BGE 99 Ib 211
 
25. Urteil vom 3. August 1973 i.S. Gemeinde Sent gegen Neuhaus und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden.
 
Regeste
Gewässerschutz. Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Kosten des kantonalen Beschwerdeverfahrens.
2. Ist nach dieser Bestimmung eine Gemeinde, deren Vorstand die von einem Privaten nachgesuchte Baubewilligung auf Grund des Gewässerschutzgesetzes verweigert hat, zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den diese Verfügung aufhebenden Entscheid der kantonalen Rekursinstanz berechtigt? (Erw. 4).
3. Der auf kantonales Recht gestützte Entscheid der kantonalen Rekursinstanz über Verfahrenskosten und Parteientschädigung kann nicht selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (Erw. 5).
 


BGE 99 Ib 211 (212):

1. Domenic Neuhaus will auf seinem in der Gemeinde Sent (Fraktion Sur En) liegenden Grundstück ein Doppelwohnhaus bauen. Der Gemeindevorstand Sent verweigerte mit Verfügung vom 18. Dezember 1972 die nachgesuchte Baubewilligung auf Grund der Art. 19 und 20 des Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 (GSchG). Auf Rekurs des Gesuchstellers hin hob das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 27. März 1973 diese Verfügung auf und wies die Gemeinde an, die Baubewilligung unter den üblichen Auflagen zu erteilen. Es verpflichtete die Gemeinde, die Gerichtskosten von Fr. 252.-- zu zahlen und den Rekurrenten mit Fr. 300.-- zu entschädigen. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Gemeinde dem Bundesgericht, den Entscheid des kantonalen Gerichts aufzuheben und die Verfügung vom 18. Dezember 1972 zu schützen, unter Kostenfolge zu Lasten des Gesuchstellers Neuhaus. Es wird geltend gemacht, die Baubewilligung könne nach den bundesrechtlichen Bestimmungen über den Gewässerschutz nicht erteilt werden. Da das Grundstück des Gesuchstellers ausserhalb des erschlossenen und des vor der Erschliessung stehenden Baulandes liege, lasse sich die Bewilligung nicht auf Art. 19 GSchG und Art. 28 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 stützen. Ein sachlich begründetes Bedürfnis im Sinne des Art. 20 GSchG bestehe nicht und werde auch nicht behauptet. Die Belastung der Gemeinde mit Gerichtskosten und Parteientschädigung sei "für Laien völlig unverständlich".
2. Der Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts über die Streitsache selbst stützt sich auf die eidgenössische Gesetzgebung

BGE 99 Ib 211 (213):

über den Gewässerschutz, d.h. auf öffentliches Recht des Bundes. Er stellt eine Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG dar und ist von der letzten kantonalen Instanz gefällt worden. Gegen ihn ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an sich zulässig (Art. 97 Abs. 1, Art. 98 lit. g, Art. 10 GSchG). Er ist dieser Beschwerde durch keine Ausschlussbestimmung entzogen. Indessen fragt sich, ob die Gemeinde Sent zur Beschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Behörde legitimiert sei.
"a) wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat;
b) das in der Sache zuständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der Bundesverwaltung gegen die Verfügung einer eidgenössischen Rekurskommission, einer eidgenössischen Schiedskommission, einer letzten kantonalen Instanz oder einer Vorinstanz im Sinne von Artikel 98 Buchstabe h ...;
c) jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt."
Es ist klar, dass die Legitimation der Gemeinde Sent weder aus lit. b noch aus lit. c abgeleitet werden kann. Lit. b betrifft nur das Beschwerderecht von Behörden des Bundes, und eine die Gemeinde zur Beschwerde ermächtigende bundesrechtliche Bestimmung im Sinne der lit. c fehlt. Zu prüfen bleibt, ob die Gemeinde nach lit. a legitimiert sei. Auf diese Bestimmung können sich nicht nur Privatpersonen berufen, sondern auch Organisationen des öffentlichen Rechts, sofern sie durch die angefochtene Verfügung gleich oder ähnlich wie Private benachteiligt werden (BGE 97 I 607, 98 I b Erw. 2 a). Das Interesse des Beschwerdeführers ist im Sinne des Gesetzes schutzwürdig, wenn er durch die Verfügung unmittelbar in seiner rechtlichen oder tatsächlichen Stellung betroffen wird. Erforderlich ist eine beachtenswerte, nahe Beziehung des Beschwerdeführers zur Streitsache. Er muss durch die Verfügung in höherem Masse als irgend jemand oder die Allgemeinheit berührt sein (BGE 98 I b 70, 74; 99 I b 105 Erw. 1).
4. Das Bundesgericht hat auf dem Gebiete des Gewässerschutzes einer Gemeinde die Beschwerdebefugnis nach Art. 103

