BGE 146 I 83
 
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Bürgergemeinde der Stadt Basel, Bürgergemeinde Riehen und Bürgergemeinde Bettingen gegen Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
1C_337/2019 vom 13. November 2019
 
Regeste
Art. 37, 38 Abs. 2, Art. 50 Abs. 1 BV, §§ 39, 59 und 64 KV/BS, Art. 11-13 BüG; abstrakte Normenkontrolle: verletzt eine kantonale Vermutungsregel bei der Prüfung eines Kriteriums der ordentlichen Einbürgerung die Autonomie der basel-städtischen Bürgergemeinden?
Föderalistische Kompetenzausscheidung beim Entscheid über die ordentliche Einbürgerung; Tragweite einer gesetzlichen Vermutung für ein einzelnes Einbürgerungskriterium (hier: Nachweis von Grundkenntnissen durch Schulbesuch); Vergleich mit einer analogen Vermutungsregel im Bundesrecht und Bedeutung der Richtlinien des Bundes (E. 4).
Tauglichkeit der Vermutungsbasis (E. 5). Anspruch auf rechtliches Gehör (E. 6). Schlussfolgerung (E. 7).
 
Sachverhalt


BGE 146 I 83 (84):

A.
A.a Am 19. Oktober 2017 erliess der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt in Anpassung an das neue Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (BüG; SR 141.0) ein neues kantonales Bürgerrechtsgesetz (BüRG/BS; SG 121.100). § 11 BüRG/BS mit der Marginalie "Vertrautsein mit den schweizerischen und örtlichen Lebensverhältnissen" lautet:
    " 1 Die Bewerberinnen oder Bewerber sind mit den schweizerischen und örtlichen Lebensverhältnissen vertraut, wenn sie namentlich:
    a) über Grundkenntnisse der geografischen, historischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Bund, Kanton und Gemeinde verfügen;
    b) am sozialen und kulturellen Leben der hiesigen Gesellschaft teilnehmen; und
    c) Kontakte zu Schweizerinnen und Schweizern pflegen.
    2 Der Nachweis für Abs. 1 lit. a gilt als erbracht, wenn die Bewerberinnen und Bewerber die obligatorische Schule vollständig in der Schweiz, davon die gesamte Sekundarstufe I im Kanton Basel-Stadt besucht haben."
A.b Dagegen führten die Bürgergemeinde der Stadt Basel, die Bürgergemeinde Riehen und die Bürgergemeinde Bettingen am 1. Februar 2018 Beschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragten, § 11 Abs. 2 BüRG/BS aufzuheben.
Mit Urteil 1C_63/2018 vom 28. September 2018 trat das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Streitsache zur weiteren Behandlung an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verfassungsgericht. Zur Begründung führte es im

BGE 146 I 83 (85):

