BGE 84 II 653
 
87. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Dezember 1958 i.S. Strässle Söhne & Co. gegen Polstermöbel und Matratzen Uster GmbH.
 
Regeste
Modellschutz, Erfordernis der Neuheit. Art. 12 Ziff. 1 MMG.
Begriff der Neuheit (Erw. 2).
Anwendung des rechtlich massgebenden Neuheitsbegriffs auf den konkreten Streitfall (Erw. 3-5).
 
Sachverhalt


BGE 84 II 653 (654):

A.- Die Firma Strässle Söhne & Co., Polstermöbel, hinterlegte am 27. April 1955 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum unter Nr. 88 931 eine Anzahl Modelle für Möbel, unter anderm das Modell eines Lehnstuhls mit der Katalog-Nr. 4501 und eines Sofas Nr. 4503.
Am 1. November 1955 hinterlegte sie ferner unter Nr. 89 647 das Lehnstuhl-Modell Nr. 101 und das Sofa-Modell Nr. 103.
Die Firma Polstermöbel und Matratzen Uster G.m.b.H. brachte Lehnstühle und Sofas auf den Markt, die nach der Ansicht der Firma Strässle unzulässige Nachahmungen der von ihr hinterlegten Modelle darstellten; insbesondere betrachtet sie die Katalog-Nr. Uster 850/1 als Nachahmung ihrer Modelle 4501/03 und die Modelle Uster 905/6 als Nachahmung ihrer Modelle 101/03.
B.- Am 28. November 1956 erhob die Firma Strässle wegen der nach ihrer Auffassung durch die Beklagte begangenen Modellnachahmungen Feststellungs-, Unterlassungs- und Schadenersatzklage; ferner verlangte sie die Verurteilung der Beklagten zur Abänderung, eventuell Vernichtung der vorhandenen Nachahmungen, zur Vernichtung des Werbematerials für diese und zur Veröffentlichung des Urteilsdispositivs.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Sie bestritt das Vorliegen von Nachahmungen und machte überdies geltend, die Hinterlegungen der Klägerin seien mangels Neuheit ungültig.
C.- Das Handelsgericht Zürich wies mit Urteil vom 27. Mai 1957 die Klage im vollen Umfang ab. Es verneinte schon eine Verletzung der Modelle der Klägerin durch Nachahmung und liess demgemäss die Frage der Gültigkeit der Hinterlegungen der Klägerin ungeprüft.
D.- Auf Berufung der Klägerin hin hob das Bundesgericht mit Urteil vom 17. Dezember 1957 (BGE 83 II 475 ff.) den Entscheid des Handelsgerichts auf. Im Gegensatz

BGE 84 II 653 (655):

