BGE 83 II 384
 
52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1957 i.S. Seidenstoffwebereien vormals Gebrüder Naef AG gegen Stierli.
 
Regeste
Nachbarrecht; übermässige Einwirkung durch Lärm (Art. 684 ZGB) beim Betrieb einer Weberei.
Pflicht zur Duldung des mit einem bestimmten Gewerbe normalerweise verbundenen Lärms? Nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigte Einwirkung.
Bedeutung einer Bauordnung, die das Fabrikgelände der Industriezone zuweist.
Zunahme des Lärms infolge Erweiterung und Modernisierung des Betriebs; Voraussehbarkeit dieser Entwicklung? Vergleich mit anderm Lärm.
Hat das kantonale Gericht die Notwendigkeit und Durchführbarkeit der von ihm angeordneten Schutzmassnahmen, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der Fabrikhygiene, mangelhaft geprüft? Pflicht zur Einholung einer Expertise?
 
Sachverhalt


BGE 83 II 384 (384):

A.- Die Firma Seidenstoffwebereien vormals Gebrüder Naef AG betreibt auf einem 180 m langen und 40-60 m breiten Grundstück mitten im Dorfe Affoltern a.A. eine Seidenweberei. Der Betrieb bestand schon im Jahre 1867. Die Fabrikanlange umfasste damals ein "Gewerbshaus"

BGE 83 II 384 (385):

mit Dampfkesselanlage und Hochkamin. Heute sind in einem ungefähr 130 m langen Fabrikgebäude, das aus einem älteren Westflügel und einem anfangs der Vierzigerjahre dieses Jahrhunderts erstellten Ostflügel besteht, neben Büros und Lagerräumen sechs Websäle mit insgesamt etwa 250 Webstühlen eingerichtet. Unter diesen Maschinen finden sich 60 automatische, die in den Jahren 1949/50 angeschafft wurden und im zweiten Stock des Ostflügels des Fabrikgebäudes stehen. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet die Belegschaft dieser Fabrik in zwei Schichten von morgens 5 Uhr bis abends 10 Uhr.
Nördlich vom Ostabschnitt des Fabrikgeländes, von diesem durch einen öffentlichen Fussweg getrennt, liegt das Grundstück des Schmiedmeisters Bernhard Stierli, das dessen Vater im Jahre 1902 gekauft hatte. Auf diesem Grundstück steht hart am Gemeindefussweg das von Stierli benutzte, im Jahre 1867 erbaute Wohnhaus mit Schmiedwerkstätte.
B.- Im Jahre 1951 liess die Firma Seidenstoffwebereien vormals Gebrüder Naef AG eine neues Bauvorhaben ausschreiben. Hierauf leitete Stierli am 13. Juli 1951 gegen sie Klage ein mit den Begehren, die Ausführung der geplanten Baute sei ihr zu untersagen; ferner sei sie zu verpflichten, den von ihren bisherigen Bauten ausgehenden Fabriklärm zu beseitigen, eventuell durch Erstellung einer geeigneten Klimaanlage einzudämmen. Das erste Begehren fand seine Erledigung dadurch, dass die Beklagte ihr Projekt änderte und sich zu Massnahmen verpflichtete, mit denen der Kläger sich zufrieden gab. Streitig blieb nur das zweite, gegen den Lärm aus den bestehenden Fabrikgebäuden gerichtete Begehren. Das Bezirksgericht nahm an, dass der durch die Webstühle bei offenen Fenstern erzeugte Lärm in der Wohnung des Klägers das Mass dessen überschreite, was in dem betreffenden, vorwiegend Wohncharakter tragenden Dorfteil von Affoltern geduldet werden müsse. Durch Schliessung der dem Grundstück des Klägers zugekehrten Fenster der Fabrik werde der Lärm