Wesentlichen aus, das basel-städtische Verfassungsrecht sehe als Ausnahme vom Ausschluss der abstrakten Normenkontrolle bei kantonalen Gesetzen die Zulässigkeit der Anfechtbarkeit von Gesetzen vor, wenn eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend gemacht werde. Da dies im zu beurteilenden Fall zutreffe, liege nicht ein beim Bundesgericht einzig anfechtbarer letztinstanzlicher kantonaler Hoheitsakt vor.
B. Am 5. Mai 2019 wies das Appellationsgericht als Verfassungsgericht die Beschwerde im ihm überwiesenen Verfahren ab. (...)
C. Mit Beschwerde vom 17. Juni 2019 an das Bundesgericht beantragen die Bürgergemeinde der Stadt Basel, die Bürgergemeinde Riehen und die Bürgergemeinde Bettingen, § 11 Abs. 2 BüRG/BS aufzuheben, eventuell die Sache an das Appellationsgericht zurückzuweisen. Zur Begründung berufen sie sich im Wesentlichen darauf, die angefochtene Bestimmung verletze den Grundsatz des Vorranges des Bundesrechts, sei rechtsungleich und willkürlich und verstosse gegen die Gemeindeautonomie.
Der Grosse Rat und das Appellationsgericht als Verfassungsgericht des Kantons Basel-Stadt schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
1.1 Nach Art. 82 lit. b BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen kantonale Erlasse. Die Beschwerde ist gemäss Art. 87 Abs. 1 BGG unmittelbar an das Bundesgericht zulässig, sofern kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann. Diese Voraussetzung ist inzwischen erfüllt. Wird im Normenkontrollverfahren eine Bestimmung des kantonalen oder kommunalen Rechts "abstrakt" (hauptfrageweise) angefochten, beschränkt sich der Streitgegenstand auf die Vereinbarkeit der strittigen Norm mit dem übergeordneten kantonalen oder eidgenössischen Recht (Art. 82 lit. b BGG). Handelt es sich um einen neuen oder vollständig revidierten Erlass, kann jede einzelne Bestimmung hauptfrageweise angefochten werden (BGE 137 I 77 E. 1.2 S. 79; BGE 135 I 28 E. 3.1.1 S. 31 und 3.1.2 S. 32).
1.2 Die beschwerdeführenden Bürgergemeinden leiten ihre Beschwerdeberechtigung sowohl aus Art. 89 Abs. 1 als auch aus Art. 89 Abs. 2 BGG ab. Nach der spezielleren Bestimmung von Art. 89

BGE 146 I 83 (86):

Abs. 2 lit. c BGG sind Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften dann zur Beschwerde berechtigt, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewähren. Bei der Einbürgerung unter Einschluss der Verleihung des Gemeindebürgerrechts handelt es sich um einen staatlichen Hoheitsakt. Die drei beschwerdeführenden Bürgergemeinden sind durch die angefochtene Gesetzesbestimmung in ihrer Stellung als Hoheitsträgerinnen berührt und daher gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG befugt, die Verletzung ihrer Autonomie mit Beschwerde geltend zu machen. Ob die beanspruchte Autonomie tatsächlich besteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Autonomie im konkreten Fall tatsächlich verletzt wurde (Urteil 2C_1021/2016 vom 18. Juli 2017 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 143 II 553; BGE 140 V 328 E. 4.1 S. 330; BGE 135 I 43 E. 1.2 S. 45). Die Beschwerdeführerinnen sind demnach bereits gestützt auf Art. 89 Abs. 2 BGG zur Beschwerde berechtigt. Sie können damit alle von ihnen erhobenen Rügen vorbringen. Damit kann offenbleiben, ob sie sich auch auf Art. 89 Abs. 1 BGG berufen könnten.
 
Erwägung 2
2.1 Die Gemeinde ist ein Institut des kantonalen Rechts. Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie denn auch nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale oder eidgenössische Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der

BGE 146 I 83 (87):

Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (BGE 143 I 272 E. 2.3.1 und 2.3.2 S. 278; BGE 142 I 177 E. 2 S. 180; je mit Hinweisen).
2.2 Die Beschwerdeführerinnen berufen sich nicht direkt auf Art. 50 Abs. 1 BV, sondern auf die Autonomiebestimmung von § 59 KV/BS (SR 131.222.1). Nach dieser Bestimmung ist die Autonomie der Gemeinden gewährleistet; sie sind im Rahmen von Verfassung und Gesetz befugt, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln (Abs. 1). Das kantonale Recht gewährt den Gemeinden einen möglichst weiten Handlungsspielraum (Abs. 2). Die Gewährleistungen gemäss dem Abschnitt der Kantonsverfassung über die Gemeinden bilden Bestandteil der Gemeindeautonomie (Abs. 3). Allerdings befinden sich die Bestimmungen über die Bürgergemeinden nicht in diesem Abschnitt, weshalb ihr Autonomieschutz grundsätzlich weniger weit reicht als bei den Einwohnergemeinden; diese profitieren im Unterschied zu den Bürgergemeinden insbesondere vom Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit bei Änderungen der Verfassungsbestimmungen über die Gemeindeautonomie (vgl. URS W. KAMBER, Kanton und Gemeinden, in: Neues Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt [nachfolgend: Handbuch], Denise Buser [Hrsg.], 2008, S. 244 f.), auch wenn das hier nicht weiter von Belang ist. Die Beschwerdeführerinnen legen jedenfalls nicht dar, dass ihnen die Kantonsverfassung eine weiter gehende Garantie ihrer Autonomie verschaffen würde als die Bundesverfassung. Sie führen insbesondere nicht aus, inwiefern und allenfalls weshalb ihnen § 59 KV/BS eine verbindliche und justiziable grössere Entscheidungsfreiheit verschafft als dies die Anrufung von Art. 50 Abs. 1 BV voraussetzt. Es kann hier daher auf die Rechtsprechung zu Art. 50 Abs. 1 BV abgestellt werden.
2.3 Art. 37 BV bildet die verfassungsrechtliche Grundlage des dreiteiligen Bürgerrechts, wonach Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürger auch das Bürgerrecht (mindestens) eines Kantons und einer Gemeinde besitzen. Art. 38 BV regelt die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen beim Erwerb und Verlust der Bürgerrechte. Art. 38 Abs. 2 BV sieht insbesondere vor, dass im Rahmen der vom Bund erlassenen Mindestvorschriften die Kantone über die ordentliche Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern entscheiden. Obwohl ein Gemeindebürgerrecht verfassungsrechtlich

BGE 146 I 83 (88):

vorgeschrieben ist, sind die Kantone weder verpflichtet, Bürgergemeinden einzurichten noch die Erteilung des Gemeindebürgerrechts den Gemeinden vorzubehalten (vgl. RHINOW/SCHEFER/UEBERSAX, Schweizerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl. 2016, Rz. 292 ff.). Sie müssen zwar den Erwerb eines Gemeindebürgerrechts ermöglichen, können aber auch vorschreiben, darüber selbst zu entscheiden, wie dies etwa nach der Gesetzgebung des Kantons Genf zutrifft, wo die Gemeinden, wenn auch immerhin in einem formalisierten Verfahren, lediglich vorweg konsultiert werden (vgl. UEBERSAX/PETRY, Le Tribunal fédéral et la loi sur la nationalité, avec un tour d'horizon du nouveau droit, in: Actualité du droit des étrangers, Sauthier/Nguyen [Hrsg.], Bd. I, 2016, S. 38, Fn. 40). Auch das Bürgerrechtsgesetz des Bundes verschafft den Gemeinden keine Autonomie bei der Verleihung des Gemeindebürgerrechts. Art. 13 Abs. 2 BüG (SR 141.0) behält ausdrücklich vor, dass die Gemeinden nur dann die Einbürgerung zusichern können, wenn das kantonale Recht dies vorsieht. Der Entscheid über die Einbürgerung ist der kantonalen Einbürgerungsbehörde vorbehalten (vgl. Art. 13 Abs. 3 BüG). Kommunale Zuständigkeiten ergeben sich ebenfalls nicht aus den materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen von Art. 11 und 12 BüG, wie sie hier zur Diskussion stehen. Analoges gilt für die Verordnung vom 17. Juni 2016 über das Schweizer Bürgerrecht (BüV; SR 141.01). Die beschwerdeführenden Bürgergemeinden können demnach im vorliegenden Zusammenhang aus dem Bundesrecht keine massgebliche Autonomie ableiten.
2.4 Nach § 39 KV/BS fördern der Kanton Basel-Stadt und dessen Gemeinden die Aufnahme neuer Bürger und Bürgerinnen; der Kanton und die Bürgergemeinden regeln die Einzelheiten in ihrer Gesetzgebung. Die Bestimmung enthält im Wesentlichen lediglich einen Förderungsauftrag und verweist im Übrigen auf die Gesetzgebung. Diese kommunalen Kompetenzen hängen von der kantonalen Gesetzgebung ab und sind entsprechend prekär (vgl. KAMBER, a.a.O., S. 244). Gemäss § 64 erster Satz KV/BS verleihen zwar die Bürgergemeinden das Gemeindebürgerrecht. Sie haben dabei aber mit Blick auf die Normhierarchie die inhaltlichen Vorgaben des Bundesrechts und des kantonalen Rechts zu beachten. Über Autonomie verfügen sie mithin nur soweit, als das kantonale Recht ihnen eine solche einräumt. Soweit es um die Umsetzung der bundesrechtlichen oder kantonalen Einbürgerungsvoraussetzungen geht, ist es dem Kanton nicht verboten, den Gemeinden in seiner Gesetzgebung Vorgaben zu

