solidarisch; andernfalls besteht ihnen gegenüber blosse Anspruchskonkurrenz (BGE 55 II 314 f., BGE 82 II 547).
Die Klägerin behauptet mit Recht nicht, dass die Aktienkäufer für den Schaden, der ihnen durch Zahlung eines zu hohen Preises (also durch die Erfüllung des Kaufvertrags) entstanden sein soll, deswegen keinen Ersatz verlangen können, weil sie den Kaufvertrag, der im Falle absichtlicher Täuschung durch die Verkäufer und die mit deren Wissen handelnde Klägerin für sie unverbindlich war, unangefochten liessen. Diese Einrede (vgl. hiezu BGE 40 II 42 f., BGE 47 II 186 ff., BGE 61 II 234 f.) wäre im vorliegenden Falle schon darum nicht begründet, weil die Nichtgenehmigung des Vertrags den Käufern grössere Nachteile verursacht hätte als die Genehmigung. Die Rückgängigmachung des Kaufs nach Entdeckung der Täuschung hätte nämlich zumal angesichts der Tatsache, dass gleich nach dem Kauf das Kapital der Beklagten unter Ausgabe neuer Aktien stark erhöht worden war, zu einer unhaltbaren Lage geführt. Auch hätten die Käufer nicht erwarten können, den Kaufpreis zurückzuerhalten.
Sind die Aktienkäufer durch die ungerechtfertigte Gutschrift vom 27. Juni 1960 irregeführt und dadurch veranlasst worden, für die Aktien einen höhern Preis zu zahlen, als sie es sonst getan hätten, so haftet ihnen die Klägerin demnach für diese Vermögenseinbusse, wenn ihr die Erteilung jener Gutschrift im umschriebenen Sinne zum Verschulden gereicht und der Schaden als adäquate Folge ihres Verhaltens gelten muss.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolgs zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der Erfahrung des Lebens an sich geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass der Eintritt dieses Erfolgs durch jenes Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 81 II 445 und BGE 83 II 411 je mit Hinweisen). Wie in BGE 87 II 127 dargelegt, kommt es hienach für die Adäquanz auf die generelle Eignung der fraglichen Ursachen an, Wirkungen der eingetretenen Art herbeizuführen. Wenn eine Bank einem mit ihr im Geschäftsverkehr stehenden Unternehmen für einen bedeutenden Betrag eine ungerechtfertigte Gutschrift erteilt, so ist diese Handlungsweise generell geeignet, Dritte, die dem betreffenden Unternehmen Kredit gewähren oder sich daran beteiligen wollen oder sich für dessen Übernahme interessieren, über dessen finanzielle Lage zu täuschen und sie auf diese Weise zu für sie nachteiligen Geschäften zu veranlassen. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem der Klägerin vorgeworfenen Verhalten und der behaupteten Schädigung der Aktienkäufer lässt sich daher nicht in Abrede stellen.
Die grundsätzliche Haftung der Klägerin hängt mithin entscheidend davon ab, ob ihr ein Verschulden vorgeworfen werden könne. Die Beklagte trägt in diesem Punkte die Beweislast.


BGE 89 II 239 (251):

Die Gutschriftsanzeige vom 27. Juni 1960 wurde von Niederberger nicht mitunterzeichnet, wie dies die Vorinstanz auf S. 6 des angefochtenen Urteils versehentlich bemerkt hat, sondern sie trägt die Unterschriften von zwei andern zeichnungsberechtigten Personen (Prokuristen), wie auf S. 18 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt wird.
Dass den beiden Unterzeichnern dieser Anzeige die Unbegründetheit der Gutschrift bekannt gewesen sei und dass sie auf die Irreführung Dritter ausgegangen seien oder damit doch hätten rechnen müssen, ist nicht (auf jeden Fall nicht in bestimmter Form) behauptet und von der Vorinstanz nicht angenommen worden. Daraus folgt aber nicht, dass der Klägerin wegen der Erteilung dieser Vorschrift keine unerlaubte Handlung vorgeworfen werden könne. Wie die Vorinstanz festgestellt hat, wurde die Gutschriftsanzeige von Vizedirektor Niederberger veranlasst, "der die Fr. 51 675.-- als Tilgung verbuchte und so die täuschenden Angaben in den Anzeigen - sofern er dazu nicht überhaupt Anweisung gab - zur notwendigen Folge machte." Niederberger handelte in dieser Hinsicht nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht als Privatmann, sondern als zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Klägerin befugte Person in Ausübung seiner geschäftlichen Verrichtungen. Bei Beurteilung der Frage, ob die Klägerin mit der Erteilung der Gutschrift eine Täuschung Dritter bezweckt oder doch bewusst eine unrichtige Erklärung ausgestellt habe und als Folge davon eine solche Irreführung voraussehen musste, kommt es also auf das Wissen und den Willen Niederbergers an (vgl. BGE 41 II 81 wo eine Bank für eine von ihrem Direktor veranlasste, aber nicht von ihm, sondern von zwei Prokuristen unterzeichnete unwahre Auskunft über einen Bankkunden verantwortlich gemacht wurde). Der Umstand, dass Niederberger nur kollektiv zeichnungsberechtigt war, ist für den Entscheid darüber, ob die Klägerin aus unerlaubter Handlung hafte, ohne Bedeutung (EGGER N. 17