zu diesem entschied das Bundesgericht, dass die beanstandeten Sessel und Sofas der Beklagten Nachahmungen der von der Klägerin hinterlegten Modelle seien. Es wies daher die Sache zur Prüfung der Neuheit der klägerischen Modelle und gegebenenfalls zur Beurteilung der verschiedenen Klagebegehren der Klägerin an die Vorinstanz zurück.
E.- Mit Urteil vom 30. Juni 1958 verneinte das Handelsgericht Zürich auf Grund der im früheren Verfahren vorgelegten Akten, ohne weitere Beweismassnahmen, die Neuheit aller vier streitigen Modelle der Klägerin und wies die Klage erneut ab.
F.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Klägerin wiederum Schutz ihrer vor der kantonalen Instanz gestellten Klagebegehren, eventuell nochmalige Rückweisung der Sache an die Vorinstanz.
Die Beklagte ersucht um Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils; eventuell, für den Fall, dass die Berufung grundsätzlich als begründet erachtet werden sollte, beantragt die Beklagte, die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Abnahme der von ihr anerbotenen Beweise der Nicht-Neuheit der klägerischen Modelle, welche die Vorinstanz als überflüssig erachtet hatte.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Wer wie die Beklagte die Neuheit der streitigen Modelle bestreitet, hat den Beweis für das Nichtvorhandensein der Neuheit zu leisten. Denn gemäss Art. 6 MMG begründet die Tatsache der Hinterlegung eines Musters oder Modells eine (widerlegbare) Vermutung der Neuheit und der Richtigkeit der angegebenen Urheberschaft (BGE 80 II 361).
b) Nach Art. 12 Ziff. 1 MMG gilt ein Muster oder Modell als neu, solange es weder im Publikum noch in den beteiligten Verkehrskreisen bekannt ist. Damit ist die sog. formelle Neuheit gemeint, das bisherige Nichtbekanntsein des Modells in den genannten Kreisen des Inlands. Auf diese nämlich kommt es gemäss dem im schweizerischen Muster- und Modellrecht nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich geltenden Territorialitätsprinzip an (BGE 59 II 199 Erw. 2).
c) Im weitern fragt sich, ob das formell neue Modell, um schutzfähig zu sein, auch materiell neu, d.h. unter dem Gesichtspunkt seiner Formgestaltung originell (eigenartig), in gewissem, wenn auch bescheidenem Ausmass Ausdruck einer schöpferischen Idee sein müsse.
Das erste schweizerische MMG vom Jahre 1888 (AS 11 S. 73 ff.) gewährte in Art. 1 den Rechtsschutz nur den "neuen" Mustern und Modellen. Im Gegensatz zu den Gewerbe- und Industriekreisen leitete das Bundesgericht daraus ab, das Muster müsse Originalität im Sinne einer auf besonderer Geistestätigkeit beruhenden Arbeit aufweisen, müsse also in gewissem Ausmass eine selbständige, originelle geistige Schöpfung darstellen (BGE 23 S. 1865 Erw. 3, S. 1193; 20 S. 1152 Erw. 4). Damit bekannte sich

BGE 84 II 653 (657):

das Bundesgericht zum Erfordernis der materiellen Neuheit eines Musters.
Diesem Streit wollte der Gesetzgeber anlässlich der Revision des MMG ein Ende setzen, und zwar durch Ablehnung der vom Bundesgericht vertretenen Auffassung. Daher wurde in Art. 1 des revidierten, heute geltenden MMG das Wort "neu" gestrichen. Demgemäss spricht Art. 1 MMG nicht mehr von "neuen Mustern und Modellen", sondern lediglich noch von "Mustern und Modellen". Ferner wurde in Art. 12 Ziff. 1 MMG der Zusatz aufgenommen: "Ein Muster oder Modell gilt nach diesem Gesetz als neu, solange es weder im Publikum noch in den beteiligten Verkehrskreisen bekannt ist". Hiezu bemerkte die Botschaft des Bundesrates:
"Ziff. 1 enthält zugleich eine klare und unzweideutige Definition des Begriffes der Neuheit, die um so notwendiger ist, als damit entsprechend den Anschauungen der beteiligten Industrie- und Gewerbekreise ausdrücklich die Auffassung des Bundesgerichts, nach der im Moment der Neuheit die Originalität im Sinne einer auf besonderer Geistestätigkeit ruhenden Arbeit enthalten sein soll, abgelehnt wird" (BBl 1899 V S. 620).
Hieraus erklärt sich, dass in BGE 29 II 362 in der Inhaltsangabe des Urteils gesagt wurde, unter Neuheit im Sinne von Art. 12 Ziff. 1 MMG sei "lediglich das Nichtbekanntsein im Publikum oder in den gewerblichen Kreisen zu verstehen; ein schöpferischer Gedanke ist nicht erforderlich". Dementsprechend wurde im Urteilstext (S. 366 f.) ausgeführt, der Einwand der Nichtneuheit im Sinne des Nichtvorhandenseins eines eigentümlichen, individuellen Geistesproduktes finde im neuen MMG keinen Boden mehr; das neue Gesetz habe mit vollem Bewusstsein die Erörterung der Frage, ob Neuheit in diesem Sinne vorliege, abgeschnitten. Diese Gesetzesänderung erkläre sich leicht aus praktischen Bedürfnissen, da die Untersuchung darüber, ob ein hinterlegtes Muster eine eigentümliche Geistesschöpfung sei, grosse Schwierigkeiten biete, während mit der neuen Begriffsbestimmung der Neuheit ein einfacher, objektiver Massstab gegeben sei,