BGE 83 II 384 (386):

genügend gedämpft. Die Beklagte sei daher zu dieser Massnahme zu verpflichten. Diese Auflage werde indessen zur Folge haben, dass die Beklagte im Interesse der Arbeiterschaft und des Fabrikationsprozesses Vorkehren treffen müsse, deren Planung und Verwirklichung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen werde. Für diese Zwischenzeit sei der Beklagten das Offenhalten der Fenster in beschränktem Umfange noch zu gestatten. Demgemäss erkannte das Bezirksgericht am 10. September 1955, die Beklagte habe auf der Nordseite der östlichen Websäle des bestehenden Fabriktraktes in der Zeit bis zu den Sommer-Betriebsferien 1956 jeweilen bis 7 Uhr morgens und ab 6 Uhr abends sämtliche Fenster und in den dazwischen liegenden Tagesstunden wenigstens die Seitenflügel (also nicht auch die obern Flügel) geschlossen zu halten; nach Ende der erwähnten Betriebsferien seien die Fenster während der ganzen Arbeitszeit vollständig geschlossen zu halten.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das die Beklagte appellierte, hat diese mit Urteil vom 30. November 1956 verpflichtet, die Nordfenster der östlichen Websäle während der ganzen Arbeitszeit vollständig geschlossen zu halten mit Ausnahme von je 10 Minuten stündlich vom Stundenschlag an zwischen 7 Uhr und 20 Uhr 10. Es nahm an, das Öffnen der Fenster während dieser kurzen Zeitspannen setze den Beklagten keiner unzumutbaren Lärmeinwirkung aus und gewährleiste eine genügende Lüftung der Fabrikräume, so dass der Beklagten keine Übergangsfrist zur Anordnung anderer Massnahmen zum Schutze der Arbeiter eingeräumt zu werden brauche.
C.- Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragt die Beklagte, sie sei bloss zu verpflichten, auf der Nordseite der östlichen Websäle die zwei östlichsten Fenster während der ganzen Arbeitszeit und in der Zeit von 5 bis 7 Uhr und von 19 bis 22 Uhr sämtliche Fenster mit Ausnahme der kleinen Oberflügel geschlossen zu halten; im übrigen sei die Klage abzuweisen; eventuell sei ihr eine Frist bis zum 1. Oktober 1958 einzuräumen, innert der sie

BGE 83 II 384 (387):

die wegen der Schliessung aller Fenster notwendig werdenden organisatorischen und betrieblichen Änderungen vorbereiten und durchführen könne.
Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten gegen das obergerichtliche Urteil am 7. Mai 1957 abgewiesen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz hat auf Grund eigener, mit aller Sorgfalt durchgeführter Beobachtungen festgestellt, dass der von der Fabrik der Beklagten bei offenen Fenstern ausgehende gleichförmige Lärm, den der obergerichtliche Referent als lautes, hartes "Tschäddern" bezeichnete und der mit zwei kurzen Unterbrüchen täglich 17 Stunden dauert, sich im Hause des Klägers sehr störend bemerkbar mache und namentlich wegen seiner Dauer unerträglich sei; er müsse zu einer ständigen Belastung und Reizung der Nerven, zu einer Störung des Wohlbefindens und schliesslich der Gesundheit führen. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse (vgl. BGE 44 II 471, 51 II II 402 u. dortige Hinweise, BGE 56 II 360, BGE 58 II 118, BGE 79 II 50) und ist daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich. Die Beklagte versucht denn auch nicht, sie anzufechten, sondern macht lediglich geltend, der Lärm ihrer Fabrik stelle gleichwohl keine übermässige Einwirrkung im Sinne von Art. 684 ZGB dar, weil er nicht grösser als der Lärm anderer Webereien und deshalb "normal" sei, und weil er zudem von einem in der Industriezone gelegenen Betrieb ausgehe, so dass die Einwirkung durch die Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und den Ortsgebrauch (Art. 684 Abs. 2 ZGB) gerechtfertigt werde; dass der Lärm infolge Vermehrung der Webstühle und wegen der Anschaffung moderner, leistungsfähigerer Maschinen seit den Vierzigerjahren zugenommen habe, sei nur die Folge der allgemeinen, schrittweise