BGE 89 II 239 (252):

und 18 zu Art. 54/55 ZGB, OSER/SCHÖNENBERGER N. 9 zu Art. 460 OR).
9. Niederberger wusste, dass die streitige Gutschrift ungerechtfertigt war. Ob er damit eine Täuschung der Interessenten für die Aktien der Beklagten beabsichtigte (was auch bei blossem Eventualvorsatz anzunehmen wäre), ist von der Vorinstanz dagegen nicht geprüft worden. Die Vorinstanz hat mit Bezug auf die Täuschungsabsicht Niederbergers nur festgestellt, er habe seiner Direktion eine Herabsetzung der Bankschulden der Beklagten vortäuschen wollen. Die Frage, ob er zugleich die erwähnten Dritten täuschen wollte, liess sie offen auf Grund der Erwägung: "Soweit Niederberger am 27. Juni 1960 die Gutschrift zugunsten der Beklagten von Fr. 51 675.-- veranlasst haben sollte, um durch die Vortäuschung einer Tilgung der Schuld der Beklagten in seinem Interesse als Eigentümer und Verkäufer der Aktien deren Wert höher erscheinen zu lassen, berührt dies die Klägerin nicht." Diese - von der Vorinstanz nicht näher begründete - Auffassung ist nicht stichhaltig. Beabsichtigte Niederberger mit der ungerechtfertigten Gutschrift, die er kraft seiner Organstellung in Ausübung seiner geschäftlichen Verrichtungen veranlasste, eine Täuschung der Interessenten für die Aktien der Beklagten über deren Wert, so ist diese Absicht der Klägerin unabhängig davon zuzurechnen, welches sein Motiv war. Die Deliktshaftung der Aktiengesellschaft hat nur zur Voraussetzung, dass eine der in Art. 718 Abs. 3 genannten Personen eine unerlaubte Handlung in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtung begeht. Ob dies im (vermeintlichen) Interesse der Gesellschaft oder im Interesse der betreffenden Person selber oder eines Dritten geschieht, ist unerheblich. Der Tatbestand bedarf daher im erwähnten Punkte der Ergänzung, sofern die Haftung der Klägerin nicht aus andern Gründen ohnehin zu bejahen ist.
Die Vorinstanz hat angenommen, der Schaden liege in der von ihr auf Fr. 25 000.-- geschätzten Differenz zwischen dem von den Käufern bezahlten Preis und dem Betrag, den sie vermutlich dafür bezahlt hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass die Schulden der Beklagten gegenüber der Klägerin den in der Bilanz angegebenen Betrag um Fr. 51 675.-- überstiegen. Diese Art der Schadenermittlung ist abzulehnen. Der Schaden darf nicht auf Grund von Vermutungen geschätzt werden, wenn er sich errechnen lässt. Dies trifft hier zu. Im Falle, dass ein durch Täuschung über die Vermögenslage einer Aktiengesellschaft geschädigter Aktienkäufer den Kauf nicht rückgängig macht, sondern Schadenersatz in Höhe Des

