BGE 96 I 255
 
44. Urteil vom 20. Februar 1970 i.S. Zugerland Verkehrsbetriebe AG gegen Generaldirektion der PTT-Betriebe.
 
Regeste
Beiträge des Bundes an die Deckung der Defizite konzessionierter Automobilunternehmungen (Verordnung vom 15. Oktober 1965).
2. Wann sind Autobuslinien "unentbehrlich"? (Erw. 3).
3. Was ist unter dem "Orts-" und dem "Vorortsverkehr" zu verstehen? (Erw. 4-6).
 
Sachverhalt


BGE 96 I 255 (256):

A.- Der Bundesrat erliess am 15. Oktober 1965 eine "Verordnung über Defizitdeckung bei konzessionierten Automobilunternehmungen" (VDKA), die am 1. Januar 1966 in Kraft trat. Sie ist anwendbar auf konzessionierte Automobilunternehmungen, die fahrplanmässige Verbindungen sicherstellen und nebst Personen auch Gepäck, Güter oder Postsendungen befördern (Art. 3). Solchen Unternehmungen gewährt der Bund "zur Aufrechterhaltung unentbehrlicher öffentlicher Verkehrsverbindungen" Beiträge an die Defizitdeckung (Art. 1). Linien, "die überwiegend dem Orts-, Vororts- oder touristischen Verkehr dienen", fallen für die Defizitdeckung ausser Betracht (Art. 5 Abs. 3).
B.- Am 2. Dezember 1965 fragte die Zugerland Verkehrsbetriebe AG (ZVB) die Generaldirektion der PTT an, ob die von ihr geführten Autobuslinien unter die Verordnung fielen. Die Anfrage wurde vom Direktor der Postdienste als vorsorgliches Gesuch um Gewährung der Hilfe behandelt und bejaht für die Linien Zug-Menzingen, Zug-Oberägeri und Cham-Hünenberg, dagegen verneint für die Linien Zug-Baar, Zug-Steinhausen-Cham und Zug-Kollermühle-Cham.
Eine Beschwerde der ZVB gegen den ablehnenden Teil dieses Entscheids wurde von der Generaldirektion der PTT am 6. August 1968 abgewiesen mit der Begründung, die Linie Zug-Baar diene dem Ortsverkehr und die beiden Linien zwischen Zug und Cham trügen den Stempel des Vorortsverkehrs.
C.- Gegen diesen Entscheid erhebt die ZVB Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, ihre Autobuslinien Zug-Baar, Zug-Steinhausen-Cham und Zug-Kollermühle-Cham seien in die Defizitdeckung aufzunehmen.
Es wird geltend gemacht, ein enger baulicher Zusammenhang zwischen Zug und Baar bestehe nicht. Wohl näherten sich von beiden Orten her längs der Hauptstrasse Häuserzeilen, doch lägen dahinter grosse Flächen unüberbauten Wieslandes, die nach der beidseitigen Ortsplanung erhalten werden sollten.


BGE 96 I 255 (257):

Beide Städte seien wirtschaftlich, sozial und kulturell eigenständig. Im Jahre 1958 seien die Verkehrsverhältnisse im Raume Zug eingehend überprüft und die Linien des Überlandverkehrs, mit Einschluss der Linie Zug-Baar, der ZVB zugewiesen worden. Diese Strecke sei ein Teilstück der Überlandverbindungen Baar-Zug-Ägeri und Baar-Zug-Menzingen. Bis 1953 habe die Strassenbahn von Zug über Baar nach Ägeri und Menzingen geführt; bei der Umstellung auf den Autobusbetrieb sei die direkte Verbindung Baar-Talacher aufgehoben und durch den Umweg über Zug ersetzt worden; damals sei für die Strecke Baar-Zug der Anspruch auf Defizitdeckung gemäss Eisenbahngesetz anerkannt worden; er könne daher heute gerechterweise auch nach der VDKA nicht abgelehnt werden.
Als Vorortslinien gälten nach den Richtlinien der PTT Verbindungen, deren Endstationen in der gleichen Agglomeration liegen. Der Raum Zug-Steinhausen-Cham bilde aber keine Agglomeration. Diese Orte ständen offensichtlich nicht in baulicher Verbindung miteinander und führten ein gesundes wirtschaftliches, soziales und kulturelles Eigenleben. Dabei werde es auch bleiben; die Regionalplanung sehe zwischen der Stadt Zug und dem Ennetsee mit Cham eine klare Trennung vor, und Steinhausen entwickle sich nicht gegen Zug, sondern gegen Knonau hin. Die Autobuslinien Zug-Steinhausen-Cham und Zug-Kollermühle-Cham seien gleich wie die an sie anschliessende Linie Cham-Hünenberg typische Überlandverbindungen.
Das gesamte Netz der ZVB sei auf dem Grundgedanken aufgebaut, die Verbindung zwischen den zugerischen Landgemeinden unter sich und mit der Stadt Zug herzustellen. Alle dazu gehörenden Linien seien für Kanton und Gemeinden lebenswichtig. Sie müssten in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden; es gehe nicht an, einzelne Teilstrecken isoliert zu betrachten und von der Defizitdeckung auszuschliessen.
D.- Die Generaldirektion der PTT beantragt Abweisung der Beschwerde.
Sie führt aus, zwischen Baar und Zug bestehe zumindest entlang der Hauptstrasse ein baulicher Zusammenhang. Dass dahinter unüberbaute Flächen liegen und erhalten werden sollen, ändere daran nichts; die Schaffung von Grünzonen gehöre zu einer vernünftigen Städteplanung. Die Linie Zug-Baar sei somit keine Überlandlinie, sondern diene dem Ortsverkehr.


