BGer 2C_810/2018
 
BGer 2C_810/2018 vom 21.08.2019
 
2C_810/2018
 
Urteil vom 21. August 2019
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiber A. Brunner.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________, c/o B.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Caterina Nägeli,
gegen
Migrationsamt des Kantons Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich,
Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 23. Juli 2018 (VB.2018.00352).
 
Sachverhalt:
 
A.
Die kosovarische Staatsangehörige A.________ (geb. 1976) reiste im Jahr 1991 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und erhielt in der Folge die Niederlassungsbewilligung. Im Jahr 1994 heiratete sie ihren Landsmann C.________. Die Ehe wurde im Jahr 2001 geschieden. Bereits im Jahr 1996 hatte A.________ in ihrem Heimatland ihren in der Schweiz niederlassungsberechtigten Landsmann B.________ nach Brauch geheiratet. Dieser ist der leibliche Vater des am 28. Februar 1998 geborenen Sohns und der am 14. August 2001 geborenen Tochter (mit Schweizer Bürgerrecht) von A.________.
 
B.
Am 21. Mai 2004 gab A.________ im Kosovo sieben Schüsse auf C.________ ab, was zu dessen Tod führte. Mit Urteil des kosovarischen Obergerichts vom 8. Dezember 2005 wurde sie wegen vorsätzlicher Tötung sowie unerlaubten Erwerbs, Besitzes, unerlaubter Aufbewahrung und unerlaubten Gebrauchs von Waffen mit zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft.
 
C.
Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug im März 2012 reiste A.________ Ende März 2014 in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Das Gesuch wurde mit Verfügung vom 9. Mai 2014 abgewiesen.
Am 30. Juni 2014 ersuchte A.________ das Migrationsamt des Kantons Zürich (nachfolgend: Migrationsamt) um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, eventualiter um die Wiedererteilung der Niederlassungsbewilligung. Das Migrationsamt wies das Gesuch mit Verfügung vom 5. Juni 2015 ab und setzte A.________ Frist zum Verlassen der Schweiz an. Die von A.________ in der Folge ergriffenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. insbesondere das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Oktober 2016 [nachfolgend: Verwaltungsgericht] sowie letztinstanzlich das bundesgerichtliche Urteil 2C_80/2017 vom 8. September 2017).
 
D.
Noch bevor das Urteil 2C_80/2017 am 8. September 2017 ergangen war, heiratete A.________ am 16. Juni 2017 B.________. Am 19. Juni 2017 ersuchte sie das Migrationsamt gestützt auf die Heirat erneut um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieses wartete zunächst das Urteil des Bundesgerichts im Verfahren 2C_80/2017 ab und wies das Gesuch dann mit Verfügung vom 12. Februar 2018 ab; gleichzeitig setzte es A.________ zum Verlassen der Schweiz eine Frist bis zum 12. April 2018.
Die von A.________ in der Folge erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 14. Mai 2018; Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2018).
 
E.
E.a. A.________ gelangt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. September 2018 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2018 und die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung; eventualiter sei das Migrationsamt anzuweisen, ihr eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen; subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Die Sicherheitsdirektion, das Verwaltungsgericht und das Staatssekretariat für Migration verzichten auf Vernehmlassung.
E.b. Mit Präsidialverfügung vom 19. September 2018 hat das Bundesgericht der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Angefochten ist der letztinstanzliche, verfahrensabschliessende Entscheid eines kantonalen Gerichts auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, welcher grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG, Art. 90 BGG, Art. 82 lit. a BGG).
1.2. Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde auf dem Gebiet des Ausländerrechts unzulässig gegen Entscheide betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe das Recht, ihr Familienleben in der Schweiz leben zu können. Sie stützt diesen Anspruch auf Art. 43 Abs. 1 AIG (SR 142.20) sowie Art. 8 EMRK.
Für das Eintreten genügt, dass ein potentieller Anspruch auf den Familiennachzug in vertretbarer Weise dargetan wird. Dies ist hier der Fall. Ob die Bewilligungsvoraussetzungen gegeben sind, ist Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179).
1.3. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen (Art. 89 Abs. 1 BGG, Art. 100 Abs. 1 BGG, Art. 42 BGG) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
 
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Seinem Urteil legt das Bundesgericht den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zu Grunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Feststellung des Sachverhalts, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62).
 
