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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_233/2019, 6B_313/2019
Urteil vom 15. August 2019
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Pasquini.
Verfahrensbeteiligte
6B_233/2019
X._________,
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Lücke,
Beschwerdeführer,
und
6B_313/2019
Y._________,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, 3013 Bern,
2. A._________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
6B_233/2019
Qualifizierte Entführung usw.,
6B_313/2019
Qualifizierte Entführung usw.; Ausstand,
Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 15. Oktober 2018 (SK 18 51; SK 18 58).
Sachverhalt:
A.
Y._________ und X._________ wird zusammengefasst vorgeworfen, mit einer dauerhaften Verbringung von B._________ (geb. 3. September 2001) und C._________ (geb. 10. November 2006) von U.________ nach Spanien deren Kindswohl erheblich geschädigt zu haben. Indem sie die Kinder ohne Wissen der Behörden und gegen den mutmasslichen Willen des Kindsvaters sowie entgegen den Empfehlungen des Instituts für Forensik und Rechtspsychologie dauerhaft nach Spanien verbracht hätten, dabei den neuen Wohnort absichtlich vor dem Vater sowie den Behörden geheim gehalten und dafür gesorgt hätten, dass zum Vater kein Kontakt habe aufgenommen werden können, hätten sie diese Gefährdung billigend in Kauf genommen. Y._________ wird als Gründerin der D._________ GmbH zudem das Erschleichen einer Falschbeurkundung und unwahre Angaben über ein kaufmännisches Gewerbe vorgeworfen.
B.
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau sprach Y._________ und X._________ mit Urteil vom 21. Juni 2017 der mehrfachen qualifizierten Entführung schuldig. Weiter erklärte es Y._________ der Erschleichung einer falschen Beurkundung und der unwahren Angaben über ein kaufmännisches Gewerbe schuldig. Es bestrafte sie mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten sowie einer bedingten Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu Fr. 60.-- und X._________ mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten. Es verpflichtete die beiden zur Bezahlung von Schadenersatz im Betrag von Fr. 7'930.-- an A._________, unter solidarischer Haftbarkeit. Soweit weitergehend, verwies es dessen Zivilklage auf den Zivilweg.
C.
Y._________ und X._________ meldeten gegen das Urteil des Regionalgerichts Berufung an. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 15. Oktober 2018 die Schuldsprüche und den Zivilpunkt. Es verurteilte Y._________ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten, einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 60.-- sowie zu einer Busse von Fr. 1'200.-- und X._________ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten.
D.
Y._________ (Verfahren 6B_313/2019) und X._________ (Verfahren 6B_233/2019) führen Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen im Wesentlichen, das Urteil vom 15. Oktober 2018 sei aufzuheben. Das Strafverfahren sei wegen Verstösse gegen Art. 6 EMRK einzustellen. Die Zivilforderung sei auf den Zivilweg zu verweisen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Y._________ und X._________ lehnen die Spruchkörperbesetzung des Bundesgerichts wegen eines Verstosses gegen Art. 6 EMRK vollständig ab. Y._________ ersucht um unentgeltliche Prozessführung. X._________ ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
Die beiden Beschwerden lauten hauptsächlich gleich und richten sich gegen dasselbe Urteil. Es rechtfertigt sich, die Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Entscheid zu erledigen (BGE 133 IV 215 E. 1 S. 217; 131 V 59 E. 1 S. 60 f.; je mit Hinweisen).
2.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 6 EMRK in seiner Ausprägung als Anspruch auf ein "unabhängiges und unparteiliches Gericht". Sie machen unter Hinweis auf die Amtsdauer der Bundesrichter von sechs Jahren sowie auf Versuche politischer Einflussnahme über die Androhung der Nichtwiederwahl und auf die Mandatssteuer generell eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Bundesrichter geltend. Zu dieser Kritik, die der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers regelmässig in seinen Beschwerden vorträgt, hat sich das Bundesgericht bereits mehrfach in abschlägigem Sinn geäussert. Auf die diesbezüglich ergangene Rechtsprechung kann verwiesen werden (vgl. unter anderem Urteile 6B_1124/2018 vom 18. März 2019 E. 2.1.1; 1B_45/2019 vom 20. Februar 2019 E. 3.2; 6B_982/2018 vom 6. Februar 2019 E. 2.2; 1B_491/2018 vom 11. Januar 2019 E. 3.4; 1B_275/2018 vom 28. Juni 2018 E. 3.4). Dass die Richter der strafrechtlichen Abteilung in Bezug auf den vorliegenden Fall befangen wären, machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Schliesslich hat das Bundesgericht bereits im Urteil 6B_1124/2018 vom 18. März 2019 erwogen, aus dem Umstand, dass der EGMR von einer sechsjährigen Amtsdauer mit Wiederwahlmöglichkeit zu einer einmaligen Amtsdauer von neun Jahren übergegangen sei, könne nicht gefolgert werden, eine Amtsdauer von sechs Jahren sei zu kurz und mit Art. 6 EMRK unvereinbar (E. 2.1.1). Inwiefern in diesem Zusammenhang Art. 13 EMRK (das Recht auf wirksame Beschwerde) tangiert sein soll, erörtern die Beschwerdeführer nicht.