BGE 96 I 255 (258):

Auf jeden Fall sei sie eine Vorortsverbindung, da ihr Anfangs- und Endpunkt in der gleichen Agglomeration lägen. Zwar habe das Eidg. Statistische Amt nach der Volkszählung 1960 darauf verzichtet, Zug und die angrenzenden Gemeinden als Agglomeration aufzuführen; doch habe sich seither die Region rasant entwickelt, so dass heute mindestens die Gemeinden Zug und Baar zweifellos eine Agglomeration bildeten.
Nach Art. 1 VDKA werde die Hilfe nur zur Aufrechterhaltung unentbehrlicher öffentlicher Verkehrsverbindungen gewährt, und nach Art. 5 Abs. 3 müsse es sich um Überlandverbindungen handeln; die betreffende Linie müsse also eine unentbehrliche öffentliche Überlandverkehrsverbindung sein. Das treffe aber weder für die Linie Zug-Steinhausen-Cham noch für die Linie Zug-Kollermühle-Cham zu; denn Cham und Steinhausen seien durch zahlreiche SBB-Kurse mit Zug verbunden, die den Bedürfnissen des Überlandverkehrs vollauf genügten. Die Autobuslinien Zug-Steinhausen-Cham und Zug-Kollermühle-Cham mit ihren vielen Haltestellen dienten nicht dem Überlandverkehr zwischen den Ortskernen, sondern dem Orts- und Vorortsverkehr. Einzig das Teilstück Steinhausen-Cham könnte unter Umständen mangels anderer direkter öffentlicher Verkehrsverbindung als unentbehrlich anerkannt werden.
E.- Eine Delegation des Bundesgerichts nahm am 24. November 1969 einen Augenschein vor, wobei die umstrittenen Linien der ZVB befahren wurden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Unter den Ansprüchen im Sinne von Art. 99 Ziff. XI OG sind nach ständiger Praxis der Bundesbehörden Rechtsansprüche zu verstehen, denen nach der massgebenden Ordnung entsprochen

BGE 96 I 255 (259):