BGE 83 II 384 (388):

vor sich gehenden und voraussehbaren Entwicklung, mit deren Auswirkungen der Nachbar sich abfinden müsse; ihre Weberei habe bereits alle Züge einer industriellen Grossanlage aufgewiesen, als der Vater des Klägers die heute diesem gehörende Liegenschaft gekauft habe; der Kläger habe im übrigen auch heute keinen grösseren Lärm zu ertragen, als er in den Städten in vielen Büros sogar bei geschlossenen Fenstern auftrete; dem Ruhebedürfnis des Klägers, der bei seinem Beruf selber starken Lärm erzeuge, lasse sich durch die im Berufungsantrag umschriebene, schon vor Obergericht vorgeschlagene, von von diesem aber nicht allseitig überprüfte Lösung in genügender Weise Rechnung tragen; die Vorinstanz mache dem Fabrikbetrieb schwerere Auflagen, als der Experte Haller sie für nötig halte; sie habe ausserdem die nach Art. 684 ZGB erforderliche Abwägung der konkreten Interessen der Parteien unterlassen und insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Fabrikbetriebs und an der Sicherung hygienischer Arbeitsbedingungen, das dem Privatinteresse des Klägers vorgehe, nicht gebührend berücksichtigt und nicht gehörig abgeklärt, ob die vorgesehene stündliche Lüftung den hygienischen Anforderungen genüge. Mit diesen Ausführungen vermag jedoch die Beklagte die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass die Lärmeinwirkung übermässig sei und dass die Beklagte, um hinlängliche Abhilfe zu schaffen, die Nordfenster der östlichen Websäle ausserhalb der ihr zugestandenen Lüftungspausen während der ganzen Betriebszeit geschlossen halten müsse, nicht umzustossen.
a) Die Behauptung, dass der Lärm ihrer Fabrik für einen Betrieb solcher Art "normal" sei, kann der Beklagten nicht helfen, weil die Nachbarschaft auch diejenigen Störungen, die mit einem bestimmten Gewerbe normalerweise verbunden sind, insoweit nicht dulden muss, als sie im Sinne von Art. 684 Abs. 2 ZGB, der einige besonders wichtige Beispiele übermässiger Einwirkung hervorhebt, nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigt sind.


BGE 83 II 384 (389):

Die Lage und die Beschaffenheit der Grundstücke der Parteien kennzeichnet das Bezirksgericht, auf dessen Erwägungen die Vorinstanz ausdrücklich hinweist, mit der Feststellung, diese Grundstücke seien in einem Wohnquartier mit landwirtschaftlichem und gewerblichem Einschlag gelegen, in welchem die Fabrik der Beklagten das einzige industrielle Unternehmen sei. Das Vorliegen eines Ortsgebrauches, welcher der Beklagten die heutige, durch Vergrösserung und Modernisierung ihres Betriebs im Jahrzehnt 1941/1950 verstärkte Lärmerzeugung erlauben würde, wird von der Vorinstanz verneint. Auf Grund dieser Feststellungen, die tatsächlicher Natur sind (vgl. BGE 79 II 50 Erw. 3), hat die Vorinstanz die heute von der Fabrik der Beklagten ausgehende, für die Bewohner des Hauses des Klägers unerträgliche Lärmeinwirkung mit Recht als im Sinne von Art. 684 Abs. 2 ZGB nicht gerechtfertigt und mithin übermässig bezeichnet.
b) Die Bauordnung, welche die Gemeinde Affoltern am 7. Juli/16. September 1955, also während des vorliegenden Prozesses, erlassen hat, weist die Liegenschaft der Beklagten freilich der Industriezone zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat jedoch die Einteilung eines Gebietes in Bauzonen keineswegs die Bedeutung, dass dadurch die Lage der Grundstücke und der Ortsgebrauch im Sinne des Art. 684 Abs. 2 ZGB in von Bundesrechts wegen verbindlicher Weise bestimmt würden. Bei der Anwendung dieser Gesetzesvorschrift hat der Richter auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, die mit der vorab für die Zukunft gedachten Zoneneinteilung durchaus nicht übereinzustimmen brauchen. Zudem besagt eine Bauordnung ja ohnehin nur, was und wie in den verschiedenen Zonen gebaut werden darf, und nicht, welche Einwirkungen durch Lärm und andere Störungen auf Nachbargrundstücke erlaubt seien. Auf jeden Fall könnten Kantone und Gemeinden durch ihre Baugesetzgebung nicht den Art. 684 ZGB dadurch ausser Kraft setzen, dass sie Einwirkungen erlauben würden, die angesichts der tatsächlichen Lage eines Grundstücks und des wirklichen Ortsgebrauchs, d.h. dessen, was

