BGE 105 Ib 69
 
11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1979 i.S. X. gegen PTT (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Wann verjährt die disziplinarische Verantwortlichkeit von Bundesbeamten?
 
Sachverhalt


BGE 105 Ib 69 (70):

X. ist Beamter bei den PTT. Er wurde unter anderem wegen verschiedener Dienstpflichtverletzungen im Zusammenhang mit Dienstreisen vom Generaldirektor des Postdepartementes unter Androhung der Entlassung in eine andere Sektion versetzt und eine Lohnklasse tiefer eingestuft. Die Beschwerde an die Generaldirektion PTT blieb ohne Erfolg.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht macht X. unter anderem geltend, die Dienstpflichtverletzungen im Zusammenhang mit Dienstreisen seien verjährt.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Die Verjährung der disziplinarischen Verantwortlichkeit von Bundesbeamten ist in den Art. 22 des Verantwortlichkeitsgesetzes (SR 170.32) und in Art. 24 Abs. 4 der Beamtenordnung I (SR 172.221.101) geregelt. Gemäss diesen Bestimmungen verjährt die disziplinarische Verantwortlichkeit ein Jahr nach Entdeckung des disziplinwidrigen Verhaltens, auf alle Fälle drei Jahre nach der letzten Verletzung der Dienstpflicht. Die Verjährung ruht, solange wegen des nämlichen Tatbestandes ein Strafverfahren durchgeführt wird oder solange über Rechtsmittel noch nicht entschieden ist, die im Disziplinarverfahren ergriffen wurden. Das Gesetz verlangt demnach, dass das Disziplinarverfahren unmittelbar nach Entdeckung der Verfehlungen eröffnet und zügig binnen spätestens eines Jahres beendigt wird. Es kennt keine Unterbrechung der Verjährung, sondern gestattet der Disziplinarbehörde lediglich, vor dem Abschluss des Verfahrens den Ausgang eines hängigen Strafverfahrens abzuwarten.
Der Fristenlauf beginnt mit der Entdeckung des disziplinwidrigen Verhaltens. Wer die Verfehlung entdecken muss und wann sie als entdeckt zu gelten hat, sagt das Gesetz nicht. Auch die Materialien geben keinen näheren Aufschluss. Nach dem Zweck der Bestimmung soll einerseits der Fristenlauf möglichst rasch beginnen, damit Ordnungswidrigkeiten ohne Verzug beseitigt werden. Aus diesem Grund ist für den Beginn des Fristenlaufs nicht erforderlich, dass die Disziplinarbehörde selber Kenntnis von der Verfehlung hat, sondern es genügt, wenn der Vorgesetzte den Fehler entdeckt. Dieser soll sofort einschreiten und die notwendigen Vorkehren für eine rasche. Beseitigung der Disziplinwidrigkeit unternehmen oder aber

BGE 105 Ib 69 (71):

die Sache auf sich beruhen lassen. Es ginge nicht an, dass der Vorgesetzte aus irgendwelchen Gründen mit der Meldung an die Disziplinarbehörde zuwarten und dadurch den Beginn des Fristenlaufs verzögern könnte. Dieser wird daher mit der Entdeckung der Disziplinwidrigkeit durch den Vorgesetzten oder die Disziplinarbehörde in Gang gesetzt. Auf der andern Seite sollen diese Behörden nicht im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist zu einem voreiligen Einschreiten gezwungen werden; denn disziplinarische Untersuchungen können für den Betroffenen unabhängig vom Ausgang des Verfahrens schwerwiegende Folgen haben und beeinträchtigen zumindest vorübergehend dessen Stellung als Beamten. Der Vorgesetzte soll nicht bereits dann eine disziplinarische Untersuchung anordnen oder beantragen, wenn er gegen einen Beamten einen unbestimmten Verdacht hegt, sondern erst dann, wenn genügend objektive Anhaltspunkte vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung nahelegen. Erst der begründete Verdacht gilt daher als Entdeckung im Sinne der genannten Bestimmung und setzt den Fristenlauf in Gang. Das bedeutet nicht, dass Art und Ausmass der Dienstpflichtverletzung bereits im einzelnen bekannt sein muss, bevor die Frist zu laufen beginnt, denn zur genauen Abklärung dient die nachfolgende Disziplinaruntersuchung, sondern es muss genügen, dass der Verdacht beim Vorgesetzten oder der Disziplinarbehörde hinreichend begründet ist.
Ist die Verjährungsfrist abgelaufen, darf die Verfehlung nicht mehr zu einer Disziplinarstrafe führen. Immerhin kann aber eine verjährte Dienstpflichtverletzung bei der Strafzumessung für nicht verjährte Verfehlungen angemessen berücksichtigt werden, denn gemäss Art. 24 Abs. 1 der Beamtenordnung I wird das bisherige Verhalten bei der Bestimmung von Art und Mass der Strafe mitberücksichtigt.