BGE 120 Ib 326
 
46. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Dezember 1994 i.S. P. gegen Brig-Visp-Zermatt-Bahn und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 18a EBG; eisenbahnrechtliche Genehmigung des Bauvorhabens eines Privaten.
 
Sachverhalt


BGE 120 Ib 326 (326):

Für den Ausbau des Bahnhofes Zermatt, insbesondere die Errichtung einer Lawinenauffangmauer und einer Revisionshalle, liess die Brig-Visp-Zermatt-Bahn (BVZ) gegen verschiedene Grundeigentümer ein

BGE 120 Ib 326 (327):

Enteignungsverfahren durchführen. Beansprucht für die Bahnhof-Erweiterung wurden u.a. Teile der zur Hotelliegenschaft von P. gehörenden Parzellen Nrn. 377 und 378. In seiner Einsprache verlangte P., dass die Lawinenauffangmauer zumindest bis zur Ecke seiner Tennishalle auf Parzelle Nr. 377 verlängert und ihm für den abzutretenden Boden in Bahnhofnähe Realersatz geleistet werde. Die BVZ gab dem Begehren von P. um Verlängerung der Lawinenmauer an der Einigungsverhandlung vom 27. Mai 1981 statt. Die übrigen Anträge des Grundeigentümers wies das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) mit Entscheid vom 21. Januar 1985 ab. Das Schätzungsverfahren wurde am 23. September 1987 mit einem bundesgerichtlichen Vergleich abgeschlossen.
In der Folge wurde die 136 m lange Revisionshalle der BVZ plangemäss gebaut, und zwar so, dass die 6,4 m breite Südwand in einem Abstand von 3 m zur Tennishalle von P. direkt an der neuen Grenze zur Parzelle Nr. 377 steht. In diese Südwand sind Glasbausteine eingelassen, die einen gewissen Lichteinfall in das sonst künstlich beleuchtete Gebäude ermöglichen. Über den Glasbausteinen wurden Lüftungslamellen zur Ventilation der Halle eingesetzt.
Am 7. Juni 1988 reichte P. bei der Gemeinde Zermatt ein Baugesuch für die Überdachung des Zwischenraums zwischen der Tennis- und der Revisionshalle ein. Gegen dieses Projekt erhob die BVZ im Rahmen des Verfahrens nach Art. 18a des Eisenbahngesetzes Einsprache und machte geltend, die geplante Überdachung beeinträchtige die Belüftung ihrer Halle und entziehe dieser das Licht. Im übrigen würde der im kantonalen und kommunalen Baupolizeirecht vorgeschriebene Grenzabstand nicht eingehalten. Auf diese Einwendungen trat das Bundesamt für Verkehr (BAV) nicht ein und erteilte dem Überdachungsprojekt von P. am 17. März 1989 seine Genehmigung. Am 5. April 1989 bewilligten die Gemeinde Zermatt und am 15. Juni 1989 die kantonale Baukommission das Bauvorhaben. Die BVZ zog hierauf die Verfügung des BAV vom 17. März 1989 mit Beschwerde an das EVED weiter.
Das EVED hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 9. September 1991 teilweise gut und verband die vom BAV erteilte Genehmigung des Überdachungsprojekts mit der Auflage, dass P. vor der Erstellung des Daches auf eigene Kosten geeignete Massnahmen ergreife, um sicherzustellen, dass die Belüftung der Revisionshalle auch nach der Überdachung in vorschriftsgemässer Art und Weise erfolgen könne. Im übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen.


BGE 120 Ib 326 (328):

Gegen den Entscheid des EVED hat P. der Rechtsmittelbelehrung entsprechend Beschwerde an den Bundesrat erhoben. Dieser hat einen Meinungsaustausch über die Zuständigkeitsfrage eröffnet und die Auffassung vertreten, dass das Bundesgericht zur Behandlung der Sache zuständig sei. Das Bundesgericht hat sich dieser Meinung angeschlossen und die Rechtsmitteleingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen. Es heisst die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut und hebt den angefochtenen Entscheid insofern auf, als die Genehmigung des Bauvorhabens von P. mit einer Auflage verbunden worden ist.
 
