BGE 99 Ia 524 - Fussgängerunterführung Reinach
 


BGE 99 Ia 524 (524):

64. Auszug aus dem Urteil vom 21. November 1973 i.S. Röösli gegen Ruggle und Kons. sowie Einwohnerrat Reinach und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft.
 
Regeste
Art. 85 lit. a OG; kommunales Finanzreferendum.
 
Sachverhalt
 
A.
Am 10. Mai 1972 beantragte der Gemeinderat von Reinach dem Einwohnerrat, dem sofortigen Bau einer Fussgängerunterführung an der Austrasse zuzustimmen und den erforderlichen Kredit in der Höhe von Fr. 305 000.-- zu bewilligen. Der Einwohnerrat wies die Vorlage am 25. Mai an den Gemeinderat zurück, damit er prüfe, ob sich die direkten "Verkehrsverursacher" zur Hälfte an den Kosten beteiligen würden. Es fanden sich indes nur zwei private Unternehmen bereit, Beiträge von zusammen Fr. 40 000.-- zu leisten. Am 2. Oktober 1972 beantragte der Gemeinderat dem Einwohnerrat erneut, dem sofortigen Bau der Unterführung zuzustimmen; es wurde nunmehr ein Kredit von Fr. 265 000.-- verlangt. Der Einwohnerrat lehnte am 23. November 1972 den Antrag des Gemeinderats mit 32 zu 1 Stimmen ab.
 
B.
Gegen diesen Beschluss ergriffen 340 Stimmberechtigte rechtzeitig das Referendum. Der Gemeinderat setzte die Abstimmung auf den 4. März 1973 an.
Gegen den Beschluss des Gemeinderats, die Vorlage über den Bau der Unterführung der Volksabstimmung zu unterbreiten, erhoben Ruggle und drei weitere Stimmbürger beim Regierungsrat Beschwerde, wobei sie das Begehren um aufschiebende Wirkung stellten. Gestützt auf ein Schreiben der Direktion des Innern widerrief der Gemeinderat die auf den 4. März 1973 angesetzte Volksabstimmung.


BGE 99 Ia 524 (525):

Der Regierungsrat wies die Beschwerde am 20. März 1973 ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Während nach den Gesetzen anderer Kantone das Referendum gegen "Beschlüsse" des Gemeindeparlaments ergriffen werden könne, sei in § 121 Abs. 1 des Gemeindegesetzes des Kantons Basel-Landschaft (GG) nicht von "Beschlüssen", sondern von "Geschäften" die Rede. Damit wolle zum Ausdruck gebracht werden, dass die Stimmbürger auf ein durch Referendum gestelltes Verlangen hin nicht nur über annehmende Beschlüsse des Einwohnerrats, sondern über das Geschäft als solches befinden könnten. Auch im Kanton Zürich unterstünden sowohl Beschlüsse eines Gemeindeparlaments über die Annahme einer Vorlage, als auch solche über die Ablehnung und die Rückweisung dem fakultativen Referendum. Der kantonale Gesetzgeber könne die Volksrechte in Gemeindeangelegenheiten im Rahmen des Bundesrechts und der Kantonsverfassung beliebig ausgestalten. Den Stimmberechtigten stehe zwar auch der Weg der Initiative offen. Dieses Verfahren sei aber schwerfälliger und nehme erheblich mehr Zeit in Anspruch. Das Institut des Referendums gegen negative Parlamentsbeschlüsse sei deshalb im Hinblick auf den Zeitgewinn und die Verfahrensökonomie durchaus sinnvoll und den kleinen Verhältnissen der Gemeinde angepasst.
 