BGE 99 Ib 211 (214):

lit. a OG deshalb zuerkannt, weil damit zu rechnen war, dass das in Frage stehende Grundwasservorkommen für die kommunale Wasserversorgung herangezogen werden könnte (BGE 98 I b 16 Erw. 2 a). Hier hat man es aber nicht mit einem Fall dieser Art zu tun. Es wird nicht behauptet und ist nicht anzunehmen, dass infolge der Zulassung der streitigen Baute Gewässer, die für die Wasserversorgung der Gemeinde Sent in Betracht kommen, verunreinigt werden könnten. Die Beschwerdeführerin bringt auch sonst nichts vor, was darauf schliessen liesse, dass sie ein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung des Sachentscheids des kantonalen Gerichtes habe. Sie macht geltend, sie müsste im Falle der Bewilligung des umstrittenen Bauvorhabens einen Beitrag an die Kosten der Einrichtung eines Luftschutzkellers leisten und zudem eine elektrische Primärleitung früher als vorgesehen verstärken lassen. Das sind jedoch Folgen, die mit dem Gewässerschutz nichts zu tun haben. Es sind also keine Nachteile, die eine beachtenswerte, nahe Beziehung der Gemeinde zu der Streitigkeit über den Gewässerschutz zu begründen vermöchten. Auch daraus, dass die Beschwerdeführerin im Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes mit Kosten belastet worden ist, kann nicht geschlossen werden, dass sie ein schutzwürdiges Interesse in der Sache selbst hat.
Was die Gemeinde mit der Beschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Behörde verteidigen will, ist nichts anderes als das Interesse der Allgemeinheit im weitesten Sinne - nicht nur der Dorfgemeinschaft - daran, dass die bundesrechtlichen Bestimmungen über den Gewässerschutz richtig angewendet werden. Eben dieses Interesse hatte der Gemeindevorstand, der für die Gemeinde Beschwerde führt, als zuständige Behörde erster Instanz zu wahren. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Beschwerde dieser Amtsstelle gegen den ihre Verfügung aufhebenden Entscheid der ihr übergeordneten kantonalen Rekursinstanz. Zu einer solchen Beschwerde ist aber die untere Instanz nicht befugt; ihr Interesse an der Anfechtung des Rekursentscheids ist nicht schutzwürdig (A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 504; vgl. BGE 61 I 146, BGE 65 I 272, BGE 72 I 55).
Nach der gesetzlichen Ordnung wäre zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Sachentscheid der kantonalen Rekursinstanz die zuständige Bundesbehörde berechtigt gewesen

BGE 99 Ib 211 (215):

(Art. 103 lit. b OG). Dagegen fehlt der Gemeinde Sent nach dem Gesagten diese Befugnis.
Wird die Beschwerde gegen den Kostenentscheid als staatsrechtliche Beschwerde betrachtet, so kann auf sie ebenfalls nicht eingetseten werden, weil sie nicht in einer den Anforderungen des Art. 90 OG genügenden Weise begründet ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.