BGE 146 I 83 (89):

machen. Dies gilt zumindest solange, als die Zuständigkeit für die Verleihung des Gemeindebürgerrechts nach § 64 KV/BS durch die kantonale Gesetzgebung nicht unterlaufen wird. In diesem Sinne liegt der Entscheid über die Verleihung des Gemeindebürgerrechts im Kanton Basel-Stadt zwar bei den drei Bürgergemeinden. Die Regelung des Verfahrens und der materiellen Voraussetzungen in Umsetzung und zulässiger Ergänzung des Bundesrechts steht aber in der Kompetenz des Kantons, wobei er einzig die den Bürgergemeinden in der Kantonsverfassung eingeräumte grundsätzliche Entscheidungskompetenz nicht aushöhlen darf. Nur in diesem begrenzten Umfang verfügen die basel-städtischen Bürgergemeinden im vorliegenden Zusammenhang über relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit.
 
Erwägung 3
3.1 Eine in ihrer Autonomie betroffene Gemeinde kann unter anderem geltend machen, die kantonale Behörde habe die Tragweite von verfassungsmässigen Rechten missachtet. Sie kann sich auf das Willkürverbot und auf Verfahrensgrundrechte berufen, soweit diese Vorbringen mit der behaupteten Rüge der Autonomieverletzung in engem Zusammenhang stehen. Die Anwendung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die Handhabung von kantonalem Gesetzes- und Verordnungsrecht nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (vgl. BGE 141 I 36 E. 5.4 S. 43). Das Bundesgericht auferlegt sich Zurückhaltung, soweit die Beurteilung der Streitsache von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser überblicken (BGE 136 I 265 E. 2.3 S. 270 mit Hinweisen). Zu beachten sind dabei aber die besonderen Verhältnisse bei einer Erlassbeschwerde.
 


BGE 146 I 83 (90):

