BGE 147 I 194 - Konzernverantwortungsinitiative
 


BGE 147 I 194 (194):

14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kübler und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
1C_713/2020 / 1C_715/2020 vom 23. März 2021
 
Regeste
Art. 34, 142 Abs. 2, Art. 189 Abs. 4 BV, Art. 77 BPR; Eidgenössische Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative; die Kritik am Erfordernis des Ständemehrs ist sofort gegen die Abstimmungsanordnung zu erheben. Die allgemeine Informationslage kann nur beim nachträglichen Rechtsschutz beanstandet werden.
Im Ausnahmefall, dass ein nachträglicher, wiedererwägungsweiser Rechtsschutz zulässig ist, kann die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung in allgemeiner Weise zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (E. 4.1.1). Übersicht über die Lehre und die bundesgerichtliche Rechtsprechung (E. 4.1.2 und 4.1.3). Solange eine Abstimmungsbeschwerde nach Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR möglich ist, kann die allgemeine Informationslage nicht mit einer Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte beanstandet werden (E. 4.1.4).
 


BGE 147 I 194 (195):

Sachverhalt
 
A.
A. Am 29. November 2020 fand die eidgenössische Volksabstimmung unter anderem über die Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt" (im Folgenden: Konzernverantwortungsinitiative) statt. Gemäss den vorläufigen amtlichen Endergebnissen lehnten die Stände die Volksinitiative im Verhältnis von 12 5 / 2 zu 8 1 / 2 ab, wobei die Stimmberechtigten die Volksinitiative mit einer Mehrheit von 1'299'173 Ja-Stimmen (50.73 %) zu 1'261'673 Nein-Stimmen (49.27 %) annahmen (https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20201129/can636.html).
 
B.
B. Mit Eingabe vom 4. Dezember 2020 erhob ein im Kanton Zürich Stimmberechtigter beim Regierungsrat des Kantons Zürich Abstimmungsbeschwerde gemäss Art. 77 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1) mit dem Antrag, das Abstimmungsresultat vom 29. November 2020 zur Konzernverantwortungsinitiative sei für ungültig zu erklären. Er führte zur Begründung im Wesentlichen an, dass die Ablehnung der Volksinitiative aufgrund des Ständemehrs gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit und des Diskriminierungsverbots verstosse.


BGE 147 I 194 (196):

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 trat der Regierungsrat des Kantons Zürich nicht auf die Beschwerde ein, da diese verspätet eingereicht worden sei und der vorgebrachte Beschwerdegrund kantonsübergreifende Auswirkungen habe.
Dagegen erhebt der unterlegene Beschwerdeführer am 22. Dezember 2020 Beschwerde an das Bundesgericht (Verfahren 1C_713/ 2020). Er beantragt, das Abstimmungsresultat sei wegen Verstosses gegen Art. 8 BV und Art. 14 EMRK für ungültig zu erklären.
 
C.
C. Mit Eingabe vom 2. Dezember 2020 erhoben zudem mehrere im Kanton Zürich Stimmberechtigte beim Regierungsrat des Kantons Zürich Stimmrechts- und Abstimmungsbeschwerde gemäss Art. 77 Abs. 1 lit. a und b BPR mit den Anträgen, die Volksabstimmung über die genannte Volksinitiative sei aufzuheben, und in der Folge sei die Annahme der Volksinitiative festzustellen. Eventuell sei die Volksabstimmung zu wiederholen. Sie führen zur Begründung im Wesentlichen an, dass die Ablehnung der genannten Volksinitiative gegen die Grundprinzipien der Demokratie und den Grundsatz verstosse, dass alle Stimmenden die gleichen politischen Rechte haben und alle Stimmen formell gleichbehandelt werden. Weiter sei die Stimmbevölkerung mangelhaft informiert worden, das Abstimmungsergebnis beruhe nicht auf einer freien Willensbildung.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 trat der Regierungsrat des Kantons Zürich nicht auf die Beschwerde ein. Soweit eine mangelhafte Informationslage geltend gemacht werde, sei die Eingabe offensichtlich verspätet. Soweit die Anforderung des Ständemehrs als rechtswidrig kritisiert werde, habe dieser Beschwerdegrund kantonsübergreifende Auswirkungen.
Gegen diesen Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich reichen die unterlegenen Stimmberechtigten am 23. Dezember 2020 Beschwerde an das Bundesgericht ein (Verfahren 1C_715/2020). Sie beantragen, den Beschluss des Regierungsrates des Kantons Zürich und die Volksabstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative vom 29. November 2020 aufzuheben, die Annahme der Volksinitiative festzustellen und den Bundesrat zum Vollzug der Konzernverantwortungsinitiative zu verpflichten. Eventuell sei die Volksabstimmung zu wiederholen.
 
