BGer 9C_553/2019
 
BGer 9C_553/2019 vom 23.10.2019
 
9C_553/2019
 
Urteil vom 23. Oktober 2019
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Williner.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Serge Karrer,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 26. Juni 2019 (5V 17 583).
 
Sachverhalt:
A. Der 1975 geborene A.________ bezieht seit August 2004 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad 100 %; Verfügung vom 31. August 2005) sowie seit Januar 2009 eine Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit (Verfügung vom 5. Januar 2011). Der Rentenanspruch wurde im Rahmen zweier Revisionsverfahren (2007 und 2011) überprüft und bestätigt. Anlässlich einer weiteren Revision im Jahre 2014 veranlasste die IV-Stelle des Kantons Luzern eine Begutachtung bei der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Zentralschweiz (Expertise vom 21. April 2015). Wegen Verdachts auf unrechtmässigen Leistungsbezug liess sie den Versicherten zudem observieren (Ermittlungsbericht vom 25. November 2015). Gestützt auf den dazu bei der MEDAS eingeholten Bericht vom 8. Februar 2016 sowie die regionalärztlichen Stellungnahmen vom 2. Dezember 2015 und vom 15. Februar 2016 hob die IV-Stelle die Invalidenrente und die Hilflosenentschädigung rückwirkend ab August 2004 bzw. ab Januar 2009 auf (Verfügungen vom 22. Juni 2016). Gleichzeitig verpflichtete sie A.________ zur Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen, welche sie mit zwei separaten Verfügungen vom 5. September 2016 bezifferte. Das Kantonsgericht Luzern vereinigte die hiegegen erhobenen Beschwerden vom 24. August und vom 3. Oktober 2016, hiess diese betreffend die Aufhebung der Invalidenrente und der Hilflosenentschädigung gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese nach weiteren Abklärungen gemäss Erwägungen neu verfüge; auf die Beschwerden betreffend die Höhe der Rückforderungsbeträge trat es nicht ein (Entscheid vom 22. Februar 2017). Die von der IV-Stelle dagegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht teilweise gut und wies die Sache an das Kantonsgericht zurück, damit dieses über die Beschwerde unter Einbezug aller Akten (insbesondere auch betreffend die Observation) neu entscheide (Urteil 9C_261/2017 vom 14. November 2017).
B. Mit Entscheid vom 26. Juni 2019 hiess das Kantonsgericht Luzern die Beschwerden vom 24. August 2016 gut, hob die Verfügungen vom 22. Juni 2016 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese nach weiteren Abklärungen gemäss den Erwägungen neu verfüge. Auf die Beschwerden vom 3. Oktober 2016 trat es nicht ein.
C. Die IV-Stelle Luzern führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Richtigkeit der angefochtenen Verfügungen vom 22. Juni 2016 in dem Sinne zu bestätigen, als dass die Aufhebung der Invalidenrente sowie der Hilflosenentschädigung per 1. Januar 2015 zu bestätigen sei.
 
Erwägungen:
1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44 mit Hinweisen).
2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Endentscheide, das heisst gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), und gegen Teilentscheide, die nur einen Teil der gestellten Begehren behandeln, wenn diese unabhängig von den anderen beurteilt werden können, oder die das Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen und Streitgenossinnen abschliessen (Art. 91 BGG). Gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist hingegen die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache wie im vorliegenden Fall zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, gelten grundsätzlich als Zwischenentscheide, weil sie das Verfahren nicht abschliessen; sie können nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden (BGE 140 V 282 E. 2 S. 284; 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.).
3. Die IV-Stelle wird im angefochtenen Entscheid angewiesen (zur Teilhabe der Erwägungen an der formellen Rechtskraft des Dispositivs vgl. BGE 113 V 159), eine Expertise zu veranlassen, welche sich zum somatischen wie auch zum psychischen Gesundheitszustand und dessen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit äussert; ebenso zum allfälligen Abhängigkeitssyndrom und zu dessen Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit im Lichte der geltenden (zwischenzeitlich mit BGE 145 V 215 angepassten) Rechtsprechung. Weiter soll die IV-Stelle - sollte laut Expertise eine vorangehende Entzugsbehandlung oder Abstinenz unabdingbar sein - die Modalitäten einer solchen umschreiben. Hernach soll sie, eventuell nach weiteren Abklärungen, über die Frage der Revision der Invalidenrente sowie der Hilflosenentschädigung erneut verfügen und den Zeitpunkt der allfälligen Anspruchsaufhebung respektive -herabsetzung (auch mit Blick auf eine mögliche Meldepflichtverletzung) festlegen.
 