C.
Gegen den Beschluss des Regierungsrats erhoben Ruggle und Konsorten Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde am 30. Mai 1973 gut und hob den Beschluss des Regierungsrats auf. Zur Begründung führte es u.a. aus: In der schweizerischen Rechtsliteratur herrsche allgemein die Ansicht vor, das Referendum sei nur gegen annehmende Beschlüsse des Parlaments möglich. Es müsse geprüft werden, ob das Referendumsrecht im Kanton Basel-Landschaft weiterreiche als im Bund und in den übrigen Kantonen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sei die Auslegung nicht ausgeschlossen, dass auch ablehnende Beschlüsse des Einwohnerrats dem fakultativen Referendum unterstünden. Während in § 120 Abs. 2 GG bestimmt werde, die Gemeindeordnung könne weitere Beschlüsse des Einwohnerrats dem obligatorischen Referendum unterstellen, sei in § 121, der vom fakultativen Referendum handle, nicht von Beschlüssen, sondern von Geschäften die Rede. In den Erläuterungen zur Volksabstimmung über das Gemeindegesetz habe man ausgeführt, das fakultative

BGE 99 Ia 524 (526):

Referendum könne bei zahlreichen anderen Beschlüssen des Einwohnerrats ergriffen werden. Daraus lasse sich ableiten, dass man die Ausdrücke "Beschlüsse" und "Geschäfte" habe gleichstellen wollen und die Wahl des zweiten Ausdrucks auf eine redaktionelle Unaufmerksamkeit zurückzuführen sei. Diese Annahme werde durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Dem obligatorischen Referendum seien nur positive Beschlüsse unterstellt, und es verhalte sich trotz des unklaren Wortlautes von § 121 Abs. 1 GG beim fakultativen Referendum nicht anders. Wenn man annähme, das fakultative Referendum könne auch gegen negative Beschlüsse des Einwohnerrats ergriffen werden, so wäre damit nichts erreicht. Der positive Ausgang der Abstimmung über das Referendumsbegehren würde nur bedeuten, dass etwas unternommen werden müsse, doch wäre dem Abstimmungsergebnis nicht zu entnehmen, was genau zu geschehen habe. Im übrigen gälten für das fakultative Referendum einerseits, die Gesetzes- oder Verwaltungsinitiative anderseits nach den §§ 121 Abs. 1 und 122 GG die gleichen Erfordernisse. Wenn die Stimmbürger etwas erreichen wollten, das der Einwohnerrat abgelehnt habe, stehe ihnen stets der Weg der Initiative offen, die ihrer Natur nach dazu bestimmt sei, eine positive Neuerung vorzuschlagen, während das Referendum dazu diene, eine vom Einwohnerrat beschlossene positive Neuerung zu verhindern.
 
D.
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts führen Rosmarie und Fridolin Röösli-Strahm gemäss Art. 85 lit. a OG staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der Entscheid sei aufzuheben und es sei anzuordnen, dass das gegen den Beschluss des Einwohnerrats von Reinach eingereichte Referendum den Stimmbürgern zur Abstimmung vorgelegt werde. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden Erwägungen.
 
E.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft und der Einwohnerrat von Reinach haben auf Gegenbemerkungen verzichtet. Ruggle und Konsorten stellen den Antrag, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3. Vor dem Erlass des neuen Gemeindegesetzes waren die Gemeinden des Kantons Basel-Landschaft durchwegs nach dem Prinzip der direkten Demokratie organisiert. In diesem System

BGE 99 Ia 524 (527):