BGE 83 II 384 (390):

am betreffenden Ort in Wirklichkeit üblich ist, ungerechtfertigt sind. Wenn in BGE 74 I 153 /54 beiläufig bemerkt wurde, die Eigentümer von Wohnhäusern in einem der Industriezone zugewiesenen Gebiet hätten von Seiten der Gewerbebetriebe ein in ausgesprochenen Wohnquartieren nicht erlaubtes Mass von lästigen Einwirkungen durch Lärm, Rauch usw. hinzunehmen, so kann dies nicht bedeuten, dass es bei Beurteilung der Frage, welche Einwirkungen die Eigentümer von Wohnhäusern innerhalb oder in der Umgebung eines solchen Gebietes im einzelnen Falle zu dulden haben, nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse am betreffenden Orte, sondern einfach darauf ankomme, dass das in Frage stehende Gebiet (sei es auch erst nach Erstellung der Wohnhäuser) der Industriezone zugeteilt wurde. Ebensowenig wird die Auffassung der Beklagten durch die von ihr angerufenen Art. 686 Abs. 2 und Art. 702 ZGB gestützt. Diese Bestimmungen erlauben den Kantonen und Gemeinden nur, dem Grundeigentum Beschränkungen aufzuerlegen, die über die im ZGB vorgesehenen hinausgehen, nicht aber, die vom Zivilrecht gesetzten Schranken zu lockern oder aufzuheben.
Das will nicht heissen, dass den Baugesetzen für die Anwendung von Art. 684 ZGB überhaupt keine Bedeutung zukomme. Bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse, die für die rechtliche Beurteilung der lästigen Einwirkungen massgebend sind, kann der Richter sie als Indizien in Betracht ziehen (vgl. BGE 40 II 449). Ihre Würdigung unter diesem Gesichtspunkte steht jedoch ausschliesslich dem kantonallen Richter zu, weil es sich dabei eben um die Feststellung tatsächlicher Verhältnisse handelt. Von Bundesrechts wegen ist daher nichts dagegen einzuwenden, dass die Vorinstanz auf die Bauordnung nicht entscheidend abgestellt hat. Hätte die Vorinstanz diesem Erlass die ihm von der Beklagten zugeschriebene Bedeutung beigemessen und die tatsächliche Lage und Beschaffenheit der beteiligten Grundstücke sowie den wirklichen Ortsgebrauch nicht beachtet, so wäre im Gegenteil

BGE 83 II 384 (391):