4.
4.1. Mit Blick auf das in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG festgehaltene Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gilt es folgende Konstellationen zu unterscheiden: Dient die Rückweisung einzig noch der Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten und verbleibt dem Versicherungsträger somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht um einen Zwischenentscheid, gegen den ein Rechtsmittel letztinstanzlich bloss unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig ist, sondern um einen sowohl von der betroffenen versicherten Person wie auch von der Verwaltung anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Enthält der Rückweisungsentscheid demgegenüber Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum der Verwaltung zwar nicht gänzlich, aber doch wesentlich einschränken, stellt er einen Zwischenentscheid dar. Dieser bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die rechtsuchende Person ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich für den Versicherungsträger, da er durch den Entscheid gezwungen wird, eine seines Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Während er sich ausserstande sähe, seinen eigenen Rechtsakt anzufechten, wird die versicherte Person im Regelfall kein Interesse haben, einem zu ihren Gunsten lautenden Endentscheid zu opponieren. Der kantonale Rückweisungsentscheid könnte mithin nicht mehr korrigiert werden. Der irreversible Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG wird in diesen Fällen deshalb regelmässig bejaht. Das gilt aber nur, soweit der Rückweisungsentscheid materiellrechtliche Vorgaben enthält, welche die untere Instanz bei ihrem neuen Entscheid befolgen muss. Erschöpft sich der Rückweisungsentscheid darin, dass eine Frage ungenügend abgeklärt und deshalb näher zu prüfen ist, ohne dass damit materiellrechtliche Anordnungen verbunden sind, so entsteht der Behörde, an die zurückgewiesen wird, kein nicht wieder gutzumachender Nachteil (selbst bei offensichtlich unnötigen Abklärungen; vgl. Urteil 9C_383/2018 vom 9. Oktober 2018 E. 3.1 mit Hinweis). Die Rückweisung führt lediglich zu einer das Kriterium nicht erfüllenden Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens (BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 285 mit Hinweisen).
Der angefochtene Entscheid schränkt, indem er die Angelegenheit zur ergänzenden medizinischen Abklärung und zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückweist, deren Entscheidungsspielraum nicht in einem Masse ein, dass nur noch eine Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten in Frage käme. Auch enthält er keine verbindlichen Anweisungen, in welcher Weise der Fall materiellrechtlich zu behandeln ist. Insbesondere sind keine solchen im blossen Umstand zu erblicken, dass die Verwaltung laut angefochtenem Entscheid gegebenenfalls (d.h. wenn die Gutachter dies für unabdingbar hielten) eine Entzugsbehandlung oder eine Abstinenz durchzusetzen hätte.
4.2. Inwiefern die (kumulativen) Eintretensvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ausnahmsweise (vgl. Urteil 9C_34/2009 vom 24. Februar 2010 E. 3.3) erfüllt sein sollen, ist weder ersichtlich noch rechtsgenüglich dargelegt. Die IV-Stelle weist diesbezüglich lediglich darauf hin, die Gutheissung der Beschwerde würde sofort einen Endentscheid herbeiführen. Gleichzeitig räumt sie ein, dass weitere medizinische Abklärungen in der Regel keinen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG darstellen. Entgegen der Beschwerde hat sich die Vorinstanz auch nicht dahingehend geäussert, dass "womöglich mit mehrjährigen Entzugsbehandlungen" zu rechnen sei. Gemäss angefochtenem Entscheid ist es - wie üblich - vielmehr Sache der Gutachter, über die Notwendigkeit entsprechender Behandlungen zu befinden. Davon, dass der Aufwand an Zeit und Kosten für die vom kantonalen Gericht auferlegten Abklärungen weit über das Übliche hinausgehe, kann somit keine Rede sein.
5. Da nach dem Gesagten die Sachurteilsvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 BGG nicht gegeben sind, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Oktober 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Williner