BGE 88 II 48
 
7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1962 i.S. The Roy Export Company Establishment und Chaplin gegen Kaufmann.
 
Regeste
Zerstörung urheberrechtsverletzender Werkexemplare, Art. 54 Abs. 1 lit. a URG.
Zerstörung nur des Films oder auch des Reklamematerials für diesen? (Erw. 4, 5).
 
Sachverhalt


BGE 88 II 48 (48):

Aus dem Tatbestand:
Der Kinoinhaber Kaufmann in Zürich führte einen Chaplin-Film vor, den er vom Verleiher Marzocchi in Lugano erhalten hatte. Dieser Film war (was Kaufmann

BGE 88 II 48 (49):

nicht wusste) ohne Zustimmung des Urhebers Chaplin und der Inhaberin der Verwertungsrechte, der Roy Export Company Establishment, durch Kopierung verschiedener Originalfilme zusammengestellt und durch Beifügung von Begleitmusik und eines gesprochenen Begleittextes vom Stummfilm zum Tonfilm umgestaltet worden.
Auf Begehren der Kläger verfügte der Einzelrichter die vorsorgliche Beschlagnahme des vom Beklagten vorgeführten Films nebst zugehörigem Reklamematerial (Standbilder usw.). Das Obergericht Zürich schützte das von den Klägern gestellte Begehren um Feststellung der vom Beklagten begangenen Urheberrechtsverletzung; den Antrag auf Zerstörung des Films und des Reklamematerials wies es dagegen ab und verfügte lediglich die definitive Beschlagnahme.
Das von den Klägern aufrecht erhaltene Zerstörungsbegehren wird vom Bundesgericht in Bezug auf den Film geschützt, für das Reklamematerial hingegen abgewiesen, auf Grund der folgenden
 
Erwägungen:
Dieser Einwand ist unbegründet. Es steht fest, dass der Beklagte den streitigen Film in seinem Kino öffentlich vorgeführt und damit die Urheberrechte der Kläger verletzt hat. Er war daher für die Verletzungsklage passiv legitimiert. Ebenso steht ausser Zweifel, dass das Begehren um vorsorgliche Beschlagnahme gemäss Art. 52 URG gegen den Beklagten gerichtet werden konnte, da er auf Grund des Filmmietvertrages den Film in seinem Besitz hatte. Denn Art. 52 URG bezweckt, weiteren Verletzungshandlungen vorzubeugen, und zu diesem Zweck muss der Film dort beschlagnahmt werden können, wo man seiner habhaft

BGE 88 II 48 (50):

wird, d.h. bei dem Kinoinhaber, der ihn vorgeführt hat. Unter diesen Umständen ist es schon aus Gründen der Zweckmässigkeit geboten, auch den Entscheid über das endgültige Schicksal der urheberrechtsverletzenden Werkexemplare dem Verfahren zuzuweisen, in welchem die Feststellung der Urheberrechtsverletzung erfolgt. Auch die endgültige Einziehung, Zerstörung oder Unbrauchbarmachung im Sinne von Art. 54 Abs. 1 URG dient dem Ziel, weitere Urheberrechtsverletzungen mit den in Frage stehenden Werkexemplaren ein für allemal zu verunmöglichen. Das lässt sich aber am einfachsten und sichersten erreichen, wenn diese Massnahmen im Verletzungsprozess gegen den Besitzer angeordnet werden können. Andernfalls könnte die Bestimmung unter Umständen überhaupt nicht durchgesetzt werden, so z.B. wenn der Eigentümer der rechtsverletzenden Werkexemplare im Auslande wohnt. Es verhält sich in diesem Punkte gleich wie bei der im Strafrecht (Art. 58 StGB) vorgesehenen Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer strafbaren Handlung gedient haben. Auch diese Einziehung setzt nicht voraus, dass die betreffenden Gegenstände Eigentum des Täters sind, sondern es kann z.B. auch die Einziehung der Mordwaffe angeordnet werden, die einem Dritten gehört, da die Massnahme nicht Strafcharakter hat, sondern nur verhindern soll, dass die Gegenstände zur Begehung weiterer Verbrechen verwendet werden können (THORMANN/v. OVERBECK, StGB Art. 58 N. 2; LOGOZ, StGB Art. 58 Ziff. 4 b Abs. 2).
Der Einwand des Beklagten, es gehe nicht an, über das Eigentum des am Verfahren nicht beteiligten Filmverleihers Marzocchi zu verfügen, ist übrigens um so weniger stichhaltig, als dieser auf Grund der an ihn ergangenen Streitverkündung sich am Prozess hätte beteiligen können, von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht hat.
Aus Überlegungen der oben dargelegten Art wurde offenbar bei Art. 54 URG davon abgesehen, die Eigentumsverhältnisse an den verletzenden Werkexemplaren überhaupt