BGE 84 II 653 (658):

welcher der Natur des Musterschutzes auch vollständig entspreche.
Entgegen der in diesem Entscheid geäusserten Ansicht war aber damit der Streit über die Frage, ob und inwieweit materielle Neuheit nicht ein begriffliches Erfordernis des gewerblichen Musters oder Modells oder eine Voraussetzung seiner Schutzfähigkeit sei, in Wirklichkeit nicht aus der Welt geschafft. In BGE 31 II 752 und BGE 38 II 716 wurde zwar wiederum erklärt, zur Neuheit im Sinne des rev. MMG bedürfe es keiner schöpferischen Tätigkeit, aber doch dazu bemerkt, es genüge ein origineller ästhetischer Effekt. In BGE 69 II 430 sodann wurde entschieden, die Flasche, für welche Modellschutz beansprucht wurde, sei zwar hübsch und gefällig, entbehre aber in der Formgebung dessen, was schon technisch für eine Flasche nötig ist, der Originalität und Neuheit, weil sie lediglich auf der Hand liegende Ausschmückungen aufweise. Damit war man wieder beim Erfordernis der Originalität (im Gegensatz zu dem auf der Hand Liegenden) angelangt.
So kommt denn auch TROLLER (Der schweizerische gewerbliche Rechtsschutz, 1948, S. 91) zur Auffassung, materielle Neuheit sei Voraussetzung der Schutzfähigkeit, und erklärt, indem das Bundesgericht in seinem oben erwähnten Entscheid Originalität und ebenfalls eine gewisse über das Nächstliegende hinausgehende Formgebung verlange, mache es die schöpferische, formgestaltende Idee zum Kriterium der Schutzwürdigkeit und Neuheit (im gleichen Sinne ferner TROLLER, Schweiz. Mitteilungen über gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1950, S. 184).
Das Handelsgericht Zürich lehnte die Auffassung TROLLERS in einem Urteil vom 28. November 1952 (BlZR 53 Nr. 30 und Schweiz. Mitteilungen 1954 S. 122 ff.) dagegen ab und führte aus:
"Nach Lehre und Rechtsprechung bedarf es ... lediglich einer "gewollten Form", ohne dass in dieser eine neue schöpferische Idee zum Ausdruck kommen müsste (BGE 29 II 362, BGE 31 II 752, BGE 38 II 716, BGE 56 II 74... ). Ist demnach eine eigene schöpferische Geistestätigkeit nicht notwendig, so kann auch nicht zwischen

BGE 84 II 653 (659):

äusseren Formgebungen unterschieden werden, bei denen die schöpferische Tätigkeit zu bescheiden sei, und solchen, bei denen sie ein erforderliches Mindestmass erreiche, wie dies im Patentrecht bei Beurteilung der Erfindungshöhe und im Urheberrecht beim Begriff des Werkes der Literatur und Kunst der Fall ist. ...
Modelle dieser Art sind daher stets schutzfähig, sofern das Erfordernis der Neuheit gegeben ist. Die Frage, ob sie die erforderliche Originalität besitzen, stellt sich demnach lediglich im Rahmen der Beurteilung, ob sie die im Verhältnis zu schon bestehenden Modellen erforderliche Unterscheidbarkeit aufweisen, nicht aber hinsichtlich ihrer Formgebung überhaupt. ... Dabei ist die Frage der Bekanntheit oder formellen Neuheit von der Frage ihrer Unterscheidbarkeit oder materiellen Neuheit zu unterscheiden, und beide Fragen sind jeweils getrennt zu prüfen. Die Frage der materiellen Neuheit erhebt sich jedoch nur, wenn nachgewiesen ist, dass ein Vergleichsmodell im Zeitpunkte der Hinterlegung bereits vorbekannt war."
Aus den vorstehenden Ausführungen ist ersichtlich, dass der Begriff "materielle Neuheit" vom Handelsgericht Zürich (gleich wie von DÜRR, Muster- und Modellschutz, 1951, S. 15) in einem andern Sinne verwendet wird, als in BGE 69 II 430 und auch bei TROLLER. Zudem wird als letztes Bundesgerichtsurteil dasjenige in BGE 56 II 74 erwähnt, während das Bundesgericht in verschiedenen späteren Urteilen einen abweichenden Standpunkt eingenommen hat. Nach dieser im Rückweisungsentscheid (BGE 83 II 477 f.) zusammengefassten neueren Rechtsprechung braucht ein Muster oder Modell, um schutzfähig zu sein, zwar nicht das Ergebnis einer eigentlichen schöpferischen Tätigkeit darzustellen, es muss aber immerhin eine gewisse, auf den Schönheitssinn ausgerichtete Originalität aufweisen und damit ein Mindestmass an schöpferischer Idee erkennen lassen, die ihm einen individuellen Charakter, ein kennzeichnendes Gepräge verleiht, sodass die Formgebung nicht im Nächstliegenden haften bleibt.
d) An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Das Schöpferische (auch wenn es nur in einem Mindestmass verlangt wird) gehört zum Wesen des Musters oder Modells und ist die letzte Rechtfertigung für die Gewährung eines besonderen Rechtsschutzes. Davon kann man nicht abweichen, und der Gesetzgeber befand sich bei der Schaffung des heutigen MMG in einem Irrtum, wenn er geglaubt hat,