werden muss, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Ist dagegen der Entscheid in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt, so ist nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, sondern die Beschwerde innerhalb der Verwaltung gegeben (vgl. BGE 85 I 266; nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 20. November 1957 i.S. Bloch und vom 10. April 1963 i.S. Walser und Janser). Sofern man es hier mit einer Streitigkeit über einen Rechtsanspruch zu tun hat, ist daher das Bundesgericht zur Beurteilung der Beschwerde zuständig; in der Tat ist dann die Generaldirektion der PTT nach Art. 15 lit. c der Vollziehungsverordnung vom 26. Mai 1961 zum PTT-Organisationsgesetz Mittelinstanz im Sinne des Art. 23 des BG über die Organisation der Bundesverwaltung, mit der Folge, dass ihr Entscheid direkt mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden kann.
Die VDKA regelt die Voraussetzungen der Gewährung von Beiträgen des Bundes an die Defizitdeckung in bestimmter Weise. Sie umschreibt einlässlich den Kreis der Begünstigten (Art. 3 und 4), den Umfang der Defizitdeckung (Art. 5) und die Art und Weise der Berechnung des zu deckenden Defizits (Art. 6). Ausserdem macht sie die Gewährung von Bundesbeiträgen davon abhängig, dass auch die Kantone oder die Gemeinden oder andere Interessenten sich an der Defizitdeckung beteiligen (Art. 2). Nach Art. 1 "gewährt" der Bund Beiträge; diese Bestimmung ist eine Muss-Vorschrift, die einen Rechtsanspruch der Unternehmung begründet. Wohl lässt der Text der Verordnung den zuständigen Verwaltungsbehörden einen gewissen Beurteilungsspielraum (vgl. Art. 1: "unentbehrliche öffentliche Verkehrsverbindung"; Art. 5 Abs. 3: "Linien, die überwiegend dem Orts-, Vororts- oder touristischen Verkehr dienen"). Dies bedeutet aber nicht, dass die Verwaltung nach Ermessen über die Gewährung von Bundesbeiträgen befinden kann; vielmehr handelt es sich um unbestimmte, der Auslegung bedürftige Rechtsbegriffe, d.h. um Rechtsfragen. Wenn und soweit eine konzessionierte Automobilunternehmung die in der Verordnung umschriebenen Voraussetzungen erfüllt, hat sie somit einen Rechtsanspruch auf Hilfeleistung des Bundes.
Daraus folgt, dass der hier angefochtene Entscheid der Generaldirektion der PTT nicht der Beschwerde innerhalb der Verwaltung, sondern der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt, wie das Bundesgericht und das Eidg. Verkehrs- und

BGE 96 I 255 (260):

Energiewirtschaftsdepartement im durchgeführten Meinungsaustausch festgestellt haben.
3. Ob eine öffentliche Verkehrsverbindung unentbehrlich im Sinne des Art. 1 VDKA sei, ist nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu beurteilen. Da die ZVB für die von ihr geführten Linien eine Konzession erhalten hat, liegt die Annahme nahe, dass alle diese Linien für die Bevölkerung unentbehrlich sind. Denn die Konzession konnte nur für Fahrten erteilt werden, die einem Bedürfnis entsprechen und durch die der Betrieb bestehender öffentlicher Transportunternehmungen nicht wesentlich konkurrenziert wird (Vollziehungsverordnungen I und II zum Postverkehrsgesetz: Art. 3 VV I vom 23. Dezember 1955, nun ersetzt durch Art. 11 VV I vom 1. September 1967; Art. 11 VV II vom 4. Januar 1960). Die Generaldirektion der PTT bestreitet offenbar nicht, dass diese Voraussetzungen auch hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin betriebenen Linien Zug-Baar, Zug-Kollermühle-Cham und Zug-Steinhausen-Cham erfüllt sind. Wohl verkehren auf den SBB-Strecken Zug-Baar, Zug-Steinhausen und Zug-Cham zahlreiche Züge, die in diesen Orten halten; doch werden durch diese Verbindungen die Bedürfnisse der Bevölkerung bei weitem nicht voll befriedigt. Die Siedlungen sind zum Teil von den Bahnhöfen ziemlich weit entfernt. Die heutigen Lebensgewohnheiten bringen es mit sich, dass der Bevölkerung der Zugang zu den Arbeits-, Bildungs-, Einkaufs- und Erholungsstätten nach Möglichkeit durch das Angebot günstiger Verkehrsverbindungen erleichtert wird. Ein reiches Verkehrsangebot ist auch im Interesse der Siedlungspolitik

BGE 96 I 255 (261):

