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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
1B_5/2019
Urteil vom 27. Mai 2019
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Sonja Pflaum,
gegen
Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich,
Abteilung Cybercrime,
Neue Börse Selnau, Selnaustrasse 32,
Postfach, 8027 Zürich.
Gegenstand
Strafverfahren, Untersuchungshaft,
Ablehnung der Weiterleitung eines Briefs,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
vom 29. November 2018 (UH180325).
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich führt ein Strafverfahren unter anderem gegen A.________ und seine Ehefrau B.________ wegen des Verdachts der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.
A.________ befindet sich seit dem 4. August 2018 in Untersuchungshaft. Dort verfasste er ein undatiertes Schreiben an seine ebenfalls inhaftierte Ehefrau mit folgendem Inhalt:
"Hoi Schatzeli
Ich liebe Dich ganz fescht B.________ und halte Dich i mine Gedanke i de Arme.
Küssli
Din A.________"
Mit Verfügung vom 30. August 2018 lehnte die Staatsanwaltschaft die Weiterleitung des Schreibens ab, weil A.________ damit seine Ehefrau beeinflussen könnte.
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) am 29. November 2018 ab. Es befand, das Schreiben von A.________ sei geeignet, das Aussageverhalten der Ehefrau zu seinen Gunsten zu beeinflussen und die kollusionsfreie Ermittlung des Sachverhalts zu gefährden. Die Ablehnung der Weiterleitung des Schreibens sei verhältnismässig.
B.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Entscheid des Obergerichts und die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30. August 2018 aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, den undatierten Brief des Beschwerdeführers seiner Ehefrau zuzustellen. Eventualiter sei zu begründen, inwiefern der Beschwerdeführer mit seinem Schreiben seine Ehefrau beeinflussen könnte. Die entsprechenden Passagen/Worte des Schreibens seien zu kennzeichnen und dieses sei an den Beschwerdeführer zurückzugeben, damit er eine neue Fassung absenden könne.
C.
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen. Sie beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten und das Verfahren infolge Gegenstandslosigkeit unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdeführers abzuschreiben.
Das Obergericht hat auf Bemerkungen zur Frage der Gegenstandslosigkeit und der Kostenregelung verzichtet.
A.________ hat zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft Stellung genommen. Er hält dafür, das bundesgerichtliche Verfahren sei nicht gegenstandslos geworden. Er stellt neu den zusätzlichen Eventualantrag, es sei festzustellen, dass er durch die Nichtweiterleitung des Schreibens in seinen verfassungsmässigen Rechten verletzt worden und die Nichtweiterleitung unrechtmässig gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft hat auf zusätzliche Bemerkungen hierzu verzichtet und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme ebenfalls verzichtet.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 143 I 241 E. 1 S. 244; Urteil 1B_103/2014 vom 16. April 2014 E. 1.3). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Ob er, wie er geltend macht, nach wie vor ein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde hat, kann dahingestellt bleiben; ebenso, ob bei Fehlen des aktuellen praktischen Interesses die Beschwerde gleichwohl inhaltlich zu behandeln wäre (dazu BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143 mit Hinweisen). Wäre auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten, wäre sie aus folgenden Erwägungen unbegründet.
1.2. Nicht eingetreten werden kann auf den Antrag, auch die staatsanwaltschaftliche Verfügung vom 30. August 2018 aufzuheben. Aufgrund des Devolutiveffekts ist der obergerichtliche Entscheid an deren Stelle getreten. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft ist damit nicht mehr Anfechtungsgegenstand (vgl. BGE 139 II 404 E. 2.5 S. 415; Urteil 1A.12/2004 vom 30. September 2004 E. 1.3, in: ZBl 106/2005 S. 43; je mit Hinweisen).
2.
2.1. Die Ablehnung der Weiterleitung des Schreibens des Beschwerdeführers berührt sein Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), Achtung des Briefverkehrs (Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 8 EMRK) sowie Ehe und Familie (Art. 14 BV).
Gemäss Art. 36 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage (Abs. 1). Sie müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt (Abs. 2) und verhältnismässig sein (Abs. 3).
Nach Art. 235 StPO darf die inhaftierte Person in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (Abs. 1). Die Verfahrensleitung kontrolliert die ein- und ausgehende Post, mit Ausnahme der Korrespondenz mit Aufsichts- und Strafbehörden (Abs. 3). Die Kantone regeln die Rechte und Pflichten der inhaftierten Personen (Abs. 5).
Gemäss § 134 Abs. 1 der Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2006 des Kantons Zürich (LS 331.1), der die Untersuchungshaft betrifft, kontrolliert die Strafverfolgungsbehörde die Korrespondenz und andere Sendungen. Sie kann zur Sicherung des Untersuchungszweckes einschränkende Anordnungen erlassen oder die Korrespondenz mit bestimmten Personen, nahe Angehörige ausgenommen, vollständig untersagen.
Der Beschwerdeführer stellt die gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die erwähnten Grundrechte nicht in Abrede. Er macht geltend, der Eingriff sei unverhältnismässig.
2.2. Das Zwangsmassnahmengericht ordnete die Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer wegen Kollusionsgefahr insbesondere gegenüber seiner Ehefrau an (Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO). Nach der Rechtsprechung kann die Weiterleitung des Briefes eines Gefangenen zur Verhinderung von Kollusion abgelehnt werden. Massgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalles (BGE 117 Ia 465 E. 2a S. 466; 99 Ia 262 E. 13d S. 288 f.).