BGE 84 II 653 (660):

mit der Definition der Neuheit in Art. 12 Ziff. 1 MMG sei die Streitfrage über das "Schöpferische" im Muster- und Modellschutzrecht für alle Zeiten entschieden und gegenstandslos. Dieser Versuch des Gesetzgebers scheitert am Wesen des Musters und Modells und er übersieht die letzte Rechtfertigung des Muster- und Modellschutzes. Schon die Notwendigkeit, das Schützenswerte vom Nichtschützenswerten, das Eigentümliche, Individuellschöpferische vom Nichtindividuellen und vom Unschöpferischen (dem im Nächstliegenden stecken Bleibenden) zu unterscheiden, bestätigt, dass man ohne diesen Gesichtspunkt nicht auskommen kann.
Ob man das Erfordernis einer gewissen, auf den Schönheitssinn gerichteten Originalität und damit das Erfordernis eines Mindestmasses an schöpferischer Idee als Begriffserfordernis des Musters oder Modells bezeichnet oder als Voraussetzung der Schutzfähigkeit, ist gleichgültig. Gleichgültig ist auch, ob man dieses Erfordernis als "materielle Neuheit" bezeichnet oder ob man (zur Verhütung von Missverständnissen) diese Bezeichnung vermeidet. Entscheidend ist, dass man dieses Erfordernis im umschriebenen Sinn anerkennt, wie es BGE 83 II 477 f. getan hat. Wenn das angefochtene Urteil aber sagt: "Das schweizerische Recht fordert, wie das Bundesgericht in seinem Rückweisungsentscheid ebenfalls festgestellt hat, ... freilich für die Schutzfähigkeit eines Modelles keine schöpferische Tätigkeit", so reisst es damit einen Satz aus dem Zusammenhang, der als Ganzes betrachtet einen anderen Sinn ergibt. Das angefochtene Urteil kommt dann allerdings der richtigen Auffassung doch wieder näher, wenn es weiter ausführt, es liege jedoch "im Wesen des Muster- und Modellschutzes, dass er nur dann bestehen kann, wenn gegenüber dem Vorbekannten eine neuartige geschmackliche Wirkung erzielt wird". Der Grund hiefür kann eben nur in jener gewissen Originalität, in jenem Mindestmass von schöpferischer Idee liegen, welche nach dem in BGE 83 II 477 f. Gesagten erforderlich ist.
Für den vorliegenden Fall hat das Bundesgericht im

