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Urteilskopf

81 II 487


76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1955 i.S. Leuthard gegen Flüeler.

Regeste

Vaterschaftsklage mit Bezug auf ein für unehelich erklärtes Kind.
Die Klagefrist (Art. 316 Abs. 2 ZGB) beginnt mit dem Tage, an dem das die Unehelichkeit feststellende Urteil in Rechtskraft tritt.
Vorschriften des kantonalen Prozessrechts, wonach die mit dem Ablauf einer Rechtsmittelfrist oder mit dem Rückzug eines Rechtsmittels eingetretene Rechtskraft auf einen frühern Zeitpunkt (z.B. auf den Tag der Ausfällung des Urteils) "zurückbezogen" wird, sind bei der Berechnung der Klagefrist nicht zu beachten.

Erwägungen ab Seite 488

BGE 81 II 487 S. 488

3. War die Mutter zur Zeit der Empfängnis verheiratet, wie es hier zutrifft, so kann gemäss Art. 316 Abs. 1 ZGB eine Vaterschaftsklage nur erhoben werden, nachdem das Kind durch den Richter für unehelich erklärt worden ist. In diesem Falle beginnt die Klagefrist, die durch Art. 308 ZGB auf ein Jahr festgesetzt wird, gemäss Art. 316 Abs. 2 ZGB erst mit dem Tage, an dem das Kind für unehelich erklärt worden ist.
Art. 316 Abs. 1 ZGB beruht unzweifelhaft auf der Erwägung, dass ein während der Ehe oder innerhalb 300 Tagen nach Auflösung der Ehe geborenes Kind gemäss Art. 252 ZGB zunächst als ehelich, d.h. als Kind des Ehemanns der Mutter gilt und dass daher mit Bezug auf ein solches Kind für eine Vaterschaftsklage, die die Unehelichkeit des Kindes voraussetzt (vgl. die Überschrift des 8. Titels und Art. 307 ZGB), kein Raum ist, solange diese nicht durch ein auf dem Wege der Anfechtungsklage gemäss Art. 253 ff. ZGB erstrittenes Urteil festgestellt ist (vgl.BGE 56 II 342ff., wo unter Hinweis auf diesen Sachverhalt erkannt wurde, dass Art. 316 Abs. 2 nicht nur bei Empfängnis während der Ehe, sondern immer dann anwendbar ist, wenn das Kind zunächst als ehelich gilt). In diesem Sinne lauten denn auch die Voten der Berichterstatter Huber und Hoffmann in den eidgenössischen
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Räten (Sten. Bull. 1905 S. 782, 1199; der französische Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission, Gottofrey, bezeichnete die im heutigen Art. 316 Abs. 1 enthaltene Regel als selbstverständlich; S. 786 /87).
Es ist klar, dass nach dem erwähnten Grundgedanken von Art. 316 Abs. 1 die Vaterschaftsklage mit Bezug auf ein während der Ehe oder binnen 300 Tagen nach deren Auflösung geborenes Kind erst dann zulässig ist, wenn ein die Unehelichkeit feststellendes Urteil nicht nur ergangen, sondern rechtskräftig geworden ist (vgl.BGE 56 II 343). Kann das Urteil, das dem Kinde die Ehelichkeit aberkennt, noch mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden oder ist dies geschehen und der Anfechtungsprozess demzufolge noch hängig, so steht eben die Unehelichkeit, die zum Fundament einer Vaterschaftsklage gehört, noch nicht fest.