BGE 88 II 48 (51):

zu erwähnen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Art. 54 URG von den entsprechenden Bestimmungen des deutschen Rechts, nämlich von § 42 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst (LUG) und § 37 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG); diese Vorschriften bezeichnen als Gegenstand der Vernichtung die Exemplare, "welche sich im Eigentum der an der Herstellung oder Verbreitung Beteiligten ... befinden"; weiter wird bestimmt, die Vernichtung habe zu erfolgen, "nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt" sei. Wegen dieser Verschiedenheit des Wortlauts lässt daher Art. 54 URG keinen Raum für den im deutschen Schrifttum bestehenden Meinungsstreit, ob nur der Eigentümer für ein Vernichtungsbegehren passiv legitimiert sein könne (so MARWITZ-MÖHRING, Urheberrecht, 1929, S. 290; ALLFELD, Urheberrecht, 2. Aufl. 1928, S. 346 f.), oder ob ein solches Begehren auch gegen den blossen Besitzer gerichtet werden könne, der mit der Verwendung der betreffenden Werkexemplare eine Urheberrechtsverletzung begangen hat (so GOLDBAUM, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, 3. Aufl. 1961, S. 198, Anm. 3 zu § 42 LUG; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 2. Aufl. 1960, S. 397 Ziff. 2; BERTHOLD-HARTLIEB, Filmrecht, 1957, S. 131).
Unbehelflich ist sodann auch der Hinweis des Beklagten darauf, dass sein mietweiser Besitz mit Ablauf des Filmmietvertrages am 27. Juli 1959, d.h. am Abend des Beschlagnahmetages, untergegangen sei und somit im Zeitpunkt der Klageeinreichung vom 18. September 1959 längst nicht mehr bestanden habe. Massgebend ist allein, dass er im Zeitpunkt der vorsorglichen Beschlagnahme unstreitig am Film ein Besitzrecht hatte.
Der Beklagte wendet schliesslich ein, er sei hinsichtlich des Zerstörungsbegehrens so wenig passiv legitimiert, wie es die SBB wären, welche den Film von Lugano nach Zürich beförderten und somit ebenfalls einmal vorübergehend

BGE 88 II 48 (52):

derivativen Besitz daran gehabt hätten. Dieser Einwand geht am Kern der Sache vorbei. Der Beklagte ist für das Zerstörungsbegehren nicht darum passiv legitimiert, weil er den Film in seinem Besitz hatte, sondern weil er den in seinem Besitz befindlichen, die Urheberrechte der Kläger verletzenden Film in seinem Kino öffentlich vorführte; diese massgebende Voraussetzung trifft aber auf die SBB nicht zu.
Die Passivlegitimation des Beklagten ist daher gegeben.
Wie nicht mehr streitig ist, handelt es sich bei dem vom Beklagten vorgeführten Film um eine widerrechtlich hergestellte Verarbeitung mehrerer Originalfilme Chaplins zu einem einzigen Film. Kopien dieses Films waren schon im Februar 1957 in Italien beschlagnahmt worden. Trotzdem kam er im Mai 1957 im Kino Etoile in Zürich wieder zur Vorführung (die dann allerdings auf Begehren der Kläger eingestellt wurde), und im Juli 1959 wurde er (auf Grund eines Filmmietvertrages vom 27. Januar 1957) neuerdings im Kino des Beklagten gezeigt. Diese unrechtmässig hergestellten Filmstreifen tauchten also trotz allen Massnahmen immer wieder im Verkehr auf. Das rechtfertigt die Anordnung der von den Klägern begehrten Zerstörung des beschlagnahmten Films; denn nur so kann mit Sicherheit seine weitere Verleihung durch den Eigentümer Marzocchi verhindert werden.
5. Die Kläger halten an ihrem Begehren fest, dass auch das zum Film gehörige Reklamematerial zu zerstören sei. Sie sind der Meinung, dieser Anspruch lasse sich ebenfalls aus Art. 54 URG ableiten. Das ist jedoch nicht der Fall. Die genannte Bestimmung sieht die Zerstörung lediglich vor für die Exemplare eines Werkes, die unter Verletzung des Urheberrechts hergestellt oder in Verkehr gebracht worden sind, sowie für die Gegenstände, die ausschliesslich

BGE 88 II 48 (53):

zur rechtswidrigen Herstellung solcher Werkexemplare dienen. Eine Zerstörung des Reklamematerials könnte auf Grund von Art. 54 URG somit nur angeordnet werden, wenn die Klägerin 1 durch die der Reklame für den Film dienenden Gegenstände, wie Photos, Wiedergabe von Einzelbildern der Chaplin-Filme usw., in den ihr zustehenden Werknutzungsrechten verletzt würde. Das haben die Kläger aber im kantonalen Verfahren nicht geltend gemacht. Nach ihrer Darstellung hat der Beklagte einzig durch die Vorführung von Ausschnitten aus den verschiedenen Chaplin-Originalfilmen die ausschliesslichen Werknutzungsrechte der Klägerin 1 verletzt.
Man könnte sich fragen, ob allenfalls der Kläger 2 einen Anspruch auf Zerstörung des Reklamematerials aus den Bestimmungen über den Schutz der Persönlichkeit (Art. 28 ZGB), die in Art. 44 URG ausdrücklich vorbehalten werden, ableiten könnte. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, weil ein solches Begehren hier auf jeden Fall wegen Fehlens eines rechtlichen Interesses des Klägers 2 abgewiesen werden müsste. Denn ein solches wäre nur gegeben, wenn die Gefahr weiterer Verletzungshandlungen bestünde. Solche sind aber nicht zu befürchten, weil eine weitere Verwendung des Reklamematerials nicht mehr in Betracht kommt, wenn der Film, auf den es sich bezieht, selber zerstört wird und somit seine weitere Aufführung nicht mehr möglich ist.
Aber selbst wenn man berücksichtigt, dass das Reklamematerial in der Regel vom Kinoinhaber mit dem Film an den Verleiher zurückgeht, so wäre im vorliegenden Falle seine weitere Verwendung durch den Filmverleiher für die Anspreisung allenfalls noch vorhandener weiterer Filmkopien ausgeschlossen; denn das in Frage stehende Reklamematerial ist bereits beschlagnahmt; diese Beschlagnahme bleibt gemäss Dispositiv 1 des vorinstanzlichen Urteils trotz der Abweisung des Zerstörungsbegehrens der Berufung aufrecht.