BGer 6B_370/2019
 
BGer 6B_370/2019 vom 27.05.2019
 
6B_370/2019
 
Urteil vom 27. Mai 2019
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jametti,
nebenamtliche Bundesrichterin Koch,
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Departement Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Justizvollzug, Bahnhofplatz 3c, 5001 Aarau,
2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Bedingte Entlassung aus der stationären Massnahme; Dauer der Probezeit,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 14. Februar 2019 (WBE.2018.412).
 
Sachverhalt:
A. Mit Verfügung vom 31. August 2018 ordnete das Amt für Justizvollzug (AJV) des Kantons Aargau die bedingte Entlassung von X.________ aus der stationären therapeutischen Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen per 11. September 2018 an. Es setzte die Probezeit auf fünf Jahre fest und ordnete Bewährungshilfe an. Weiter erteilte es ihm folgende Weisungen:
Weiterer Aufenthalt in der Wohnung des Vereins für Sozialpsychiatrie (VSP). Ein Wohnungswechsel erfolgt nur nach vorgängiger Zustimmung der Vollzugsbehörde und des VSP.
Aktive Teilnahme an den Wohnbegleitterminen nach Vorgaben des VSP. Die Frequenz der Begleittermine kann nach vorgängiger Rücksprache mit der Vollzugsbehörde abgeändert werden.
Einhalten der Tagesstruktur: Tagesbeschäftigung von 50 % (Montag bis Freitag, 07.00 Uhr bis 11.00 Uhr) im A.________ des VSP in B.________. Ein Wechsel der Arbeitsstelle erfolgt nur nach vorgängiger Zustimmung der Vollzugsbehörde und des VSP.
Weiterführung und aktive Teilnahme an der ambulanten störungs- und deliktspezifischen Therapie in der Forensischen Ambulanz der UPK Basel, jeweils alle zwei Wochen. Die Frequenz der Therapiesitzungen kann nach vorgängiger Rücksprache mit der Vollzugsbehörde angepasst werden.
Ein Aufenthalt ausserhalb der Schweiz ist nicht gestattet. Über Ausnahmefälle entscheidet nach dem Vorliegen eines entsprechenden Gesuchs das Departement für Volkswirtschaft und Inneres, Sektion Vollzugsdienste und Bewährungshilfe.
Totalabstinenz bezüglich Alkohol, illegaler Suchtmittel und nicht ärztlich verordneter Medikamente. X.________ hat sich in regelmässigen Abständen und auf Verdacht hin bei von der Bewährungshilfe bestimmten Stellen Abstinenzkontrollen zu unterziehen.
Aktive Teilnahme an Bewährungshilfegesprächen. Die Gespräche finden alle zwei Wochen statt. Die Vollzugsbehörde entscheidet über eine allfällige Anpassung der Frequenz der Gesprächstermine.
B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 14. Februar 2019 ab.
C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. Februar 2019 sei aufzuheben und die Probezeit sei auf zwei Jahre festzusetzen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das angefochtene Urteil verletze den Anspruch auf persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV. Er akzeptiere die festgelegten Weisungen. Als mildere Massnahme genüge jedoch eine wesentlich kürzere Probezeit von zwei Jahren. Diese Zeit müsse ausreichen, um ihn und seine behauptete Gefährlichkeit unter Kontrolle zu halten.
1.2. Gemäss dem angefochtenen Urteil attestiert Dr. med. C.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, dem Beschwerdeführer mit Gutachten vom 2. Mai 2017 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Anteilen, eine Alkoholabhängigkeit sowie eine Abhängigkeit von multiplen psychotropen Substanzen, wobei der Beschwerdeführer derzeit in beschützender Umgebung abstinent sei. Die Massnahme sei gemäss der Gutachterin zwiespältig verlaufen. Zwar bestehe therapeutisches Entwicklungspotential, die Ergebnisse seien jedoch nur langsam zu erreichen. Es werde ein langsamer, schrittweiser Öffnungsprozess über weitere therapeutische Zwischenschritte empfohlen. Problematisch sei, dass der Beschwerdeführer sein individuelles Rückfallrisiko hinsichtlich Suchtmittelkonsum und Kriminalität tendenziell unterschätze. Die Gutachterin stufe das Risiko erneuter Gewalt- und Sexualstraftaten als moderat bis hoch ein und betrachte das Risiko vor allem für die Zeit nach der endgültigen Entlassung aus dem Massnahmenvollzug kritisch. Die Prognose sei solange gut, als der Beschwerdeführer bezüglich Alkohol und Suchtmittel abstinent bleibe und er sich in gesellschaftlich angepassten, unterstützenden Kreisen bewege. Trotz der Behandlungsfortschritte bestehe gemäss der Gutachterin weiterhin eine langfristig problematische Legalprognose, bei der die Chancen der Bewährung die Risiken eines Rückfalls in die Kriminalität nur knapp überwiegen würden (angefochtenes Urteil S. 7 f.).
Die Vorinstanz schützt die vom AJV angeordnete fünfjährige Probezeit aufgrund der langen Dauer der Massnahme, der zögerlichen Entwicklungsschritte sowie des immer noch vorhandenen erheblichen Gefährdungspotentials des Beschwerdeführers für Gewalt- und Sexualstraftaten (angefochtenes Urteil S. 8). Sie stützt sich dabei auf das Gutachten von Dr. C.________ vom 2. Mai 2017 sowie die gleichlautenden Empfehlungen der konkordatlichen Fachkommission (KoFako) vom 20. Juni 2018. Von fachärztlicher Sicht her sei eine längerfristige Betreuung mit stützenden Eingriffen und einem strukturierten Alltag absolut notwendig. Dies gelte insbesondere für die Überwachung der Suchtmittelabstinenz. Darüber hinaus fehle dem Beschwerdeführer ein soziales Netz, weshalb die vorgegebene Tagesstruktur von grosser Bedeutung sei. Ohne psychiatrische, therapeutische und strukturierende Hilfe sei mit einem Rückfall in frühere Verhaltensmuster zu rechnen. Die Kritik des Beschwerdeführers an der fünfjährigen Probezeit sei daher unbegründet. Ein Verzicht auf diejenigen Weisungen und Auflagen, welche sich im Verlaufe der Probezeit nachträglich als nicht mehr notwendig herausstellen würden, sei durchaus nicht ausgeschlossen. Dies liege jedoch im Ermessen des AJV, welches die angeordneten Weisungen und Auflagen ständig anhand von Verlaufsberichten der involvierten Stellen auf ihre Tauglichkeit überprüfe (angefochtenes Urteil S. 9).
 