BGE 89 II 239 (254):

wegen der Täuschung zuviel bezahlten Kaufpreisbetrags verlangt, wie es hier (vgl. Erw. 6) zulässigerweise geschieht, ist der Schaden gleich zu bestimmen wie der Minderwert einer Kaufsache im Falle der Preisminderung wegen eines Sachmangels. Hiefür ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die sog. relative Berechnungsmethode massgebend (BGE 81 II 209 Erw. 3). Im vorliegenden Falle entspricht der Schaden (s) also der Differenz zwischen dem für die Aktien bezahlten Preis (p) und dem Betrag, der sich ergibt, wenn dieser Preis soweit herabgesetzt wird, dass er sich zum herabgesetzten Preise (x) gleich verhält wie im Zeitpunkt des Kaufs der objektive Wert der Aktien bei Gültigkeit der Gutschrift von Fr. 51 675.-- (wg) zum objektiven Wert der Aktien bei Ungültigkeit dieser Gutschrift (wu). Es gilt also:
p: x = wg: wu; x = p. wuwg ; s = p - x.
Bei der (nötigenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen vorzunehmenden) Bestimmung des Aktienwerts ist zu berücksichtigen, dass die Aktien zwecks Fortführung des Geschäftsbetriebs, nicht zum Zwecke der Liquidation des Unternehmens gekauft wurden. Nach diesen Richtlinien ist der den Aktienkäufern bzw. der Beklagten als ihrer Zessionarin zu ersetzende Schaden neu zu bestimmen, wenn die Haftbarkeit der Klägerin grundsätzlich zu bejahen ist.
Die angeführte Formel ist auf jeden Fall dann anwendbar, wenn der objektive Wert, der den Aktien im Falle der Gültigkeit der Gutschrift von Fr. 51 657.-- zugekommen wäre, den eben genannten Betrag erreicht oder übersteigt. Ist dies nicht der Fall, so kann sich fragen, wieweit die Bezahlung eines zu hohen Kaufpreises noch als Folge der Irreführung durch die erwähnte Gutschrift gelten könne. Diese Frage stellt sich namentlich, wenn die Aktien zur Zeit des Kaufs unter allen Umständen, also auch unter der Voraussetzung der Rechtsbeständigkeit der Gutschrift von Fr. 51 675.--, objektiv wertlos waren. In diesem Falle kann ein den Käufern infolge Irreführung durch die falsche

BGE 89 II 239 (255):

Gutschrift entstandener Schaden höchstens daraus abgeleitet werden, dass die neuen Mittel, welche die Aktienkäufer der Beklagten zugeführt haben oder noch zuführen müssen, teilweise zur Zahlung der ihnen verheimlichten Schuld statt zur Erzielung eines Geschäftsertrags verwendet werden müssen.
Wird die Behauptung der Klägerin, dass die Aktien auf jeden Fall wertlos gewesen seien, zutreffendenfalls im Rahmen der Schadensermittlung berücksichtigt, so kann die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Käufer für den geltend gemachten Schaden gemäss Art. 44 OR (Mitverschulden) wegen Erwerbs einer überschuldeten Aktiengesellschaft selber einzustehen haben, auf sich beruhen bleiben.
Die Beklagte unterliegt endgültig mit ihrem Hauptstandpunkt, dass die Gutschrift von Fr. 51 675. - zu Unrecht storniert worden sei. Die Klägerin unterliegt endgültig mit Bezug auf den Posten von Fr. 918.30 (Vergütung Mengin). Hinsichtlich des von der Beklagten verrechnungsweise geltend gemachten Schadenersatzanspruchs ist die Sache nicht spruchreif, sondern die Vorinstanz hat hierüber nach Ergänzung des Tatbestands neu zu befinden. Erweist sich der Schadenersatzanspruch als unbegründet, so ist der Klägerin der ermittelte Saldo des Abrechnungsverhältnisses (Fr. 43 173.70; vgl. Erw. 4 am Ende) zuzusprechen. Ist der Schadenersatzanspruch dagegen ganz oder teilweise zu schützen, so vermindert sich die Forderung der Klägerin entsprechend.
Das Widerklagebegehren 1 ist auf jeden Fall unbegründet (Erw. 3 am Ende). Gegen die Abweisung des Widerklagebegehrens 2 hat die Beklagte die Berufung nicht ergriffen. Mit Bezug auf die Widerklage bleibt es daher beim angefochtenen Urteil.