Aus den Erwägungen:
Angefochten ist ein Entscheid, mit dem in Anwendung von Art. 18a des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EBG; SR 742.101) die Pläne für die Änderung einer an ein Bahngrundstück angrenzenden Baute genehmigt worden ist. Umstritten ist nicht der Inhalt dieser Pläne, sondern die Frage, ob die mit der Genehmigung verbundene Auflage vor den bundesrechtlichen, insbesondere den enteignungsrechtlichen Bestimmungen standhalte. Die angefochtene Verfügung fällt daher nicht unter die Ausnahmevorschrift von Art. 99 lit. c OG und unterliegt der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Wie im angefochtenen Entscheid erwähnt, handelt es sich bei der Genehmigung gemäss Art. 18a EBG um ein blosses Kontrollinstrument und ist im

BGE 120 Ib 326 (329):

Genehmigungsverfahren nur zu prüfen, ob ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück Bahninteressen, insbesondere die Betriebssicherheit oder den künftigen Ausbau der Bahn, beeinträchtige. Wird allerdings die Genehmigung verweigert oder nur mit Auflagen erteilt, so wird das Bauvorhaben verhindert oder erschwert und kann sich hieraus ein Schaden ergeben. Kommen solche Eigentumsbeschränkungen einer Enteignung gleich, so sind sie wie andere schädigende Eingriffe in fremde Rechte voll zu entschädigen (Art. 18i und 20 EBG). Ein Entschädigungsanspruch entsteht nur dann nicht, wenn von nachträglichen Unternehmungen der Nachbarn - so z.B. von Grabarbeiten oder von der Ausbeutung eines Steinbruchs in Nähe der Bahn - schädliche oder gefährliche Einwirkungen auf die Bahn ausgehen können und vermieden werden müssen, mit anderen Worten, wenn der Dritte von einer über seine nachbarlichen Befugnisse hinausgehenden Ausübung seines Grundeigentums abgehalten werden muss (vgl. Art. 21 EBG; Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Eisenbahngesetzes vom 3. Februar 1956, BBl 1956 I S. 213 ff., 242 f.). In diesem Fall können dem Privaten auch die Kosten für die Sicherheitsvorkehren überbunden werden (Art. 21 Abs. 2 EBG). Über Streitigkeiten betreffend die Verteilung der Kosten für solche Massnahmen entscheidet gemäss Art. 40 Abs. 2 EBG das Bundesgericht als einzige Instanz. Ob und welcher Schaden durch Eigentumsbeschränkungen im Sinne von Art. 18i und 20 EBG entstanden sei, hat dagegen die Eidgenössische Schätzungskommission zu prüfen (Art. 18i Abs. 3 EBG; BGE 101 Ib 277 E. 2c und d).
3. Im vorliegenden Fall sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Bauvorhaben des P. aus eisenbahnrechtlicher Sicht grundsätzlich zulässig sei. Das BAV hat das Projekt ohne Vorbehalt genehmigt, offenbar in der Meinung, es sei Sache der Bahn, für die genügende Beleuchtung und Belüftung der Revisionshalle zu sorgen. Auch das EVED hat dem Bauvorhaben die Genehmigung erteilt, indessen nur mit der Auflage, dass P. auf eigene Kosten die geeigneten Massnahmen für eine genügende Belüftung der Halle ergreife. Eine solche Überbindung der Kosten ist jedoch nach dem Gesagten nur in Sonderfällen möglich und jedenfalls gegenüber dem Nachbarn ausgeschlossen, der sich darauf beschränkt, die ihm zustehenden Rechte auszuüben. Nun hat es das EVED nicht für erforderlich gehalten, sich mit der Rechtsstellung des Beschwerdeführers näher zu befassen. Vielmehr wird im angefochtenen Entscheid ausdrücklich erklärt, die Frage, über welche Rechte die Parteien nach kantonalem Bau- und Zivilrecht verfügten und