ist der Gemeinderat die Exekutive. Oberstes Organ ist die Gemeindeversammlung, d.h. die Versammlung der stimmberechtigten Bürger, die alle wesentlichen Beschlüsse zu fassen hat. In grössern Gemeinden lässt sich dieses System kaum mehr durchführen. Nach dem Vorbild anderer Kantone sieht deshalb das neue Gemeindegesetz des Kantons Basel-Landschaft als wichtigste Neuerung vor, dass Einwohnergemeinden mit mehr als zweitausend Stimmberechtigten die sogenannte ausserordentliche Gemeindeorganisation einführen können. An die Stelle der Gemeindeversammlung tritt hier ein Gemeindeparlament, der sogenannte Einwohnerrat. Ihm stehen im wesentlichen die gleichen Befugnisse zu wie bei der ordentlichen Gemeindeorganisation der Gemeindeversammlung. Die Einwohnergemeinde Reinach hat die ausserordentliche Gemeindeorganisation eingeführt.
In Gemeinden mit ausserordentlicher Organisation unterliegen Änderungen der Gemeindeordnung nach dem Beschluss des Einwohnerrats der Urnenabstimmung. Die Gemeindeordnung kann weitere Beschlüsse des Einwohnerrats dem obligatorischen Referendum unterstellen (§ 120 GG). Unter dem Marginale "Fakultatives Referendum" bestimmt § 121 GG:
    "1 Die übrigen dem Einwohnerrat zustehenden Geschäfte sind unter Vorbehalt von Absatz 2 der Gesamtheit der Stimmberechtigten zu unterbreiten, wenn ein Drittel der anwesenden Mitglieder des Einwohnerrates oder innert dreissig Tagen fünf Prozent der Stimmberechtigten ein entsprechendes Begehren stellen. In jedem Falle genügen die Unterschriften von dreihundert Stimmberechtigten.
    2 Vom fakultativen Referendum sind die Wahlen, die Genehmigung der Voranschläge und der Jahresrechnungen, die Festsetzung des Steuerfusses sowie die sich aus der Oberaufsicht über die Verwaltung ergebenden Geschäfte ausgenommen. Ebenso ist das fakultative Referendum ausgeschlossen, wenn es sich um dringliche Geschäfte handelt und mindestens zwei Drittel der anwesenden, jedenfalls aber die Hälfte sämtlicher Mitglieder des Einwohnerrates dem Ausschluss zustimmen."
 
Erwägung 4
Die Beschwerdeführer sind mit dem Regierungsrat der Ansicht, das sei der Fall. Für diese Auslegung des Gesetzes

BGE 99 Ia 524 (528):

lassen sich beachtliche Gründe ins Feld führen. Aus den Erläuterungen des Regierungsrats zur Abstimmung über das Gemeindegesetz ergibt sich die Sorge des Gesetzgebers, dass die Einbusse an politischen Rechten, die bei der ausserordentlichen Gemeindeorganisation mit dem Übergang zur indirekten Demokratie verbunden ist, nicht allzu gross wird. Von daher gesehen liesse es sich rechtfertigen, das Referendumsrecht nicht zu beschränken, sondern auch gegen negative Beschlüsse des Einwohnerrats zuzulassen. Nach Auffassung des Regierungsrates können zwar dem obligatorischen Referendum (§ 120 GG) nur positive Beschlüsse unterstehen. In § 120 Abs. 2 GG ist indessen von Beschlüssen die Rede, während nach § 121 Abs. 1 die "übrigen dem Einwohnerrat zustehenden Geschäfte" dem fakultativen Referendum unterstellt sind. Das kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass die Anfechtungsmöglichkeit beim fakultativen Referendum anders als beim obligatorischen über die (positiven) Beschlüsse hinausreichen und auch negative Entscheide des Einwohnerrats erfassen soll. An sich ist es dem kantonalen Gesetzgeber unbenommen, das fakultative Referendum in den Gemeinden auch gegen negative Entscheide des Einwohnerrats zuzulassen, wobei zunächst dahingestellt sein mag, ob ein solches Volksrecht noch als Referendum zu qualifizieren wäre. Der Regierungsrat hat sich darauf berufen, nach der Rechtslehre könne im Kanton Zürich auch gegen ablehnende Beschlüsse des dem Baselbieter Einwohnerrat entsprechenden Grossen Gemeinderats das fakultative Referendum ergriffen werden. Diese Auffassung trifft nur in sehr beschränktem Masse zu. Wie das Verwaltungsgericht richtig ausführt, wird in der schweizerischen Rechtslehre kaum die Ansicht vertreten, das Referendum könne sich auch gegen negative Beschlüsse richten. Einzig Mettler (Das Zürcher Gemeindegesetz, S. 301) ist der Meinung, nach zürcherischem Recht sei das fakultative Referendum gegen ablehende Beschlüsse des Grossen Gemeinderats zulässig. Dass das der Zürcher Praxis entspräche, ist nicht dargetan, und in der Literatur wird die Auffassung Mettlers abgelehnt (Geilinger, Die Institutionen der direkten Demokratie im Kanton Zürich, Diss. 1947 S. 159; Heiniger, Der Gemeinderat, Diss. 1957 S. 236 N. 15). Die für die gegenteilige Ansicht angeführten Autoren (Streiff, Die Gemeindeorganisation mit Urnenabstimmung im Kanton Zürich, Diss. 1959 S. 208 ff. und Etter, Die Gewaltendifferenzierung