Erwägung 4
4.1 Gemäss Art. 38 Abs. 2 BV erlässt der Bund Mindestvorschriften für die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern durch die Kantone. Diese können davon nicht abweichen. Art. 11 BüG bestimmt die so genannten materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen, wozu die erfolgreiche Integration zählt (lit. a). Art. 12 BüG führt die zu beachtenden Integrationskriterien auf und hält in Abs. 3 fest, dass die Kantone weitere Integrationskriterien vorsehen können. Nach Art. 11 lit. b BüG ist für die Erteilung der Einbürgerungsbewilligung des Bundes ferner erforderlich, dass die Bewerberin oder der Bewerber mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut ist. Dabei handelt es sich streng genommen von der Gesetzessystematik her nicht um ein Integrationskriterium gemäss Art. 12 BüG, weshalb offen ist, ob der Kanton insoweit überhaupt weitere Anforderungen stellen dürfte. Auf die komplexe Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen (dazu etwa ACHERMANN/VON RÜTTE, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 33 ff. zu Art. 38 BV; CÉLINE GUTZWILLER, Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, 2008, S. 211 ff.; BARBARA VON RÜTTE, Das neue Bürgerrechtsgesetz und dessen Umsetzung in den Kantonen, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2017/2018, Alberto Achermann und andere [Hrsg.], S. 68 ff. und 74 ff.) braucht hier aber nicht eingegangen zu werden. Jedenfalls konkretisiert Art. 2 Abs. 1 lit. a BüV die Voraussetzung von Art. 11 lit. b BüG in dem Sinne, dass die Bewerberin oder der Bewerber nebst weiteren Voraussetzungen über Grundkenntnisse der geografischen, historischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz verfügt (dazu LAURA CAMPISI, Die rechtliche Erfassung der Integration im schweizerischen Migrationsrecht, 2014, S. 251 ff.; FLORA DI DONATO, L'integrazione degli stranieri in Svizzera, 2016, S. 65 ff.; CÉLINE GUTZWILLER, Droit de la nationalité suisse, 2016, S. 39 f.; FANNY DE WECK, in: Migrationsrecht, Kommentar, Spescha und andere [Hrsg.], 5. Aufl. 2019, Rz. 3 zu Art. 11 BüG). Aus Art. 13 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1 BüG lässt sich ableiten, dass der Kanton und allenfalls die Gemeinde, soweit sie damit betraut wird, prüft, ob alle formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. etwa für die Prüfung der Integration DE WECK, a.a.O., Rz. 2 zu Art. 12 BüG). Das entsprechende Verfahren richtet sich gemäss Art. 15 Abs. 1 BüG nach dem kantonalen Recht. Die zuständige kantonale Behörde kann die Bewerber zu einem Test über die Kenntnisse gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a BüV verpflichten (Art. 2 Abs. 2 BüV). Dazu

BGE 146 I 83 (91):

besteht aber weder eine Pflicht der Kantone noch steht der Gemeinde ein Anspruch auf Durchführung eines solchen Tests zu, soweit der Kanton ihn nicht vorsieht bzw. die Gemeinde damit nicht betraut.
4.2 § 4 Abs. 1 lit. b BüRG/BS wiederholt die bundesrechtliche Anforderung von Art. 11 lit. b BüG, ergänzt diese aber um das Vertrautsein mit den örtlichen - und nicht bloss den schweizerischen - Lebensverhältnissen. Die hier strittige Bestimmung von § 11 Abs. 2 BüRG/BS schliesst an die konkretisierende Begriffsdefinition von Art. 2 Abs. 1 lit. a BüV an und legt fest, wie die fragliche Voraussetzung im Kanton Basel-Stadt nachzuweisen ist. Nach § 10 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 lit. b der Verordnung vom 12. Dezember 2017 zum Bürgerrechtsgesetz des Kantons Basel-Stadt (BüRV/BS; SG 121.110) prüfen sowohl das Migrationsamt als auch die zuständige Bürgergemeinde (in Umsetzung von Art. 13 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1 BüG) das Vorliegen unter anderem der Voraussetzung der Bewerberinnen und Bewerber nach § 4 Abs. 1 lit. b BüRG/BS bzw. von Art. 11 lit. b BüG. Die Bürgergemeinde führt unter anderem dafür das Einbürgerungsgespräch (§ 10 Abs. 3 lit. a BüRV/BS). Das neue kantonale Bürgerrechtsgesetz führt damit die altrechtliche Zuständigkeit der Bürgergemeinden für die Prüfung der materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen grundsätzlich fort (vgl. zum alten Recht JENS VAN DER MEER, Die ordentliche Einbürgerung von ausländischen Bürgerrechtsbewerbenden im Kanton Basel-Stadt, in: BJM 2013, S. 61 ff.; STEPHAN WULLSCHLEGER, Bürgerrecht und Volksrechte, in: Handbuch, a.a.O., S. 132 f.).
4.3 Die angefochtene Bestimmung stellt lediglich eine gesetzliche Vermutung für ein einziges Einbürgerungskriterium auf. Bei § 11 Abs. 2 BüRG/BS handelt es sich mithin nicht um die inhaltliche Festlegung eines massgeblichen Kriteriums, sondern um eine prozessuale Beweisregel. Genauso wenig liegt eine materiellrechtliche Aufweichung der Integrationskriterien vor, was dem Kanton mit Blick darauf, dass der Bund Mindestvorschriften erlässt (vgl. Art. 38 Abs. 2 BV), verwehrt wäre. Es ist dem Kanton Basel-Stadt im Rahmen seiner Zuständigkeit jedoch nicht verboten, schematisierte Beweisregeln für einzelne Einbürgerungsvoraussetzungen vorzusehen, solange das auf ernsthaften, sachlichen Gründen beruht, keine sachfremden Ungleichheiten schafft und insgesamt eine Einzelfallprüfung gewährleistet bleibt. Die angefochtene Bestimmung regelt lediglich einen Teilaspekt bei der Beurteilung der bundes- und kantonalrechtlichen Voraussetzungen zum für eine Einbürgerung erforderlichen