Entscheid
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerden nicht ein.
(Zusammenfassung)
 


BGE 147 I 194 (197):

Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.3 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Mängel in der Vorbereitung von Wahlen und Abstimmungen sofort und vor Durchführung des Urnenganges zu rügen, andernfalls der Stimmberechtigte sein Beschwerderecht im Grundsatz verwirkt (BGE 118 Ia 271 E. 1d S. 274, BGE 118 Ia 415 E. 2a S. 417; Urteil des Bundesgerichts 1C_495/ 2012 vom 12. Februar 2014 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 140 I 107 mit Hinweisen). Diese Praxis bezweckt, dass Mängel möglichst noch vor der Wahl oder Abstimmung behoben werden können und der

BGE 147 I 194 (198):

Urnengang nicht wiederholt zu werden braucht. Es wäre denn auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn ein Mangel vorerst widerspruchslos hingenommen und hinterher die Wahl oder Abstimmung, soweit deren Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht, wegen eben dieses Mangels angefochten würde (Urteil des Bundesgerichts 1C_100/2016 vom 4. Juli 2016 E. 3.1).
Wie der bundesgerichtlichen Praxis zu kantonalen Wahlen und Abstimmungen zu entnehmen ist, bildet die Anordnung einer Wahl oder Abstimmung, welche in Anwendung einer bundesrechtswidrigen Wahl- oder Abstimmungsordnung durchgeführt werden soll, einen Mangel in der Vorbereitung im erwähnten Sinn. Anfechtungsobjekt ist auch in solchen Fällen nicht die Wahl oder Abstimmung selbst, sondern die Vorbereitungshandlung, nämlich die Wahl- oder Abstimmungsanordnung durch die zuständige Behörde. Zwar mag die Behebung von derartigen Mängeln, jedenfalls wenn sie ihre Grundlage in der Kantonsverfassung oder in einem Gesetz im formellen Sinn haben, vor der Wahl kaum denkbar sein. Dennoch darf vom Stimmbürger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben erwartet werden, dass er die Anwendung eines seiner Ansicht nach verfassungswidrigen Wahl- oder Abstimmungssystems noch vor der Wahl oder Abstimmung rügt und nicht vorerst widerspruchslos hinnimmt, um hinterher die Wahl oder Abstimmung anzufechten, soweit deren Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht (Urteil des Bundesgerichts 1C_100/2016 vom 4. Juli 2016 E. 3.1). Wie die Bundeskanzlei zu Recht ausführt, treffen diese Ausführungen auch auf die Rüge von Mehrheitserfordernissen für die Abstimmung über eine eidgenössische Volksinitiative zu.
Der vorgebrachten Rüge liegt ein äusserst seltener Sachverhalt zugrunde. Gemäss Bundeskanzlei handelt es sich vorliegend erst um den zehnten Fall, in welchem eine eidgenössische Abstimmungsvorlage, die ein Volksmehr erzielt hat, allein am Erfordernis des Ständemehrs gescheitert ist (https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/ vab_2_2_4_4.html). Nach jenen Informationen ist dies bei einer eidgenössischen Volksinitiative gar erst einmal, am 13. März 1955 bei der Volksinitiative "zum Schutz der Mieter und Konsumenten (Weiterführung der Preiskontrolle)" (BBl 1955 I 673), vorgekommen. Dennoch geht die Möglichkeit, dass eine Abstimmungsvorlage wie vorliegend allein am Erfordernis des Ständemehrs scheitern kann, klar aus Art. 140 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 142 Abs. 2 BV hervor. Das Erfordernis des Ständemehrs ist somit Teil des