BGE 99 Ia 524 (529):

in der zürcherischen Gemeinde, Diss. 1967 S. 128) befassen sich nur mit der sog. nachträglichen Urnenabstimmung. Für die Institution des Referendums wird die Frage auch von diesen Autoren indirekt verneint. Abgesehen davon ist es von geringer Bedeutung, welche Ordnung im Kanton Zürich gilt und wie die entsprechenden Vorschriften dort ausgelegt werden, denn diese Ordnung weicht in wesentlichen Punkten von derjenigen des Kantons Basel-Land ab.
 
Erwägung 5
5. a) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, wird zwar in der schweizerischen Rechtslehre kaum ausdrücklich gesagt, das Referendum könne sich nur auf positive Beschlüsse beziehen, doch wird allgemein von dieser Annahme ausgegangen (vgl. Aubert, Le referendum populaire, ZSR 1972 S. 484/5; Burckhardt, Komm. zur Bundesverfassung, 3. A. S. 707 und die im angefochtenen Urteil zitierten Autoren). Dass sich z.B. im Bund das fakultative Referendum nur gegen positive Beschlüsse richten kann, ergibt sich daraus, dass ihm nur Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse unterstehen. Giacometti führt in allgemeiner Weise aus, wenn das fakultative Referendum nicht ergriffen werde, so sei die bedingte Rechtsverbindlichkeit der vom Parlament angenommenen Vorlage zu einer unbedingten geworden, das Referendum habe somit einen negativen Charakter (Das Staatsrecht der Kantone, S. 438). Würde man das fakultative Referendum auch gegen negative Beschlüsse zulassen, so hätte es insoweit einen positiven Charakter. Das ist aber seinem Wesen fremd. Als wesentliche Volksrechte, mit denen der Stimmbürger dem Parlament gegenüber seinen Willen durchsetzen kann, kennt das schweizerische Recht Initiative und Referendum. Während die Initiative regelmässig dazu dient, etwas Neues zu schaffen, soll mit dem Referendum dem Volk die Möglichkeit gegeben werden, eine vom Parlament beschlossene Neuerung abzulehnen. Historisch ist das fakultative Referendum aus dem Volks-Veto herausgewachsen (Dietschi, Das Volks-Veto in der Schweiz, Diss. 1926 S. 147 und 152 ff.). Wie dieses hat es negativen Charakter, was bedeutet, dass ihm nur positive Beschlüsse des Parlaments unterstehen können. Dass nach sozusagen einhelliger schweizerischer Rechtsauffassung das fakultative Referendum negativen Charakter hat und deshalb nur gegen positive Beschlüsse ergriffen werden kann, ist im zu beurteilenden Fall nicht ohne Bedeutung, denn § 121 GG bezeichnet das hier in Frage stehende

BGE 99 Ia 524 (530):