BGE 120 Ib 326 (330):

inwiefern in diese eingegriffen werde, sei nicht im Verfahren nach Art. 18a EBG, sondern im Baubewilligungsverfahren zu prüfen. Wollte sich aber das EVED mit der rechtlichen Situation der Nachbarn nicht weiter auseinandersetzen, so war es auch nicht in der Lage, über die Pflicht zur Vornahme von Ersatzvorkehren und die Kostentragung zu entscheiden. Im übrigen war das EVED angesichts der gesetzlichen Kompetenzordnung wohl auch gar nicht befugt, über die Verteilung der Folgekosten der angeordneten Ersatzmassnahmen zu befinden.
Das Vorhaben von P., den Zwischenraum zwischen seiner Tennishalle und der an sein Grundstück stossenden Revisionshalle zu überdachen, ist von den Baubehörden in Anwendung der kommunalen und kantonalen öffentlichrechtlichen Bauvorschriften erstinstanzlich bewilligt worden. Der Beschwerdeführer ist aber auch aufgrund des kantonalen Zivilrechts befugt, seinerseits bis an die Grenze zu bauen: Nach Art. 685 ZGB in Verbindung mit Art. 176 des Walliser Einführungsgesetzes zum ZGB vom 15. Mai 1912 (EGZGB) bzw. Art. 501 des Walliser Zivilgesetzbuches vom 12. Dezember 1853 (WZGB) hat der Eigentümer, dessen Grundstück unmittelbar an die Mauer des Nachbarn anstösst, ebenfalls das Recht, sie gegen eine Entschädigung ganz oder zum Teil gemeinschaftlich zu machen. Will er die Mauer des Nachbarn nicht benützen, kann er auf eigenem Boden eine Grenz- bzw. Brandmauer errichten (Art. 173 EGZGB; vgl. DENIS PIOTET, Le droit privé vaudois de la propriété foncière, Lausanne 1991 S. 456 Ziff. 905, S. 731 Ziff. 1732). P. hat somit grundsätzlich das Recht, gegenüber der BVZ die Umwandlung der bereits erstellten Grenzmauer in eine Scheidemauer zu verlangen oder das projektierte Dach durch eine eigene Grenzmauer abzustützen. Diesem Anbaurecht steht der Umstand, dass die BVZ Glasbausteine und Lüftungslamellen in die Grenzmauer eingelassen hat, nicht entgegen: Der Eigentümer einer Mittelmauer oder einer Grenzmauer, die gemeinschaftlich werden kann, darf ohne Bewilligung des Nachbarn an dieser Mauer weder ein Fenster noch eine andere Öffnung anbringen, es sei denn, eine Dienstbarkeit berechtige ihn dazu (Art. 520 f. WZGB in Verbindung mit Art. 297 Abs. 1 EGZGB).
Einzuräumen ist, dass hier der BVZ im eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren bewilligt worden ist, die Mauer an die Grenze zu setzen und die fraglichen Öffnungen vorzusehen; sie durfte daher ihre Baute

BGE 120 Ib 326 (331):

auch plangemäss errichten und die Mauer zur Belüftung und Beleuchtung nutzen, solange es dem Nachbarn gefiel. Durch die Plangenehmigung ist jedoch das im Zivilrecht begründete Anbaurecht nicht aufgehoben worden. Zwar könnte sich die BVZ aufgrund des Eisenbahnrechts wohl dagegen wehren, dass P. Miteigentum an der Südwand der Revisionshalle erlangte. Der Ausübung des Grenzbaurechts steht jedoch nichts entgegen. Will der Beschwerdeführer daher für die geplante Überdachung seinerseits eine Mauer oder Pfeiler auf eigenem Boden an der Grenze errichten, so hat die BVZ diese Bauten zu dulden und die Schliessung der Öffnungen in ihrer Grenzmauer in Kauf zu nehmen oder sich deren Bestand durch eine Dienstbarkeit zu sichern.
Im übrigen hat die BVZ im vorinstanzlichen Verfahren zu Unrecht behauptet, es stehe ihr als Enteignerin ein einseitiges Grenzbaurecht zu. Im Enteignungsverfahren hat die Bahn nur den für den Bau der Halle notwendigen Boden erworben, und im bundesgerichtlichen Vergleich vom 23. September 1987 ist einzig vereinbart worden, dass die Enteignung der Parzelle Nr. 378 auch auf die westlich der Lawinenauffangmauer liegende Restfläche ausgedehnt werde und die Enteignungsentschädigung Fr. 400.--/m2 betrage.
Schliesslich kann dem Beschwerdeführer auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, sich im enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren nicht gegen die Öffnungen in der Mauer zur Wehr gesetzt zu haben: Es ist Sache des Enteigners und nicht des Enteigneten, zu beurteilen, welche Rechte für den Bau und den sicheren Betrieb eines Werkes benötigt werden.