1.3.
1.3.1. Gemäss Art. 10 Abs. 2 BV hat jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. Neben den ausdrücklich in Art. 10 Abs. 2 BV genannten Schutzgütern umfasst das Recht auf persönliche Freiheit auch das Recht auf Selbstbestimmung und auf individuelle Lebensgestaltung sowie den Schutz der elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung (BGE 138 IV 13 E. 7.1 S. 25 f.; 133 I 110 E. 5.2 S. 119; Urteil 2C_856/2013 vom 10. Februar 2014 E. 5.1; je mit Hinweisen). Grundrechtseingriffe bedürfen gemäss Art. 5 und 36 BV einer gesetzlichen Grundlage, sie müssen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
1.3.2. Das Gebot der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV) verlangt, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Zieles geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung als zumutbar erweist. Der Eingriff darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht einschneidender sein als erforderlich. Die entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen sind dabei anhand der gegebenen Umstände bzw. des aktuellen sozialen Hintergrunds objektiv zu würdigen und zueinander in Bezug zu setzen (vgl. BGE 142 I 49 E. 9.1 S. 69 mit Hinweisen).
1.3.3. Der Täter wird aus dem stationären Vollzug der Massnahme bedingt entlassen, sobald sein Zustand es rechtfertigt, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich in der Freiheit zu bewähren (Art. 62 Abs. 1 StGB). Bei der bedingten Entlassung aus einer Massnahme nach Art. 59 StGB beträgt die Probezeit ein bis fünf Jahre (Art. 62 Abs. 2 erster Satz StGB). Der bedingt Entlassene kann verpflichtet werden, sich während der Probezeit ambulant behandeln zu lassen. Die Vollzugsbehörde kann für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen (Art. 62 Abs. 3 StGB).
Die Weisungen haben einem spezialpräventiven Zweck zu dienen und sollen mithelfen, die Bewährungschancen des bedingt Entlassenen zu verbessern. Der Rückfallgefährdete soll insbesondere unterstützt werden, Risikosituationen zu vermeiden. Die mit einer Weisung zu verfolgende Zielsetzung wird im Gesetz zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich jedoch aus dem Zweckgedanken einer bedingten Entlassung als Teil des Stufenstraf- und Massnahmenvollzugs, bei welchem der Betroffene allmählich an die Lebensverhältnisse in Freiheit herangeführt und ihm Gelegenheit gegeben wird, sich in Freiheit zu bewähren (Urteil 6B_173/2018 vom 5. Juli 2018 E. 2.2.3 mit Hinweisen). Welche Weisung dem Zweck der Spezialprävention im Einzelfall am besten dient, kann nicht von vornherein abschliessend und bestimmt umschrieben werden, sondern richtet sich nach der konkreten Risikoanalyse und den konkreten Umständen des Einzelfalls (Urteil 6B_173/2018 vom 5. Juli 2018 2.2.4 mit Hinweisen).
1.4. Die dem Beschwerdeführer durch die Vorinstanz auferlegte fünfjährige Probezeit und die Weisungen beruhen auf einem Gesetz im formellen Sinn (Art. 62 Abs. 2 und 3 StGB) und genügen den Anforderungen an die gesetzliche Grundlage für einen Grundrechtseingriff. Sie liegen angesichts der Einschätzungen des aktuellen Gutachtens vom 2. Mai 2017 auch im öffentlichen Interesse. Dass die Vorinstanz vollumfänglich auf das Gutachten abstellt, ist nicht zu beanstanden.
Die angeordnete Probezeit und die Weisungen sind zudem geeignet, weitere schwere Delikte zu verhindern, sowie angezeigt und verhältnismässig. Soweit der Beschwerdeführer bezüglich der Erforderlichkeit einer langfristigen und engmaschigen Betreuung überhaupt auf die Expertise eingeht, vermag er deren Schlussfolgerungen nicht infrage zu stellen.