BGE 147 I 194 (199):

Volksinitiativrechts. Wer eine Volksinitiative einreicht, weiss um diesen Umstand. Diese Rüge, die erst nach der Durchführung der Abstimmung erhoben wurde, ist verspätet. Immerhin kann vor diesem Hintergrund vermerkt werden, dass die Rüge inhaltlich ohnehin aussichtslos wäre, da die mit der Regelung einhergehende Einschränkung der Stimmkraftgleichheit verfassungsrechtlich gewollt (Pierre Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 4. Aufl. 2016, § 24 Rz. 9-11; Andreas Kley, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 142 BV) und für das Bundesgericht verbindlich ist.
 
Erwägung 4
4.1 Gemäss Art. 189 Abs. 4 BV können Akte der Bundesversammlung und des Bundesrats beim Bundesgericht nicht angefochten werden, ausser das Gesetz sieht dies vor. Dies gilt auch bei Beschwerden wegen Verletzung der politischen Rechte (BGE 138 I 61 E. 7.1 S. 85). Nicht direkt anfechtbar sind damit auch die bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen (BGE 145 I 207 E. 1.5 S. 213, BGE 145 I 1 E. 5.1.1 S. 7; BGE 138 I 61 E. 7.2 S. 85; BGE 137 II 177 E. 1.2 S. 179).


BGE 147 I 194 (200):

Fraglich ist, ob die allgemeine Informationslage vorliegend, wie von den Beschwerdeführern beantragt, zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden kann, in dessen Rahmen auch Akte der Bundesversammlung und des Bundesrats berücksichtigt werden könnten. Hierzu ist die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichts im Folgenden nachzuzeichnen und zu präzisieren.
4.1.1 In BGE 138 I 61 hielt das Bundesgericht fest, dass, wenn erst im Nachgang zu allfälligen Beschwerdeverfahren und nach dem bundesrätlichen Erwahrungsbeschluss erhebliche Mängel bekannt würden, sich bei gegebenen Voraussetzungen ein Anspruch auf Überprüfung der Regularität einer Volksabstimmung direkt aus Art. 29 Abs. 1 und aus Art. 29a BV ableite (BGE 138 I 61 E. 4.3 S. 74; siehe auch BGE 145 I 207 E. 1.1 S. 210 f.). Das Bundesgesetz über die politischen Rechte, welches das Abstimmungsverfahren umschreibt, sei in diesem Sinne verfassungskonform anzuwenden. Allgemein seien Bundesgesetze nach den anerkannten Grundsätzen auszulegen. Dazu gehöre die verfassungskonforme Auslegung, unter Beachtung der Schranken von Art. 190 BV und im Rahmen des klaren Wortlauts und Sinns einer Gesetzesbestimmung. Im Zusammenhang mit der abstrakten Normkontrolle kantonaler Erlasse werde die verfassungskonforme Auslegung insbesondere dann als zulässig erachtet, wenn der Normtext lückenhaft, zweideutig oder unklar sei. Vorliegend weise das Bundesgesetz über die politischen Rechte eine namhafte Lücke auf. Für eidgenössische Abstimmungen gelte im Rahmen des Bundesgesetzes über die politischen Rechte direkt gestützt auf die verfassungsmässigen Grundsätze von Art. 29 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 29a BV ein Recht auf Überprüfung der Regularität von Volksabstimmungen und nachträglichen Rechtsschutz, wenn im Nachhinein eine massive Beeinflussung der Volksabstimmung zutage trete (BGE 138 I 61 E. 4.3 S. 74; siehe auch BGE 147 I 206 E. 2.3). Insofern handelt es sich um ein ausserordentliches Rechtsmittel. Beim damals zu prüfenden Fall von nachträglichem, wiedererwägungsweise geltend gemachtem Rechtsschutz führte es aus, könne die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung in allgemeiner Weise zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden und in diesem Rahmen könnten auch Akte der Bundesversammlung und des Bundesrats, namentlich die Abstimmungserläuterungen des Bundesrats, gewürdigt werden (BGE 138 I 61 E. 7.4 S. 86 f.).


