Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
9C_107/2019
Urteil vom 7. August 2019
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Huber.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. Januar 2019 (IV.2017.01350).
Sachverhalt:
A.
Die 1970 geborene A.________ meldete sich am 30. Oktober 1997 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 21. April 1999 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich eine ganze Rente ab 1. September 1997 zu (Invaliditätsgrad: 100 %). Diesen Anspruch bestätigte die Verwaltung mit Mitteilungen vom 4. Februar 2002 und 2. März 2005. Am 10. September 2009 verfügte die IV-Stelle, dass der Rentenanspruch weiterhin unverändert bleibe (Invaliditätsgrad: 75 %).
Im Rahmen eines von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens holte die Verwaltung eine Expertise des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB), Basel, vom 18. Juli 2014 ein und hob die bisher ausgerichtete ganze Rente nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 9. November 2017 auf.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. Januar 2019 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Weiterausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig ist, ob die von der Vorinstanz geschützte Rentenaufhebung vor Bundesrecht standhält.
Das kantonale Gericht legte die massgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend dar. Es betrifft dies namentlich die Bestimmungen und Grundsätze zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG) und zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG), zur Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.; 134 V 131 E. 3 S. 132 f.; 117 V 198 E. 4b S. 200) und zum Beweiswert sowie zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). Darauf wird verwiesen.
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin bemängelt, die Vorinstanz habe sich nicht mit der Problematik der Altersdiskriminierung befasst. Es fehle an einer Auseinandersetzung mit den natürlichen degenerativen Veränderungen sowie an einer Erklärung, inwiefern diese für eine Revision genügend relevant sein sollen. Das kantonale Gericht habe nur Arztberichte und Gutachten zitiert und in einem Satz die Verschlechterung begründet, ohne sich jedoch dazu zu äussern, weshalb eine Revision zulässig sein soll. Damit liege eine Verletzung der Begründungspflicht (als Teilgehalt des Gehörsanspruchs gemäss Art. 29 Abs. 2 BV) vor.
3.2. Die Vorinstanz gab im angefochtenen Entscheid zu erkennen, dass sie in Anlehnung an das Gutachten des ZMB vom 18. Juli 2014 von einer Gesundheitsverschlechterung ausging und darin einen Revisionsgrund erblickte. Es fehlen Anhaltspunkte dafür und wird nicht geltend gemacht, dass die Beschwerdeführerin den vorinstanzlichen Entscheid nicht sachgerecht hätte anfechten können (vgl. BGE 142 III 433 E. 4.3.2 S. 436 mit Hinweisen). Eine Gehörsverletzung liegt damit nicht vor.
4.
4.1. Das kantonale Gericht stellte verbindlich (E. 1) fest, massgeblicher zeitlicher Referenzpunkt bilde die Verfügung vom 10. September 2009. Die IV-Stelle kam damals in Anlehnung an das Gutachten des Medizinischen Zentrums Römerhof (MZR) vom 8. März 2009 sowie an die psychiatrische Standortbestimmung durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) vom 3. September 2009 zum Schluss, dass die Versicherte aufgrund der psychischen Einschränkungen lediglich noch über eine Restarbeitsfähigkeit von 25 % verfüge und weiterhin Anspruch auf eine ganze Rente habe. Orthopädisch-rheumatologisch konnten die Gutachter des MZR keinen Gesundheitsschaden mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit feststellen.
4.2. Die Vorinstanz erblickte einen Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG darin, dass gemäss dem beweiskräftigen Gutachten des ZMB vom 18. Juli 2014 die Versicherte nun aus somatischer Sicht in mittelschweren und schweren Tätigkeiten nicht mehr arbeitsfähig sei. Angepasste leichte Arbeiten (Wechselhaltung, kein wiederholtes Treppenbegehen und kein Zurücklegen weiter Strecken) könne sie noch bei einer Leistungsfähigkeit von 70 % ausüben. Somatisch liege somit seit der Verfügung vom 10. September 2009 ein verschlechterter Gesundheitszustand vor. Ein Revisionsgrund sei damit ausgewiesen und der Rentenanspruch umfassend neu zu prüfen.