gerade dies als Bundesrechtsverletzung zu rügen gewesen. Die Vorinstanz musste nach Art. 684 ZGB, wie sie es getan hat, dem von ihr festgestellten Umstande Rechnung tragen, dass das der Industriezone zugewiesene Grundstück der Beklagten rings umgeben ist von einem nichtindustriellen Gebiet, das zum Wohnen und zum Betrieb von Gewerbe und Landwirtschaft benutzt wird. Ebenso beruht es auf einer zutreffenden Auslegung von Art. 684 ZGB, wenn sie bei Ermittlung des Ortsgebrauchs berücksichtigte, dass die Fabrik der Beklagten nicht von jeher so starken Lärm erzeugt hat wie heute, sondern dass der Fabriklärm, wie die Beklagte zugeben muss, durch die Erweiterung und Modernisierung des Betriebs im Jahrzehnt 1941/1950 (namentlich durch die 1949/50, also nur 1-2 Jahre vor Beginn dieses Prozesses erfolgte Anschaffung von 60 automatischen Webstühlen) beträchtlich vermehrt worden ist.
c) Es kann nicht anerkannt werden, dass die mit der Erweiterung und technischen Modernisierung eines Betriebs verbundene Vermehrung des Lärms von den Nachbarn ohne weiteres hinzunehmen sei. Bei solchen Massnahmen ist auf die Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Auf jeden Fall vermögen solche Massnahmen eine verstärkte Lärmeinwirkung dann nicht zu rechtfertigen, wenn der Lärm dadurch für die Bewohner der Nachbarschaft unerträglich wird, wie es hier zutrifft, und wenn den betroffenen Nachbarn nicht entgegengehalten werden kann, ihre Grundstücke seien zu einer Zeit überbaut worden, da die eingetretene Entwicklung bereits vorauszusehen war. Dass im Jahre 1867, als das heute dem Kläger gehörende Haus gebaut wurde, mit der Entwicklung des Betriebs der Beklagten habe gerechnet werden können, die sich zwischen 1940 und 1950 vollzog, behauptet die Beklagte mit Recht selber nicht. Wie es sich in dieser Hinsicht im Jahre 1902 verhalten habe, als der Vater des Klägers das Haus kaufte, ist unerheblich, weil es bei Beurteilung der Frage, wieweit die mit der Entwicklung eines Betriebs verbundene Lärmzunahme wegen Voraussehbarkeit dieser Entwicklung zu

BGE 83 II 384 (392):

dulden sei, eben nicht darauf ankommt, wann das der Lärmeinwirkung ausgesetzte Grundstück vom derzeitigen Eigentümer oder seinem Gesamtrechtsvorgänger erworben wurde, sondern darauf, wann es der gegenwärtigen Benutzungsart gewidmet wurde. Dementsprechend wurde im Falle BGE 40 I Nr. 52 verschiedenen Nachbarn eines Bundesbahnhofs die Duldung des durch eine Erweiterung der Bahnanlagen verursachten zusätzlichen Lärms deshalb zugemutet, weil nicht nur der Erwerb, sondern auch schon die Erstellung ihrer Wohnhäuser in eine Zeit fiel, da die Bahn bereits bestand (S. 455).
d) Der Hinweis auf den (Strassen-)Lärm, dem man in den Städten vielerorts ausgesetzt ist, kann der Beklagten nicht helfen. Solche Vergleiche sind unvereinbar mit Art. 684 ZGB, wonach die Frage, welche Einwirkungen zu dulden sind, nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen ist. Im übrigen geben die Phonzahlen, auf welche die Beklagte bei ihrem Vergleich abstellt, nur die Lautstärke an und sagen nichts über die Art des Lärms, die dessen Wirkung auf den Menschen in sehr wesentlichem Masse mitbeeinflusst.
Unbehelflich ist auch der Hinweis der Beklagten auf den Lärm, den der Kläger m seiner Schmiede selber erzeugt. Wie die Vorinstanz feststellt, entsteht dieser Lärm - im Gegensatz zu dem von der Beklagten erzeugten Dauerlärm - immer nur für kurze, nach Minuten zählende Zeit. Es handelt sich also um einen Lärm, der einerseits erträglich und anderseits nicht geeignet ist, den von der Fabrik der Beklagten ausgehenden Lärm zu überdecken.
e) Der Vorinstanz kann nicht vorgeworfen werden, sie habe dadurch Bundesrecht verletzt, dass sie die Interessen der Beklagten und die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung des Fabrikbetriebs und an der Sicherung hygienischer Arbeitsbedingungen nicht gebührend berücksichtigt und die Durchführbarkeit der von ihr gefundenen Lösung nicht gehörig geprüft habe. Die Vorinstanz hat in rechtlich durchaus zutreffender Weise ausgeführt, die von