Im Fall, der BGE 117 Ia 465 zugrunde lag, schrieb ein sich in Untersuchungshaft befindender Beschuldigter, dem schwere Gewaltdelikte zur Last gelegt wurden, einer ebenfalls inhaftierten Mitbeschuldigten einen Brief. Darin machte er dieser Liebeserklärungen und einen Heiratsantrag. Die kantonalen Behörden lehnten die Weiterleitung des Briefs wegen Kollusionsgefahr ab, was das Bundesgericht als verfassungsmässig beurteilte. Es erwog, die Gefahr der Kollusion zwischen dem Beschuldigten und der Mitbeschuldigten liege auf der Hand. Die Beeinflussungsgefahr erstrecke sich auch auf den Inhalt des Briefs, der "lediglich" Liebeserklärungen und einen ausdrücklichen Heiratsantrag an die Mitbeschuldigte enthalte. Insbesondere sei zu befürchten, dass sich diese unter dem Eindruck des Briefs zu Falschaussagen zugunsten des Beschuldigten verleiten lassen könnte. Dies gelte umso mehr, als aus den Akten eine hochgradige Beeinflussbarkeit und Labilität der Mitbeschuldigten im Hinblick auf die Person des Beschuldigten hervorgehe. Da dieser in den untersuchungsrichterlichen Einvernahmen regelmässig keine oder nur unbrauchbare Aussagen gemacht habe, sei die Strafverfolgungsbehörde in besonderem Mass auf unbeeinflusste Aussagen der Mitbeschuldigten angewiesen. Unter diesen Umständen würde die Weiterleitung des Briefes den Haftzweck der Verhinderung von Kollusion, das Ziel einer unverfälschten Verbrechensaufklärung und damit den Zweck der Strafuntersuchung gefährden (E. 4b S. 469 f.).
Im Urteil 1B_202/2016 vom 14. Juli 2016 ging es um einen Untersuchungsgefangenen, dem insbesondere vorgeworfen wurde, gegen seine Ehefrau gewalttätig geworden zu sein. Er sandte dem gemeinsamen fünfjährigen Kind zum Valentinstag einen Rosenstrauss, dessen Weiterleitung der Staatsanwalt ablehnte. Das Bundesgericht erwog, der Strauss sei offensichtlich für die Ehefrau und nicht für das Kind bestimmt gewesen. Damit habe die Gefahr bestanden, dass der Untersuchungsgefangene mit dem Strauss die Ehefrau habe beeinflussen und sie zu einer Änderung ihrer Aussagen bzw. dem Rückzug der Strafanzeige habe bewegen wollen. Die Ablehnung der Weiterleitung sei deshalb nicht zu beanstanden (E. 2.3 und 2.5).
2.3. Mit diesen beiden Fällen ist der vorliegende weitgehend vergleichbar. Das Schreiben des Beschwerdeführers an seine Ehefrau enthält eine Liebeserklärung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm den Handel insbesondere mit grossen Mengen Kokain und damit einer harten Droge vor. Entsprechend besteht an der Klärung des Sachverhalts und damit an der Verhinderung von Kollusionshandlungen ein gewichtiges öffentliches Interesse. Die Vorinstanz stuft die Kollusionsgefahr als akut ein. Dagegen bringt der Beschwerdeführer nichts vor. Er verweigert Aussagen zur Sache. Für die Klärung des Sachverhalts umso wichtiger sind daher jene seiner Ehefrau und umso höher ist damit das Interesse, deren Beeinflussung durch den Beschwerdeführer zu verhindern. Die eheliche Beziehung vor der Verhaftung war getrübt. Wie der Beschwerdeführer in einem anderen in den Akten liegenden Schreiben selber ausführt, war die Ehe in den letzten Monaten (gemeint: vor der Verhaftung) "nicht so harmonisch"; die Eheleute hätten verlernt, gemeinsam zu lachen und einander Wertschätzung entgegenzubringen. Die Ehefrau sagte aus, sie habe sich Gedanken über eine Trennung gemacht, da sie der Beschwerdeführer psychisch stark belastet habe. Aufgrund seiner Drohung, dass er sie finanziell nicht unterstützen würde und die gemeinsamen beiden Kinder in seine Obhut kämen, habe sie von der Trennung abgesehen. Der Kokainkonsum habe den Beschwerdeführer stark verändert, was es schwierig gemacht habe, mit ihm zusammenzuleben. Angesichts dieses Zustands der Ehe musste der Beschwerdeführer damit rechnen, dass ihn seine Ehefrau belastet. Das Schreiben war geeignet, diese davon abzuhalten. Die Beeinflussbarkeit der Ehefrau muss als hoch eingestuft werden, da der Beschwerdeführer in der Ehe eine beherrschende Stellung hatte. Die Ehefrau gab an, es sei eine diktatorische Beziehung gewesen; sie habe immer machen müssen, was der Beschwerdeführer gesagt habe; wenn sie sich geweigert habe, habe es Konsequenzen gegeben.
Würdigt man dies gesamthaft, war die Ablehnung der Weiterleitung des Schreibens verhältnismässig. Dies gilt umso mehr, als die Staatsanwaltschaft den brieflichen Verkehr zwischen den Eheleuten ansonsten teilweise gestattet hat.
2.4. Zu einer Rückweisung des hier in Frage stehenden Schreibens an den Beschwerdeführer, damit er eine neue Fassung an die Ehefrau senden kann, besteht kein Anlass. Wie eine verbesserte Fassung aussehen könnte, bei der die Kollusionsgefahr entfiele, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist nicht erkennbar. Denn entweder macht er eine Liebeserklärung oder nicht. Es geht nicht um ein längeres Schreiben mit einzelnen unzulässigen Passagen, die der Beschwerdeführer in einer zweiten Fassung weglassen könnte.
3.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Im Lichte der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung war sie aussichtlos. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG kann daher nicht bewilligt werden. Von der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist allerdings auszugehen. Mit Blick darauf wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Abteilung Cybercrime, und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Mai 2019
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Chaix
Der Gerichtsschreiber: Härri