BGE 146 I 83 (92):

Vertrautsein mit den schweizerischen und örtlichen Lebensverhältnissen. Die weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen bleiben davon unberührt. Damit verbleiben auch ein ausreichender Zweck und ein genügender Inhalt für das Einbürgerungsgespräch. Die grundsätzliche Kompetenz der Bürgergemeinden zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts wird nicht in Frage gestellt bzw. unterlaufen. Insgesamt bleibt es bei einer Einzelfallprüfung. Es spricht zwar Vieles dafür, dass es sich bei § 11 Abs. 2 BüRG/BS um eine unumstössliche Vermutung handelt, wovon auch das Verfassungsgericht ausgeht. Weder wird die Einbürgerungsvoraussetzung dadurch aber obsolet noch werden die bundesrechtliche Regelung oder die Zuständigkeit der Bürgergemeinden ausgehöhlt. Diese dürfen lediglich die fragliche Einbürgerungsvoraussetzung nicht noch zusätzlich prüfen, wenn der Tatbestand von § 11 Abs. 2 BüRG/BS erfüllt ist, sondern haben diesfalls vom Vorliegen des davon geregelten Kriteriums als eines unter vielen im Rahmen der Gesamtprüfung der materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen auszugehen. Im Übrigen hindert die Zuständigkeitsregel in § 10 Abs. 3 lit. a BüRV/BS als untergeordnetem Verordnungsrecht den kantonalen Gesetzgeber nicht, auf Gesetzesstufe die Zuständigkeit anders zu ordnen und erst recht nicht, eine Vermutungsregel aufzustellen, solange dies wie hier mit der grundsätzlichen Kompetenzordnung von § 64 KV/BS vereinbar bleibt.
4.4 Art. 6 Abs. 2 lit. b und c BüV stellen im Bundesrecht für den Spracherwerb analoge Vermutungsregeln wie § 11 Abs. 2 BüRG/BS für die dort erfasste Einbürgerungsvoraussetzung auf, wenn in einer Landessprache während mindestens fünf Jahren die obligatorische Schule besucht oder eine Ausbildung auf Sekundarstufe II oder Tertiärstufe abgeschlossen worden ist. Das Beispiel zeigt, dass dem Bundesrecht eine Schematisierung über Vermutungsregeln, wie hier eine zur Diskussion steht, nicht fremd ist. Die Beschwerdeführerinnen wollen daraus allerdings ableiten, dass es einzig dem Bund zustehe, solche Vermutungsregeln zu erlassen. Weshalb dies so sein sollte, ist nicht ersichtlich. Dort, wo der Bund prozessuale Regeln aufstellt, schränkt er die Autonomie der Kantone ein. Wo er sich nicht weiter dazu äussert, überlässt er es hingegen gerade den Kantonen, zu regeln, wie das Prüfverfahren ablaufen soll. Wenn der Kanton diese Kompetenz wie hier wahrnimmt und nicht an die Gemeinden weitergibt bzw. diesen nicht die Regelung des Verfahrens überlässt, liegt das in seiner Kompetenz und verstösst nicht gegen Bundesrecht.