Da im Falle, dass das Kind zunächst als ehelich gilt, die Vaterschaftsklage erst nach rechtskräftiger Feststellung der Unehelichkeit möglich ist, versteht sich von selber, dass ein Urteil, welches das Kind für unehelich erklärt, auch für die Bestimmung der Klagefrist im Sinne von Art. 316 Abs. 2 nur massgebend sein kann, wenn es. rechtskräftig geworden ist (vgl.BGE 61 II 155/56). Es bedarf keiner nähern Begründung, dass ein nicht rechtskräftig gewordenes, sondern durch den gleichlautenden Spruch einer höhern Instanz ersetztes oder gar ein von einer höhern Instanz aufgehobenes oder infolge einer Abstandserklärung dahingefallenes Urteil die Klagefrist von Art. 316 Abs. 2 nicht in Gang setzen kann. Fragen kann sich dagegen, ob beim Vorliegen eines Urteils, das die erwähnte Bedingung erfüllt, die Klagefrist vom Tage der Ausfällung dieses Urteils oder vom Tage an zu berechnen sei, da es rechtskräftig geworden ist. (Diese beiden Zeitpunkte fallen gemäss Art. 38 OG bei Urteilen des Bundesgerichts zusammen. Kantonale Urteil über Anfechtungsklagen im Sinne von Art. 253 ff. ZGB werden dagegen, weil in allen diesen Prozessen gemäss Art. 44 OG die
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Berufung an das Bundesgericht zulässig ist, in keinem Falle schon mit der Ausfällung rechtskräftig.)
Der Wortlaut von Art. 316 Abs. 2 könnte, für sich allein betrachtet, zur Annahme verleiten, es komme auf den Tag an, an dem das die Anfechtungsklage gutheissende Urteil gefällt wurde, auch wenn es nicht schon an diesem Tage, sondern erst später Rechtskraft erlangt hat. Diese Annahme erweist sich jedoch als dem wahren Sinne des Gesetzes widersprechend, sobald man berücksichtigt, in welchem Zusammenhang die genannte Vorschrift steht, was das Wesen einer Klagefrist ausmacht und welches die Folgen einer streng buchstäblichen Auslegung wären. Wenn der 2. Absatz von Art. 316 den "Tag, an dem das Kind für unehelich erklärt worden ist", als massgebend bezeichnet, so knüpft er offensichtlich an die Formulierung des 1. Absatzes an ("nachdem das Kind ... für unehelich erklärt worden ist"). Es drängt sich daher auf, der in Abs. 2 enthaltenen Zeitbestimmung, die nach dem Gesagten ohnedies dahin zu verdeutlichen ist, dass nur eine rechtskräftig gewordene Feststellung der Unehelichkeit als Ausgangspunkt der Frist in Frage kommt, den gleichen Sinn beizulegen wie der in Abs. 1 enthaltenen, d.h. unter dem Tage, an dem das Kind (rechtskräftig) für unehelich erklärt worden ist, den Tag zu verstehen, da die Unehelicherklärung in Rechtskraft getreten ist. Würde man statt dessen auf den Tag abstellen, an dem das rechtskräftig gewordene Urteil gefällt wurde, so begänne die Frist immer dann, wenn die Unehelichkeit nicht durch ein mit der Ausfällung in Rechtskraft getretenes Urteil des Bundesgerichts, sondern durch ein kantonales Urteil festgestellt wurde, in einem Zeitpunkte zu laufen, da eine Vaterschaftsklage nach Abs. 1 noch gar nicht angehoben werden durfte. Das vertrüge sich nicht mit dem Wesen dieser Frist; denn eine Klagefrist stellt begrifflich einen begrenzten Zeitraum dar, innerhalb dessen die zu der in Frage stehenden Klage legitimierten Personen zur Klageeinleitung berechtigt sind, sodass ein Zeitabschnitt, in welchem