Volksrecht als fakultatives Referendum. Darunter ist an sich das zu verstehen, was in der Schweiz allgemeiner Rechtsanschauung entspricht. Eine andere Auslegung würde sich nur dann rechtfertigen, wenn sich klar ergäbe, dass man im Gemeindegesetz des Kantons Basel-Landschaft den Begriff des Referendums weitergefasst und damit ein Institut geschaffen hätte, das nach allgemeiner Ansicht insoweit nicht mehr Referendum wäre, als sich das Begehren auch gegen einen negativen Parlamentsbeschluss richten könnte.
b) Dem obligatorischen Referendum unterstehen, wie der Regierungsrat mit Recht anerkennt, nur positive Beschlüsse des Einwohnerrates. Während in § 120 Abs. 2 GG von weitern "Beschlüssen" die Rede ist, welche die Gemeindeordnung dem obligatorischen Referendum unterstellen kann, sieht § 121 Abs. 1 für die übrigen dem Einwohnerrat zustehenden "Geschäfte" das fakultative Referendum vor. Daraus könnte geschlossen werden, das fakultative Referendum reiche weiter als das obligatorische und könne sich auch gegen negative Beschlüsse richten. Der unterschiedlichen Terminologie kann aber wohl keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. § 121 Abs. 2 nimmt bestimmte Beschlüsse vom fakultativen Referendum aus und schliesst daran folgende Regel an: "Ebenso ist das fakultative Referendum ausgeschlossen, wenn es sich um dringliche Geschäfte handelt und mindestens zwei Drittel der anwesenden, mindestens aber die Hälfte aller Mitglieder des Einwohnerrats dem Ausschluss zustimmen." Hier wird der Ausdruck "Geschäfte" im gleichen Sinn gebraucht, den der Ausdruck "Beschlüsse" in § 120 Abs. 2 hat, denn es ist klar, dass nur bei positiven Beschlüssen das Referendum wegen Dringlichkeit ausgeschlossen sein kann. Das lässt vermuten, mit dem in § 121 Abs. 1 verwendeten Ausdruck "Geschäfte" habe man das fakultative Referendum nicht auf negative Beschlüsse ausdehnen wollen. Zumindest ergibt sich aus der unterschiedlichen Ausdrucksweise nicht mit genügender Klarheit, dass entgegen der allgemeinen schweizerischen Rechtsanschauung das fakultative Referendum auch gegen negative Beschlüsse gerichtet werden kann. Das fakultative Referendum ist nach § 49 GG bei der ordentlichen Gemeindeorganisation gegen "Beschlüsse" der Gemeindeversammlung vorgesehen. Es ist kaum einzusehen, weshalb das gleiche Recht bei der ausserordentlichen Gemeindeorganisation weitere Entscheide erfassen

BGE 99 Ia 524 (531):

sollte. In den Gesetzesberatungen wurde denn auch, soweit zu ersehen, nie der Gedanke ausgesprochen, das Referendum sei gegenüber Entscheiden des Einwohnerrats in weitergehendem Mass zulässig als gegenüber solchen der Gemeindeversammlung. Die Materialien des Gesetzes sind zwar an sich für die Auslegung nicht massgebend, doch können sie immerhin zur Interpretation herangezogen werden (BGE 97 I 148, BGE 95 I 510 /11 mit Verweisungen). In den Erläuterungen des Regierungsrats zur Volksabstimmung über das Gemeindegesetz wurde dargelegt, welche Parlamentsbeschlüsse dem obligatorischen Referendum unterstehen. Im Anschluss daran führte die Regierung aus, das fakultative Referendum könne bei zahlreichen anderen Beschlüssen des Einwohnerrats ergriffen werden. Der Regierungsrat hat demnach der unterschiedlichen Ausdrucksweise der §§ 120 und 121 GG offenbar keine materielle Bedeutung beigemessen. Wenn sich auch aus den Protokollen der landrätlichen Vorberatungskommission keine eindeutigen Schlüsse ziehen lassen, so ist immerhin darauf hinzuweisen, dass ein Mitglied die Ansicht vertrat, wenn der Einwohnerrat negativ beschliesse, gebe es keine Volksabstimmung, was, soweit ersichtlich, unwidersprochen blieb (Votum Waldner, Protokoll S. 267). Wie das Verwaltungsgericht unter weiterem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte darlegte, ist zu vermuten, dass die unterschiedliche Terminologie nur redaktionelle, nicht aber materielle Bedeutung hat. Zumindest ergibt sich nicht mit Klarheit, dass mit der Wahl des Wortes "Geschäfte" zum Ausdruck gebracht werden wollte, das fakultative Referendum könne auch gegen negative Beschlüsse des Einwohnerrats ergriffen werden.
c) Auch eine teleologische Auslegung des § 121 Abs. 1 GG führt zum gleichen Ergebnis. Wenn das Referendum gegen einen negativen Beschluss erhoben werden könnte, wäre unklar, worüber der Bürger eigentlich abstimmen müsste. Das Verwaltungsgericht nimmt an, der Bürger hätte darüber zu befinden, ob er mit dem Beschluss des Einwohnerrats einverstanden sei oder nicht. Diese Ansicht mag als folgerichtig erscheinen, denn es sind die Parlamentsbeschlüsse, die dem fakultativen Referendum unterstehen. Wie das Verwaltungsgericht ausführt, wäre aber eine solche Lösung nicht sinnvoll. Würde die Bürgerschaft den negativen Beschluss des Einwohnerrats ablehnen, so wäre damit der Weg für die Erstellung der Personenunterführung

BGE 99 Ia 524 (532):

noch nicht frei. Das Volk hätte vielmehr nur zum Ausdruck gebracht, dass es entgegen dem Beschluss des Einwohnerrats den Bau der Unterführung wünscht, doch müsste nach der Abstimmung zunächst eine Vorlage ausgearbeitet werden, aus der sich Art der Ausführung und Kostenfolge ergäben. Dabei wäre wiederum fraglich, ob der Einwohnerrat gehalten ist, eine solche Vorlage gegen seine eigene Überzeugung zu beschliessen. Auf jeden Fall wäre das Verfahren sehr umständlich, und das Ziel einfacher auf dem Weg der Initiative zu erreichen. Der Überlegung des Regierungsrats, das fakultative Referendum gegen negative Beschlüsse sei zuzulassen, weil das Verfahren einfacher sei als jenes der Initiative, ist demnach der Boden entzogen, wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, der Bürger habe sich in der Referendumsabstimmung nur darüber auszusprechen, ob er mit dem negativen Beschluss des Einwohnerrats einverstanden ist oder nicht. Demgegenüber war der Gemeinderat gemäss seiner Fragestellung an die Stimmberechtigten der Ansicht, wenn sich das fakultative Referendum gegen einen negativen Beschluss des Einwohnerrats richte, habe der Stimmbürger über den vom Einwohnerrat abgelehnten Antrag des Gemeinderats zu befinden. Diese Lösung mag naheliegen, doch kann dagegen eingewendet werden, es sei systemwidrig, dass der Bürger über eine Vorlage der Exekutive, nicht des Gemeindeparlaments zu befinden hat. Der Einwohnerrat würde dabei insoweit übergangen, als er zu den Modalitäten der Ausführung und dem Kreditbedarf für die Unterführung im ganzen Verfahren nicht hätte Stellung nehmen können. Die Beschwerdeführer scheinen diesen Mangel erkannt zu haben. Sie führen aus, dem Stimmberechtigten sei der Antrag des Gemeinderats mit allfälligen Korrekturen des Einwohnerrats zum Entscheid vorzulegen. Sie schweigen sich aber darüber aus, wie sie sich eine solche Lösung praktisch vorstellen. Wollte man sie verwirklichen, so müsste der Einwohnerrat auch dann, wenn er einen Antrag des Gemeinderats überhaupt ablehnt, im Sinn eines Eventualbeschlusses stets bestimmen, welche Korrekturen er an der Vorlage des Gemeinderats vornehmen würde, falls es nicht bei seinem ablehnenden Beschluss bleibt, sondern dagegen das Referendum ergriffen wird. Das wäre aber eine ungewöhnliche, ja durchaus absonderliche Ordnung. Wenn der Gesetzgeber ein solches Verfahren hätte vorsehen wollen, so hätte er es ausdrücklich vorschreiben müssen. Wie man auch

BGE 99 Ia 524 (533):