BGE 83 II 384 (393):

der Beklagten unterstrichene volkswirtschaftliche Bedeutung ihres Betriebs gebe ihr nicht das Recht, in der geschilderten Weise, d.h. durch Erzeugung eines für die Anwohner unerträglichen Lärms, auf die Nachbargrundstücke einzuwirken, zumal wenn Abhilfe möglich sei, ohne dass der Betrieb dadurch unmöglich werde. Ihre Feststellung, dass die im angefochtenen Urteil getroffene Regelung, wonach die Nordfenster der östlichen Websäle nur während bestimmter Lüftungspausen geöffnet werden dürfen, den Betrieb nicht verunmögliche, sondern den hygienischen Anforderungen genüge, ist im wesentlichen tatsächlicher Natur. Man kann nicht sagen, dass sie der allgemeinen Erfahrung widerspreche. Es kann aber auch keine Rede davon sein, dass die Vorinstanz, indem sie es unterliess, diesen Punkt durch einen Sachverständigen untersuchen zu lassen, eine bundesrechtliche Beweisvorschrift verletzt habe. Wo das Bundesrecht die Beiziehung Sachverständiger nicht vorschreibt (wie etwa in Art. 141 und 374 Abs. 2 ZGB), ist es eine Frage des kantonalen Prozessrechts, wieweit der kantonale Richter auf seine eigene Sachkenntnis abstellen darf (BGE 58 II 118). Verfährt er beim Entscheid hierüber willkürrlich, wie es die Beklagte der Vorinstanz vorwirft, so kann dies nur durch staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV, nicht durch Berufung gerügt werden. Im übrigen ist mit dem Kassationsgericht darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanz den Parteien Gelegenheit gegeben hat, sich zu der von ihr in Aussicht genommenen Lösung auszusprechen, und dass die Beklagte daraufhm nicht etwa behauptet hat, die Frage, ob diese Lösung durchführbar sei, könne ohne Anhörung eines Fachmannes nicht zutreffend beurteilt werden. Sie machte nicht einmal geltend, die vorgesehenen Lüftungspausen seien aus hygienischen Gründen ungenügend, sondern ihr Verwaltungsratspräsident brachte auf die ausdrückliche Frage, wie er sich zu dieser Lösung stelle, nur vor, er habe den Eindruck, "dass dies aus organisatorischen Gründen nicht gemacht werden kann", weil die

BGE 83 II 384 (394):

Beklagte doch nicht extra eine Person für das Öffnen und Schliessen der Fenster anstellen könne. Um so weniger darf die Beklagte der Vorinstanz heute vorwerfen, sie habe die fabrikhygienischen Erfordernisse ungenügend abgeklärt. Auf den Einwand, dass die stündliche Lüftung organisatorisch nicht durchführbar sei, kommt sie mit Recht nicht mehr zurück; es handelt sich auch hier zur Hauptsache um eine Tatfrage. Demnach hat das Bundesgericht davon auszugehen, dass die von der Vorinstanz getroffene Regelung durchführbar sei, so dass sich die Frage, ob der Beklagten die Schliessung des Betriebs zugemutet werden könnte, nicht stellt. Ebensowenig ist, wenn die vorgesehene stündliche Lüftung genügt, die Frage der Erstellung einer Klimaanlage zu erörtern.
f) Schliesslich trifft auch nicht zu, dass die Vorinstanz mangelhaft abgeklärt habe, ob die von der Beklagten heute vorgeschlagene Lösung (Schliessung der beiden östlichsten Fenster während der ganzen Arbeitszeit, Schliessung der übrigen Fenster mit Ausnahme der kleinen Oberflügel frühmorgens und spätabends) dem Ruhebedürfnis des Klägers genügend Rechnung trüge ... (Ausführungen darüber, dass das Ergebnis der beim Augenschein durchgeführten Versuche die Vorinstanz zur Annahme berechtigte, nur die im angefochtenen Urteil getroffene Regelung schütze den Kläger genügend).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 30. November 1956 bestätigt.