BGE 146 I 83 (93):

4.5 Die Beschwerdeführerinnen berufen sich auf das "Handbuch Bürgerrecht" des Staatssekretariats für Migration (SEM; Zugriff über www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/weisungen-kreisschreiben/buergerrecht.html; besucht am 11. Oktober 2019). Dabei handelt es sich um das Bundesrecht ausführende Richtlinien. Als verwaltungsinterne Weisungen kommt ihnen keine Gesetzeskraft zu und binden sie namentlich die Gerichte nicht. Sie können allenfalls im Einzelfall eine einheitliche und rechtsgleiche Praxis fördern, soweit dabei das übergeordnete Recht eingehalten wird (vgl. BGE 119 Ib 33 E. 3c S. 41 f.; Urteil des Bundesgerichts 1C_561/2016 vom 14. November 2017 E. 7.1). Weisungen des Bundes entfalten auch keine Bindungswirkung für den kantonalen Gesetzgeber. Darauf ist hier aber nicht weiter einzugehen, denn aus dem "Handbuch Bürgerrecht" lässt sich ohnehin nicht ableiten, dass die Kantone für die Prüfung von Einbürgerungsvoraussetzungen keine Vermutungsregeln aufstellen dürfen. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen auf den kantonalen Leitfaden für die ordentliche Einbürgerung sowie die Richtlinien des Bürgerrates berufen, sind diese von vornherein nicht geeignet, den kantonalen Gesetzgeber zu binden.
 
Erwägung 5
5.3 Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid mit Grund aus, bereits der Bundesverfassungsgeber gehe zumindest implizit davon aus, dass Menschen, die in der hiesigen Gesellschaft als Teil des

BGE 146 I 83 (94):

Staatsvolks sozialisiert wurden, über genügende Kompetenzen verfügen, ihre politischen Rechte wahrzunehmen. Art. 19 BV verlangt sogar ausdrücklich einen ausreichenden Grundschulunterricht, der nach anerkannter Auffassung die in Art. 11 lit. b BüG bzw. Art. 2 Abs. 1 lit. a BüV geregelten Grundkenntnisse miteinschliesst und namentlich die Ausübung der politischen Rechte ermöglicht (vgl. etwa RHINOW/SCHEFER/UEBERSAX, a.a.O., Rz. 3476). Dasselbe Ziel verfolgen § 17 KV/BS sowie nach den nachvollziehbaren Erwägungen des Verfassungsgerichts der im Kanton massgebliche Lehrplan 21. Wenn die zuständigen kantonalen Behörden, welche die Verhältnisse vor Ort kennen, davon ausgehen, dass die Schulen diese Aufgabe grundsätzlich erfüllen, liegt es nicht am Bundesgericht, daran aufgrund der pauschalen Vorbehalte der Beschwerdeführerinnen zu zweifeln. Was diese dagegen an tatsächlichen Einwänden vorbringen, ist nicht geeignet, die Feststellungen des Verfassungsgerichts als offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen und damit ausreichend in Frage zu stellen. Die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid sind daher für das Bundesgericht verbindlich (vgl. vorne E. 1.3).
5.4 In seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht beruft sich das Verfassungsgericht ergänzend darauf, dass die ordentliche Einbürgerung gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. a BüG seit dem 1. Januar 2018 den Besitz der Niederlassungsbewilligung voraussetzt. Bereits eine solche wird nunmehr seit dem 1. Januar 2019 nach Art. 34 Abs. 2 lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20) nur noch erteilt, wenn eine ausländische Person integriert ist. Ob der Integrationsbegriff nach Art. 58a AIG Kenntnisse der schweizerischen und lokalen Verhältnisse voraussetzt, erscheint allerdings fraglich. Eine bundesgerichtliche Rechtsprechung gibt es dazu noch nicht. Das Kriterium wird in Art. 58a AIG auch nicht genannt, womit eine durchaus beabsichtigte Angleichung dieser Bestimmung an Art. 12 BüG geschaffen wird (vgl. Botschaft vom 4. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht, BBl 2011 2831 und Botschaft vom 8. März 2013 zur Änderung des Ausländergesetzes, BBl 2013 2399). Eine Art. 11 BüG entsprechende Bestimmung enthält das Ausländer- und Integrationsgesetz nicht. Bei ausländischen Kindern unter zwölf Jahren von Schweizerinnen und Schweizern oder von Niedergelassenen, die im Familiennachzug in die Schweiz gelangen, gelten die Integrationsanforderungen überdies ohnehin nicht (vgl. Art. 42 Abs. 4

