BGer 8C_119/2019
 
BGer 8C_119/2019 vom 06.06.2019
 
8C_119/2019
 
Urteil vom 6. Juni 2019
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Grunder.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Advokatin Renate Jäggi,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision; Massnahme beruflicher Art),
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts Basel-Landschaft, vom 30. August 2018
(720 18 156 / 236).
 
Sachverhalt:
A. Mit Verfügung vom 19. April 2001 sprach die IV-Stelle Basel-Landschaft dem 1962 geborenen A.________ ab 1. Januar 2000 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu, was sie im weiteren Verlauf revisionsweise mehrfach bestätigte. Im Rahmen eines Ende 2008 von Amtes wegen eingeleiteten Revisonsverfahrens holte die Verwaltung das auf internistischen, neurologischen und psychiatrischen Untersuchungen beruhende Gutachten der asim, Academy of Swiss Insurance Medicine, Spital B.________, vom 24. September 2009 ein. Die medizinischen Sachverständigen kamen zum Schluss, dass der Explorand im zuletzt ausgeübten Beruf als Mitarbeiter einer Geflügelfarm nicht mehr, in einer den gesundheitlichen Beeinträchtigungen besser angepassten Erwerbstätigkeit noch zu 30 % einsatzfähig war. Am 29. Juli 2010 teilte die IV-Stelle dem Versicherten mit, er habe unverändert Anspruch auf eine ganze Invalidenrente.
Im August 2015 leitete die Verwaltung ein neues Revisionsverfahren ein und holte die auf einer bidisziplinären Konsensbesprechung beruhenden Gutachten des Dr. med. C.________, Neurologie FMH, vom 22. April 2016 sowie des Dr. med. D.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. Mai 2016 ein, wonach die Arbeitsfähigkeit aus neurologischer Sicht zu 30 %, aus psychiatrischer Sicht jedoch nicht mehr eingeschränkt gewesen war. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren eröffnete die IV-Stelle dem Versicherten mit Verfügung vom 29. März 2018, die bislang ausgerichtete Invalidenrente werde auf das Ende des der Zustellung folgenden Monats aufgehoben.
B. In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 30. August 2018 die Verfügung der IV-Stelle vom 29. März 2018 auf und wies die Angelegenheit im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Verwaltung zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Rentenaufhebung sei im Zeitpunkt der Verfügung unzulässig gewesen, weil die IV-Stelle zunächst berufliche Eingliederungsmassnahmen hätte durchführen müssen und erst nach deren Abschluss über den Rentenanspruch neu hätte verfügen dürfen.
C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei festzustellen, dass die von ihr verfügte Rentenaufhebung ohne vorgängig durchgeführte berufliche Massnahmen zulässig gewesen sei. Ferner ersucht sie, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2. Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle ohne vorgängige berufliche Eingliederungsmassnahmen die seit 1. Januar 2000 ausgerichtete ganze Invalidenrente aufheben durfte. Das kantonale Gericht hat die dabei zu beachtenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird.
 
