BGer 8C_495/2019
 
BGer 8C_495/2019 vom 11.12.2019
 
8C_495/2019
 
Urteil vom 11. Dezember 2019
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Jancar.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 27. Mai 2019 (IV.2019.00082).
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. Die 1996 geborene A.________ war seit 1. April 2003 zu 60 % Mitarbeiterin Reinigung und Hauswartungen beim Hausdienst B.________. Mit Verfügung vom 28. Juli 2017 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich ab 1. Januar 2016 bis 28. Februar 2017 eine ganze Invalidenrente zu. Mit Entscheid vom 5. Dezember 2017 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde der Versicherten in dem Sinne gut, als es die Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach ergänzenden Abklärungen über den Leistungsanspruch neu verfüge.
A.b. Nach Einholung weiterer medizinischer Berichte sprach die IV-Stelle der Versicherten ab 1. Juli 2017 eine halbe Invalidenrente zu und forderte von ihr Rentenleistungen von total Fr. 14'974.- zurück (Verfügungen vom 9. Januar 2019).
B. In teilweiser Gutheissung der hiergegen erhobenen Beschwerde änderte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Verfügung der IV-Stelle vom 9. Januar 2019 dahingehend ab, als es feststellte, die Versicherte habe ab 1. Januar 2016 bis 28. Februar 2017 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente und ab 1. Juli 2017 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente. Zudem hob es die Rückforderungsverfügung vom 9. Januar 2019 auf (Entscheid vom 27. Mai 2019).
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IV-Stelle, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei festzustellen, dass die Versicherte ab 1. Januar 2016 bis 28. Februar 2017 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente und ab 1. Juli 2017 auf eine halbe Invalidenrente habe. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
Die Versicherte schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
Mir Verfügung vom 21. November 2019 erteilte die Instruktionsrichterin der Beschwerde aufschiebende Wirkung.
Erwägungen:
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
2. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 28 IVG) sowie die Invaliditätsbemessung bei im Gesundheitsfall voll Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) und bei teilweise erwerbstätigen Versicherten nach der gemischten Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG; BGE 143 I 50 E. 4.4 S. 60) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie der Beschwerdegegnerin ab 1. Juli 2017 anstatt einer halben Invalidenrente eine Dreiviertelsrente zusprach.
3.2. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit der Versicherten könne der Einschätzung des Dr. med. C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, vom 31. Mai 2016, 31. März 2017 und 7. Mai 2018 gefolgt werden. Nach Ablauf des Wartejahres im Juni 2015 sei sie in der angestammten Tätigkeit zu 30 % arbeitsfähig und in einer behinderungsangepassten Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig gewesen. Nach der Operation vom 26. Januar 2016 sei bis 13. November 2016 von vollständiger Arbeitsunfähigkeit in der angestammten und in einer behinderungsangepassten Tätigkeit auszugehen. Ab 14. November 2016 bestehe in einer leidensangepassten Tätigkeit eine 50%ige Arbeitsfähigkeit. Ab 1. Juli 2017 sei die Versicherte als Vollerwerbstätige zu qualifizieren. Für das Jahr 2017 ergebe sich angesichts des bis Ende Juni 2017 ausgeübten 60%-Pensums ein im Gesundheitsfall erzielbares sog. Valideneinkommen von Fr. 37'448.- bzw. aufgerechnet auf ein 100%iges Pensum von Fr. 62'413.-. Das trotz Gesundheitsschadens erreichbare sog. Invalideneinkommen sei ausgehend von der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2016, Tabelle TA1, Total Frauen, Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art) zu bestimmen. Im Jahr 2017 betrage es bei dem der Versicherten möglichen 50%igen Pensum Fr. 27'291.-. Sie könne nur noch sehr leichte Arbeiten ausführen. Im Hinblick darauf, dass es sich bei den Tätigkeiten gemäss Kompetenzniveau 1 um einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art handle, diese vielfach auch Tätigkeiten manueller Art beinhalteten und die Versicherte in der Kraft, Feinmotorik und Sensibilität der rechten dominanten Hand erheblich eingeschränkt sei, reduziere sich das Spektrum an möglichen Tätigkeiten noch weiter. Deshalb sei ein leidensbedingter Abzug von 15 % gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung des 15%igen Abzugs ergebe sich ein Invalideneinkommen von Fr. 23'197.- (Fr. 27'291.- x 0.85). Bei einem Valideneinkommen von Fr. 62'413.- resultiere eine Einkommenseinbusse von Fr. 39'216.- bzw. ein Invaliditätsgrad von rund 63 %. Damit habe die Beschwerdeführerin ab 1. Juli 2017 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente.
4. Umstritten ist einzig der von der Vorinstanz vorgenommene 15%ige Abzug vom Tabellenlohn beim Invalideneinkommen. Die IV-Stelle macht geltend, ein Abzug sei nicht gerechtfertigt. Die Versicherte verlangt einen Abzug.
4.1. Mit dem Abzug vom Tabellenlohn von höchstens 25 % nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301). Die Rechtsprechung zum Abzug vom Tabellenlohn gilt grundsätzlich auch nach der Revision der LSE von 2012 (BGE 142 V 178 E. 2.5.7 i.f. S. 189). Ob ein (behinderungs- bzw. leidensbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar. Dagegen ist die Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzugs eine Ermessensfrage und somit letztinstanzlich nur bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung korrigierbar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72; Urteil 9C_475/2019 vom 15. November 2019 E. 5.2.1).
 
4.2.
4.2.1. Dr. med. C.________ führte in der Stellungnahme vom 7. Mai 2018 aus, in einer optimal angepassten Tätigkeit sei die Versicherte seit 14. November 2016 zu 50 % arbeitsfähig. Es handle sich um eine sehr leichte Tätigkeit, überwiegend sitzend, ohne besondere Beanspruchung der rechten Hand hinsichtlich Kraft, Feinmotorik und Sensibilität.
4.2.2. Zwar hat die Praxis seit BGE 126 V 75 bei versicherten Personen, die ihre dominante Hand gesundheitlich bedingt nur sehr eingeschränkt, beispielsweise als Zudienhand, einsetzen können, verschiedentlich einen Abzug von 20 oder sogar 25 % von dem gestützt auf die LSE ermittelten Invalideneinkommen als angemessen bezeichnet (SVR 2019 UV Nr. 7 S. 27, 8C_58/2018 E. 5.3; Urteil 9C_124/2019 vom 28. Mai 2019 E. E. 3.2). Das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Einkommen ist jedoch bezogen auf einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu ermitteln, der durch ein gewisses Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften gekennzeichnet ist und einen Fächer verschiedenster Tätigkeiten aufweist (Art. 16 ATSG; BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.). Der LSE-Tabellenlohn im Kompetenzniveau 1 umfasst eine Vielzahl von leichten Tätigkeiten, die den angeführten Einschränkungen der Beschwerdegegnerin (vgl. E. 4.2.1 hiervor) Rechnung tragen. Angesichts des ärztlich umschriebenen Zumutbarkeitsprofils ist von einem genügend breiten Spektrum an zumutbaren Verweisungstätigkeiten auszugehen, die keine besondere Beanspruchung der rechten Hand hinsichtlich Kraft, Feinmotorik und Sensibilität erfordern. Aufgrund der vorliegenden Einschränkungen der Versicherten ist somit nicht von einer faktischen Einhändigkeit auszugehen, die einen Abzug rechtfertigen würde. Zumutbar sind ihr beispielsweise Überwachungs-, Prüf- und Kontrolltätigkeiten sowie die Bedienung und Überwachung von (halb-) automatischen Maschinen oder Produktionseinheiten, die keinen Einsatz des rechten Arms und der rechten Hand voraussetzen (vgl. statt vieler Urteil 8C_730/2018 vom 1. April 2019 E. 5.2.2). Folglich könnten vorliegend unter dem Titel leidensbedingter Abzug grundsätzlich nur Umstände berücksichtigt werden, die auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt als ausserordentlich zu bezeichnen sind (Urteil 8C_82/2019 vom 19. September 2019 E. 6.3.2). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Im Übrigen kann die Beschwerdegegnerin - wie die IV-Stelle zu Recht einwendet - aufgrund der Akten immerhin auch leichte Reinigungsarbeiten bewältigen, wenn auch in einem reduzierten Pensum.
5. Die Versicherte bringt vor, ihre ausländische Herkunft und das Fehlen eines schweizerischen Schul- und Berufsabschlusses wirkten sich ebenfalls (leicht) lohnmindernd aus. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Der mangelnde schweizerische Schul- und Berufsabschluss ist bereits durch die Verwendung der Tabellenlöhne des Kompetenzniveaus 1 abgegolten. Schliesslich steht auch die ausländische Herkunft der Versicherten (Polen) der Aufnahme einer Tätigkeit in diesem Kompetenzniveau nicht entgegen. Auch in dieser Hinsicht rechtfertigt sich mithin kein Abzug vom LSE-Tabellenlohn.
6. Ohne einen Abzug resultiert ein Invalideneinkommen von Fr. 27'291.- bzw. verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 62'413.- (vgl. E. 3.2 hiervor) ein Invaliditätsgrad von gerundet 56 % (zur Rundung siehe BGE 130 V 121). Damit hat die Versicherte ab 1. Juli 2017 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist.
7. Die unterliegende Beschwerdegegnerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Mai 2019 wird, soweit er die Zusprache einer Dreiviertelsrente ab 1. Juli 2017 betrifft, aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin ab 1. Juli 2017 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der AXA Stiftung Berufliche Vorsorge und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. Dezember 2019
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Jancar