die Abstimmungsfrage formulieren würde, jede Lösung hätte ihre schwerwiegenden Nachteile. Vor allem wäre die wichtige Frage völlig offen, worüber eigentlich der Bürger abstimmen soll, wenn das fakultative Referendum gegen einen negativen Beschluss des Einwohnerrats zustandekam. Daraus wird ersichtlich, dass es nicht dem Sinn des Gesetzes entspricht, ein solches Referendum zuzulassen.
d) Nach § 120 Abs. 1 GG unterliegen Änderungen der Gemeindeordnung nach dem Beschluss des Einwohnerrats der Urnenabstimmung, und nach Abs. 2 kann die Gemeindeordnung weiter Beschlüsse des Einwohnerrats dem obligatorischen Referendum unterstellen. Unter diesen Beschlüssen sind solche von grosser Tragweite zu verstehen. Die Reinacher Gemeindeordnung sieht denn auch in diesem Sinn u.a. vor, dass Beschlüsse über eine Ausgabe von mehr als 2 Millionen Franken dem obligatorischen Referendum unterstehen (§ 8 GO). Das gilt aber nur für positive Beschlüsse, denn dem obligatorischen Referendum sind, wie der Regierungsrat mit Recht anerkennt, lediglich solche Beschlüsse unterstellt. Nach Ansicht der Beschwerdeführer könnte man wohl auch gegen negative Beschlüsse über Ausgaben von mehr als zwei Millionen Franken das fakultative Referendum ergreifen. Es wäre dann allerdings durchaus ungewöhnlich, dass dieselbe Vorlage je nach der positiven oder negativen Natur des Einwohnerrats-Beschlusses dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum unterstünde. Auch das spricht für die Ansicht des Verwaltungsgerichts.
 
Erwägung 6
6. Die gleiche Zahl von Stimmberechtigten, die das Referendum ergreifen können, haben auch die Möglichkeit, eine Initiative zu lancieren (§§ 121 Abs. 1 und 122 GG). Die Beschwerdeführer hätten demnach den Bau der Personenunterführung mit einer Initiative verlangen können, und da sie offenbar den Antrag des Gemeinderates auch in den Einzelheiten und hinsichtlich der Kostenfolge für richtig hielten, wäre ihnen freigestanden, unter Übernahme dieses Antrages eine sogenannte formulierte oder ausgearbeitete Initiative einzureichen. Der Regierungsrat scheint letztlich das Referendum gegen negative Beschlüsse des Einwohnerrats deshalb zugelassen zu haben, weil der Weg der Initiative viel länger sei als jener des Referendums, da sich der Einwohnerrat nach § 123 GG ein Jahr Zeit lassen könne, bis er zu dem Begehren Stellung nehme

BGE 99 Ia 524 (534):

und es für die Volksabstimmung freigebe. Abgesehen davon, dass zwischen dem Beschluss des Einwohnerrats und der Referendumsabstimmung auch eine gewisse Zeit verstreicht, ist die in § 123 gesetzte Frist eine Maximalfrist. Liegt bereits ein Vorschlag des Gemeinderats und eine diesem entsprechende ausgearbeitete Initiative von Stimmbürgern vor, so wird es dem Einwohnerrat regelmässig möglich sein, die Sache rasch zu behandeln, so dass die Volksabstimmung bereits nach kurzer Zeit stattfinden kann. Da der Einwohnerrat im hier zu beurteilenden Fall den Antrag des Gemeinderats mit 32 zu 1 Stimmen abgelehnt hatte, ist zu vermuten, dass er nach Einreichung einer entsprechenden Initiative einfach den Antrag auf Ablehnung gestellt hätte, so dass die Volksabstimmung schon sehr bald hätte angesetzt werden können. In den Fällen, in denen ein fakultatives Referendum gegen einen negativen Beschluss des Einwohnerrats in Frage käme, verhält es sich immer so, dass bereits eine ausgearbeitete Vorlage des Gemeinderats vorliegt, mit der sich der Einwohnerrat schon beschäftigt hat. In diesen Fällen wird in aller Regel die Behandlung einer dem Gemeinderats-Antrag entsprechenden Initiative wenig Zeit in Anspruch nehmen. Das Zeitmoment, das für den Regierungsrat eine massgebende, wenn nicht ausschlaggebende Rolle gespielt zu haben scheint, legt es deshalb keineswegs nahe, das Referendum gegen negative Beschlüsse zuzulassen. Vielmehr drängt es sich auf, das der Stimmbürger in solchen Fällen von dem Recht Gebrauch macht, das nach allgemeiner Rechtsanschauung für solche Begehren zur Verfügung steht, nämlich vom Initiativrecht. Auf diesem Weg kann er ohne grössere Umtriebe und praktisch ohne Zeitverlust zu dem angestrebten Ziel gelangen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.