3.
3.1. Die Vorinstanz hat erwogen, der Versicherte sei bei Erlass der rentenaufhebenden Verfügung vom 29. März 2018 55 1/2 Jahre alt gewesen und habe seit 18 Jahren eine ganze Invalidenrente bezogen. Damit sei ein langjähriger Rentenbezug im Sinne der Rechtsprechung gegeben. Der Versicherte sei von der IV-Stelle auf den 22. August 2016 im Hinblick auf mögliche Eingliederungsmassnahmen zu einem Gespräch eingeladen worden. Es treffe zwar zu, dass er dabei angegeben habe, er würde gerne arbeiten, habe aber keine Energie und Kraft, an einem regelmässigen Arbeitstraining teilzunehmen. Diese Aussage allein, die der Versicherte anderthalb Jahre vor der rentenaufhebenden Verfügung gemacht habe, reiche jedoch entgegen der Auffassung der IV-Stelle nicht aus, um von erfolglos durchgeführten beruflichen Massnahmen und fehlender subjektiver Eingliederungsfähigkeit sprechen zu können. Einerseits dürfe aus einer allfällig überhöhten Krankheitsüberzeugung nicht ohne Weiteres auf die Aussichtslosigkeit von Eingliederungsmassnahmen geschlossen werden, da solche durchaus geeignet sein könnten, den Eingliederungswillen zu fördern. Anderseits seien nach dem 22. August 2016 von den Gutachtern Dres. med. C.________ und D.________ ergänzende Stellungnahmen zum medizinischen Sachverhalt sowie zur Arbeitsfähigkeit eingeholt worden. Aus diesem Umstand sei zu schliessen, dass die Verwaltung das Untersuchungsverfahren noch nicht habe abschliessen können. Sie hätte zeitnah vor dem Erlass der rentenaufhebenden Verfügung den Versicherten nochmals auffordern müssen, an einem Arbeitstraining teilzunehmen, allenfalls verbunden mit der Androhung, dass sie das Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchführen werde. Die Verwaltung habe keine wesentlichen Anstrengungen unternommen, den Versicherten wieder ins Arbeitsleben einzugliedern. Zu beachten sei dabei, dass sich die medizinischen Experten nicht dahingehend geäussert hätten, der Versicherte sei wegen einer ausgeprägten Krankheits- und Behinderungsüberzeugung beruflich in den Arbeitsmarkt nicht mehr eingliederbar. Auch sonst seien weder objektiv noch subjektiv betrachtet Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen geschlossen werden könne, der Versicherte sei nicht eingliederungsfähig oder -willig. Insgesamt obliege es der IV-Stelle, allfällige Eingliederungsmassnahmen an Hand zu nehmen und anschliessend daran erneut über den Rentenanspruch zu befinden.
3.2. Laut Art. 21 Abs. 4 Satz 1 ATSG können der versicherten Person die Leistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder verweigert werden, wenn sie sich unter anderem einer zumutbaren Eingliederung ins Erwerbsleben, das eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder eine neue Erwerbsmöglichkeit verspricht, widersetzt. Gemäss Satz 2 der angesprochenen Bestimmung muss die versicherte Person vorher schriftlich gemahnt und auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden; ihr ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen (vgl. auch Art. 43 Abs. 3 ATSG). Inwiefern das kantonale Gericht diese gesetzlichen Vorgaben, indem es die Verfügung der IV-Stelle vom 29. März 2018 aufgehoben und die Sache an sie zurückgewiesen hat, verletzt haben soll, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerde der IV-Stelle ist vielmehr zu entnehmen, dass sie sich den vorinstanzlichen Feststellungen zum Sachverhalt nicht widersetzt. Dies geht schon daraus hervor, dass sie sich im Wesentlichen auf Umstände beruft, die im Jahre 2009 wesentlich hätten gewesen sein können. Sie beruft sich auf einzelne Urteile des Bundesgerichts, wonach in vergleichbaren Fällen auf die Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens habe verzichtet werden können. Jedoch ist der angerufenen Rechtsprechung nicht zu entnehmen, dass einzelne Aussagen gegenüber Ärzten oder Verwaltungspersonen der versicherten Person genügen, um auf das gesetzlich vorgeschriebene Mahn- und Bedenkzeitverfahren im Zeitpunkt der massgeblichen Verfügung zu verzichten. Vielmehr hat das Bundesgericht zum Beispiel im Urteil 9C_889/2009 vom 2. Februar 2010 E. 3.3 (publiziert in: SVR 2010 BVG Nr. 34 S. 129) festgehalten, dass unabdingbare Voraussetzung für einen Entscheid in der Sache aufgrund der Akten trotz ungenügend abgeklärtem Sachverhalt ist, dass sich der Leistungsansprecher in Kenntnis der rechtlichen Konsequenzen, nach Durchführung eines schriftlichen Mahn- und Bedenkzeitverfahrens, einer Anordnung widersetzt. Daran fehlt es vorliegend. Indem die IV-Stelle vor dem Zeitpunkt des Erlasses der rentenaufhebenden Verfügung vom 29. März 2018 den Versicherten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen hatte, ihm werde eine Bedenkfrist eingeräumt, um sich den gemäss den medizinischen Unterlagen zumutbaren beruflichen Massnahmen zu unterziehen, verletzte sie Bundesrecht. Unter diesen Umständen ist, ohne dass auf die Beschwerde der IV-Stelle näher einzugehen ist, festzuhalten, dass der Entscheid des kanonalen Gerichts in allen Teilen zu bestätigen ist. Die Beschwerde der IV-Stelle ist daher abzuweisen.
4. Das Gesuch der IV-Stelle, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen, ist abzuweisen.
 
5.
5.1. Die Gerichtskosten werden der unterliegenden IV-Stelle auferlegt (Art. 66 Abs. Satz 1 BGG).
5.2. Die IV-Stelle hat den Beschwerdegegner angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 f. BGG).
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Juni 2019
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Grunder