BGE 106 Ia 155
 
30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Februar 1980 i.S. Konkursmasse Texalig AG gegen Politische Gemeinde Küsnacht (Berufung)
 
Regeste
Art 94 OG.
 
Sachverhalt


BGE 106 Ia 155 (155):

Gestützt auf eine am 28. Dezember 1967 erfolgte Eigentumsübertragung an fünf Grundstücken wurde die Texalig AG durch die Grundsteuerkommission der Gemeinde Küsnacht mit Nach- und Strafsteuerverfügung vom 5. November 1971 verpflichtet, über die bereits früher bezahlte Handänderungssteuer hinaus eine Nachsteuer von Fr. 16'390.40 und eine Strafsteuer von Fr. 3'278.-- zu bezahlen. Diese Verfügung wurde auf Beschwerde hin von der Finanzdirektion des Kantons Zürich am 28. März 1974 und vom Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 24. August 1977 bestätigt. Inzwischen war am 25. August 1972 über die Texalig AG der Konkurs eröffnet worden. Die Konkursmasse reichte gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Dieser wurde vom Präsidenten der staatsrechtlichen

BGE 106 Ia 155 (156):

Kammer für Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4 BV am 22. November 1977 aufschiebende Wirkung beigelegt. Mit Urteil der genannten Kammer vom 1. Februar 1978 wurde die Beschwerde abgewiesen.
Im Konkursverfahren über die Texalig AG hatte die Gemeinde Küsnacht inzwischen unter anderem die Handänderungs-Nachsteuer von Fr. 16'390.40 mit 5% Verzugszins vom 16. Dezember 1971 bis zur Pfandverwertung als grundpfandversicherte Forderung und die Strafsteuer von Fr. 3'278.-- mit 5% Verzugszins vom 16. Dezember 1971 bis zum 25. August 1972 (Datum der Konkurseröffnung) als Fünftklassforderung angemeldet. Das Konkursamt Enge-Zürich lehnte die Aufnahme beider Forderungen in den Kollokationsplan bzw. ins Lastenverzeichnis mit Verfügung vom 7. Oktober 1978 ab, weil die Ansprüche seit Ende Dezember 1977 verjährt seien. Die darauf von der Gemeinde Küsnacht eingereichte Kollokationsklage wurde vom Einzelrichter im beschleunigten Verfahren des Bezirksgerichts Zürich am 28. Februar 1979 und vom Obergericht des Kantons Zürich am 25. September 1979 dahin gutgeheissen, es werde im Konkurs der Texalig AG
"a) die Forderung der Klägerin von Fr. 21'337.20, zuzüglich laufenden Zinses ab 1. Januar 1978, als grundpfandgesicherte Forderung kolloziert und ins Lastenverzeichnis betreffend grundpfandgesicherte Forderungen aufgenommen;
b) die Forderung der Klägerin von Fr. 3'391.40 in der 5. Klasse kollziert."
Mit rechtzeitig eingereichter Berufung beantragt die Konkursmasse der Texalig AG dem Bundesgericht, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Gemeinde Küsnacht ersucht um Abweisung der Berufung und Bestätigung des obergerichtlichen Urteils.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
 
Aus den Erwägungen:
2. Nach den in diesem Punkt für das Bundesgericht verbindlichen Urteilen beider kantonaler Instanzen gilt für den Nach- und Strafsteueranspruch der Gemeinde Küsnacht eine absolute Verjährungsfrist von 10 Jahren, die nicht unterbrochen werden kann und die mit der Grundeigentumsübertragung vom 28. Dezember 1967 begann. Ist der Steueranspruch

BGE 106 Ia 155 (157):

vor Ablauf dieser absoluten Verjährungsfrist rechtskräftig festgestellt worden, so endet damit die Veranlagungsverjährung, und es begann die Bezugsverjährung. War dagegen die Steuerveranlagung im Zeitpunkt des Ablaufs der absoluten Verjährungsfrist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, so trat damit die Veranlagungsverjährung ein, und mit ihr ist die Steuerforderung untergegangen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. August 1977 erging vor Ablauf, das Urteil des Bundesgerichts vom 1. Februar 1978 nach Ablauf dieser absoluten Verjährungsfrist. Der Eintritt der Verjährung hängt somit davon ab, ob das Veranlagungsverfahren durch den erstgenannten oder erst durch den zweitgenannten Entscheid abgeschlossen wurde.
3. Die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht gemäss Art. 84 ff. OG hat von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung; der Präsident der für die Beurteilung zuständigen Abteilung kann jedoch gemäss Art. 94 OG auf Ansuchen einer Partei diejenigen vorsorglichen Verfügungen treffen, die erforderlich sind, um den bestehenden Zustand zu erhalten oder bedrohte rechtliche Interessen einstweilen sicherzustellen. In der Mehrzahl der Fälle bestehen solche vorsorglichen Verfügungen darin, dass der Präsident der Beschwerde aufschiebende Wirkung verleiht. Es stellt sich nun die Frage, ob eine derartige Verfügung lediglich die Vollstreckung des angefochtenen Urteils vorläufig verhindert oder aber bewirkt, dass dieses in seinem ganzen Umfange erst mit dem Entscheid über die Beschwerde in Rechtskraft erwächst. Die Beklagte steht unter Berufung auf GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 328 und 499) auf dem Standpunkt, eine Verfügung, die einem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuerkenne, müsse in jedem Fall nicht nur die Vollziehbarkeit, sondern den Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Entscheides schlechthin aufschieben. Indessen ist diese Schlussfolgerung keineswegs zwingend. So weist GULDENER bereits in der von der Beklagten zitierten 2. Auflage seines Werkes darauf hin, dass nach verschiedenen Prozessgesetzen nicht die Rechtskraft, sondern lediglich die Vollstreckbarkeit aufgeschoben werde (a.a.O., S. 328 N. 109). In der neuesten 3. Auflage (S. 392 N. 126), wirft er die Frage auf, ob in einem solchen Fall der nachträgliche Wegfall der aufschiebenden Wirkung (z.B. infolge Abweisung des Rechtsmittels) den rückwirkenden Eintritt

BGE 106 Ia 155 (158):

der Rechtskraft bewirke, und auch seine Ausführungen an einer anderen Stelle (a.a.O., S. 486 N. 39) lassen erkennen, dass auch er davon ausgeht, ein Entscheid, der mit einem ausserordentlichen Rechtsmittel angefochten wird, könne mit Bezug auf seine Vollziehbarkeit einerseits und den Eintritt seiner Rechtskraft anderseits durchaus verschieden behandelt werden.
Daraus folgt, dass einer Verfügung, die einem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuerkennt, nicht zum vornherein zu entnehmen ist, ob sie lediglich die Vollziehbarkeit oder aber den Eintritt der Rechtskraft hemmt, jedenfalls dann nicht, wenn sie darüber nicht ausdrücklich etwas aussagt, wie das im vorliegenden Falle zutraf. Es ist auch nicht etwa so, dass ein Aufschub der Rechtskraft automatisch sich auch auf die Vollziehbarkeit beziehen würde, gibt es doch Fälle, wo ein Rechtsmittel zwar den Eintritt der Rechtskraft hindert, trotzdem aber die vorläufige oder teilweise Vollstreckung des angefochtenen Urteils angeordnet werden kann (GULDENER, a.a.O., S. 390 N. 112 lit. b, S. 486 N. 39 und S. 617; vgl. auch BGE 104 II 143 E. 3).
4. Dass die Frage, welche Auswirkungen einer Verfügung betreffend aufschiebende Wirkung zukommen, nicht einheitlich beantwortet werden kann, zeigt auch sofort ein Blick auf verschiedene Beispiele. So weist GYGI (Aufschiebende Wirkung und vorsorgliche Massnahmen in der Verwaltungsrechtspflege, ZBl 77/1976, S. 1 ff.) mit Recht darauf hin, dass im Falle der Verwaltungsgerichtsbeschwerde über die Prämientarife der Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherung (BGE 99 Ib 51 ff.) die der Beschwerde zuteil gewordene aufschiebende Wirkung nicht zur Folge haben konnte, dass die Versicherungsgesellschaften die erhöhten Prämien erst für die Zeit nach dem bundesgerichtlichen Urteil hätten einfordern können. Insoweit hemmte also das Verwaltungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht den Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Verfügung nicht, wohl aber wurde die Vollstreckbarkeit in dem Sinne aufgeschoben, als die Versicherungsgesellschaften in der Zwischenzeit die erhöhten Tarife nicht einziehen konnten (GYGI, a.a.O., S. 11). Auf der andern Seite muss selbstverständlich die aufschiebende Wirkung, die der Beschwerde gegen einen Führerausweisentzug zukommt, insoweit auch die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides hemmen, als sich der Motorfahrzeugführer,