erwünscht. Eine Linienführung, die einem ins Gewicht fallenden Bedürfnis der Einwohnerschaft entspricht, hat deshalb als unentbehrlich zu gelten. Der Verzicht darauf ist der Bevölkerung nicht zuzumuten. Nur dort, wo das Bedürfnis nach einer bestimmten Linienführung bloss gelegentlich auftritt oder von wenig zahlreichen Kreisen geäussert wird, ist anzunehmen, dass die Linie entbehrlich sei. Die streitigen Linien der ZVB weisen viele Haltestellen auf, und es werden auf ihnen zahlreiche Kurse geführt, besonders in Stosszeiten. Daraus ist zu schliessen, dass alle diese Linien einem erheblichen Verkehrsbedürfnis entsprechen, also unentbehrlich im Sinne des Art. 1 VDKA sind. Zu prüfen bleibt, ob sie überwiegend dem Orts- oder Vorortsverkehr dienen (Art. 5 Abs. 3 VDKA).
4. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. b des Postverkehrsgesetzes ist die Beförderung von Postsendungen im Ortsverkehr vom Postregal ausgenommen. Als Ortsverkehr im Sinne dieser Bestimmung gilt nach Art. 8 Abs. 1 VV I vom 1. September 1967 - wie schon nach Art. 7 Abs. 1 VV I vom 23. Dezember 1955 - in der Regel der Verkehr innerhalb der politischen Gemeinde, in der der Absender seinen Wohn- oder Geschäftssitz hat; wo die örtlichen Verhältnisse es rechtfertigen, können die PTT-Betriebe eine Einschränkung oder Ausdehnung anordnen. Es ist anzunehmen, dass in der VDKA, welche wie die VV I ein Ausführungserlass zum Postverkehrsgesetz ist, der Begriff des Ortsverkehrs eine ähnliche Bedeutung hat. Das ist auch die Auffassung der Generaldirektion der PTT. In der von ihr aufgestellten Wegleitung für den Vollzug der VDKA bezeichnet sie als Linien des Ortsverkehrs "Linien innerhalb einer politischen Gemeinde sowie solche in baulich zusammenhängenden, dicht besiedelten Gebieten zweier oder mehrerer politischen Gemeinden", wobei sie eine Ausnahme vorsieht für Linien, "die innerhalb einer politischen Gemeinde unentbehrliche, ganzjährige Verbindungen zu abgelegenen geschlossenen Siedlungen in Berggegenden und Seitentälern sicherstellen" und nicht "überwiegend touristischen Zwecken dienen". Diese Umschreibung entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch dem Sinn und Zweck der Ausnahme, die Art. 5 Abs. 3 VDKA für Linien des Ortsverkehrs vorsieht. Denn dieser Ordnung liegt der Gedanke zugrunde, dass Beiträge des Bundes an die Defizitdeckung dann nicht gerechtfertigt sind, wenn die Linien mindestens überwiegend dem

BGE 96 I 255 (262):

Verkehr innerhalb eines zusammenhängenden Siedlungsraumes dienen; in solchen Fällen soll es mit den Hilfeleistungen der an der Aufrechterhaltung der Linien interessierten örtlichen Kreise - Zuwendungen der politischen Gemeinden, des Kantons usw. - sein Bewenden haben.
Art. 5 Abs. 3 VDKA stellt dem Ortsverkehr den Vorortsverkehr gleich. Die beiden Begriffe sind miteinander verwandt und sind daher nach ähnlichen Gesichtspunkten auszulegen. Vorortsverkehr ist der Verkehr zwischen einem Vorort und einem als Zentrum geltenden anderen, benachbarten Ort oder zwischen Vororten unter sich. Als Vorort wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein Ort bezeichnet, der zwar administrativ vom Zentrum getrennt ist, aber mit ihm ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet bildet. Eine Aussengemeinde, die in einer solchen engen räumlichen Beziehung zum Zentrum steht, ist auch dann als Vorort anzusehen, wenn sie in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt. Der den Vorort kennzeichnende Zusammenhang mit einem Zentrum kann auch bestehen, wenn zwischen den beiden Orten Grünflächen, die nicht überbaut werden dürfen, belassen werden; wird es doch heute allgemein als erwünscht betrachtet, dass innerhalb von Siedlungen städtischen Charakters Grünzonen ausgespart werden. Der in Art. 5 Abs. 3 VDKA verwendete Begriff des Vorortsverkehrs ist im Sinne dieser Ausführungen zu verstehen.
Die Generaldirektion der PTT bezeichnet in der erwähnten Wegleitung als Linien des Vorortsverkehrs "Linien, deren Anfangs- und Endpunkt innerhalb der gleichen Agglomeration liegen"; sie fügt bei: "Massgebend sind die vom Eidg. Statistischen Amt anlässlich der Volkszählung festgestellten Agglomerationen." Dazu führt sie aus, Vororte entständen dann, wenn eine Stadt über ihre politischen Grenzen hinauswachse. Wenn eine Stadt mit den Vororten ein mehr oder weniger geschlossenes Siedlungsgebiet bilde, fasse das Eidg. Statistische Amt schon seit Jahrzehnten die Bevölkerung dieses Raumes in einer Agglomeration zusammen. Indessen wendet das Statistische Amt diesen Agglomerationsbegriff nicht immer folgerichtig an, noch hält sich die Generaldirektion der PTT stets an die von ihr aufgestellte Richtlinie; sie hat auch schon Linien in die Defizitdeckung einbezogen, die innerhalb eines vom Statistischen Amt als Agglomeration bezeichneten Gebietes liegen,