Der Beschwerdeführer hat mit versuchter Vergewaltigung, einfacher Körperverletzung, sexueller Nötigung, Drohung, Hausfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (alles mehrfach begangen), Widerhandlung gegen das Brandschutzgesetz, Tätlichkeiten und Sachentziehung teils schwerwiegende Anlasstaten begangen, welche bei gegebenen Voraussetzungen auch zu einer Verwahrung (die hier nicht zur Diskussion steht) nach Art. 64 Abs. 1 StGB führen könnten. Diese Anlasstaten, die beim Beschwerdeführer vorhandenen psychischen Störungen und der Zusammenhang zwischen den Störungen und den Delikten hatten eine Massnahme nach Art. 59 StGB zur Folge. Dabei ist die elf Jahre dauernde stationäre psychiatrische Massnahme nicht stetig positiv, sondern gemäss dem Gutachten vom 2. Mai 2017 "zwiespältig" und zögerlich verlaufen. Die Gutachterin diagnostiziert dem Beschwerdeführer nach wie vor eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Anteilen, eine Alkoholabhängigkeit sowie eine Abhängigkeit von multiplen psychotropen Substanzen (angefochtenes Urteil S. 2, 7). Von ihm geht immer noch ein erhebliches Gefährdungspotential für Gewalt- und Sexualstraftaten aus. Aus diesem Grund empfiehlt die Gutachterin einen langsamen und schrittweisen Öffnungsprozess. Diesem Anliegen hat die Vorinstanz durch die Anordnung einer maximalen Probezeit, eines strukturierten Alltags (betreffend Wohn- und Arbeitssituation), Verhaltensregeln (Abstinenz, Aufenthalt in der Schweiz) und der Weiterführung der ambulanten Psychotherapie Rechnung getragen.
Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Umstand, dass er sich in den letzten Jahren nicht in einem geschlossenen Vollzug, sondern im Arbeitsexternat aufhielt, steht den gutachterlichen Empfehlungen, welchen die Vorinstanz folgt, nicht entgegen. Die von der Vorinstanz angeordneten Vorkehrungen dienen dazu, das aktuelle Setting (betreutes Wohnen, Arbeiten in einer geschützten Umgebung, daraus folgende klare Tagesstruktur, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabstinenz, Fortführung der ambulanten Psychotherapie, Bewährungshilfegespräche, Eingrenzung des Aufenthalts in der Schweiz) und die relative Stabilität im Leben des Beschwerdeführers zu wahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer gemäss dem angefochtenen Urteil über keinen sozialen Empfangsraum verfügt, sein Rückfallrisiko wenig realistisch einschätzt und ein erhebliches Gefährdungspotential für erneute schwerwiegende Delikte aufweist. Die von der Vorinstanz angeordneten Einschränkungen der persönlichen Freiheit sind angesichts des Umstandes, dass gemäss Gutachten die Chancen der Legalbewährung die Risiken eines Rückfalls nur knapp übersteigen, verhältnismässig und vom Beschwerdeführer hinzunehmen. Sie stellen einen Schritt im langen Prozess dar, welchen der Beschwerdeführer bis zur definitiven Entlassung aus der stationären Massnahme durchlaufen muss.
Schliesslich vermag der Beschwerdeführer die fachärztlichen Empfehlungen mit seinen allgemeinen Überlegungen, wonach im Zweifelsfall immer der Sicherheit der Bevölkerung vor der Freiheit des Straftäters Priorität eingeräumt werde und die KoFako stets dem Gutachter folge, nicht infrage zu stellen. Die Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Mai 2019
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Unseld