BGE 106 Ia 155 (159):

der in der Zwischenzeit ein Fahrzeug führt, nicht strafbar macht, wenn nachträglich seine Beschwerde abgewiesen wird (auch dieses Beispiel bei GYGI, a.a.O., S. 11). Wieder anders lag der Sachverhalt, der in BGE 99 Ib 215 ff. zu beurteilen war. In jenem Falle führten einige Erdölgesellschaften Beschwerde gegen eine Verfügung des Preisüberwachers, mit welcher ihnen eine Preiserhöhung untersagt worden war. Ihrer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Damit aber hätten sie selbstverständlich, wenn ihre Beschwerde schliesslich zum Erfolg geführt hätte, nicht von den inzwischen belieferten Kunden die Preisdifferenz nachfordern können. Schliesslich kann in diesem Zusammenhang auch noch auf die Entwicklung hingewiesen werden, die die Rechtsprechung zur Frage, welcher Zeitpunkt im Falle des Weiterzuges eines Konkurserkenntnisses für die Konkurseröffnung massgebend sei, durchgemacht hat (vgl. dazu BGE 85 III 157 ff.).
5. Aus diesen Beispielen ergibt sich deutlich, dass von einer einheitlichen, für alle Fälle gültigen Lösung nicht die Rede sein kann. Es muss vielmehr in jedem einzelnen Falle untersucht werden, welche Tragweite vernünftigerweise einer Verfügung betreffend aufschiebende Wirkung zuzumessen ist. Wohl kann der verfügende Richter diese Tragweite bereits in seiner Verfügung selbst festhalten. Vielfach aber wird das im betreffenden Stadium des Verfahrens,wo aufgrund bloss summarischer Kenntnisse entschieden werden muss, noch gar nicht möglich sein. In solchen Fällen muss die Tragweite einer derartigen Verfügung danach beurteilt werden, welchen Zwecken sie vernünftiger- und legitimerweise dienen soll. Im vorliegenden Falle konnte es sich einzig darum handeln, zu verhindern, dass die Gemeinde Küsnacht die Steuer einziehe, bevor das Bundesgericht über die staatsrechtliche Beschwerde entschieden hatte. In diesem Sinne hatte sich denn die Gemeinde Küsnacht mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch einverstanden erklärt. Dagegen besteht nicht die geringste Veranlassung, der in Frage stehenden Präsidialverfügung auch die Wirkung zuzuerkennen, dass die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides des Verwaltungsgerichtes Zürich schlechthin in dem Sinne aufgeschoben worden wäre, dass das ganze Veranlagungsverfahren weiterhin in der Schwebe geblieben wäre. Daran hatte die damalige Beschwerdeführerin keinerlei schützenswertes Interesse. Sie konnte deshalb die Verfügung

BGE 106 Ia 155 (160):

vernünftigerweise auch nicht in diesem Sinne auffassen. Es ist vielmehr, nachdem die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen worden und damit die aufschiebende Wirkung dahingefallen ist, so zu halten, wie wenn kein Suspensiveffekt ausgelöst worden wäre. Andernfalls hätte die Beschwerdeführerin mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde, obwohl diese unbegründet war, einen völlig ungerechtfertigten materiellrechtlichen Vorteil zum Schaden der obsiegenden Partei erzielt. Das widerspräche dem Grundsatz, wonach das Prozessrecht der Verwirklichung des materiellen Rechtes und nicht dessen Verhinderung zu dienen hat (vgl. auch dazu GYGI, a.a.O., S. 11/12).
In diesem Sinne hat das Bundesgericht übrigens bereits in dem ganz ähnlich gelagerten BGE 101 Ia 109 E. 3 entschieden. Dort ging es um die Frage, ob die einer staatsrechtlichen Beschwerde zuerkannte aufschiebende Wirkung zur Folge haben könne, dass mit Bezug auf einen Straftatbestand des kantonalen Strafrechtes nach dem Entscheid der letzten kantonalen Instanz während des Verfahrens der staatsrechtlichen Beschwerde vor dem Bundesgericht die absolute Verjährung eintreten könne. Das Bundesgericht hat das mit der Begründung verneint, die aufschiebende Wirkung könne lediglich "suspendre l'application d'une décision cantonale exécutoire et définitive; elle ne modifie pas le caractère même de cette décision" (Vgl. auch BGE 92 IV 173, BGE 73 IV 13 ff. zum Einfluss einer strafrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts auf den Lauf von Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung). Gleiches muss folgerichtig auch im vorliegenden Fall gelten. Die einer staatsrechtlichen Beschwerde zuerkannte aufschiebende Wirkung kann daher die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides nur dann hemmen, wenn das entweder in der Verfügung ausdrücklich gesagt wird oder aber wenn es sich im konkreten Fall als zur Sicherstellung gefährdeter Interessen notwendig erweist. Keines von beidem trifft im vorliegenden Falle zu, so dass die Berufung als offensichtlich unbegründet abzuweisen ist.