BGE 147 I 194 (201):

4.1.2 In der Lehre wurde dieser Entscheid unterschiedlich aufgenommen (kritisch etwa Giovanni Biaggini, Eine verzwickte Angelegenheit: Die nachträgliche Überprüfung der Regularität einer eidgenössischen Volksabstimmung [nachfolgend: Eine verzwickte Angelegenheit], ZBl 113/2012 S. 429 ff.; Jacques Dubey, Quelle autorité pour la chose votée?, Festschrift für Peter Hänni zum 65. Geburtstag, 2015, S. 3 ff.; Andreas Glaser, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den politischen Rechten auf Bundesebene, ZBl 118/2017 S. 415, 433 ff.; Alain Wurzburger, in: Commentaire de la LTF [Loi sur le Tribunal fédéral], 2. Aufl. 2014, N. 136a zu Art. 82 BGG; teilweise zustimmend José Krause, Die Rechtsweggarantie [Art. 29a BV] im Bereich der politischen Rechte, 2017, S. 185 ff.; Markus Schefer, Inhaltlich falsch, taktisch klug, Plädoyer 2012 3 S. 14 f.; Goran Seferovic, Die Kassation von mangelhaften Volksabstimmungen auf Bundesebene - "vorläufige Massnahmen" als Alternative zu BGE 138 I 61, AJP 2013 S. 675 ff.; zustimmend Pierre Tschanne, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2011 und 2012, ZBJV 148/2012 S. 673, 734 f.). Das Bundesgericht hielt an der in BGE 138 I 61 eingeleiteten Rechtsprechung in der Folge fest. Namentlich hob es gestützt darauf die Volksabstimmung vom 28. Februar 2016 über die Volksinitiative "Für Ehe und Familie - gegen die Heiratsstrafe" auf (BGE 145 I 207; Urteil des Bundesgerichts 1C_315/2018 vom 10. April 2019, in: ZBl 10/2019 S. 559 ff.). Dabei machte es ebenfalls die Informationslage vor der Volksabstimmung im Rahmen eines nachträglich, wiedererwägungsweise geltend gemachten Rechtsschutzverfahrens zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung, wobei es massgeblich auch die Abstimmungserläuterungen einbezog (vgl. Giovanni Biaggini, Eine Premiere mit begrenzter präjudizieller Tragweite, ZBl 120/2019 S. 532 ff.; Clémence Demay, La jurisprudence du Tribunal fédéral en matière de droit public publiée en 2019, RDAF 2020 I S. 143, 161 ff.).


BGE 147 I 194 (202):