BGE 84 II 653 (661):

genannten Rückweisungsurteil entschieden, dass die klägerischen Modelle diesem Erfordernis (gewisse Originalität, Mindestmass an schöpferischer Idee) grundsätzlich entsprechen, aber nur unter dem Vorbehalt, dass die Abklärung der Frage der Neuheit nicht etwas anderes ergebe. Den von der Klägerin hinterlegten Modellen würde nämlich diese Originalität nicht nur dann abgehen, wenn das Publikum und die beteiligten Verkehrskreise des Inlandes (Entwerfer, Fabrikanten usw.) sie im Zeitpunkt der Hinterlegung bereits kannten, sondern überdies dann, wenn ihnen auch bloss ähnliche Modelle bekannt waren, denen gegenüber die Besonderheiten der klägerischen Modelle nicht mehr jenes Mindestmass von schöpferischer Idee aufwiesen, das nach dem Gesagten in jedem Falle Voraussetzung der Schutzfähigkeit eines Modells ist.
e) Im Zusammenhang mit der Frage der Neuheit (in formeller wie in materieller Hinsicht) bleibt noch als letzter allgemeiner Gesichtspunkt derjenige nach dem Vergleichsmassstab festzulegen. In BGE 83 II 482 ff. wurde eingehend dargelegt, dass es bei der Vergleichung hinterlegter Modelle mit angeblichen Nachahmungen entscheidend auf den Gesamteindruck ankomme und dass für den Betrachter vor allem die Gemeinsamkeiten der Formgebung wesentlich seien; belanglos seien insbesondere solche Unterschiede und Abweichungen, welche nur bei besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können. Dasselbe gilt naturgemäss auch bei der Prüfung der Neuheit (im formellen wie im materiellen Sinn), also bei dem Nebeneinanderstellen von Vorbekanntem und hinterlegten Mustern oder Modellen. Hierin ist der Vorinstanz zuzustimmen. Auch die Klägerin gibt dies zu, indem sie bemerkt, dass ein Modell, für welches der Schutz verlangt wird, sich von den Vorbildern deutlich zu unterscheiden habe. Und zwar kommt es im vorliegenden Fall auf das Empfinden des Interessierten, vorab des sich mit Kaufsabsichten tragenden Laien an, wie in BGE 83 II 483 ff. mit eingehender Begründung dargelegt wurde.
3. An Hand dieser allgemeinen Gesichtspunkte ist

BGE 84 II 653 (662):

für den vorliegenden Streitfall zu prüfen, ob auf Grund der Feststellungen der Vorinstanz über vorbekannte Modelle den klägerischen Modellen die Neuheit im Sinne von Art. 12 Ziff. 1 MMG abgesprochen werden kann. ...
Diese Ansicht der Vorinstanz hält jedoch der Überprüfung nicht stand.
Nach ihrer äusseren Formgebung haben die beiden zu vergleichenden Sessel nur das eine gemeinsam, dass sie beide zum modernen Stil gehören, also zu den Sitzmöbeln, die stilmässig den Gegensatz zu den bisher üblichen Möbeln bilden. Mit Laienaugen gesehen besteht dieser Gegensatz darin, dass moderne Sitzmöbel (dank den neuen Kunststoffen) beliebige und insbesondere auch wannenartig ausgestaltete Sitzformen aufweisen, während die Grundformen der älteren Möbel durch Holz- oder Eisengestelle, also durch die Gerade oder durch den Bogen bestimmt waren. Ein weiterer in die Augen springender Gegensatz von alt und modern besteht darin, dass moderne Möbel nicht mehr verhältnismässig massive hölzerne Beine aufweisen, sondern eigenartige dünne, häufig aus Metall bestehende Spreiz- oder Spiessfüsse.
Aber mit dieser bloss allgemeinen stilartigen Verwandtschaft ist modellrechtlich die Sache keineswegs entschieden, wie bereits im Rückweisungsurteil (BGE 83 II 478) festgestellt wurde. Es gibt im allgemeinen Rahmen moderner Möbelgestaltung doch zahllose Eigenprägungen von originellen und daher individuellen, sich an den Schönheitssinn

