Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
1B_25/2019
Urteil vom 7. Juni 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Muschietti,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer, handelnd durch B.________,
diese vertreten durch Rechtsanwalt Alexander R. Lecki,
gegen
Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland,
Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,
Nordring 8, Postfach 6250, 3001 Bern.
Gegenstand
Strafverfahren;
Ablehnung der Ausdehnung des Strafverfahrens,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen,
vom 30. November 2018 (BK 18 439).
Sachverhalt:
A.
Am 15. April 2011 stürzte A.________ auf einer Baustelle, wo er als Maurer arbeitete, durch ein Treppenloch in die Tiefe und zog sich schwere Schädel- und Hirnverletzungen mit bleibenden Folgen zu.
Am 19. April 2011 eröffnete die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) eine Strafuntersuchung gegen unbekannte Täterschaft wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Am 20. August 2014 sistierte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung, weil sich eine zu befragende Person mit unbekannter Adresse ins Ausland abgemeldet hatte. Am 30. November 2017 nahm die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung wieder auf.
B.
Am 5. April 2018 beantragte A.________, die Strafuntersuchung auf den Polier und den Bauführer wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung auszudehnen.
Mit Verfügung vom 9. Oktober 2018 wies die Staatsanwaltschaft den Antrag ab.
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) am 30. November 2018 ab. Es kam in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft zum Schluss, ein Vorsatz des Poliers oder des Bauführers falle ausser Betracht.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Angelegenheit zur Ausdehnung des Strafverfahrens gegen den Polier wegen des Verdachts auf vorsätzliche schwere Körperverletzung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
D.
Das Obergericht, die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern haben auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer äussert sich nicht näher zu seiner Beschwerdelegitimation gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG; ebenso wenig dazu, inwiefern der angefochtene Beschluss einen nach Art. 90 ff. BGG anfechtbaren Entscheid darstellen soll. Ob der Beschwerdeführer insoweit seiner Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG genügt und auf die Beschwerde damit eingetreten werden kann, kann dahingestellt bleiben, da sie aus folgenden Erwägungen jedenfalls abzuweisen wäre.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Polier der eventualvorsätzlichen schweren Körperverletzung schuldig gemacht habe. Indem die Vorinstanz das Gegenteil annehme, verletze sie Art. 12 Abs. 2 StGB und Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO.
2.2. Der Beschwerdeführer macht im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr geltend, auch beim Bauführer bestünden Anhaltspunkte für eine eventualvorsätzliche schwere Körperverletzung. Das Bundesgericht hat sich deshalb dazu nicht zu äussern.
2.3. Gemäss Art. 311 Abs. 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft die Untersuchung auf weitere Personen oder weitere Straftaten ausdehnen. Gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO verfügt sie die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind. Diese letztere Bestimmung ist auch anwendbar, wenn die Staatsanwaltschaft die Ausdehnung der Strafuntersuchung ablehnt (SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, S. 522 Fn. 69). Zu prüfen ist hier somit, ob der vom Beschwerdeführer dem Polier zur Last gelegte Tatbestand der vorsätzlichen schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB eindeutig nicht erfüllt ist. Es muss sich insoweit um einen klaren Fall handeln (BGE 137 IV 285 E. 2.3 S. 287 f.).
2.4. Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird gemäss Art. 125 StGB auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Abs. 1). Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt (Abs. 2).
Nach Art. 12 Abs. 3 StGB begeht ein Verbrechen oder Vergehen fahrlässig, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt, wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt, wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht, wird gemäss Art. 122 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
Nach Art. 12 Abs. 2 StGB begeht vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt.
Art. 12 Abs. 2 StGB erfasst den direkten Vorsatz und den Eventualvorsatz. Direkten Vorsatz des Poliers macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Dafür bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte.
Eventualvorsatz liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er auch unerwünscht sein. Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der bewusst fahrlässig Handelnde weiss um die Möglichkeit des Erfolgseintritts. Unterschiede bestehen beim Willensmoment. Der bewusst fahrlässig Handelnde vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten wird. Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich Handelnde den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt der Schluss, der Handelnde habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Eventualvorsatz ist jedoch auch bei gefährlichen Handlungen mit Zurückhaltung anzunehmen (BGE 143 V 285 E. 4.2.2 S. 291 mit Hinweisen).
2.5. Wie sich aus den Aussagen der Befragten ergibt, hat niemand gesehen, wie der Beschwerdeführer in die Tiefe stürzte. Fest steht, dass das Treppenloch am Morgen des 15. April 2011 mit Brettern zugedeckt und somit gesichert war. Damit bestand keine Gefahr für einen Absturz. Der Polier beauftragte ungefähr eine halbe Stunde vor dem Absturz einen seiner Arbeiter, um das Treppenloch eine Abschrankung ("Brustwehr") zu erstellen; dies im Hinblick auf das spätere Entfernen der Bretter, die offenbar dem Subunternehmer gehörten, für welchen der Beschwerdeführer tätig war. Da der Polier sah, dass das Loch zugedeckt war, erlaubte er seinem Arbeiter, vor der Erstellung der Brustwehr eine andere Tätigkeit auszuführen. Jemand muss in der Folge die Bretter über dem Treppenloch entfernt haben, ohne dass zuvor die Brustwehr erstellt worden wäre. Wer die Bretter entfernte, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Ein Kollege des Beschwerdeführers, der wie dieser für denselben Subunternehmer tätig war, gibt an, dass nur der Beschwerdeführer selber die Bretter entfernt haben konnte. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls deutet nichts darauf hin, dass der Polier gesehen hat, dass die Bretter entfernt wurden, und sich dann untätig mit der dadurch geschaffenen Gefahr abgefunden hat. Alle Befragten gaben an, sie hätten erst, als sie bei der Betreuung des Beschwerdeführers nach oben geblickt hätten, gesehen, dass die Bretter entfernt worden seien. Der Bauführer bezeichnete den Polier als sehr verantwortungsbewusst und gewissenhaft, was die Sicherheit betrifft. Dieser stand nach dem Sturz des Beschwerdeführers sodann unstreitig massiv unter Schock. Unter diesen Umständen spricht nichts dafür, dass der Polier den Sturz des Beschwerdeführers als möglich vorausgesehen und in Kauf genommen hat. Eventualvorsatz scheidet damit klar aus. Wenn die Vorinstanz die Ausdehnung des Strafuntersuchung auf den Verdacht der eventualvorsätzlichen schweren Körperverletzung abgelehnt hat, verletzt das daher kein Bundesrecht.
2.6. Der Beschwerdeführer machte im Übrigen selber jahrelang keine eventualvorsätzliche schwere Körperverletzung geltend. Den Antrag auf Ausdehnung der Strafuntersuchung stellte er erst kurz vor Eintritt der Strafverfolgungsverjährung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, bezweckte der Antrag des Beschwerdeführers somit offenkundig einzig, die Einstellung der Strafuntersuchung zu verhindern. Aus den dargelegten Gründen kann dem kein Erfolg beschieden sein. In Fällen wie hier steht die strafrechtliche Haftung wegen Fahrlässigkeit im Vordergrund (vgl. etwa BGE 137 IV 285; 112 IV 4). Für die Strafverfolgung wegen eventualvorsätzlicher Tatbegehung müssten aussergewöhnliche Umstände vorliegen, an denen es hier fehlt.
3.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland sowie der Generalstaatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Juni 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Härri