Obwohl sich die Frage der Überprüfung der bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen in BGE 138 I 61 in spezifischer Weise im Zusammenhang mit nachträglichem Rechtsschutz stellte (Steinmann/Mattle, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 95 zu Art. 82 BGG), ging die Lehre in der Folge aufgrund der nicht fallspezifischen Formulierung davon aus, dass die allgemeine Informationslage nicht nur im Rahmen des nachträglichen Rechtsschutzes geltend gemacht werden könne (Biaggini, Eine verzwickte Angelegenheit, a.a.O., S. 429 ff., 437 f.). Auch das Bundesgericht prüfte entsprechende Rügen im Rahmen von Abstimmungsbeschwerden nach Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR (vgl. aber das Urteil 1C_60/2016 vom 16. Februar 2016 E. 7.3 und 7.4). Die entsprechenden Rügen scheiterten jedoch meist bereits an den Erfordernissen von Art. 42 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG bzw. daran, dass sie direkt auf die Abstimmungserläuterungen und nicht auf die allgemeine Informationslage abzielten (so in den Urteilen des Bundesgerichts 1C_389/2018 vom 8. August 2019 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 145 I 282; 1C_276/2018 vom 10. Dezember 2018 E. 3, in: SJ 2019 I S. 310; 1C_216/2018 vom 10. Dezember 2018 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 145 I 175; 1C_455/2016 vom 14. Dezember 2016 E. 2.4, nicht publ. in: BGE 143 I 78, aber in: ZBl 118/2017 S. 216). Verschiedentlich hielt das Bundesgericht zudem fest, dass es bei der Kritik der Beschwerdeführer anders als im BGE 138 I 61 nicht darum gehe, dass der Bundesrat wesentliche Informationen, über welche ausschliesslich die Verwaltung verfügte, unterdrückt hätte, weshalb es nicht darauf eintrat (so in den Urteilen des Bundesgerichts 1C_389/2018 vom 8. August 2019 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 145 I 282; 1C_665/2018 vom 16. Januar 2019 E. 4.1; 1C_492/ 2018 vom 12. Dezember 2018 E. 2; 1C_276/2018 vom 10. Dezember 2018 E. 3.2; 1C_216/2018 vom 10. Dezember 2018 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 145 I 175; 1C_455/2016 vom 14. Dezember 2016 E. 2.4, nicht publ. in: BGE 143 I 78, aber in: ZBl 118/2017 S. 216). In diesen letztgenannten Urteilen sowie im Urteil 1C_323/ 2019 vom 24. Juni 2019 E. 3 (in: Pra 2020 Nr. 44 S. 435; mit Verweis auf 1C_455/2016 vom 14. Dezember 2016 E. 2.4, nicht publ. in: BGE 143 I 78, aber in: ZBl 118/2017 S. 216) lehnte es das Bundesgericht ab, die vorgebrachten Stimmrechtsverletzungen zu prüfen, da die entsprechenden Informationen ohne Weiteres in die öffentliche Diskussion hätten eingebracht werden können.
4.1.4 Wie die zuletzt genannten Urteile betonen, können Informationen über angebliche Unregelmässigkeiten - unabhängig von ihrer

BGE 147 I 194 (203):

Schwere - üblicherweise ohne Weiteres in die öffentliche Diskussion eingebracht werden. Konkrete Akte ("Unregelmässigkeiten" im Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR) im Vorfeld von eidgenössischen Volksabstimmungen sind gemäss Art. 77 Abs. 2 BPR innert drei Tagen anzufechten. Unterlassene unmittelbare Rügen gegen konkrete Akte im Vorfeld der Volksabstimmung können auch nicht dadurch nachgeholt werden, dass das Abstimmungsergebnis durch die Geltendmachung einer ungenügenden Informationslage angefochten wird (vgl. BGE 145 I 207 E. 1.4 S. 212; BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 76). Letztlich handelt es sich bei den Akten, die nach Art. 77 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 77 Abs. 2 BPR unmittelbar beanstandet werden müssen, um die gleichen Sachverhalte, die im Rahmen einer Prüfung der allgemeinen Informationslage ausschlaggebend sind, womit die Regelung von Art. 77 Abs. 2 BPR faktisch unterlaufen wird, wenn auf das Erfordernis einer unmittelbaren Rüge verzichtet wird. Die Möglichkeit, neben - oder gar unabhängig von - konkreten Akten auch eine ungenügende Informationslage geltend zu machen, ist im BPR nicht vorgesehen und steht in einem Spannungsverhältnis zu Art. 77 Abs. 2 BPR und damit insgesamt auch zu Art. 190 BV. Bei einer Abstimmungsbeschwerde nach Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR bildet die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung bloss den Hintergrund, vor welchem die vorgebrachten konkreten Mängel zu prüfen sind, und kein selbstständiger Gegenstand des Verfahrens. Anzufechten sind die einzelnen, konkreten "Unregelmässigkeiten bei Abstimmungen" im Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR, gemäss Art. 77 Abs. 2 BPR innert drei Tagen seit Entdeckung des Beschwerdegrundes, spätestens jedoch am dritten Tag nach Veröffentlichung der Ergebnisse im kantonalen Amtsblatt.
Bloss im Ausnahmefall, wenn ein nachträglicher, wiedererwägungsweiser Rechtsschutz möglich ist, kann auch die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung in allgemeiner Weise zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. In einem solchen Fall können auch die durch Art. 189 Abs. 4 BV von der Anfechtungsmöglichkeit beim Bundesgericht ausgenommenen Akte der Bundesversammlung und des Bundesrates in die Prüfung einbezogen werden. Das Recht, die Regularität einer eidgenössischen Volksabstimmung direkt gestützt auf die verfassungsmässigen Grundsätze von Art. 29 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 29a BV zu überprüfen und nachträglichen Rechtsschutz zu erlangen, ist allerdings, wie bereits