BGE 84 II 653 (663):

wendenden Formgebungen, die das nötige Mindestmass an schöpferischer Idee aufweisen.
Bei einer gcwöhnlichen Betrachtung der nebeneinandergehaltenen Abbildungen der beiden Modelle ist schon der allererste Gesamteindruck grundverschieden. Der Lehnsessel Nr. 4501 der Klägerin erscheint im Gesamteindruck rundlich, mit einer bloss halbhohen Rückenlehne, welche breiter ist als hoch. Der Saarinensessel ist ganz anders, nämlich eckig mit klar gebrochener Rückenlinie, mit einer Rückenlehne, die höher ist als breit. Das alles springt in die Augen, ohne dass man danach suchen müsste. Überdies fällt sofort ein Zweites auf: Die Füsse, die bei modernen Sesseln ein weiteres augenfälliges Formelement darstellen, sind beim Saarinensessel und bei den Modellen der Klägerin ganz verschieden. Bei Saarinen ist der Fuss typisch als dünner Metallstab gestaltet, der unten in ein krallenförmiges Ende ausläuft. Bei der Klägerin ist der Fuss dicker, verjüngt sich nach unten und schliesst mit einer hellen Metallhülse ab.
Der Saarinensessel ist daher für das klägerische Lehnsesselmodell 4501 und folgerichtig auch für das Sofa 4503 nicht neuheitsschädlich.
a) Gegenüber der angeblichen Neuheitsschädlichkeit des Schalenstuhles von Eams ist vorweg zu bemerken, dass die

BGE 84 II 653 (664):

Vorinstanz ihre Schlussfolgerungen gar nicht näher und konkret begründet, sondern sich mit dem Pauschalurteil "Gesamteindruck ähnlich" begnügt. Die vom Bundesgericht gegebene Richtlinie, wonach es darauf ankommt, ob die Gemeinsamkeiten der zu vergleichenden Modelle überwiegen oder die Verschiedenheiten und wonach es also auf den Gesamteindruck ankommt, enthebt jedoch eine kantonale Instanz nicht von der Verpflichtung, wenigstens in grossen Strichen darzulegen, worin die wesentlichen, die vorherrschenden oder unterscheidenden Züge liegen, welche schliesslich den Gesamteindruck bedingen.
Bei einer Vergleichung des Bilds des Modells 101 der Klägerin mit dem Schalensessel von Eams wird der gewöhnliche Betrachter zwar zunächst sagen, beides seien Stühle in modernem Stil, insbesondere wegen ihrer modernen Ausbildung der Sitzpartie und der Gestaltung der Metallfüsse. Aber das ist eine bloss allgemeine stilartige Verwandtschaft, die modellrechtlich nicht entscheidend ist, wie oben dargelegt wurde.
Sieht man näher zu (ohne dabei nach kleinen Einzelheiten zu suchen), so ist der Gesamteindruck sowohl von vorn wie von der Seite ganz verschieden. Nicht die Gemeinsamkeiten herrschen vor, sondern die Verschiedenheiten. Von vorn betrachtet ist der Eams-Sessel ein hochbeiniger Stuhl mit einer im Vergleich zum Ganzen kleinen Sitzschale und einer nur wenig über die Armlehne hinaufsteigenden Rückenlehne. Beim klägerischen Sessel sind dagegen die Beine ausgesprochen niedrig, die Sitzpartie ist mehr als zweimal so hoch wie die Füsse und die Rückenlehne ragt um eine ganze Hälfte über die Armlehne hinaus. Dazu kommt, dass die Armlehnen wie waagrechte Flügel ausgestaltet sind, was für das klägerische Modell zwar nicht allein, aber sicher in diesem einen Punkte überaus kennzeichnend und eigenartig ist. Allerdings ist beim Eams-Sessel an der Armlehne auch ein kleiner flacher seitlicher Ansatz erkennbar (eine kleine Fläche muss ja begriffsmässig für eine Armlehne vorhanden sein). Aber die