BGE 146 I 83 (95):

und Art. 43 Abs. 6 AIG). Das vom Verfassungsgericht angerufene Argument wird damit im vorliegenden Zusammenhang zumindest abgeschwächt, wenn nicht obsolet.
5.5 Das ändert jedoch nichts daran, dass die Vorinstanzen von der Eignung der Schulbildung für den Erwerb der in § 11 Abs. 2 BüRG/BS genannten Kenntnisse ausgehen durften. Die Annahme, dass die erforderlichen Grundkenntnisse der geografischen, historischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Bund, Kanton und Gemeinde den Schülerinnen und Schülern in der obligatorischen Schule vermittelt und von ihnen ausreichend erworben werden, erscheint nicht sachfremd. Im Übrigen ist es auch nicht zu beanstanden, sondern vielmehr nachvollziehbar, wenn das Verfassungsgericht es der Praxis überlässt, eine jeweils sinnvolle und angemessene Auslegung und Anwendung der strittigen Bestimmung für das alte und das neue Schulmodell und für die Einbürgerung von Kindern ab dem zwölften Altersjahr zu finden. Das erscheint weder ausgeschlossen noch unhaltbar. Die Regelung erweist sich insofern nicht als willkürlich oder rechtsungleich. Es wird dabei auch den Bürgergemeinden obliegen, in solchen besonderen Konstellationen allfälligen Ungleichheiten durch eine angemessene Umsetzung der strittigen Norm zu begegnen. Entsprechende Auslegungen im Einklang mit dem übergeordneten Recht erscheinen nicht von vornherein ausgeschlossen, was im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle einzig massgeblich ist.
6. Schliesslich rügen die Beschwerdeführerinnen, die Vorinstanz habe sich nicht mit dem bei ihr angerufenen Argument auseinander gesetzt, die Bürgergemeinden seien nicht bloss für das Verfahren zuständig, sondern könnten auch selbst materiellrechtliche Regeln zur Einbürgerung erlassen. Die Beschwerdeführerinnen sehen darin eine Gehörsverweigerung. Indessen hat das Verfassungsgericht die Kompetenzausscheidung zwischen Kanton und Gemeinde soweit erforderlich ausreichend und nachvollziehbar behandelt. Dass den Bürgergemeinden grundsätzlich auch materiellrechtliche Kompetenzen bei der Einbürgerung zustehen können, wo der Bund und der Kanton ihnen Freiräume belassen, wird von keiner Seite bestritten. Dass und gegebenenfalls wieweit den Bürgergemeinden im Kanton Basel-Stadt überhaupt zulässige eigene Kompetenzen für weitere Anforderungen bei den materiellen Einbürgerungsvoraussetzungen zustehen und inwiefern dies hier massgeblich sein sollte, wird von diesen allerdings nicht rechtsgenüglich und nachvollziehbar dargetan. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen insofern auf den kantonalen Leitfaden für

BGE 146 I 83 (96):

die ordentliche Einbürgerung sowie die Richtlinien des Bürgerrates berufen, ist ihr Standpunkt mangels entsprechender Bindungswirkung für den kantonalen Gesetzgeber von vornherein untauglich (vgl. vorne E. 4.5). Weder liegt insofern eine Gehörsverweigerung noch eine Autonomieverletzung vor.