5.
5.1. Die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die rheumatologische Gesundheitsverschlechterung sind nicht offensichtlich unrichtig und werden von der Versicherten auch nicht (substanziiert) in Abrede gestellt (E. 1). Sie macht jedoch geltend, dass der rheumatologische Gesundheitsschaden nie für die Zusprache der Rente relevant gewesen sei und auch weiterhin kein Ausmass annehme, das rentenrelevant wäre. Die Veränderung sei folglich nicht beachtlich. Zu prüfen ist daher die Rechtsfrage, ob mit dem verschlechterten rheumatologischen Gesundheitszustand ein Revisionsgrund im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG vorliegt.
5.2.
5.2.1. Voraussetzung für eine Rentenrevision bildet die Änderung des Invaliditätsgrades einer rentenbeziehenden Person in einer für den Anspruch erheblichen Weise (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Für eine Rentenanpassung genügt daher nicht bereits irgendeine Veränderung im Sachverhalt. Eine hinzugetretene oder weggefallene Diagnose stellt somit nicht per se einen Revisionsgrund dar, da damit das quantitative Element der (erheblichen) Gesundheitsverbesserung oder -verschlechterung nicht zwingend ausgewiesen ist. Eine weitere Diagnosestellung bedeutet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Gesundheitsverschlechterung oder eine weggefallene Diagnose eine verbesserte gesundheitliche Situation, wenn diese veränderten Umstände den Rentenanspruch berühren (BGE 141 V 9 E. 5.2 S. 12 f. mit Hinweisen).
5.2.2. Nach dem Gesagten (E. 5.2.1) kann wohl nicht nur eine (erhebliche) Gesundheitsverbesserung, sondern auch eine gesundheitliche Verschlechterung revisionsrechtlich relevant sein und zu einer allseitigen, umfassenden Neubeurteilung des Rentenanspruchs führen. Die gesundheitliche Situation hat sich aber nur dann in anspruchsrelevanter Weise verbessert oder verschlechtert, wenn die veränderten Umstände den Rentenanspruch berühren. An einem Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG mangelt es daher beispielsweise, wenn die Sachverhaltsänderung lediglich in einer Reduktion oder Erhöhung des erwerblichen Arbeitspensums liegt und dieser Umstand für sich allein nicht anspruchsrelevant ist (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 und E. 5.2 S. 12 f. mit Hinweisen).
5.2.3. Die Vorinstanz kam, wie bereits erwähnt (E. 4.2), für das Bundesgericht verbindlich zum Schluss, seit Erlass der Verfügung vom 10. September 2009 habe sich der Gesundheitszustand somatisch verschlechtert. Soweit sie darin einen Revisionsgrund erblickt, ist dies nicht stichhaltig. Denn mit Verfügung vom 10. September 2009 bestätigte die Beschwerdegegnerin, dass die Versicherte Anspruch auf eine ganze Rente habe. Eine festgestellte Gesundheitsverschlechterung vermag in dieser Konstellation (Invaliditätsgrad von 75 %) keine Veränderung des Rentenanspruchs zu bewirken (Art. 28 Abs. 2 IVG). Es besteht mithin kein Raum für eine Rentenaufhebung gestützt auf Art. 17 ATSG. Eine andere anspruchsrelevante Veränderung des Sachverhalts im massgeblichen Vergleichszeitraum ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Damit bleibt es bei der bisherigen Rente. Die Beschwerde ist begründet.
5.3. Der vorinstanzliche Entscheid sowie die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 9. November 2017 sind aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang erübrigen sich Ausführungen zu den weiteren formellen und materiellen Rügen.
6.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ferner hat sie der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. Januar 2019 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 9. November 2017 werden aufgehoben.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2019
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Meyer
Die Gerichtsschreiberin: Huber