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ausgesprochen eigenartige, mit den Ausmassen und der ganzen äusseren Formgebung des klägerischen Stuhls harmonierende Ausgestaltung dieser Flügel zu eigentlichen Schnäbeln ist etwas ganz Besonderes, Neuartiges, und gibt, zusammen mit der übrigen Form, dem Stuhl der Klägerin gegenüber dem Vorbild von Eams ein kennzeichnendes und klar unterscheidbares Gepräge. - Das Gleiche ergibt sich bei Betrachtung von der Seite. Schon die Gesamtansicht und der Verlauf der Rückenlinie (lang und gerade beim Modell der Klägerin, kurz und oben nach rückwärts geschweift beim Eams-Sessel) ergeben zwei völlig verschiedene Bilder, die überhaupt nichts gemeinsam haben. Der Eams-Sessel ist daher gegenüber dem klägerischen Modell 101 nicht neuheitsschädlich.
b) Vergleicht man das Modell 101 der Klägerin mit dem Saarinensessel, so führt schon der erste Gesamteindruck zum Ergebnis, dass die beiden Sessel als grundsätzlich verschiedene äussere Formgebungen anzusprechen sind. Gewiss sind die Rückenlehnen bei den beiden Modellen anscheinend etwa gleich hoch. Aber im übrigen ist die Form der Rücklehnen völlig anders gestaltet und anders bemessen. Dazu kommt, dass beim Saarinensessel ein oben abgerundetes Kissen an das untere Ende der Rücklehne gelegt ist, um die durch die Ausbuchtung derselben gebildete Vertiefung auszufüllen, womit gleichzeitig eine aesthetische Wirkung angestrebt und erzielt wird. Etwas derartiges - was für den Saarinensessel form- und eindrucksmässig sicher nicht nebensächlich ist - findet sich beim klägerischen Modell überhaupt nicht. Die Armlehnen sodann sind beim Saarinensessel in der Weise gestaltet, dass von unten (vom Traggestell des Sessels) her Metallstäbe als Träger für die Auflageflächen der Armlehnen bis an diese herangeführt sind. Das klägerische Modell weist nichts derartiges auf, wie dessen Vorder- und Seitenansicht einwandfrei zeigen. Auch die Rückenlinie, von hinten wie von der Seite betrachtet, ist bei den beiden Modellen ganz verschieden, ohne jede Verwandtschaft, indem sie bei der

BGE 84 II 653 (666):

Klägerin gerade, beim Saarinensessel dagegen gebrochen ist. Prüft man schliesslich die Armlehne auf ihren Gesamteindruck, so ergibt sich, dass der Saarinensessel keine Fläche aufweist, die nach Idee und Form der ausgesprochenen Flügel- oder Schnabelformfläche der Armlehne der Klägerin an die Seite zu stellen wäre.
Das Ergebnis ist also auch hier, dass der Saarinensessel gegenüber dem klägerischen Modell 101 nicht neuheitsschädlich ist. Damit bricht das ganze vorinstanzliche Urteil zusammen.
6. Für den nun eingetretenen Fall, dass das angefochtene Urteil nicht haltbar ist, hat die Beklagte ausdrücklich den Antrag auf Rückweisung an die Vorinstanz gestellt zur Abnahme der Beweise, welche die Beklagte unbestritten anerboten hat für ihre Behauptung, dass den im Streite liegenden klägerischen Modellen die Neuheit abgehe. Die Vorinstanz hat dazu erklärt, wenn auf diese Behauptungen der Beklagten etwas ankäme, so müsste diese zum Beweis zugelassen werden. Dass die Vorinstanz dies im Zusammenhang mit den Ausführungen über die Frage nicht der Sessel, sondern der Sofas sagt, ist belanglos. Denn es ist einmal denkbar, dass die Beklagte bei ihrem angemeldeten Material auch solches vorbringt, das die Lehnsessel betrifft; nach den Ausführungen der Beklagten soll dieses neue Material insbesondere zeigen, dass gerade das Modell 4501 der Klägerin nichts anderes sei als die genaue Kopie eines vorbekannten und dem Urheber des klägerischen Modells genau bekannten Modells. Im weiteren besteht auch die Möglichkeit, dass unter dem Material für Sofas sich Modelle finden, welche vielleicht auch als Vorbilder für Sessel bedeutsam sein könnten. Man kann zwar nicht ohne weiteres den Satz aufstellen, dass im Verhältnis von Lehnsessel und Sofa eine Lösungsidee für das eine oder das andere modellrechtlich stets eine nicht schutzwürdige Übertragung darstelle; es kommt vielmehr auf die Verhältnisse des Einzelfalls an.
Die Sache ist daher zur weiteren Abklärung der Neuheit

BGE 84 II 653 (667):

im oben dargelegten Sinn erneut an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im weiteren wird die Vorinstanz gegebenenfalls über die verschiedenen Klagebegehren der Klägerin zu entscheiden haben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 30. Juni 1958 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.