3.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 1 AIG, Art. 30 Abs. 1 lit. k in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG, Art. 8 EMRK, Art. 9 BV, Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 29 Abs. 2 BV verletzt. Die Vorinstanz habe die Abweisung ihrer Beschwerde zu Unrecht (allein) damit begründet, mit der Eheschliessung sei keine wesentliche neue Tatsache namhaft gemacht worden.
3.1. Gestützt auf Art. 29 BV ist eine Verwaltungsbehörde verpflichtet, auf ein neues Gesuch einzutreten, wenn die Umstände (der Sachverhalt oder die Rechtslage) sich seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben (BGE 136 II 177 E. 2.1 S.181). Die Wiedererwägung von Verwaltungsentscheiden, die in Rechtskraft erwachsen sind, ist nicht beliebig zulässig. Sie darf namentlich nicht bloss dazu dienen, rechtskräftige Verwaltungsentscheide immer wieder infrage zu stellen oder die Fristen für die Ergreifung von Rechtsmitteln zu umgehen. Diese Grundsätze gelten auch für die Wiedererwägung eines negativen Entscheids über eine Aufenthaltsbewilligung (BGE 136 II 177 E. 2.1 S. 181; Urteile 2C_1039/2012 vom 16. Februar 2013 E. 3.1, 2C_1007/2011 vom 12. März 2012 E. 4.2, 2C_195/2011 vom 17. Oktober 2011 E. 3.2). Eine wesentliche Veränderung der Umstände liegt nur dann vor, wenn sich der Sachverhalt oder bei Dauersachverhalten auch die Rechtslage in einer Art geändert haben, dass ein anderes Ergebnis ernstlich in Betracht kommt (BGE 136 II 177 E. 2.2.1 S. 181 f.; Urteile 2C_977/2017 vom 6. Juni 2018 E. 3; 2C_335/2009 vom 12. Februar 2010 E. 2.1).
3.2. War der ursprüngliche Entscheid Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens, rechtfertigt sich eine Neubeurteilung wegen wesentlich veränderter Umstände nur, wenn diese Veränderung von den Rechtsmittelinstanzen nicht berücksichtigt werden konnte. Folglich muss sie nach dem Zeitpunkt des Entscheids der letzten Rechtsmittelbehörde eingetreten sein, die noch Tatsachen berücksichtigen konnte, die sich erst nach dem Entscheid ihrer unmittelbaren Vorinstanz zugetragen hatten (sog. echte Noven). Durchlief der Gesuchsteller den gesamten Instanzenzug bis zum Bundesgericht, ist dementsprechend typischerweise auf die Sachverhaltsfeststellungen der unmittelbaren Vorinstanz des Bundesgerichts abzustellen, da das Bundesgericht echte Noven nicht berücksichtigen kann (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 2C_883/2018 vom 21. März 2019 E. 4.5).
3.3. Die Vorinstanz erwog, die Beziehung der Beschwerdeführerin zu B.________ sei in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über das erste Bewilligungsgesuch bereits berücksichtigt worden. Bereits in ihrem Urteil vom 21. Dezember 2016 habe sie offen lassen können, ob zwischen der Beschwerdeführerin und B.________ ein durch Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschütztes Familienleben bestehe, weil die Nichterteilung der Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung selbst unter Annahme eines solchen als rechtmässig anzuschauen gewesen sei; in dem Urteil sei ausdrücklich der Hinweis erfolgt, dass eine Heirat an dieser Gewichtung nichts zu ändern vermöge (vgl. die Verweise der Vorinstanz auf E. 3.3 und 4.4 ihres eigenen Urteils vom 21. Dezember 2016 in E. 2.3 des angefochtenen Urteils). Die inzwischen erfolgte Heirat vermöge der Beschwerdeführerin neu zwar grundsätzlich auch einen Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 43 Abs. 1 AIG zu vermitteln; ihre Interessenlage habe sich im Vergleich zum ersten Verfahren aber nicht verändert. Da die Beziehung zu B.________ schon in diesem ersten Verfahren berücksichtigt worden sei, könne in der Heirat keine wesentliche Änderung des Sachverhalts erblickt werden. Die Beschwerdeführerin beschränke sich denn auch im Wesentlichen darauf, erneut die Fragen aufzuwerfen, die bereits im Rahmen des ersten Verfahrens geprüft worden seien.
3.4. Was die Beschwerdeführerin gegen diese zutreffende Begründung einwendet, überzeugt nicht. Zwar konnte sie die Eheschliessung aus prozessualen Gründen im bundesgerichtlichen Verfahren 2C_80/2017 nicht mehr vorbringen (Art. 99 Abs. 1 BGG), so dass ihr neues Gesuch zumindest insoweit als zulässig erscheint (vgl. E. 3.2 hiervor). Zu beachten ist allerdings, dass nicht nur die Vorinstanz in ihrem Urteil vom 21. Dezember 2016 die Rechtmässigkeit der Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung (auch) unter der Annahme geprüft hat, dass die Beziehung zwischen B.________ und der Beschwerdeführerin in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV fallen könnte (vgl. E. 3.3 hiervor), sondern auch das Bundesgericht: Wie sich aus den Erwägungen des Urteils 2C_80/2017 vom 8. September 2017 ergibt, war bei der Überprüfung der Verhältnismässigkeit des durch die Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung bewirkten Grundrechtseingriffs entscheidend, dass B.________ "weder zum Zeitpunkt der Wiedereinreise der Beschwerdeführerin in die Schweiz noch [im Urteilszeitpunkt] damit rechnen konnte, die Beziehung mit der Beschwerdeführerin gemeinsam in der Schweiz leben zu können" (a.a.O., E. 3.2.3). An dieser Wertung hat sich bis heute nichts geändert, und auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem vormaligen (nach Brauch bereits angeheirateten) Partner B.________ neu (auch) zivilrechtlich die Ehe eingegangen ist, vermag daran nichts zu ändern. Es kann damit nicht die Rede davon sein, dass ein anderes Ergebnis allein aufgrund der Eheschliessung ernstlich in Betracht käme (vgl. zu diesem Massstab E. 3.1 hiervor), selbst wenn die Beschwerdeführerin einen (bedingten) Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung nun nicht mehr "nur" auf Art. 8 EMRK, sondern auch auf Art. 43 Abs. 1 AIG abstützen kann.
Im Gegenteil: Aufgrund der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit der beiden Kinder der Beschwerdeführerin besteht zumindest insoweit keine Beziehung mehr, die in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV fallen würde (BGE 139 II 393 E. 5.1 S. 402; 137 I 154 E. 3.4.2 S. 159). Entsprechend verliert das Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in der Schweiz gegenüber dem öffentlichen Fernhalteinteresse im Vergleich zu dem für die Beurteilung des ersten Gesuchs massgeblichen Zeitpunkt zusätzlich an Gewicht. Was die Abwägung zwischen dem öffentlichen Fernhalteinteresse und dem privaten Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in der Schweiz angeht, kann deshalb vollumfänglich auf das Urteil 2C_80/2017 vom 8. September 2017 verwiesen werden; im Übrigen ist kürzlich ein weiteres Urteil des Bundesgerichts ergangen, das die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts in einer vergleichbaren Konstellation unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 Ziff. 1 EMRK ein weiteres Mal geschützt hat (vgl. Urteil 2C_31/2018 vom 7. Dezember 2018, insbesondere E. 3.3).
Eine Verletzung von Art. 8 EMRK, Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 9 BV oder Art. 29 Abs. 2 BV liegt damit nicht vor. Dass der angefochtene Entscheid Art. 1 AIG oder Art. 30 Abs. 1 lit. k in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG verletzt, ist in keiner Art und Weise substanziiert und auch nicht ersichtlich.
3.5. Mit Blick auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerdeschrift gilt es das Folgende zu ergänzen: Wenn in E. 2.3 des angefochtenen Urteils von D.________ statt von B.________ die Rede ist, ist dies nicht auf eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zurückzuführen, sondern auf ein offensichtliches redaktionelles Versäumnis; eine Auseinandersetzung mit der offensichtlich haltlosen Beanstandung der Beschwerdeführerin erübrigt sich, eine Bundesrechtsverletzung liegt auch insoweit offensichtlich nicht vor.
3.6. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und ist abzuweisen.
 
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Verfahrenskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. August 2019
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Der Gerichtsschreiber: Brunner