BGE 96 I 255 (263):

während sie im vorliegenden Fall umgekehrt einen Raum, den das Statistische Amt anlässlich der letzten Volkszählung nicht als Agglomeration zusammengefasst hat, doch als solche betrachtet. Zudem erheben sich gegen die Verwendung des Agglomerationsbegriffs, wie ihn das Eidg. Statistische Amt versteht, grundsätzliche Bedenken. Wie es scheint, soll er die Feststellung ermöglichen, wie weit die Schweiz "verstädtert" ist. Seine Umschreibung ist nach statistischen und soziologischen Gesichtspunkten orientiert, die für die Anwendung der VDKA nicht massgebend sein können. In der Wissenschaft besteht übrigens keine Einhelligkeit darüber, nach welchen Kriterien Siedlungen als Agglomerationen zusammengefasst werden sollen; der vom Eidg. Statistischen Amt verwendete Agglomerationsbegriff hat daher nicht allgemeine Zustimmung gefunden (vgl. EICHENBERGER, Die Agglomeration Basel in ihrer raumzeitlichen Struktur, 1968, S. 39 f.; STAEDELI, Die Stadtgebiete der Schweiz, Diss. Zürich 1969, S. 29 ff.). Nach alledem ist dieser Begriff nicht eine taugliche Grundlage für die Bestimmung, was zum Vorortsverkehr im Sinne der VDKA gehöre.
Eher noch könnte als Vorortsverkehr ein Verkehr zwischen nicht allzu weit voneinander abliegenden Orten betrachtet werden, der quantitativ und seiner Art nach stark durch wirtschaftliche Gegebenheiten beeinflusst wird und darum besonders intensiv ist, weil einer der Orte wirtschaftlich und verkehrsmässig einen ausgesprochenen Schwerpunkt darstellt. Anzeichen dafür wären ein starker Pendlerverkehr von Arbeitskräften und Schülern und ein reger Verkehr zur Ausnützung der im Zentrum gebotenen reichhaltigeren Einkaufsmöglichkeiten. Vorortszone wäre dann ein ökonomisch und verkehrsmässig auf die Stadt eingestellter Randgürtel, der auch noch nicht mit dem Zentrum verschmolzene Gemeinden umfasst (vgl. EICHENBERGER a.a.O. S. 31). Von dieser mehr funktionellen als siedlungsgeographischen Umschreibung scheint die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid auszugehen. Eine solche Betrachtungsweise würde aber dazu führen, dass der Begriff des Vorortsverkehrs in einem Masse ausgedehnt würde, das mit dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Sinn der VDKA nicht vereinbar wäre; der Anwendungsbereich der Verordnung würde dadurch allzu stark eingeengt. Es ist daran festzuhalten, dass Vorortsverkehr nur dort angenommen werden kann, wo Orte miteinander ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet bilden.


BGE 96 I 255 (264):

5. Wie der Augenschein gezeigt hat, hängen die Siedlungen auf dem Gebiete der Gemeinden Zug und Baar entlang der die beiden Orte verbindenden Hauptstrasse (Baarerstrasse-Zugerstrasse), auf der die Autobusse der ZVB verkehren, eng zusammen. Zwar bestehen dort noch einige kleinere Lücken in der Überbauung, doch befinden sie sich nicht an der Grenze zwischen den beiden Orten, sondern in einiger Entfernung davon auf dem Boden der Gemeinde Baar. Es trifft auch zu, dass die Überbauung längs der Hauptstrasse ausserhalb der Ortskerne nur von geringer Tiefe ist und sich dahinter Grünflächen ausdehnen, die nach den beidseitigen Ortsplanungen jedenfalls zum Teil erhalten werden sollen. Das ändert aber nichts daran, dass der Übergang zwischen den Orten Zug und Baar fliessend ist; der Ortsunkundige würde ohne Hinweis nicht bemerken, wo die Grenze liegt und wo die eine Siedlung aufhört und die andere beginnt. Wie erwähnt, gehören nach heutiger Auffassung zu einer Siedlung städtischen Charakters auch Grünzonen. Die Überbauung im Raum zwischen den Ortskernen von Zug und Baar ist immerhin so dicht, dass es sich als notwendig erwies, dort mehrere Haltestellen der ZVB in regelmässigen, kurzen Abständen vorzusehen. Der Eindruck des Zusammenhanges wird noch dadurch verstärkt, dass die Hauptstrasse zwischen Zug und Baar bis in die Ortskerne hinein völlig gerade verläuft. Unter diesen Umständen kommt die Linie Zug-Baar der ZVB nach Art. 5 Abs. 3 VDKA für die Defizitdeckung nicht in Betracht, weil sie entweder ausschliesslich dem Ortsverkehr oder, falls Baar als Vorort von Zug betrachtet wird, zum Teil dem Vorortsverkehr und im übrigen dem Ortsverkehr dient. Ob Baar ein blosser Vorort von Zug sei, kann daher offen gelassen werden. Auf jeden Fall kann die Autobuslinie Zug-Baar wegen des engen räumlichen Zusammenhangs der Siedlungen der beiden Orte nicht in die Defizitdeckung einbezogen werden.
Allerdings hätte für diese Linie eine Hilfeleistung des Bundes nach Art. 58 und 95 Abs. 2 des Eisenbahngesetzes auch noch nach der Umstellung vom Strassenbahn- auf den Autobusbetrieb beansprucht werden können. Indessen sagt Art. 4 VDKA ausdrücklich, dass "die Bestimmungen dieser Verordnung", also auch Art. 5 Abs. 3, auf solche konzessionierte Automobilunternehmen, die aus der Umstellung von Bahnen des allgemeinen Verkehrs hervorgegangen sind und die Hilfeleistung nach Eisenbahngesetz nicht beanspruchen können oder wollen,

BGE 96 I 255 (265):

ebenfalls anwendbar sind. Es kann auch nicht eingewendet werden, dass durch den Ausschluss der Linie Zug-Baar von der Defizitdeckung eine der Voraussetzungen für die seinerzeitige Umstellung vom Bahn- auf den Autobusbetrieb nachträglich dahinfalle; denn die Defizitdeckung, die nun in der VDKA vorgesehen ist, war im Zeitpunkt, in dem die Umstellung beschlossen wurde, nicht einmal in Aussicht genommen.
Unerheblich ist auch, dass im Jahre 1958, als die Zuger Berg- und Strassenbahn AG (nachmals Zuger Bergbahn und Bus AG) und die Beschwerdeführerin sich über die künftige Ausscheidung ihrer Tätigkeit einigten, die Strecke Zug-Baar als Überlandstrecke qualifiziert und dementsprechend der Beschwerdeführerin überlassen wurde. Eine solche Vereinbarung vermag die Behörde, welche die VDKA anzuwenden hat, nicht zu verpflichten.
Zu Unrecht behauptet die Beschwerdeführerin, die Linie Zug-Baar sei Bestandteil der Überlandlinien von Baar über Zug nach Menzingen und Oberägeri. Von einem durchgehenden Verkehr zwischen Baar und diesen Berggemeinden ist keine Rede mehr. Die meisten Kurse Baar-Zug haben in Zug keinen Anschluss nach Menzingen und Oberägeri. Der Fahrplan führt denn auch die Strecken Zug-Baar, Zug-Menzingen und Zug-Oberägeri als gesonderte Linien auf.
Die Vorinstanz hat es daher mit Recht abgelehnt, die Linie Zug-Baar in die Defizitdeckung einzubeziehen.
Da die Linien Zug-Kollermühle-Cham und Zug-Steinhausen-Cham somit nicht dem Vorortsverkehr und auch nicht überwiegend dem Ortsverkehr dienen (Art. 5 Abs. 3 VDKA), anderseits aber unentbehrliche öffentliche Verkehrsverbindungen darstellen (Art. 1 VDKA), sind sie bei der Defizitdeckung mitzuberücksichtigen.


BGE 96 I 255 (266):

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der ange fochtene Entscheid dahin abgeändert, dass die Linien Zug-Steinhausen-Cham und Zug-Kollermühle-Cham in die Defizitdeckung einzubeziehen sind. Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.