BGE 84 II 324
 
43. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Juni 1958 i.S. Müller gegen Bubeck.
 
Regeste
Erbschaftsverwaltung (Art. 554 ZGB). Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 44/46 OG).
 
Sachverhalt


BGE 84 II 324 (324):

A.- W. Müller war Vormund des Lohbauer bis zu dessen Tod am 2. Oktober 1957. Er wurde von ihm testamentarisch als Willensvollstrecker bezeichnet und als Haupterbe für den Rest bezw. als Alleinerbe eingesetzt, was er geworden ist, da die übrigen eingesetzten Erben (und Vermächtnisbedachten) vorverstorben und keine pflichtteilsgeschützten Erben vorhanden sind. Einer der gesetzlichen Erben, Bubeck, erhob Einsprache gegen die Ausstellung der Erbbescheinigung an Müller und verlangte die Anordnung einer amtlichen Erbschaftsverwaltung.


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Hierauf verfügte der Einzelrichter in nichtstreitigen Rechtssachen des Bezirksgerichts Zürich: "Über den Nachlass des Erblassers werden die amtliche Inventaraufnahme und die Erbschaftsverwaltung angeordnet. Damit wird der Notar des Kreises Enge-Zürich beauftragt." In den Erwägungen ist ausgeführt, die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung sei schon nach Art. 556 Abs. 3 ZGB geboten; ob ausserdem einer der vom gesuchstellenden Erben angerufenen Fälle von Art. 554 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 ZGB zutreffe, könne offen bleiben. Mit der Erbschaftsverwaltung sei abweichend von Art. 554 Abs. 2 ZGB nicht der Willensvollstrecker zu betrauen, da wegen dessen Einsetzung zum Alleinerben mit Interessenkonflikten zu rechnen sei.
B.- Den Rekurs des Willensvollstreckers gegen diese Verfügung wies das Obergericht des Kantons Zürich am 20. Mai 1958 ab.
C.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht stellt der Willensvollstrecker die Anträge, es sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides von der Anordnung einer amtlichen Erbschaftsverwaltung abzusehen und diese ihm als testamentarisch bestelltem Willensvollstrecker zu überlassen, eventuell sei er als amtlicher Erbschaftsverwalter einzusetzen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Berufungskläger hält die Berufung gegen die in oberer kantonaler Instanz getroffene Anordnung einer Erbschaftsverwaltung und gegen den Auftrag an einen Notar statt an ihn als vom Erblasser bezeichneten Willensvollstrecker für zulässig "in Wertung des Entscheides 82 II 555". Er führt dazu aus: "Effektiv liegt ja eine kantonale Endbeurteilung vor; denn eine Korrektur resp. Überprüfung derselben auf dem Wege des ordentlichen Verfahrens ist gar nicht möglich. Was im vorliegenden Falle vom Einzelrichter resp. der Rekursbehörde durchgeführt

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und befunden wurde, regelt ganz offensichtlich eine Zivilrechtsstreitigkeit." Aus dem angerufenen Präjudiz lässt sich jedoch für die rechtliche Kennzeichnung des Gegenstandes der hier angefochtenen Entscheidung nichts herleiten. Es fällt für die Eintretensfrage nur insoweit in Betracht, als es ausspricht, unter Umständen unterliege der Berufung an das Bundesgericht auch ein im summarischen Verfahren ergangener Entscheid (was neuestens in BGE 84 II 74 dargelegt worden ist). Immerhin gilt dies nur unter den sonstigen Voraussetzungen der Berufung; namentlich muss der angefochtene Entscheid eine Zivilrechtsstreitigkeit betreffen (ausgenommen die sich aus den Art. 44 und 45 OG ergebenden, hier nicht zutreffenden besondern Fälle). Gerade in dieser Hinsicht erweckt schon das Verfahren, in dem der angefochtene Entscheid gefällt worden ist, Bedenken. Gehört doch die Anordnung einer Erbschaftsverwaltung nach § 439 der zürcherischen ZPO nicht in das eigentliche summarische Verfahren des V. Abschnittes (§§ 277 ff.), sondern in dasjenige des IX. Abschnittes (§§ 378 ff.) "in nichtstreitigen Rechtssachen". Hat man es wirklich mit einer Rechtssache solcher Art zu tun, so ist damit das Vorliegen einer Zivilrechtsstreitigkeit eindeutig verneint (vgl. zum Begriff der streitigen und der freiwilligen oder nichtstreitigen Gerichtsbarkeit: GULDENER, Das schweizerische Zivilprozessrecht I S. 33 ff.; derselbe, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, S. 2: Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist Verwaltungstätigkeit der Zivilgerichte und anderweitiger Behörden in bürgerlichen Angelegenheiten; S. 14, wo zu den "rechtsgestaltenden Amtshandlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit" u.a. die Anordnung und Aufhebung einer Erbschaftsverwaltung gezählt wird). In der Tat handelt es sich bei der Anordnung einer Erbschaftsverwaltung nicht um streitige Gerichtsbarkeit, nicht um Rechtsprechung über zivilrechtliche Ansprüche in einem notwendigerweise zwischen zwei oder mehr Parteien durchzuführenden Verfahren. Daran ändert es nichts, dass im

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vorliegenden Fall ein vom Erblasser bezeichneter Willensvollstrecker sich der Anordnung einer amtlichen Erbschaftsverwaltung widersetzt und in eventuellem Sinne dieses Amt mit Hinweis auf Art. 554 Abs. 2 ZGB für sich selbst beansprucht hat. Denn die dem Willensvollstrecker vom Erblasser übertragenen Befugnisse in Verbindung mit seiner gesetzlich umschriebenen Stellung (mit Einschluss der Regel des Art. 554 Abs. 2 ZGB) verschaffen ihm keine materiellrechtliche Beteiligung am Nachlass, wie sie den Erben und sonstigen erbrechtlich Bedachten zusteht. Vielmehr hat der Willensvollstrecker, wie in BGE 66 II 150/51 ausgeführt wurde, nur ein sogen. Verwaltungsrecht, d.h. ein sekundäres Recht (VON TUHR OR S. 22, jetzt VON TUHR-SIEGWART S. 23 f.), im Unterschied zu den Vermögensrechten, die den Nachlass ausmachen. Somit bedeutet selbst die Absetzung des Willensvollstreckers, also die gänzliche Einstellung seiner Tätigkeit, "nicht die Aberkennung eines ihm zustehenden Vermögensrechtes, sondern bloss die Aufhebung einer ihm aufgetragenen Verwaltungsbefugnis,..., eine Ordnungsmassnahme kraft Aufsichtsrechts der Behörde, anders als die Anfechtung der Einsetzung des Willensvollstreckers wegen Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung oder wegen Überschreitung der Verfügungsbefugnis des Erblassers". Daher besteht laut jenem Entscheid keine Veranlassung, für die Absetzung das Verfahren eines Zivilprozesses vorzusehen. Wurde damit dem gänzlichen Entzug der Befugnisse des Willensvollstreckers durch die Aufsichtsbehörde der Charakter einer Zivilrechtsstreitigkeit abgesprochen, so verhält es sich aus denselben durchschlagenden Gründen gleich mit dem Entzug der normalerweise zu diesen Befugnissen gehörenden Erbschaftsverwaltung, worauf der hier angefochtene Entscheid hinausläuft. Ob er von einer gerichtlichen oder administrativen Behörde gefällt wurde (die Ordnung der Zuständigkeit im einen oder andern Sinne steht dem kantonalen Recht anheim, Art. 551 Abs. 1 ZGB in Verbindung mit Art. 54 des Schlusstitels), beeinflusst die

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Rechtsnatur der Angelegenheit nicht und spielt daher auch für die Frage der Zulässigkeit der Berufung keine Rolle.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.