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noch nicht geklagt werden darf, nicht zu einer solchen Frist gehören kann. Es widerspräche aber auch dem Zweck dieser Einrichtung, wenn ein mehr oder weniger grosser, von der Speditivität der kantonalen Gerichte und andern Zufälligkeiten des Verfahrensgangs abhängiger Teil des Jahres, das den Klägern nach Art. 308 /316 Abs. 2 für die Klageeinleitung zur Verfügung stehen soll, verstreichen könnte, bis eine Klage überhaupt erst zulässig wird. Es könnte, wenn Art. 316 Abs. 2 im angegebenen, rein wörtlichen Sinne ausgelegt würde, sogar vorkommen, dass die Klagefrist abliefe, bevor nach Abs. 1 das Klagerecht entstanden ist. Dies könnte nicht etwa nur in den gewiss seltenen Fällen geschehen, wo das erst- oder zweitinstanzliche Urteil so spät zugestellt wird, dass die Rechtskraft deswegen erst nach Ablauf eines Jahres seit dem Urteilsdatum eintreten kann, sondern auch in den keineswegs ungewöhnlichen Fällen, wo ein innert normaler Frist zugestelltes erstinstanzliches Urteil weitergezogen, die Appellation dann aber nach einem durch Beweiserhebungen (z.B. Expertisen) in die Länge gezogenen Verfahren zweiter Instanz zurückgezogen wird. Eine Auslegung der Bestimmung über die Klagefrist, die zur Folge hat, dass das Klagerecht unter Umständen vereitelt wird, kann nicht richtig sein.
Die Entstehungsgeschichte von Art. 316 Abs. 2 steht der Annahme, dass die Klagefrist nicht mit dem Tage der Ausfällung, sondern mit dem Tage des Eintritts der Rechtskraft des die Unehelichkeit feststellenden Urteils beginne, nicht im Wege. Die Bestimmung geht auf einen Antrag von Brosi zurück, der vom Nationalrat zunächst abgelehnt, dann aber von der ständerätlichen Kommission als Art. 321 ter Abs. 2 des Entwurfs wieder aufgenommen und in der Folge von beiden Räten diskussionslos gutgeheissen wurde (Sten. Bull. 1905 S. 839; Prot. der ständerätlichen Kommission, Sitzung vom 6. September 1905, S. 3 /4; Sten.Bull. 1905 S. 1191, 1196 ff.; Prot. der vereinigten Kommissionen des National- und Ständerats,
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Sitzung vom 23. April 1907, S. 4, mit nachträglicher Berichtigung; Sten.Bull. 1907, Nationalrat, S. 262, 270 ff.). Über die Gründe, die dazu führten, den Anfangstermin der Klagefrist gerade mit der heute im Gesetz stehenden, bereits von Brosi vorgeschlagenen Wendung zu bezeichnen, geben die Materialien keine Auskunft. Insbesondere ist bei der Gesetzesberatung keine Äusserung gefallen, aus der zu schliessen wäre, dass man trotz den sachlichen Bedenken, die gegen eine solche Lösung sprechen, auf den Tag der Urteilsfällung habe abstellen wollen. Unter diesen Umständen lässt sich die Tatsache, dass Art. 316 Abs. 2 vom Tage der Unehelicherklärung spricht, ohne zu präzisieren, dass der Tag des Eintritts der Rechtskraft massgebend sein muss, sehr wohl damit erklären, dass man dies für selbstverständlich hielt, weil eben die Unehelicherklärung erst mit dem Eintritt der Rechtskraft perfekt wird. Dass Art. 316 Abs. 2 die Regel, die ihm vernünftigerweise zu entnehmen ist, nicht ganz vollkommen zum Ausdruck bringt (was gemässBGE 56 II 342ff. übrigens auch für Abs. 1 zutrifft), muss um so weniger verwundern, als diese Bestimmung erst in einem späten Stadium der Gesetzesberatung aufgestellt wurde.

4. Wann die Urteile des Bundesgerichts und die mit der Berufung an das Bundesgericht weiterziehbaren Urteile der obern kantonalen Gerichte rechtskräftig werden, bestimmt sich nach Bundesrecht (Art. 38 bezw. Art. 54 Abs. 2 OG). Wann die Urteile der untern kantonalen Gerichte in Rechtskraft treten, ist dagegen grundsätzlich eine Frage des kantonalen Rechts. Insbesondere ergeben sich aus diesem der Beginn und die Dauer der Frist für die Appellation an das obere kantonale Gericht.
Das Prozessrecht des Kantons Schwyz (dessen Anwendung das Bundesgericht in diesem von der Vorinstanz nicht behandelten, vom Gesetz klar geordneten Punkte gemäss Art. 65 OG selbst vornehmen kann) setzt die Frist für die kantonale Berufung auf zehn Tage nach erfolgter schriftlicher Zustellung des erstinstanzlichen
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Urteils fest (§ 427 Abs. 1 ZPO). Das Urteil vom 20. Februar 1953, mit welchem das Bezirksgericht Schwyz die Anfechtungsklage Holdeners guthiess, wurde den Parteien am 29. Juni 1953 zugestellt. Die Appellationsfrist lief also bis zum 9. Juli 1953. An diesem Tage trat das Urteil, da es unangefochten blieb, in Rechtskraft. (Wäre das Urteil der Mutter und dem Kinde nicht am gleichen Tage zugestellt worden, so käme es darauf an, an welchem Tage die Appellationsfrist für denjenigen dieser beiden Streitgenossen ablief, dem das Urteil später zugestellt wurde.)
§ 161 Satz 2 der schwyzerischen ZPO, auf den die Vorinstanz sich berufen hat, bestimmt nun freilich: "Wird ein gegen Urteile oder Bescheide zulässiges ordentliches Rechtsmittel nicht ergriffen oder zurückgezogen, so wird die Rechtskraft des Entscheides auf den Tag der Ausfällung zurückbezogen." Dies ändert aber nichts daran, dass ein erstinstanzliches Urteil in einer appellablen Sache solange nicht rechtskräftig ist, als die Appellationsfrist noch läuft oder die in wirksamer Weise erklärte Appellation noch hängig ist, und dass ein solches Urteil die Rechtskraft erst in dem Zeitpunkte erlangt, da die Appellationsfrist unbenutzt abläuft oder die Appellation zurückgezogen wird. Ob die in diesem Zeitpunkt eingetretene Rechtskraft vom einschlägigen kantonalen Prozessrecht auf einen frühern Zeitpunkt "zurückbezogen" wird (in den Kantonen Schwyz, Zürich und Bern auf den Tag der Ausfällung, in den Kantonen Thurgau und Wallis auf den Tag der Verkündung des Urteils; vgl. GULDENER, Das schweiz. Zivilprozessrecht, I S. 273 Anm. 98, 99), ist für die Anwendung von Art. 316 Abs. 2 ZGB unerheblich, weil es nach dem Sinn dieser Bestimmung allein auf den Tag ankommen kann, an dem die Rechtskraft tatsächlich eingetreten, das bisher nicht rechtskräftige Urteil rechtskräftig geworden ist. Liesse man bei der Berechnung einer Frist des materiellen Bundesrechts, die von der Rechtskraft eines Urteils an läuft, statt des Tages, an dem die Rechtskraft wirklich eingetreten ist, den Tag
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als massgebend gelten, auf den das kantonale Prozessrecht die Rechtskraft zurückbezieht, so würde die Frist durch eine Fiktion des kantonalen Prozessrechts abgekürzt, was gegen das Bundesrecht verstiesse (LEUCH, Kommentar der bern. ZPO, 2. Aufl., N. 2 zu Art. 334).
Möglich ist, dass die Gerichte der Kantone, die eine Rückdatierung der Rechtskraft kennen, in den Meldungen an die Zivilstandsämter als "Datum des Eintritts der Rechtskraft" (vgl. Art. 130 Abs. 2 ZStV) den Tag angeben, auf den das kantonale Prozessrecht die Rechtskraft zurückbezieht, und dass dann auch in den betreffenden Eintragungen im Familienregister dieses Datum als "Datum der Rechtskraft" (Art. 117 Abs. 2 Ziff. 15 ZStV) erscheint. (Der vorliegende Auszug aus dem Familienregister der Gemeinde Muotatal enthält bezüglich des heutigen Klägers den Vermerk: "Gemäss Urteil des Bez. ger. Sz. vom 20. Februar 1953 als ausserehelich erklärt.") Ob eine solche Praxis zulässig sei oder nicht, braucht hier nicht untersucht zu werden. Selbst wenn man dies bejahen wollte, würde daraus nicht folgen, dass der erwähnte Tag auch für die Berechnung der Klagefrist gemäss Art. 316 Abs. 2 ZGB massgebend sein müsse. Die Eintragung der Unehelicherklärung ins Zivilstandsregister und die Berechnung der Frist für die Vaterschaftsklage sind zwei verschiedene Angelegenheiten, für die nicht die gleichen Gesichtspunkte wegleitend zu sein brauchen. Mit welchem Datum die Unehelicherklärung im Zivilstandsregister eingetragen wird, ist materiellrechtlich kaum je von Bedeutung; denn ein Kind, das für unehelich erklärt wurde, hat, soweit es bei der Beurteilung einer Frage des materiellen Rechts (z.B. des Erbrechts) auf seinen Familienstand ankommt, nicht erst mit Wirkung von der Unehelicherklärung, sondern mit Wirkung von der Geburt an als unehelich zu gelten.
Die Jahresfrist von Art. 316 Abs. 2 ZGB begann also im vorliegenden Falle erst am 9. Juli 1953 zu laufen, obwohl die Vorinstanz festgestellt hat, dass das die Unehelichkeit
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des Kindes feststellende Urteil gemäss § 161 ZPO mit dem 20. Februar 1953 in Rechtskraft erwachsen sei.
Die Ende Juni 1954 eingeleitete Klage erweist sich dem nach als rechtzeitig.

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Artikel: Art. 316 Abs. 2 ZGB, Art. 316 Abs. 1 ZGB, Art. 253 ff. ZGB, Art. 308 ZGB mehr...