3.
Die Beschwerdeführer monieren, die Besetzung des vorinstanzlichen Spruchkörpers stelle einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK dar.
Dieser Einwand ist unbegründet. Wie das Bundesgericht im Urteil 6B_982/2018 vom 6. Februar 2019 - wobei der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ebenfalls beteiligt war - unter Hinweis auf seine Rechtsprechung erwogen hat, ist die Spruchkörperbildung des Kantons Bern mit den verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Die Kriterien ergäben sich in hinreichender Klarheit aus Art. 44 Abs. 1 GSOG und der dazugehörigen Praxis. Die von den Beschwerdeführern vorgetragene Kritik gibt keinen Anlass, darauf zurückzukommen. Der Umstand, dass das Bundesgericht in anderen Entscheiden zum Schluss gelangt ist, die sich auf Art. 44 Abs. 1 und 2 des bernischen Gesetzes vom 11. Juni 2009 über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG; BSG 161.1) stützende Spruchkörperbildung erscheine äusserst problematisch (vgl. Urteile 6B_63/2018 und 6B_1458/2017 vom 21. Juni 2018 je E. 3.2.3), führen zu keinem anderen Ergebnis. Das Organisationsreglement des Obergerichts des Kantons Bern vom 23. Dezember 2010 (OrR OG; BSG 162.11) ist um die am 1. September 2018 in Kraft getretene Bestimmung von Art. 27a, welche die Fallzuteilung neu regelt, ergänzt worden. Ohnehin hat das Bundesgericht die frühere Regelung jedenfalls als Übergangslösung akzeptiert und gegen die Spruchkörperbildung geführten Beschwerden abgewiesen.
Schliesslich kann den Beschwerdeführern nicht gefolgt werden, soweit sie einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK darin erblicken, dass die Vorinstanz ihren Spruchkörper nicht gemäss Art. 27a OrR OG zusammengesetzt hat, obwohl diese Regelung im Zeitpunkt der Ausfällung des vorinstanzlichen Urteils bereits in Kraft war. Gemäss ihrem Wortlaut regelt diese Bestimmung die Fallzuteilung und Bildung der jeweiligen Spruchkörper für eingehende Fälle. Die Beschwerdeführer behaupten zu Recht nicht, ihr Fall sei nach dem 1. September 2018 bei der Vorinstanz eingegangen. Ausserdem führt die Vorinstanz in diesem Zusammenhang aus, die neue Bestimmung kodifiziere im Wesentlichen die schon bisher geltende Praxis, weshalb sich eingehende Ausführungen zum geltenden Übergangsrecht erübrigen würden (Urteil S. 11 E. 6.3), was die Beschwerdeführer nicht beanstanden.
4.
4.1. Die Beschwerdeführer führen aus, es sei zwar vertretbar, wenn zum Schutz der kindlichen Zeugen keine direkte Konfrontation erfolgt sei. Es stelle aber ein Verstoss gegen Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK in seiner Ausprägung als Anspruch auf Konfrontation von Belastungszeugen dar, wenn das Gericht die Videoeinvernahmen der beiden Kinder nicht in Gegenwart der Beschuldigten sichte. Der Beschwerdeführer wendet zudem ein, alle Beweise sollten in einer öffentlichen Verhandlung im Sinne eines streitigen Verfahrens und in Anwesenheit des Beschuldigten erhoben werden.
4.2. Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Eine belastende Aussage ist danach grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, die Aussage in Zweifel zu ziehen und der einvernommenen Person Ergänzungsfragen zu stellen (BGE 140 IV 172 E. 1.3 S. 176; 133 I 33 E. 3.1 S. 41; je mit Hinweisen). Im Regelfall ist das Fragerecht dem Beschuldigten und seinem Verteidiger gemeinsam einzuräumen (Urteile 6B_886/2017 vom 26. März 2018 E. 2.3.2; 6B_542/2016 vom 5. Mai 2017 E. 2.3; 6B_208/2015 vom 24. August 2015 E. 8.3; 6B_324/2011 vom 26. Oktober 2011 E. 1.2; 6B_45/2008 vom 2. Juni 2008 E. 2.4; je mit Hinweisen). Auf das Konfrontationsrecht kann verzichtet werden (BGE 121 I 306 E. 1b S. 309; Urteile 6B_1074/2018 vom 24. Januar 2019 E. 1.1; 6B_956/2016 vom 19. Juli 2017 E. 2.3.1; je mit Hinweisen).