BGE 147 I 194 (204):

in BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 75 f. ausführlich dargelegt, an strenge Voraussetzungen gekoppelt: So müssen gravierende Mängel geltend gemacht werden können, welche die Abstimmung massiv und entscheidwesentlich beeinflusst haben könnten (BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 75; vgl. auch BGE 145 I 207 E. 1.1 S. 210 f. mit Hinweisen). Bei den Unregelmässigkeiten muss es sich dabei um unechte Noven handeln, d.h. um Tatsachen und Beweismittel, die sich auf Fakten beziehen, die zur Zeit der Abstimmung bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren bzw. unbeachtet bleiben konnten (BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 76; so auch BGE 145 I 207 E. 1.4 S. 212). Diese müssen zudem von erheblicher Tragweite sein. Umgekehrt sind echte Noven, d.h. erst im Laufe der Zeit sich ergebende Tatsachen, ohne Bedeutung. Schliesslich gilt in Bezug auf die Frist, dass nicht unbegrenzt um Neubeurteilung eines weit zurückliegenden Abstimmungsverfahrens ersucht werden kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit müssen der Wiedererwägung zeitliche Grenzen gesetzt sein, wobei mangels gesetzlicher Bestimmungen die Frist unter analoger Beachtung von Regelungen in andern Sachgebieten und in Anwendung allgemeiner Grundsätze allenfalls im Einzelfall festzusetzen ist (BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 75 f.; so auch BGE 145 I 207 E. 1.3 S. 212). An diese Voraussetzungen eines nachträglichen, wiedererwägungsweisen Rechtsschutzes ist ein strenger Massstab anzulegen (BGE 138 I 61 E. 4.5 S. 76).
Demnach ergibt sich mit Blick auf den vorliegend zu beurteilenden Fall, dass solange eine Abstimmungsbeschwerde nach Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR möglich ist, das ausserordentliche, unmittelbar auf die Bundesverfassung gestützte Rechtsmittel (vgl. vorne E. 4.1.1) nicht ergriffen und die allgemeine Informationslage nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden kann.
4.2 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV durch die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates sowie durch bestimmte angebliche Aussagen und Handlungen von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, von Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger und von Nationalrätin Isabelle Chevalley im Vorfeld der

BGE 147 I 194 (205):

angefochtenen Abstimmung. Von einzelnen, unbeachtlichen Mutmassungen abgesehen, sollen alle gerügten Unregelmässigkeiten vor dem 29. November 2020 stattgefunden haben. Die Beschwerdeführer begründen die Einhaltung der Beschwerdefrist sinngemäss damit, dass die Informationslage am Abstimmungssonntag fristauslösend sei. Dies trifft, wie dargelegt, nicht zu (vorne E. 4.1.4). Soweit die Beschwerdeführer einwenden, dass sie innert Frist gegen bestimmte geltend gemachte Akte gar nicht vorgehen konnten, da diese durch Art. 189 Abs. 4 BV von der Anfechtungsmöglichkeit beim Bundesgericht ausgenommen wurden, so können sie daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten (vorne E. 4.1.4). Die Beschwerde ist somit verspätet, soweit sie sich überhaupt auf Akte bezieht, die angefochten werden können. Damit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.