4.3. Die Rügen der Verletzung des Konfrontationsanspruchs erweisen sich als unbegründet, soweit sie überhaupt den qualifizierten Begründungsanforderungen genügen. Die Verletzung von Grundrechten lässt sich nicht einfach mit dem Hinweis auf diverse Urteile des EGMR begründen. Vielmehr müssten die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde selbst darlegen, inwiefern die von ihnen angeführten Bestimmungen verletzt sein sollen (vgl. BGE 140 III 115 E. 2 S. 116; 138 IV 47 E. 2.8.1 S. 54; Urteil 6B_373/2018 vom 7. September 2018 E. 2; je mit Hinweisen). Auf die blosse Anrufung einer EMRK-Bestimmung ohne substanziierte Begründung tritt das Bundesgericht nicht ein (vgl. Urteile 6B_272/2018 vom 15. Mai 2018 E. 3.4; 6B_493/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 1.5). Ebenfalls nicht behandelt werden können die Vorbringen, soweit sie widersprüchlich sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beschwerdeführer erklären, es sei vertretbar, wenn zum Schutz der kindlichen Zeugen keine direkte Konfrontation erfolgt sei, der Beschwerdeführer aber zugleich einwendet, er hätte die Einvernahme der beiden kindlichen Zeugen gleich mehrmals (auch noch im Vorverfahren) beantragt. Die Vorinstanz erwägt, aus dem Umstand, dass sowohl die amtliche Verteidigerin der Beschwerdeführerin als auch der Verteidiger des Beschwerdeführers an der Befragung der beiden Kinder vor der Staatsanwaltschaft teilgenommen hätten, sei darauf zu schliessen, dass auch die Parteien von der geplanten Einvernahme Kenntnis gehabt hätten und rechtzeitig über deren Durchführung informiert worden seien. Etwas anderes würden denn auch weder die Beschwerdeführer noch deren Rechtsvertreter vorbringen. Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, dass den Beschwerdeführern angemessene und hinreichende Gelegenheit eingeräumt worden sei, den Einvernahmen von B._________ und C._________ beizuwohnen und das potentiell belastende Zeugnis zumindest einmal in Zweifel zu ziehen. Dass der Beschwerdeführer in der Folge auf eine persönliche Teilnahme verzichtet bzw. sein Teilnahme- und Fragerecht über seinen amtlichen Verteidiger ausgeübt habe, sei sein gutes Recht. Er könne nun aber in einer solchen Konstellation aus dem freiwilligen Fernbleiben nicht nachträglich auf eine Verletzung des Konfrontationsrechts schliessen (Urteil S. 21 E. 10.4.1). Damit lässt sich dem angefochtenen Entscheid - entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers - ohne Weiteres entnehmen, dass er rechtzeitig über die Durchführung der Einvernahme der beiden Kinder informiert wurde. Weiter ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer freigestanden wäre, die Videos vor der Berufungsverhandlung anzusehen und sich anschliessend im Rahmen seiner Befragung vor der Vorinstanz dazu zu äussern. Es ist nicht ersichtlich, welcher Erkenntnisgewinn sich aus dem Umstand ergeben könnte, dass das Video im Rahmen der vorinstanzlichen Verhandlung abgespielt wird, zumal eine vorgängige Visionierung durch die Vorinstanz zu ihrer Verhandlungsvorbereitung gehört (Urteil S. 21 f. E. 10.4.1). Der Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, vermittelt nicht einen Anspruch auf Sichtung des Videos in Anwesenheit desjenigen Richters, der den Fall letztlich entscheidet. Die Beschwerdeführer rügen nicht, das Prinzip der Unmittelbarkeit sei verletzt.
5.
Zusammenfassend ist kein Verstoss gegen die EMRK, insbesondere gegen Art. 6 EMRK, dargetan. Abgesehen davon würden die von den Beschwerdeführern vorgetragenen Rügen nicht zur Einstellung des Verfahrens führen, wie sie es beantragen. Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, dass Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden könnten oder Prozesshindernisse aufgetreten seien (siehe Art. 319 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 329 Abs. 4 und Art. 379 StPO). Vor diesem Hintergrund ist auch unerfindlich, was der Beschwerdeführer unter Anrufung von Art. 17 EMRK (Verbot des Missbrauchs der Konventionsrechte durch einen Staat, eine Gruppe oder eine Person) aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Sachen Navalnyy gegen Russland vom 15. November 2018, Nr. 29580/12, für sich ableiten will. Er zeigt weder ein System von Verstössen auf, noch einen exzessiven Machtgebrauch oder -missbrauch bzw. die Absicht von Justiz oder Gesetzgeber, jegliche Form von Ausdruck seiner persönlichen Freiheiten (Rede, Versammlung etc.) zu limitieren. Ein mit dem erwähnten Urteil des EGMR vergleichbarer Fall liegt hier offensichtlich nicht vor.
6.
Auf den Antrag betreffend Zivilforderung ist mangels Begründung nicht einzutreten.
7.
Die Beschwerden sind abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihre Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege bzw. unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sind infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Ihrer finanziellen Lage ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verfahren 6B_233/2019 und 6B_313/2019 werden vereinigt.
2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege bzw. unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung werden abgewiesen.
4.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'400.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. August 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini